Protocol of the Session on October 6, 2005

Ihre Kreisneugliederung wird losgelöst von der Funktionalreform durchgeführt. Ich erinnere mich noch sehr gut an die Äußerung der CDU-Fraktion im Innenausschuss der dritten Wahlperiode: eine Gebietsreform erst nach einer Kommunalreform. Das ist bei Ihnen wahrscheinlich Schnee von gestern.

Die am 19. April 2004 verabschiedete Wernigeröder Denkschrift des Städte- und Gemeindebundes SachsenAnhalt unter dem Titel „Weil es um unsere Zukunft geht“ fand und findet im Handeln der Landesregierung und der sie tragenden Fraktionen keinen Widerhall.

Im Gegenteil: Neben den durch die Bundespolitik verursachten Veränderungen haben sich dank Ihrer Arbeit, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, die finanziellen und rechtlichen Handlungsspielräume und Bedingungen der Kommunen in unserem Land seit der Landtagswahl im Jahr 2002 drastisch verschlechtert. Das belegen nicht nur die Äußerungen des Präsidenten des Landesverwaltungsamtes Herrn Leimbach - er ist nicht von der Linkspartei.PDS -

(Herr Gallert, Linkspartei.PDS: Noch ist er CDU!)

vom 29. September 2005, der tief beunruhigt ist wegen der aktuellen Situation, bezogen auf die finanziellen Defizite und die zusätzlichen gesetzlichen Verpflichtungen der Landkreise oder bezogen auf die neueste Botschaft der Bundesregierung hinsichtlich der Rückzahlung von Unterbringungs- und Betriebskostenzuschüssen durch die Landkreise an den Bund.

Vor diesem Hintergrund brachte die Linkspartei bereits im Juni 2005 einen Änderungsantrag zum Entwurf eines Kommunalneugliederungsgesetzes in den Innenausschuss ein, welcher eine zukunftsfähige Ausrichtung der Landkreise verbunden mit einer umfassenden Funktionalreform zum Inhalt hatte. Dieser Antrag wurde von dem Gremium jedoch, ohne eine inhaltlichen Wertung vorzunehmen, abgelehnt.

Folgende inhaltliche und grundsätzlich weitergehende Prämissen waren unter anderem Gegenstand unseres Antrages: Sicherung eines zweistufigen Verwaltungsaufbaus und Teilung des bisherigen Landkreises Aschersleben-Staßfurt auf der Grundlage der eindeutigen Voten der Bevölkerung beim Bürgerentscheid vom 28. August 2005. Die Gemeinden des Altkreises Aschersleben wer

den dem Neukreis Landkreis Harz zugeordnet. Diese Forderung wurde letztlich auch in dem Bürgerentscheid und in den Bürgervoten zum Ausdruck gebracht. Bereits vollzogene Eingemeindungen und bereits gebildete Verwaltungsgemeinschaften sollten davon unberührt bleiben, sodass es kein Rein-in-die-Kartoffeln-raus-aus-denKartoffeln geben konnte.

Weitere Prämissen waren:

Bildung des Landkreises Region Harz, bestehend aus den Landkreisen Halberstadt, Quedlinburg, Wernigerode und dem eben genannten Altkreis Aschersleben,

Bildung eines Landkreises Region Halle-Merseburg, bestehend aus den Landkreisen Merseburg-Querfurt und Saalkreis sowie der bisherigen kreisfreien Stadt Halle; die Stadt Halle sollte eingekreist werden und ihre Kreisfreiheit verlieren.

Übrigens ist das noch eine Altlast aus der Zeit der ersten Landesregierung; denn damals wurde per Gesetz festgeschrieben, dass die Fragen der Stadt-Umland-Beziehungen zu regeln sind. Sie sind bis heute nicht geregelt und sie werden auch durch dieses Gesetz nicht geregelt.

(Zustimmung bei der Linkspartei.PDS - Herr Schröder, CDU: Grundsätzegesetz! - Herr Tull- ner, CDU: Sie haben eben nichts gemacht! Sie sollten sich schämen!)

Eine weitere Prämisse war die Bildung eines Landkreises Region Anhalt, bestehend aus den Landkreisen Anhalt-Zerbst, Köthen, Bitterfeld und Wittenberg sowie der kreisfreien Stadt Dessau. Die Stadt Dessau sollte eingekreist werden und ihre Kreisfreiheit verlieren.

(Herr Kolze, CDU: Das hätten Sie wohl gern!)

Des Weiteren ging es um die Bildung der Doppelstadt Dessau-Roßlau.

Die Entscheidung über den zukünftigen Kreisnamen sollte der Kreistag des neu gebildeten Landkreises abweichend vom Regierungsentwurf mit einfacher Mehrheit treffen können.

Eine weitere Übertragung von Aufgaben auf die Kreisebene sollte auf der Grundlage eines Funktionalreformgesetzes bis zum 30. Juli 2006 erfolgen.

Wir forderten eine Erhöhung der Zahl der Mandatsplätze in Landkreisen mit mehr als 200 000 Einwohnern entsprechend den vergrößerten Territorien auf 74. Selbst diese Forderung haben Sie abgelehnt. Auf der anderen Seite sagen Sie, dass das Ehrenamt nicht in der Lage ist, die Fläche zu beherrschen. Nun müssen Sie uns bitte einmal sagen, was Sie wollen.

(Zustimmung von Herrn Gallert, Linkspartei.PDS, und von Herrn Dr. Köck, Linkspartei.PDS - Zuruf von Herrn Wolpert, FDP)

Als Folgeänderung wäre eine Streichung der Oberbegrenzung bezüglich der Einwohnerzahl und der Fläche im Kommunalneugliederungs-Grundsätzegesetz vom Mai 2005 erforderlich sowie eine Angleichung der Planungsregionen entsprechend den veränderten Kreisstrukturen im Landesplanungsgesetz. Übrigens: Eine Regelung dazu, welche Folgen das für die Planungsregionen hätte, fehlt auch in Ihrem Gesetzentwurf.

(Frau Weiß, CDU: Die regeln wir schon noch! - Heiterkeit bei der CDU und bei der FDP - Lachen bei der PDS)

In den Fällen, in denen ein Landkreis die Aufgaben der regionalen Planungsgemeinschaft erledigt, wie es in den von uns vorgeschlagenen Landkreisen Region Harz, Halle und Anhalt der Fall wäre, würde der neu gewählte Kreistag anstelle der Planungsgemeinschaft entscheiden können.

Aufgrund der in der Anhörung zu den Kreissitzgesetzen von den kommunalen Spitzenverbänden geäußerten Kritik dahin gehend, dass der Verlust von Kreissitzen nicht über eine Entnahme von 0,8 % des allgemeinen Finanzausgleiches befristet realisiert werden kann und dass diese Verlustfinanzierung gegebenenfalls über den Soziallastenausgleich kompensiert werden muss, haben wir unseren diesbezüglichen Vorschlag zurückgezogen.

Es bleibt jedoch die Aufgabe bestehen, vorhandene Disparitäten zwischen Aufgabenüberweisung und finanzieller Ausstattung über eine generelle Novellierung des Finanzausgleichsgesetzes zu regeln. Ebenso besteht die Aufgabe, über ein Städtenetzwerk bzw. einen Städteverbund bisherige Verwaltungen durch eine dezentrale Verwaltungsstruktur der neuen Kreisverwaltung zu kompensieren.

Diese von uns vorgeschlagenen Änderungen wurden von Ihnen, meine Damen und Herren von der Koalition, abgelehnt, werden jedoch von unserer Fraktion auch nach der Landtagswahl im Jahr 2006 wieder auf die Tagesordnung gesetzt.

Meine Damen und Herren! Mit diesen Vorschlägen wollten wir unsere Kommunen in die Lage versetzen, ihre Aufgaben zukunfts- und bürgerorientiert zu lösen. Es macht aus der Sicht der Linkspartei.PDS weder finanzpolitisch noch verwaltungsorganisatorisch Sinn, Strukturen zu schaffen, von denen jeder weiß, dass sie spätestens im Jahr 2015 einer weiteren Korrektur bedürfen.

(Zustimmung bei der Linkspartei.PDS)

Die Zwischenfragen gingen bereits darauf ein.

Gestatten Sie mir eine Zwischenbemerkung. Wenn ich die Einwohnerzahlen per 31. Dezember 2003 heranziehe, komme ich natürlich zu einem ganz anderen Ergebnis, als wenn ich die Einwohnerzahlen vom 31. Dezember 2004 zugrunde lege. Danach wiesen mehr als sechs Landkreise bereits dieses Manko auf, von Dessau ganz zu schweigen.

(Zustimmung bei der Linkspartei.PDS - Herr Gal- lert, Linkspartei.PDS: Sechs von elf!)

Es macht also wenig Sinn, hieran Korrekturen vorzunehmen. Diese Erfahrungen haben wir bereits in den seit 1991 von uns durchgeführten jährlichen kommunalen Touren vor Ort sammeln können, und zwar unabhängig von der politischen Zugehörigkeit der jeweiligen Verantwortungsträger.

Weil es um unser Land geht, stehen wir als Parlamentarier in der Pflicht, das Land sowohl strukturpolitisch als auch finanzpolitisch für die Zukunft fit zu machen. Dies erfordert von uns allen, Parteiegoismen zu überwinden und eingefahrene Gleise sowie lieb gewordene Gewohnheiten zu verlassen.

Nicht das Wort des Ministerpräsidenten oder das eines Ministers über die Zukunftsfähigkeit ist entscheidend; vielmehr ist eine objektive Bewertung der sozialen, der wirtschaftlichen und der administrativen Entwicklung sowie die rechtzeitige Weichenstellung durch die Politik entscheidend, um Sachsen-Anhalt tatsächlich zukunfts

fähig zu gestalten. Nur dann, meine Damen und Herren, stehen wir wirklich früher auf.

(Zustimmung bei der Linkspartei.PDS)

In den letzten Wochen glichen die Vorstellungen der Regierungskoalition in Bezug auf die Kommunalneugliederung eher einem Ameisenhaufen als einem geordneten Verfahren. Erst wollte sie keinerlei Bürgerentscheide in ihrer Willensbildung berücksichtigen, dann doch.

Hatte der Regierungsentwurf noch die Zuordnung der Stadt Falkenstein in den Harz vorgesehen, verkündeten Sie, meine Damen und Herren von der CDU: Die CDU lehnt diesen Übertritt ab, um zu vermeiden, dass es zu Begehrlichkeiten und möglicherweise zu Verfassungsklagen kommt. In der Sitzung des Innenausschusses am 26. September 2005 war diese CDU-Position bereits wieder Schall und Rauch.

Ihre Konfusion wird am deutlichsten in Bezug auf die Region Anhalt. Die Bildung eines Landkreises Region Anhalt mit dem Kreissitz Dessau wird von allen Bürgerinnen und Kreistagen getragen und wäre damit auch die einzige Chance, das Oberzentrum Dessau langfristig zu stärken.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS - Zuruf von Herrn Kolze, CDU)

- Ich sprach von Kreistagen. - Dies wurde in der Anhörung in Dessau auch von allen beteiligten Landräten ausgeführt. Mit dieser Regelung wäre ein Auseinanderdriften von Teilen des Landkreises Anhalt-Zerbst auszuschließen und die Wirtschaftsregion Wittenberg-Bitterfeld würde nicht vom Oberzentrum Dessau getrennt.

Nun kenne ich die Probleme, die Sie mit Ihrem Koalitionspartner FDP haben. Herr Wolpert ging bereits darauf ein.

(Zuruf von Herrn Kolze, CDU)

Im Gegenzug machte Ihr Koalitionspartner politischen Druck, indem er eine Fusion von Bitterfeld und Wolfen verfolgt, womit gleich noch eine Konkurrenz zu Dessau geschaffen würde. Das macht natürlich viel Sinn. Käme dann noch eine Vereinbarung zwischen den Landkreisen Wittenberg, Bitterfeld und Delitzsch zur Wirtschaftskooperation zustande, wie es durch die Medien ging, dann würden wichtige Teile des Ordnungsraumes AnhaltDessau auf Leipzig fokussiert und das Oberzentrum Dessau hätte das Nachsehen. Zukunftsorientiert ist das nicht.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

In diesem Zusammenhang stellen wir einen Änderungsantrag - er korrespondiert inhaltlich mit dem der SPDFraktion -, der vorsieht, dass auf der Grundlage der Beschlüsse der Kreistage der beteiligten Landkreise die Landkreise Anhalt-Zerbst und Köthen zu einem neuen Landkreis Anhalt und die Landkreise Wittenberg und Bitterfeld zu einem neuen Landkreis Wittenberg-Bitterfeld fusionieren können.

Dieser Vorschlag wird übrigens - im Gegensatz zu dem Regierungsentwurf, den Sie jetzt offensichtlich durchbringen wollen, der die Sparkasse schwächt und nicht stärkt - auch von den Sparkassen der Region befürwortet. Letztlich trägt auch die Landeskirche Anhalt diese Entscheidung mit.

(Herr Tullner, CDU: Das mit der Landeskirche ist doch ein Witz!)

Dadurch würde die künftige Bildung eines Landkreises Region Anhalt nicht behindert und das Oberzentrum Dessau - auch darum geht es - würde über das Ausscheiden des Landkreises Bernburg hinaus nicht noch durch den Wegfall des Altkreises Zerbst geschwächt.

Meine Damen und Herren! Vielerorts werden Bürgerinitiativen gegründet mit dem Ziel nachzuweisen, dass nur ihre Stadt oder ihre Region die wirtschaftlich beste ist oder dass sie die meisten Einwohner zählt. Durch willkürliche Entscheidungen werden jahrhundertealte Traditionen und Bindungen durchbrochen, werden breite Bevölkerungsmassen gegeneinander aufgebracht oder ausgespielt. Diese Aktivitäten vergeuden immense finanzielle und materielle Mittel, fördern die Politikverdrossenheit und tragen nicht zur Identitätsfindung und zur Zukunftsfähigkeit unseres Landes bei. Darüber hinaus werden durch einen großen Teil der Bevölkerung getragene gesetzeskonforme Änderungswünsche wie die in der Region Anhalt einfach ignoriert, da sie offenbar nicht in die Politik der Regierung passen.

Die Fraktion der Linkspartei.PDS wirbt ausdrücklich für ihren Änderungsantrag. Sie sollten Ihre Entscheidung selbstbewusst und losgelöst von wahltaktischen Überlegungen treffen. Nicht das Direktwahlmandat oder der Listenplatz steht in dieser Stunde zur Abstimmung. Es geht um die Zukunfts- und Handlungsfähigkeit unseres Landes.