Protocol of the Session on July 8, 2005

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich noch zwei Sätze sagen. Der Einführung des so genannten Warnarrestes stimmen wir zu, Herr Minister. Wir glauben, dass es eine letzte Möglichkeit ist, um den Jugendlichen noch einmal vor Augen zu führen, was für ein intensiver Eingriff ihnen droht, wenn sie die schiefe Bahn nicht verlassen. Deshalb ist das aus unserer Sicht ein gutes Instrumentarium. Da sind wir an Ihrer Seite.

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU)

Meine Damen und Herren! Wir lehnen den Antrag zum jetzigen Zeitpunkt ab. Wir bleiben in der Diskussion über das Jugendstrafrecht Ihnen gegenüber immer kritisch. Aber ich denke, wir finden am Ende für die Jugendlichen eine gute Lösung.

Frau von Angern, jetzt können Sie Ihre Frage stellen. Bitte sehr.

Herr Kosmehl, in einigen Punkten sind wir einer Meinung. Der Gesetzentwurf liegt jetzt im Bundesrat. Sachsen-Anhalt wird sich weitestgehend enthalten müssen. Ich verstehe Ihre Argumentation nicht, dass wir im Rechtsausschuss nicht versuchen sollten, den Justizminister von unseren Argumenten zu überzeugen, damit er im Bundesrat seine ablehnende Haltung ändert.

Sehr verehrte Frau Kollegin von Angern, dass der Herr Justizminister in einer Arbeitstagung der Landesjustizminister von CDU/CSU und dem Justizminister der FDP in Baden-Württemberg

(Heiterkeit bei der CDU)

zu Anregungen kommt, bedeutet nicht automatisch, dass das schon ein Votum für den Bundesrat ist. Ein Votum für den Bundesrat wird innerhalb des Kabinetts gefällt werden. Der Herr Minister hat darauf hingewiesen, dass er die Positionen der FDP-Landtagsfraktion in Sachsen-Anhalt durchaus kennt.

Was Ihren Antrag betrifft - darauf kamen Sie ja zu sprechen -: Sie haben in Ihrem Antrag bereits die ablehnende Haltung formuliert, aber fordern trotzdem, dass wir noch einmal darüber reden.

(Frau von Angern, PDS: Dann überweisen Sie ihn doch!)

Das ist unlogisch und deshalb brauchen wir das nicht zu machen. Auf der Tagesordnung des Bundesrates für die heutige Sitzung hat das Thema meiner Kenntnis nach nicht gestanden und deshalb wird sich das, denke ich, für diese Legislaturperiode des Bundesrates erledigt haben. Damit ist zum jetzigen Zeitpunkt eine Entscheidung, die auch nur das Kabinett fällen kann, nicht notwendig.

(Beifall bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Kosmehl. - Für die SPD-Fraktion erteile nunmehr der Abgeordneten Frau Grimm-Benne das Wort. Bitte sehr, Frau Grimm-Benne.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Diese Debatte läuft unter dem Motto „Alle Jahre wieder“. CDU/CSU und FDP werden nicht müde, ihre althergebrachten Forderungen nach einer Verschärfung des Jugendstrafrechts zu wiederholen. Aber wen wundert das schon so kurz vor der Wahl?

(Herr Tullner, CDU: Also, was hat das denn damit zu tun?)

Da werden die alten Ladenhüter wieder hervorgezaubert und die alten Forderungen neu aufgelegt.

(Herr Tullner, CDU: Das kommt doch von der PDS!)

Herr Kosmehl, es zieht sich eben wie ein schwarzer Faden durch die Politik. Aber dadurch, dass man Forderungen wiederholt, werden sie auch nicht besser und richtiger.

Forderungen nach einer Verschärfung des Jugendstrafrechts sind durch nichts zu begründen - weder durch die Entwicklung der Kriminalität noch durch wissenschaftliche Forderungen. Wie der „Mitteldeutschen Zeitung“ vom Mittwoch zu entnehmen war, werden nach einem Bericht des Landeskriminalamtes weniger Jugendliche kriminell. Auch die polizeiliche Kriminalstatistik des Bundes belegt, dass die Zahl der tatverdächtigen Jugendlichen stagniert und dass die Zahl der tatverdächtigen Kinder gesunken ist, im Jahr 2004 gegenüber 2003 sogar um 8,4 %.

(Herr Tullner, CDU: Und die Wiederholungsquo- te? Was haben Sie von der Wiederholungsquote gelesen?)

Dieser Trend spiegelt sich in der Kriminalstatistik des Landes wider. Nun möchte ich nicht mehr im Einzelnen darauf eingehen. Dazu sind die Positionen der SPD auch hinreichend bekannt.

Wir sehen aber andere Ansätze für die effektive Bekämpfung der Jugendkriminalität. Es muss die Präventionsarbeit und es müssen die Nachsorgemaßnahmen verstärkt werden. Das ist bekanntermaßen, Herr Minister Becker, auch eine Forderung des Landespräventionstages gewesen. Es gibt nämlich in Sachsen-Anhalt bereits erfolgreiche Modelle, die wirksame Ansätze zur Bekämpfung der Jugendkriminalität beinhalten.

Beispielhaft zur Vermeidung von Rückfalltaten möchte ich das Haus Eisenhammer in Tornau im Landkreis Wittenberg nennen. Das Konzept besteht darin: Statt jugendliche Straftäter in der Untersuchungshaft unterzubringen, werden sie bis zur Gerichtsverhandlung konsequent pädagogisch und sozial betreut. - Die Rückfallquote ist bei diesen Betreuten wesentlich geringer.

Die im Jahr 2004 vom Bundesjustizministerium veröffentlichte Rückfallstatistik ergibt, dass die Rückfallquote bei Tätern, die zu einer Jugendstrafe ohne Bewährung verurteilt wurden, besonders hoch war. Es muss also auch die Arbeit mit den Tätern im Strafvollzug verstärkt werden. Es müssen die Möglichkeiten der Aus- und Weiter

bildung im Jugendstrafvollzug erweitert werden, damit eine Reintegration der Jugendlichen in die Gesellschaft erleichtert wird. Frau von Angern hat den Täter-OpferAusgleich erwähnt.

In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal darauf aufmerksam machen, dass wir zukünftig noch mehr darauf Obacht geben müssen, dass wir genügend Mittel für die Nachsorgemaßnahmen haben. Denn wir haben - der Minister hört leider nicht zu - auch Forderungen des Sozialen Dienstes innerhalb der Justiz, die besagen: Wir müssen Nachsorgemaßnahmen durchführen. Wenn wir das nicht machen und das einfach unterlassen, werden wir gerade im Bereich der Jugendlichen immer mehr Rückfalltäter haben.

(Beifall bei der SPD)

Ich denke, man sollte sich endlich auch mit einem Gesetz zur Regelung des Justizvollzugs für Jugendliche beschäftigen. Damit sollten sich die Justizminister der Länder, egal ob es A- oder B-Länder sind, verstärkt beschäftigen.

Wir stimmen dem Antrag der PDS-Fraktion zu und begrüßen eine Anhörung und eine Berichterstattung der Landesregierung in den Ausschüssen.

Frau von Angern, auch ich denke, dass der zweite Punkt des Antrages leider zu spät kommt. Denn bereits am 27. Mai 2005 hat der Bundesrat beschlossen, ein Gesetz zur Vermeidung von Rückfalltaten gefährlicher Gewalttäter in den Bundestag einzubringen. Dieser Gesetzentwurf beinhaltet zahlreiche Forderungen, wie zum Beispiel die Möglichkeit der nachträglichen Sicherungsverwahrung bei Heranwachsenden, die Sicherungsverwahrung bei Jugendlichen und Heranwachsenden, die Erhöhung des Strafrahmens auf 15 Jahre und die Anwendung des Jugendstrafrechts auf Heranwachsende im Ausnahmefall.

Ich denke, dieses Thema kann man nicht oft genug diskutieren. Deswegen stimmen wir diesem Antrag zu. - Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der PDS)

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Grimm-Benne. - Für die CDU-Fraktion erhält der Abgeordnete Herr Stahlknecht das Wort. Bitte sehr, Herr Stahlknecht.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Von 30 000 Straftaten auf 28 000 - und wir sind zufrieden. 28 000 Straftaten sind 28 000 Straftaten zu viel. Das ist doch das Entscheidende.

(Beifall bei der CDU)

Niemand, Frau von Angern, will doch eine Verschärfung des Jugendstrafrechts. Wir wollen eine Veränderung, eine Anpassung an die Situation.

Was ist denn an dem frühen Arrest schädlich? Was ist daran eine Verschärfung, einem jungen Menschen am Anfang einer kriminellen Laufbahn aufzuzeigen: Hier ist Schluss?

(Beifall bei der CDU - Zustimmung von Herrn Kosmehl, FDP)

Das ist ähnlich, als wenn Sie am Anfang einer Sackgasse ein Schild aufstellen, auf dem steht „Sackgasse - nicht hineinfahren, wenden unmöglich“. Sie stellen das Schild doch auch nicht am Ende der Sackgasse auf. So muss es bei Jugendlichen sein. Sie müssen wissen, dass es am Ende des Weges, wenn sie dort hineinfahren, entsprechende Strafen gibt. Man muss vorher eingreifen.

Was ist daran schlimm, wenn es einen Haftbefehl für die Hauptverhandlung gibt? Bislang konnten Jugendliche, die unentschuldigt nicht zur Hauptverhandlung kamen, nicht gezwungen werden, dort zu erscheinen. Dort saßen Richter, ein Staatsanwalt, ein Verteidiger, und die jungen Kameraden im Jugendklub, Basecap auf dem Kopf und Kaugummi kauend, sagten - ich bediene mich einmal ihres Jargons -: Zu den alten Säcken gehe ich nicht hin. - Dann fiel die Gerichtsverhandlung aus.

Diese Jugendlichen lassen wir jetzt vorführen. Dann werden sie auch in der Hauptverhandlung erzogen. Wir bestrafen ja nicht. Was ist daran eine Verschärfung? Wir passen uns an.

(Beifall bei der CDU)

Noch etwas: Wir wollen zur Stärkung der Opferbelange - über Opfer habe ich von Ihnen heute gar nichts gehört; die spielen bei Ihnen keine Rolle

(Zustimmung bei der CDU - Frau von Angern, PDS: Dann haben Sie nicht zugehört!)

- doch, ich habe Ihnen bestens zugehört, Frau Kollegin - die Möglichkeit des Adhäsionsverfahrens. Das heißt, dass jemand in der Hauptverhandlung gleichzeitig verurteilt werden kann, den von ihm angerichteten Schaden an das Opfer zu bezahlen.

(Beifall bei der CDU)

Wenn sie bei Ihnen mal zehn Scheiben einschlagen und Sie hinterher noch den Zivilrechtsweg beschreiten müssen, dann werden Sie persönlich ganz anders denken. - Das ist eine Beschleunigung und das sollten wir auch tun.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung von Herrn Kosmehl, FDP)

Nun kommen wir einmal zum Regel-Ausnahme-Verhältnis. Herr Kollege Kosmehl, Sie haben völlig Recht. Im Gesetz steht, dass von 18 bis 21 Jahren grundsätzlich Erwachsenenstrafrecht angewendet werden soll und nur in der Ausnahme Jugendstrafrecht. Ich habe das, wenn ich das mal vertreten musste, acht Jahre lang erlebt. Da kamen vollständig erwachsene Menschen zwischen 18 und 21 Jahren. Was macht der Jugendrichter? Er hat immer ein weiches Herz - ähnlich wie die Kollegin - und sagt: Du bist eine Reifeverzögerin, ich duze dich dann gleich mal. - So läuft eine Hauptverhandlung ab, ganz locker, und dann wurde Jugendrecht angewandt.

(Herr Kosmehl, FDP: Nicht überall!)

- Die Situation ist doch die, Herr Kosmehl, dass das Regel-Ausnahme-Verhältnis auf den Kopf gestellt wird.