Protocol of the Session on October 7, 2005

Meine Damen und Herren! Diese Aussagen werden niemanden überraschen. Es ist hinreichend bekannt, dass sich meine Fraktion zwar gegen eine generelle Verschärfung des Jugendstrafrechts, aber für den so genannten Warnschussarrest ausspricht. Wie wir schon früher festgestellt haben, können wir der Kritik, dass der Warnschussarrest dem Erziehungsgedanken zuwiderlaufe, nicht folgen.

Nach den bisherigen Erfahrungen in der Praxis steht fest, dass eine kurze freiheitsentziehende Maßnahme neben einer Bewährungsjugendstrafe von den Jugendlichen gerade nicht als Sanktion, sondern eher mit dem Gefühl, gerade noch einmal davon gekommen zu sein, aufgenommen wird. Deswegen sehen wir den so genannten Warnschussarrest auch als Möglichkeit an, um Jugendliche vor einem intensiveren Eingriff zu bewahren.

Uns ist auch bekannt, dass es eine hohe Rückfallquote nach erfolgten Arresten gibt. Das ist aber nicht der Beleg dafür, dass der Arrest als solcher untauglich ist, sondern wirft zwei Fragen auf: Ist es sinnvoll, den Arrest erst als

letzte Erziehungsmaßnahme vor der Jugendstrafe anzuwenden? Und: Ist die Qualität des Jugendarrests ausreichend pädagogisch wirksam?

Ich bin der Überzeugung, dass man jede Situation optimieren kann. Es bleibt zu beachten, dass die meisten Jugendlichen erst in den „Genuss“ des Arrests kommen, nachdem sie bereits mehrfach aufgefallen sind und seitens der Justiz nur den erhobenen Zeigefinger erlebt haben. Auf diese Weise vorgeprägte Täter werden dann von einem Arrest weniger beeindruckt als der so genannte Ersttäter. Konsequenterweise halte ich auch die Kombination des vereinfachten Verfahrens mit der Maßnahme des Jugendarrests - wie schon der Pressemitteilung zu entnehmen war - für ein probates Mittel des Jugendstrafrechts, da auch hierbei der Erziehungsgedanke im Vordergrund steht.

Ich bin der Auffassung, dass es in bestimmten Fällen gerade bei Ersttätern Sinn macht, einen Jugendarrest zu verhängen, da die Jugendlichen, die zum ersten Mal mit dem Gesetz in Konflikt kommen, durch diese Erfahrung sehr stark beeindruckt werden und so weitere Straftaten verhindert werden können. Selbstverständlich spreche ich nur von Fällen, in denen bei der Tat ein besonders gewaltbereites Verhalten an den Tag gelegt worden ist.

In diesem Zusammenhang führt gerade das vereinfachte Verfahren und die zeitnahe Verurteilung dazu, dass die Abschreckungswirkung gegenüber dem jugendlichen Täter und gegenüber anderen Jugendlichen maximiert wird, da deutlich wird, dass die Reaktion der Gesellschaft der Tat auf dem Fuße folgt. Außerdem läuft ein jugendlicher Straftäter durch das vereinfachte Verfahren nicht mehr Gefahr, erst lange Zeit nach der Tat verurteilt zu werden, nachdem er eine positive Entwicklung durchgemacht hat, in dem er eine Ausbildungs- oder Arbeitsstelle angenommen hat, und somit aus der positiven Entwicklung herausgerissen zu werden.

Meine Damen und Herren! Unser Justizminister hat richtig festgestellt: Schnelles Recht ist gutes Recht. Ich gebe Ihnen, Herr Rothe, Recht, dass dabei die Beweisführung und der Rechtsstaat nicht auf der Strecke bleiben dürfen.

(Zuruf von Minister Herrn Becker)

In den Fällen, in denen es möglich ist, in denen man den Täter schon am nächsten Tag spüren lassen kann, was es bedeutet, sich außerhalb der Gesellschaft zu bewegen, halte ich das für eine besonders gelungene Form der Erziehungsmaßnahme.

Das ist allerdings nicht alles, was das Jugendstrafrecht vorsieht, und es soll auch nicht alles sein. Es ist auch notwendig, über Erziehungsmaßregeln, den Täter-OpferAusgleich, soziale Trainingskurse und sonstige Sozialmaßnahmen, die schon anwendbar sind, hinaus darüber nachzudenken, welche Erziehungsmittel Jugendrichtern noch an die Hand gegeben werden können. Nur ein breiter Strauß von Regelungen ermöglicht es dem Jugendrichter, auf die aus unterschiedlichsten Motivationen heraus straffällig gewordenen Jugendlichen individuell einzugehen.

Bei dieser Frage bin ich bereit, über eine sinnvolle Ergänzung der bisher geregelten Erziehungsmaßnahmen nachzudenken und zu diskutieren. Aber eine Verschärfung des Jugendstrafrechts scheidet für mich aus. Angesichts sinkender Jugendkriminalität fehlt es sowohl an dem Nachweis der Notwendigkeit als auch an der erhofften Wirkung.

Zum Schluss meiner Ausführungen möchte ich noch einmal an das Wesentliche erinnern: Erziehung statt Repression. Diese Grundaussage fasst mein Verständnis von Jugendstrafrecht kurz und knapp zusammen. Dabei bin ich der festen Überzeugung, dass die vorhandenen Regelungen im Jugendstrafrecht ausreichend sind und es keiner Verschärfung bedarf.

Freilich muss bei schwerwiegenden Fällen von Gewalt auch von den schärferen Schwertern des Jugendstrafrechts wie der Jugendstrafe Gebrauch gemacht werden, damit die jugendlichen Täter nicht den Eindruck gewinnen, dass es sich bei Straftaten, die man als Jugendlicher begeht, um Kavaliersdelikte handele. Sie hatten es einmal so nett ausgedrückt: Eine Teenager-Eselei ist immer noch eine Straftat und muss geahndet werden.

Grundsätzlich steht aber die erzieherische Wirkung im Vordergrund. Es macht auch Sinn, den Jugendarrest mit anderen Erziehungsmaßregeln zu kombinieren, um dem jeweiligen Jugendlichen gerecht zu werden. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Zustimmung bei der FDP, von Herrn Schom- burg, CDU, und von Herrn Gürth, CDU)

Vielen Dank, Herr Wolpert. - Nun spricht zum Abschluss der Debatte Frau von Angern für die Linkspartei.PDS.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Ich finde, dass die Thematik Jugenddelinquenz eine sehr interessante ist. Ich heiße grundsätzlich jede Gelegenheit willkommen, darüber zu diskutieren.

Das Problem bei der heutigen Debatte ist aus meiner Sicht jedoch, dass Sie das Thema an einem Einzelfall festmachen, der es fast unmöglich macht, eine sachliche Diskussion zu führen. Das bedauere ich. Allerdings lässt es mich zugleich hoffen, dass sich bei Ihnen ein gewisses Problembewusstsein eingestellt hat. Denn wir haben ein Problem, das nach meiner Auffassung nicht allein durch schnelleres und härteres Recht gelöst werden kann.

Hätte meine Fraktion den Sachverhalt aufgegriffen, so kann ich Ihnen versichern, dass wir heute über eine ganz andere Thematik gesprochen hätten. Es wäre um Gewalt an Schulen gegangen. Es wäre um die Frage gegangen, welche Werte vermitteln wir Kindern und Jugendlichen. Und es wäre um die Frage gegangen, welche Möglichkeiten die Politik und insbesondere Lehrerinnen und Lehrer haben, solchen Geschehnissen vorzubeugen und darauf zu reagieren. Doch darüber reden wir heute leider nicht.

(Zustimmung bei der Linkspartei.PDS)

Ich werde an dieser Stelle nicht das konkrete Strafverfahren bewerten, an dem diese Diskussion losgebrochen ist, obgleich ich die Dramatik des Sachverhaltes damit nicht herunterspielen möchte. Das sage ich ganz ausdrücklich. Ich bleibe dabei: Ich denke nicht, dass es die Aufgabe von Politik ist, nichtöffentliche Strafverfahren gegen jugendliche Straftäter öffentlich zu bewerten.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Die Aufgabe von Politik ist vielmehr die Verhinderung solcher Vorfälle, das will heißen, die Prävention.

Ich werde erneut in einer Wunde bohren, die unter anderem Dank Leuten wie Professor Dr. Titus Simon von der FH Magdeburg-Stendal so schnell auch nicht zuwachsen wird. Unter Ihrer Regierung lief das Projekt der Schulsozialarbeit in Sachsen-Anhalt aus. Die Mehrzahl der Projekte brach weg. Durch diese Projekte war es möglich, individuell und eben auch präventiv mit Problemen von Schülern umzugehen.

Momentanes Fazit im Lande ist, dass Gewalt an Schulen existent ist und die Zahl der Schulverweigerer ansteigt. Wenn sich zum letztgenannten Problem der Chef des Landesverwaltungsamtes hinstellt und ausruft, er wolle die Zahl der Schulverweigerer auf null senken, kann ich nur nüchtern feststellen: Das ist ein ehrbares Vorhaben. Aber wie will er dies umsetzen? Mit teuren Sonderprojekten oder gar mithilfe der Polizei? - Die Antwort darauf war übrigens im Landesjugendhilfeausschuss durch die Sozialbeigeordnete der Stadt Magdeburg schnell gefunden: durch mehr Schulsozialarbeit. - Ein trauriges Dilemma, meine Damen und Herren der Koalition.

(Frau Dr. Hüskens, FDP: Nein! - Minister Herr Kley: Schulsozialarbeit ist möglich, nehmen Sie das zur Kenntnis!)

Auf die Einsparungen in der außerschulischen Kinder- und Jugendarbeit mag ich an dieser Stelle gar nicht zu sprechen kommen. Darüber haben wir uns schon in der letzten Landtagssitzung - leider erfolglos - gestritten. Doch, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der Koalition, Sie müssen sich eben bewusst machen, dass Sparen am falschen Ende sich nicht bezahlt macht.

Um mit den Worten des DAV, des Deutschen Anwaltvereins, zu sprechen, führen jugendspezifische Hilfsangebote in präventiver Hinsicht zu einem Rückgang von Straftaten und damit zur Vermeidung von Schäden, deren Folgen die Allgemeinheit zu tragen hat. Ich gebe zu bedenken, dass Prävention umso teurer und umso begrenzter in ihrer Wirkung ist, je später sie einsetzt.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Doch ich komme wieder auf den Jugendarrest an sich zurück. Sie schreiben in Ihrer Begründung zur Aktuellen Debatte, dass der Jugendarrest als Erziehungsmaßnahme wirksam ist. An dieser Stelle möchte ich eines kurz richtig stellen - ich dachte, es wird von einem Vorredner getan -: Gesetzessystematisch, aber auch inhaltlich ist der Jugendarrest keinesfalls eine Erziehungsmaßnahme. Vielmehr ist er ein Zuchtmittel, das im Jahr 1940 in das JGG Einzug fand. - So viel zur Rechtsgeschichte und Rechtssystematik.

Natürlich ist es eine Aufgabe der Politik, Rahmenbedingungen zu schaffen, wenn trotz bester Präventionsmaßnahmen Straftaten begangen werden. Meine Fraktion fordert auch nicht, dass einem solchen Verhalten keine Reaktion folgen soll. Allein der Schrei nach schneller und harter Strafe ist nach Auffassung der Linkspartei bei jugendlichen Straftätern jedoch zu kurz gegriffen. Es kann scheinbar gar nicht oft genug gesagt werden: Im Jugendstrafrecht geht es in erster Linie um Erziehung und eben nicht um Strafe.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Ich möchte an dieser Stelle einen Irrtum ausräumen. Sie treffen auf unsere volle Zustimmung, dass einem straffälligen Verhalten eine schnelle Reaktion folgen muss.

Passiert das nicht, verpufft die Wirkung. Meinungsunterschiede bestehen jedoch hinsichtlich des Inhaltes der Reaktion.

Der Jugendarrest beruht auf der These, Kriminalität könnte dadurch verhindert werden, dass dem Täter eine Anschauung vom Gefängnisleben gegeben und als konkrete Drohung vermittelt wird. Das Problem dabei ist jedoch, dass auf die eigentliche Kriminalitätsgründe nicht eingegangen wird. Die Kriminalitätsgründe sind bei diesem Umgang eine unbekannte Größe, gegen die durch vermehrte Abschreckung ein Gegengewicht geschaffen werden soll.

Wir müssen uns jedoch bewusst machen, dass gerade bei jugendlichen Straftätern zumeist schon erhebliche Sozialisationsdefizite vorliegen, die an sich schon dazu führen, dass sie arrestungeeignet sind. Ich frage Sie allen Ernstes: Wie soll denn eine jahrelange Desozialisation durch vier Wochen oder - beim Warnschussarrest - nur durch ein paar Tage ausgeglichen werden, selbst wenn eine Betreuung durch Sozialpädagogen erfolgt?

Es führt vielmehr zu einer weiteren Desozialisierung, indem gerade bei der Höchstdauer von vier Wochen soziale Kontakte abgebrochen werden können. Ich kenne natürlich auch die Fälle, in denen Jugendliche, die danach wieder in ihren alten sozialen Nahraum zurückkehren, als Helden gefeiert werden. Aber ist es das, was wir wollen?

Da ich aufgrund der Pressemeldungen davon ausgehe, dass Sie diese Argumentation leider nicht überzeugt, gehe ich noch einmal auf das Thema „Rückfallquote“ ein. Diese liegt nach bundesweiten Studien beim Jugendarrest zwischen 70 % und 80 %. Das stellt meiner Meinung nach den Erfolg des Jugendarrestes mehr als infrage.

Die Ursachen dafür sind unterschiedlich: Arrestungeeignetheit, Identifikation mit der Rolle eines Straftäters, Verfestigung einer kriminellen Karriere oder auch das Zurückkehren in eine kriminelle Gruppe. Doch all das spricht nun wirklich nicht für die Tauglichkeit des Jugendarrestes. Seine Wirkung ist eher kontraproduktiv.

In meinem Fazit zum Zuchtmittel Jugendarrest schließe ich mich Professor Dr. Bussmann von der Martin-LutherUniversität an. Er hat festgestellt, dass Jugendarrest mehr schadet als nützt, unterstützt deshalb die bereits lange bestehende Forderung - ich war also nicht die Erste - nach Abschaffung des Jugendarrestes und fordert Alternativen dazu.

An genau dieser Stelle ist nun wieder die Politik gefragt. Sind wir so ohnmächtig und wissen wir uns nur zu helfen, indem wir jugendliche Straftäter wegsperren? Oder gibt es dazu nicht doch Alternativen?

(Zustimmung bei der Linkspartei.PDS)

Ich verrate Ihnen kein Geheimnis, wenn ich Ihnen sage, dass auch in unserer Fraktion aufgrund unterschiedlicher Auffassungen noch intensiv darüber diskutiert wird. Aber wir sind offen in der Diskussion. Umso wichtiger ist es nach meiner Auffassung, Alternativen zum Jugendarrest zu suchen und den Menschen aufzuzeigen und zu erklären.

Gemeinnützige Arbeit ist durchaus ein sinnvoller Ansatz und wird bereits seit längerer Zeit erfolgreich praktiziert. Aber auch der soziale Trainingskurs, wie beispielsweise das Antiaggressionstraining, könnte den Jugendarrest

ersetzen. Hierbei geht es um ein sozialpädagogisches Angebot, das darauf abzielt, Defizite aufzuarbeiten, die der Jugendliche im Zusammenhang mit seiner Straffälligkeit hat, sowie Handlungsalternativen aufzuzeigen und einzuüben. Dies geschieht in Gruppenarbeit oder in intensiver Einzelbetreuung. Ziel ist das Training sozialer Verhaltensweisen. Sie können sich das gern anschauen; dort passieren keine Streicheleinheiten.

Der Kurs motiviert die Jugendlichen, ihre oft äußerst ungünstigen Lebensbedingungen aktiv anzugehen und sich nicht resigniert ihrer Situation hinzugeben. Eine Rückfalluntersuchung bei Teilnehmerinnen solcher Kurse hat übrigens ergeben, dass nur 41 % rückfällig geworden sind.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der Koalition, das könnte ein Schritt in die richtige Richtung sein, denn genau dieses Ziel verbindet uns doch fraktionsübergreifend: Wir wollen die Rückfallquote so weit es geht minimieren. Natürlich lässt sich nicht alles mit der Rückfallquote argumentativ untersetzen. Doch sie sollte zumindest ein Indiz dafür sein, das nicht leichtfertig verworfen wird.

Mir ist durchaus auch bewusst, dass das momentane Netz der ambulanten Maßnahmen noch nicht ausreichend ist. Doch die Antwort der Politik darf vor diesem Hintergrund erst recht nicht allein das Wegsperren der jugendlichen Straftäter sein. Es gilt, dieses Netz auszubauen, was doch zugleich mit Einsparungen im Bereich des Vollzuges einhergehen kann.

Abschließend möchte ich auch noch die Möglichkeit des Täter-Opfer-Ausgleichs als Form der Wiedergutmachung ansprechen. Gerade für jugendliche Straftäter, deren Straffälligkeit zum Glück zum größten Teil von episodenhafter Natur ist, besteht darin eine große Chance, sie mit ihrer Tat zu konfrontieren und eine Auseinandersetzung damit zu fördern.

Im Übrigen war das Konstrukt des TOA bei seiner Einführung im Jahr 1990 auch keinesfalls unumstritten. Inzwischen beobachte ich aber durchaus positiv, wie sich Minister Becker alljährlich für die Mittel in diesem Bereich stark macht. Ich denke, es lohnt sich auch, sich dafür stark zu machen.