Protocol of the Session on November 11, 2005

Ich will Sie darüber informieren, dass die Landesregierung plant, am 26. Januar 2006 eine spezielle Workshop-Veranstaltung mit dem Thema „Soziale Integration von Menschen in extremer Armut“ durchzuführen.

(Zustimmung von Frau Feußner, CDU)

Das heißt, wir wissen, welche Probleme wir im Land haben. Im Gegensatz zu dem, was Herr Gallert gesagt hat, sage ich: Wir sehen nicht nur zu, sondern wir tun etwas und versuchen, diese Probleme zu lösen.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP - Frau Feußner, CDU: Richtig! Genau so ist es!)

Aber wir werden uns, mindestens bis zum März des nächsten Jahres, auch damit beschäftigen müssen, das besondere Schicksal von Hilfsbedürftigen unter uns nicht in gezielter Weise politisch zu instrumentalisieren.

(Zustimmung bei der CDU)

Mit diesem Thema müssen wir uns in der nächsten Zeit auseinander setzen. Ich sage als letzten Satz, damit mich die Frau Präsidentin nicht rügen muss: Die grundsätzliche Aufgabe, soziale Sicherheit, Sozialpflichtigkeit und das, was wir soziale Marktwirtschaft nennen, in einer globalisierten Wirtschaft zu organisieren, hat noch kein Land und keine Partei gelöst. Das ist auch eine Aufgabe, die uns in den nächsten Jahrzehnten sehr beschäftigen wird. Doch es muss uns niemand dazu ermahnen. Wir kennen die Aufgaben und wir werden versuchen, uns diesen schrittweise zu stellen und sie einer Lösung zuzuführen.

(Beifall bei der CDU, bei der FDP und von der Regierungsbank)

Danke, Herr Ministerpräsident. Ich würde Sie natürlich nicht rügen. Es war auch wichtig zu hören, was der Herr Ministerpräsident zu diesem Thema zu sagen hat; deshalb habe ich Ihnen die 17 Minuten eingeräumt. - Für die CDU-Fraktion spricht der Abgeordnete Herr Scharf. Bitte sehr.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben heute Morgen von Herrn Gallert wahrscheinlich die Auftaktveranstaltung zu einer Sozialpopulismusdebatte erlebt, die uns mindestens bis zum Frühjahr begleiten wird.

Herr Gallert, ich halte dieses für ausgesprochen gefährlich, weil Sie mit den Emotionen der Menschen spielen, weil Sie Halbwahrheiten sehr bewusst und sehr gekonnt darstellen und vortragen und weil Sie immer ein Stück weit davon ausgehen, dass ein Teil der Menschen nicht die Gesamtzusammenhänge kennt. Es ist in meinen Augen unverantwortlich.

(Zustimmung bei der CDU und von der Regie- rungsbank)

Wenn Sie diesen Weg bis zum Frühjahr weitergehen wollen, dann werden sich die politischen Auseinandersetzungen in diesem Land außerordentlich verschärfen.

Ich will Ihnen auch sagen: Es wird Ihnen nicht gelingen, dass Sie sich als das soziale Gesicht des Ostens darstellen und als diejenigen, die hier alleine dafür kämpfen und dagegen anstehen, dass andere soziale Errungenschaften einkassieren wollen.

Herr Scharf, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Das machen wir nachher. Es kommen bestimmt noch mehr Fragen.

Wir werden wahrscheinlich in Kürze - das hoffe ich - eine Kanzlerin in Deutschland haben, die in den neuen Bundesländern groß geworden ist. Wir werden wahrscheinlich ab Montag einen SPD-Parteivorsitzenden haben, der eine ostdeutsche Biografie hat. Sie werden mit Ihren K-Gruppen, die Sie sich im Westen eingefangen haben, noch viel Spaß haben.

(Zustimmung bei der CDU - Zuruf von Frau Bull, Linkspartei.PDS)

Meine Damen und Herren! Dann werden wir einmal sehen, wer die Auseinandersetzungen führt und wer in der Lage ist, die besseren Konzepte für Deutschland vorzulegen.

Wenn wir in dem Antrag auf die Aktuelle Debatte lesen konnten, dass es darum geht, den Zusammenhang zwischen den Vorgängen in den französischen Vorstädten und den Koalitionsverhandlungen darzustellen, dann musste man eine ganze Weile überlegen, wo denn an dieser Stelle die Brücke sein soll.

(Herr Gallert, Linkspartei.PDS: Das ist genau das Problem, Herr Scharf!)

Ich habe auch den Eindruck gehabt, dieses Problem hat Sie hier vorn umgetrieben, weil ich bis auf einige wenige gekünstelte Brücken den Zusammenhang nicht erkennen konnte, den Sie darzustellen versucht haben.

(Zustimmung bei der CDU - Herr Gallert, Links- partei.PDS: Den werden Sie nie erkennen, Herr Scharf! - Zuruf von Frau Dr. Klein, Linkspar- tei.PDS)

Wenn man betrachtet, was uns diese Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen überhaupt darstellen kann, dann muss man erkennen, dass die Signale, die von Frankreich ausgehen, und die Signale, die von den Koalitionsverhandlungen in Berlin ausgehen, doch extrem unterschiedlich sind und unterschiedlicher kaum sein könnten. Ich habe weiterhin die Hoffnung, dass die Verhandler in Berlin ein vernünftiges Paket schnüren werden, das uns in der schwierigen Situation, in der sich Deutschland im Moment befindet, einen wenn auch schmalen Weg zeigen wird, den wir alle gemeinsam gehen können.

Ich will keine Kaffeesatzleserei dahin gehend betreiben, wie weit einige Verhandlungspunkte bereits abgeschlossen sind oder wirklich zu uns kommen. Aber wir können schon einmal davon ausgehen, dass der Solidarpakt II gesichert ist und nicht mehr infrage gestellt wird. Dies sind 51 Milliarden €, über die wir in Zukunft nicht mehr diskutieren müssen. Damit können wir auch zukünftig einen wesentlichen Impuls für Wachstum und Beschäftigung in den neuen Bundesländern erwarten.

Wir werden eine Lösung für das ALG II bekommen. Der Ministerpräsident hat dazu auch noch einmal einige Ausführungen gemacht. Außerdem muss das, was falsch konstruiert ist, wirklich vernünftig konstruiert werden. Es stellt sich die Frage, inwieweit die Arbeitsmarktchancen für junge Menschen ohne Ausbildung bzw. ohne Arbeit dadurch verbessert worden sind, dass sie seit dem 1. Januar 2005 auch materiell einem Langzeitarbeitslosen gleichgestellt sind. Ich konnte diesen Zusammenhang bisher noch nie erkennen.

Die Fehlsteuerungen, die aufgrund dessen passieren, sind offensichtlich gravierend und sie sind gesellschaftlich von uns in dieser Form nicht gewollt. Aber die Hartz-IV-Gesetzgebung hat offensichtlich dazu geführt, dass wir einer Atomisierung und Entsolidarisierung der Gesellschaft letztlich Vorschub leisten, und dies muss korrigiert werden.

Ich will es einmal ganz deutlich sagen: Wenn man 20 Jahre alt ist und kein Geld hat, dann kann man eben nicht zu Hause ausziehen. Dies ist jahrzehntelang Konsens in dieser Gesellschaft gewesen und diesen müssen wir wiederherstellen.

(Zustimmung bei der CDU)

In dieser Situation verhält sich niemand illegal, sondern er nutzt einfach neue Gestaltungsspielräume, die wir letztlich fälschlicherweise eingeräumt haben.

Wenn man schon einmal bei dem Grundsätzlichen ankommt, dann will ich sagen: Wer diese Verantwortungsgemeinschaft Familie mehr und mehr auflöst und diese Aufgaben dem Staat überträgt, der muss sich letztlich nicht wundern, wenn irgendwann einmal das Geld für diese Solidarkreisläufe, die man aufgelöst hat, nicht mehr vorhanden ist.

(Zustimmung von Minister Herrn Becker)

Meine Damen und Herren! Dieses muss korrigiert werden und das ist in meinen Augen auch eine Belastungsgerechtigkeit, die wiederhergestellt werden muss.

Kommen wir einmal auf die Verschuldung zu sprechen. Was soll denn daran ungerecht sein, dass wir uns endlich einmal darum bemühen, dafür zu sorgen, dass unsere Kinder und Kindeskinder von dem Schuldenberg, den wir Jahr für Jahr aufhäufen, nicht erschlagen werden? Was soll an so einer Politik ungerecht sein? Wir müssen diesen Weg letztlich gehen und deshalb hat die Koalition und jeder, der in Deutschland regiert, keine Chance, einen anderen Weg zu gehen.

Kommen wir zum Thema Arbeitsrecht. Hierbei kann ich deutlich sagen, dass ich mit manchem, was sich der eine oder andere zu dem, was man am Kündigungsschutz machen darf bzw. nicht machen darf, ausgedacht hat, gehadert habe. Aber es ist wirklich den Schweiß der Gerechten wert, darüber nachzudenken, für Arbeitnehmer und für Arbeitgeber ein einfaches, überschaubares und damit berechenbares Arbeitsrecht herzustellen. Es kann wirklich nicht sein, dass im Moment die Praxis der befristeten Arbeitsverhältnisse, in der sich die Leute von Arbeitsverhältnis zu Arbeitsverhältnis hangeln, die Lösung unserer gesellschaftlichen Probleme sein soll.

(Zuruf von Frau Tiedge, Linkspartei.PDS)

Hierbei ist es doch wirklich ehrlicher, dazu zu kommen, dass nach einer gewissen Zeit - meinetwegen sollen es 24 Monate sein - das Regelarbeitsverhältnis wieder das

unbefristete ist. Danach muss man wirklich wissen, ob man einen Arbeitnehmer gebrauchen kann oder ob man ihn nicht gebrauchen kann.

Ein klares Recht, meine Damen und Herren, ist auch ein gerechtes Recht. Wenn wir bei dieser Frage einen Schritt weitergehen können, dann, meine Damen und Herren, freut mich das wirklich außerordentlich.

Herr Gallert hat vorhin herumgeeiert und fand nicht die rechten Beispiele, um Frankreich mit Deutschland vergleichen zu können. Aber man muss vielleicht viel deutlicher fragen: Warum fängt man so eine Debatte in Sachsen-Anhalt an, wenn man fragen muss, wo denn in Sachsen-Anhalt die Ghettos sind? - Wir haben sie zum Glück nicht. Ich denke, wir lassen mit dem Programm zur städtebaulichen Entwicklung und mit unseren sozialen Maßnahmen genau solche Entwicklungen gar nicht erst zu, bei denen man in Frankreich nicht aufgepasst hat.

(Zustimmung bei der CDU)

Wo, meine Damen und Herren, leistet denn die Polizei in Sachsen-Anhalt der sozialen Ausgrenzung Vorschub? Wo haben wir in Sachsen-Anhalt polizeiliche Übergriffe gegen Ausländer festzustellen? Nennen Sie mir doch die Beispiele! Sie können mir kein einziges Beispiel nennen.

Wenn der eine oder andere wirklich einmal in einer Situation ausgerastet ist, die er emotional nicht beherrscht hat, dann haben wir im Landtag sofort umfangreiche Debatten entfacht und mit dem Disziplinarrecht ist sofort gegen die Leute vorgegangen worden. Gegebenenfalls musste sogar mit dem Strafrecht gearbeitet werden. Niemand in Sachsen-Anhalt hat doch solche Fälle, wenn sie einmal vorgekommen sind, unter den Tisch gekehrt. Sie greifen doch in die vollkommen falsche Kiste, wenn Sie solche Beispiele konstruieren wollen, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ich frage Sie: Wo leistet denn unsere von den Fraktionen der CDU und der FDP getragene Landesregierung der sozialen Polarisierung Vorschub? Nennen Sie mir doch einmal die Beispiele!

Auch die Aktuelle Debatte über die Bildungspolitik hat doch ganz klar gezeigt, dass wir uns vielleicht über den besten Weg streiten und dass wir uns immer wieder einmal über die Frage der Schulstrukturierung uneinig sind. Aber alle Vertreter der Fraktionen haben doch gesagt: Wir müssen auch die Kinder aus schwachen Elternhäusern abholen,

(Zuruf von Frau Bull, Linkspartei.PDS)

weil wir es uns überhaupt nicht leisten können, Bildungspotenziale irgendwo brach liegen zu lassen. Das ist doch ein großer Konsens. Den können Sie doch nicht zerreden, indem Sie eine soziale Polarisierung konstruieren, die niemand in diesem Hause will.

(Zustimmung bei der CDU - Herr Gallert, Links- partei.PDS: Aber die gibt es, Herr Scharf!)

- Natürlich gibt es soziale Unterschiede. Ich kenne auch Leute, die in materiellen Verhältnissen leben, die ich als bedauerlich und sogar als erbärmlich empfinde. Ich weiß auch bei dem einen oder anderen Fall, dass ich nicht helfen kann. Das schmerzt mich. Aber es ist eine ganz

bösartige Unterstellung, daraus zu konstruieren, dass in diesem Hause Leute sitzen, insbesondere in den Koalitionsfraktionen, die dieses wollen.