Protocol of the Session on November 10, 2005

Vielen Dank, Frau Tiedge. - Für die CDU-Fraktion erhält nun der Abgeordnete Herr Lienau das Wort. Bitte sehr, Herr Lienau.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit Ihrer Erlaubnis würde ich meine Rede gern zu Protokoll geben.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Das nehmen wir gern entgegen, Herr Lienau.

(Zu Protokoll:)

Die Situation: Seit Jahren fordern Politiker, namhafte Wissenschaftler und Persönlichkeiten aus der Wirtschaft Entbürokratisierung, Rechtsvereinfachung, Zuständigkeitsentwirrung, Kostenersparnis etc. Der Staat soll sich - dem Subsidiaritätsprinzip folgend - auf seine Kernaufgaben zurückziehen.

An dem Beispiel dieses Antrages zur Reformierung des Gerichtsvollzieherwesens wird demgegenüber exemplarisch deutlich, wie schwer uns Veränderungen in Deutschland fallen. Eine Grundgesetzänderung steht nunmehr als hohe Barriere vor einer möglichen Systemänderung im Gerichtsvollzieherwesen.

Der unumstrittene Missstand der schlechten Zahlungsmoral sollte Politiker aller Parteien veranlassen, die rechtlichen Voraussetzungen zur Umsetzung des Anliegens des vorliegenden Antrags zu schaffen. Ich hoffe, dass sich über die Parteigrenzen hinaus die Erkenntnis durchsetzt, dass es so nicht weitergehen darf. Geldforderungen jeglicher Art müssen bezahlt werden, darüber darf es keinen Zweifel geben und keine Entschuldigung für die Zahlungsverweigerung.

Charakter und Moral derer, die meinen, sich ihrer Pflicht mithilfe des jetzt geltenden Rechtes durch Trick und Tücke entziehen zu können, dürfen zukünftig nicht die Sieger sein. Die betroffene Gläubigerschaft hat ein Recht darauf, dass ausbleibende Geldforderungen zeitnah realisiert werden können, zur Not auch mit Zwang.

Denn mit „Nichtzahlen“ beginnt vom Gläubiger ausgehend eine Kette des „Nichtzahlen-Könnens“.

Der Gesetzgeber hat es bisher nicht geschafft, das Rechtsempfinden Betroffener zu verbessern. Nicht selten ist es für enttäuschte Gläubiger der letzte Ausweg, sich „alternativer Lösungen“ zu bedienen. Die Handelnden in diesem Verfahren sind groß, kräftig gebaut, schwarz bekleidet und wenig redselig. Diese Lösung darf sich nicht weiter verbreiten, denn am Ende steht der Wilde Westen.

Die Kritiker eines Systemwechsels im Berufsstand der Gerichtsvollzieher beziehen sich hauptsächlich auf den Begriff Privatisierung und befürchten eine gewerbliche, marktähnliche Situation in der Ausübung der Gerichtsvollziehertätigkeit. Ich möchte daran erinnern, dass Beliehene zwar für sich selbst verantwortliche Unternehmer sind, jedoch der mittelbaren Staatsverwaltung angehören. Sie sind ebenfalls Amtspersonen durch Gesetz und unterliegen hoheitlicher Dienst- und Fachaufsicht.

Unter diesen Voraussetzungen kann ich nicht erkennen, warum man einem Beliehenen nicht zutraut, seine hoheitliche Berufsausübung nicht mit der gleichen Sorgfalt und Fachkenntnis wie ein Beamter durchzuführen. Beliehene anderer Fachbereiche haben seit Jahrzehnten nachgewiesen, dass sie sehr wohl hoheitliche Aufgaben erfolgreich übernommen haben. Im Übrigen: Schwarze Schafe finden wir überall.

Die Situation der ca. 4 500 Gerichtsvollzieher im Bundesgebiet ist geprägt von einer starken Belastung, die zu monatelangen Verzögerungen bei der Umsetzung gerichtlicher Entscheidungen führt. Die Zwangsvollstreckung wird somit zum Warte- und Geduldsspiel. Der wirtschaftliche und finanzielle Schaden für die Gesellschaft ist groß. Ich möchte dabei auf die anhaltend hohe Zahl der betrieblichen Insolvenzen hinweisen, die sicherlich nicht losgelöst vom Forderungsausfall gesehen werden kann.

Nachwuchssorgen des Berufsstandes lassen befürchten, dass die Arbeit der Gerichtsvollzieher zukünftig nicht unbedingt gestärkt wird. Der große Verantwortungsdruck, psychologische Höchstleistungen im Alltag und eine sicherlich nicht üppige Bezahlung tragen nicht unbedingt zur Attraktivität bzw. Leistungssteigerung des Berufsstandes bei. Die Formel, wer viel leistet, wird genauso honoriert wie derjenige, der wenig leistet, kann nicht aufgehen.

Einerseits schränkt das Korsett gesetzlicher Vorschriften und beamtenrechtlicher Bestimmungen die Flexibilität und Effizienz der Gerichtsvollzieher ein, anderseits sind gesteigerte Zahlungsunwilligkeit und erhöhe Zahlungsunfähigkeit sowie gesellschaftliche Spannungen und Gleichgültigkeit und Aggression der Schuldner Erlebnisalltag der Gerichtsvollzieher.

Zum Antrag. Das Vollstreckungssystem bedarf einer grundlegenden Erneuerung und Verbesserung. Das Verhältnis Gläubiger/Schuldner muss in Form einer Mediation durch ein Abwendungsverfahren oder einer Rechnungspräsentation vorgerichtlich und rechtzeitig begleitet werden. Dadurch können gerichtliche Mahnverfahren vermieden bzw. beigelegt werden.

Die Übertragung der Zuständigkeit für die Forderungspfändung auf die Gerichtsvollzieher kann eine Beschleunigung und Effizienzsteigerung der Zwangsvollstreckung bewirken.

Ich möchte die Landesregierung, insbesondere den Justizminister und alle verantwortlichen politischen Kräfte bitten, sich für die Umsetzung des Antrages auf Bundesebene einzusetzen und ihn zu unterstützen.

Wir kommen zu dem Debattenbeitrag der SPD-Fraktion. Ich erteile dazu der Abgeordneten Frau Grimm-Benne das Wort. Bitte sehr, Frau Grimm-Benne.

Sehr geehrter Herr Präsident, auch ich möchte um die Erlaubnis bitten, meine Rede zu Protokoll zu geben.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Vielen Dank, sehr geehrte Frau Grimm-Benne. Ich glaube aber, jemand auf der Tribüne hätte Ihren Debattenbeitrag gern gehört. Wir nehmen das trotzdem gern entgegen.

(Zu Protokoll:)

Wir haben es uns in der Fraktion mit der Frage des Abstimmungsverhaltens zu der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses zur Reformierung des Gerichtsvollzieherwesens nicht leicht gemacht. Natürlich haben auch wir uns als SPD-Fraktion mehrfach mit den Vertretern des Berufsverbandes der Gerichtsvollzieher getroffen. Diese warben sehr intensiv und engagiert für ihr Anliegen der Reformierung des Gerichtsvollzieherwesens.

Unbestritten ist, dass das Vollstreckungswesen in Deutschland in seiner jetzigen Form nicht sehr effektiv ist und es für Gläubiger ein ziemlich beschwerlicher und vor allem meist langer Weg ist, Forderungen geltend zu machen bzw. diese erfolgreich zu vollstrecken. Es besteht dringender Handlungsbedarf, der aber zum Beispiel auch das Insolvenzrecht mit umfassen sollte. Wir sollten also weiterhin, auch unabhängig von der schwierig umzusetzenden Realisierung des Beleihungsmodells, über einzelne Reformschritte nachdenken.

In den intensiven Diskussionen in unserer Fraktion zu dem Thema der Reformierung des Gerichtsvollzieherwesens spiegelte sich die gesamte Meinungsvielfalt wider, die derzeit im gesamten Bundesgebiet vertreten wird. Wir haben uns zunächst mit der Frage befasst, ob Gerichtsvollzieher zukünftig als Beliehene auftreten sollen, ähnlich den Notaren zum Beispiel, so wie es Punkt 1 der Beschlussempfehlung vorsieht.

Die Bund-Länder-Arbeitsgruppe hat das Reformmodell der Beleihung entwickelt. Das Bundesjustizministerium meldet aber rechtliche Bedenken an. Es handelt sich bei den Aufgaben der Gerichtsvollzieher um hoheitliche Aufgaben, die auch Grundrechtseingriffe umfassen. Das Bundesjustizministerium vertritt die Ansicht, dass diese Aufgaben nicht durch Private bzw. Beliehene ausgeführt werden können und weiterhin durch Beamte wahrgenommen werden sollen. Diese rechtlichen Bedenken sind auch von Mitgliedern unserer Fraktion geteilt worden und sind natürlich nicht so einfach vom Tisch zu wischen.

Einig sind sich aber alle Beteiligten darin, dass es zur Umsetzung dieses Beleihungsmodells einer Grund

gesetzänderung bedarf. Es wird also spannend zu beobachten sein, was in den Koalitionsverhandlungen in Berlin im Einzelnen vereinbart wurde, ob nicht eventuell diese Frage schon Gegenstand der Beratungen war.

In der Diskussion ist auch nicht die Tatsache zu vernachlässigen, dass die Umsetzung des Beleihungsmodells zu einer beträchtlichen Gebührenerhöhung führen würde. Der Diskussionsprozess ist im Einzelnen also noch nicht abgeschlossen. Viele Fragen sind momentan noch offen und Details noch nicht ausgereift. Die BundLänder-Arbeitsgruppe wird im Jahr 2006 erneut in der Justizministerkonferenz berichten und erste Gesetzesvorschläge erarbeiten und vorlegen. Spätestens dann werden wir uns wieder mit diesem Thema zu beschäftigen haben.

Wir hatten im Ausschuss darum gebeten, dieses Thema nicht durch die Beschlussempfehlung abzuschließen und eine weitere Behandlung vorzusehen. Diesem Wunsch wurde aber leider nicht entsprochen. Da der Antrag im Landtag zu einer Zeit verabschiedet wird, in der die Beratungen auf Bundesebene erst zu laufen beginnen, erfolgt die Verabschiedung des Antrags unserer Ansicht nach zum falschen Zeitpunkt. Daher wird sich die SPD-Fraktion bei der Abstimmung der Stimme enthalten.

Meine Damen und Herren! Wir kommen zu dem Debattenbeitrag der FDP-Fraktion. Es spricht zu Ihnen Frau Abgeordnete Röder. Bitte sehr, Frau Röder.

Herr Präsident, mit Ihrer Erlaubnis möchte auch ich meine Rede zu Protokoll geben.

(Beifall bei allen Fraktionen)

(Zu Protokoll:)

Was lange währt, wird endlich gut. So könnte man die Geschichte des Antrags zur Reformierung des Gerichtsvollzieherwesens vom 26. Februar 2004 überschreiben. Der Ausschuss für Recht und Verfassung hat sich mehr als anderthalb Jahre lang mit dem Antrag befasst, eine ausführliche Anhörung durchgeführt und Ihnen nun endlich eine Beschlussempfehlung vorgelegt, die auch bei Teilen der Opposition Zustimmung fand.

An die Tätigkeit des Gerichtsvollziehers werden von den verschiedenen Seiten die unterschiedlichsten Anforderungen gestellt. Die Gläubiger, in deren Interesse ein Gerichtsvollzieher tätig wird, erwarten eine schnelle und effektive Dienstleistung. Wir alle kennen das Klagelied von Unternehmen: Sie erhielten zwar vor Gericht einen Titel, allein die Vollstreckung scheitere zu oft oder dauere zu lange.

Die Schuldner oder auch von der Vollstreckung betroffene Dritte erwarten, dass ihre gesetzlichen Rechte eingehalten werden. Der Staat erwartet ein rechtsstaatliches Vollstreckungsverfahren. Die Frage ist nun, wie sich diese Ziele - jeder für sich und im Zusammenspiel - möglichst gut erreichen lassen.

Die Beschlussempfehlung greift als Kernpunkt einen Vorschlag der Gerichtsvollzieher selbst auf. Diese wollen in Zukunft nicht mehr als Beamte, sondern als mit öffentlichen Aufgaben beliehene Freiberufler tätig sein. Dadurch entstünde Wettbewerb zwischen den einzelnen Gerichtsvollziehern. Der Gläubiger kann denjenigen beauftragen, der ihm schnell und effizient zu sein scheint. Das derzeit vielfach vorliegende Problem, dass eine Reihe von Bezirksgerichtsvollziehern schlicht überlastet sind, kann so ausgeräumt werden.

Natürlich wollen wir als FDP-Fraktion auch keine Wildwest-Methoden in der Zwangsvollstreckung. Die Rechte von Schuldnern und möglicherweise betroffenen Dritten sind in Gesetzen festgeschrieben und müssen auch vom beliehenen Gerichtsvollzieher eingehalten werden. Das Institut der Beleihung garantiert hierfür eine staatliche Aufsicht.

Der FDP-Fraktion ist sich bewusst, dass gegen ein solches Vorgehen verfassungsrechtliche Bedenken bestehen. Möglicherweise muss Artikel 33 des Grundgesetzes geändert werden, um eine solche Reform zu ermöglichen. Die Gelegenheit gibt es genau jetzt. Sollte die große Koalition in Berlin im Rahmen der neu aufzugreifenden Föderalismusdebatte das Grundgesetz anfassen, kann die Landesregierung diesen Vorschlag einbringen und hoffentlich durchsetzen. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit und bitte um Zustimmung.

Vielen herzlichen Dank. - Meine sehr geehrten Damen und Herren! Damit ist die Debatte beendet. Wir sind schnell zum Schluss gekommen und können nun in das Abstimmungsverfahren zu der Drs. 4/2452 eintreten.

Wer der Beschlussempfehlung in der Drs. 4/2452 seine Zustimmung gibt, den bitte ich um das Zeichen mit der Stimmkarte. - Zustimmung bei der SPD-, der CDU- und der FDP-Fraktion. Gegenstimmen? - Bei der Linkspartei.PDS. Damit ist die Beschlussempfehlung des Ausschusses mehrheitlich angenommen worden und der Tagesordnungspunkt 16 ist beendet.

(Unruhe)

- Meine Damen und Herren, ich bitte Sie noch um eine Minute Geduld. Wir sind am Ende der 67. Sitzung des Landtages angelangt. Ein parlamentarischer Abend findet heute nicht statt. Ich gebe Ihnen also heute Abend einmal frei.

(Heiterkeit und Beifall bei allen Fraktionen)

Die ursprünglich vorgesehene parlamentarische Begegnung zur Kürung des Botschafters Sachsen-Anhalts ist leider ausgefallen.

Die morgige Sitzung beginnt um 9 Uhr. Wir beginnen dann wie vereinbart mit dem Tagesordnungspunkt 3 - Aktuelle Debatte - und behandeln nachfolgend die Tagesordnungspunkte 18 und 25.

Damit schließe ich die heutige Sitzung des Landtages und wünsche Ihnen einen angenehmen Abend.

Schluss der Sitzung: 19.53 Uhr.