Lassen Sie mich zusammenfassend sagen: Der ländliche Raum Sachsen-Anhalts umfasst 80 % der Gesamtfläche Sachsen-Anhalts und ist damit prägend. Alle Fragen und Antworten sowie die heutige Diskussion zeigen, dass alle Parteien der Entwicklung des ländlichen Raumes große Aufmerksamkeit zollen.
Die agrarstrukturellen Entwicklungspläne sind durch Entwicklungskonzepte und durch Regionalmanagement fortzuführen. Dabei sind regionale Entwicklungsziele zu definieren. Alle Fördermöglichkeiten sind so auszurichten, dass die ländliche Infrastruktur weiter ausgebaut wird, damit die Ansiedlung von Industrie und Betrieben erleichtert wird. Alle agrarwirtschaftlichen und forstlichen Potenziale sind zu nutzen, um Arbeit zu schaffen. Dem Tourismus im ländlichen Bereich ist weiterhin große Aufmerksamkeit und Unterstützung zu gewähren. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Herr Ernst. - Für die PDS-Fraktion spricht nun Herr Krause. Zuvor hat aber Herr Köck noch eine Frage. Herr Ernst, möchten Sie diese noch beantworten?
Sie haben Ihren Einstieg gewählt mit den vier Raumtypen nach dem Landesentwicklungsprogramm. Nun haben wir gestern den Landesentwicklungsplan aber verändert und haben die Kategorie des Ordnungsraumes eingeführt. Wie steht Ihrer Ansicht nach diese Kategorie nun im Zusammenhang mit den von Ihnen zitierten Typen des ländlichen Raums?
Das kann ich Ihnen sagen. Der Ordnungsraum, der die Verdichtungsräume umfasst, würde den ersten beiden Raumtypen entsprechen. Das heißt also, den Verdichtungsraum umgeben der ländliche Raum und ländliche Räume außerhalb von Verdichtungsräumen mit Konsolidierungschancen. So würde ich das einschätzen.
Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Mit der vorliegenden Antwort wird erneut bestätigt, dass die Rahmenbedingungen für die ländlichen Räume in Sachsen-Anhalt auf nationaler Ebene und europaweit ständigen Veränderungen unterliegen. Wie keine anderen stehen die ländlichen Räume für Abwanderung. Sie sind zugleich der schlimmste Niedriglohnbereich. Nirgendwo sonst wird der Fortzug der jungen Generation so schmerzhaft empfunden wie dort. Die Lebensqualität wird durch den Verlust an Kaufkraft und Bevölkerung weiter beeinträchtigt. Die Entfernungen zu öffentlichen und privaten Dienstleistungen wachsen.
Diese Perspektive bedeutet, dass die ländliche Struktur mit ihrer Multifunktionalität unter Berücksichtigung der Wahrung des dörflichen Charakters sowohl als Standort für Landwirtschaft, Handwerk und Gewerbe als auch hinsichtlich der Landschaftspflege und des Schutzes vor Zersiedlung gezielt zu fördern ist.
Meine Damen und Herren! Die heutige Situation ist das Ergebnis von Entwicklungsprozessen einer Politik über längere Zeiträume. Eine Korrektur ist auch deshalb nicht in Kürze von heute auf morgen möglich.
Ja, die gegenwärtige Entwicklung bestätigt die Sorge, dass die ländlichen Regionen Sachsen-Anhalts immer mehr von der wirtschaftlichen und damit von der sozialen und kulturellen Entwicklung des Landes abgekoppelt werden. Gerade die Bevölkerungssituation in den ländlichen und ländlichsten Regionen führt zu erheblichen Tragfähigkeitsproblemen, wenn es um die vielfältige Frage der Sicherung der kommunalen Daseinsvorsorge geht, und stellt eine schlechte Ausgangslage zur Ausgestaltung neuer regionaler Strukturen und Wirtschaftskreisläufe dar.
Seit dem Jahr 1991 hat das Land mehr als 275 000 Einwohner verloren. Nach der regionalen Bevölkerungsprognose wird es bis zum Jahr 2020 im Vergleich zum Jahr 2002 weitere 20 % seiner Einwohner verlieren. Problematisch stellt sich die Situation vor allem in den peripheren ländlichen Räumen unseres Landes wie in der Altmark, im Elbe-Havel-Winkel, in Anhalt-Zerbst sowie im Raum Jessen/Wittenberg dar. Diese Regionen weisen eine Bevölkerungsdichte von 43 bis 83 Einwohnern pro Quadratkilometer auf.
Die Herausforderung für uns besteht einerseits insbesondere darin, diese Regionen nicht zu ausgesprochenen Problemregionen werden zu lassen, und andererseits darin, dass die natürlichen und die wirtschaftlichen Ressourcen, aber auch die menschlichen Potenziale für die Entwicklung der Regionen und des Landes nutzbar gemacht werden. Es geht also darum, Politik und regionale Akteure zu einem ressortübergreifenden Handeln zu bewegen, das heißt letztlich, eine effiziente Wirt
schafts- und Förderpolitik zu entwickeln und zu betreiben, die den unterschiedlichen Bedingungen und Erfordernissen der ländlichen Räume im Land und den Interessen der betroffenen Menschen Rechnung trägt.
Hieraus erwächst auch unsere kritische Betrachtung der gegenwärtigen EU-Politik zur Entwicklung der ländlichen Räume. Viel zu wenig werden die unterschiedlichen Bedingungen und Erfordernisse der einzelnen Regionen beachtet. Was hat sich in den zurückliegenden Jahren immer wieder gezeigt? - Die Länder standen - so auch ganz konkret jetzt; dies wird auch in den Antworten der Landesregierung auf mehrere Fragen deutlich - von Förderperiode zu Förderperiode in der Pflicht, die Programme auf die neuen Förderbedingungen jeweils neu zuzuschneiden. Das heißt, Entwicklungsfragen der Länder wurden den sich ständig ändernden Förderbedingungen einfach nur angepasst.
Wir meinen, in der künftigen Förderpolitik der EU muss viel mehr den unterschiedlichen Bedingungen und Erfordernissen der Regionen Rechnung getragen werden, und nicht umgekehrt. Darin begründet sich auch die Fragestellung meines Kollegen Uwe Köck vorhin.
Meine Damen und Herren! Der ländliche Raum hat eine Chance, als lebendiger Sozialraum erhalten zu bleiben, wenn seine Entwicklung als relativ eigenständiger - so wie im Landwirtschaftsgesetz festgeschrieben - Wirtschaftsraum mit einem breiten Arbeitsplatzangebot gesichert wird. Dabei muss die Landwirtschaft auf lange Sicht eine tragende wirtschaftliche Säule darstellen. Dabei ist auch uns klar, dass sie längst nicht mehr allein dazu in der Lage ist, die Lebensfähigkeit dieser Räume zu erhalten und auszubauen.
Die Zukunft kann nur durch eine multisektorale ländliche Wirtschaft geprägt sein. Ein Branchenmix aus Agrarproduktion mit Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft sowie Gartenbau und mit der Verarbeitung und Vermarktung agrarischer Erzeugnisse, aber auch mit anderen Wirtschaftszweigen wie Handwerk, Gewerbe, Tourismus und Dienstleistung mit hohem Innovationspotenzial ist zur Sicherung von Arbeit und Einkommen sowie zum Erhalt und zur Pflege der Natur und der Kulturlandschaft notwendig.
Wir meinen, die Landesregierung sollte sich viel stärker der Frage stellen, warum die Ernährungs- und Verarbeitungsbranche den Wirtschaftsbereich darstellt, der in den zurückliegenden Jahren effektiv nicht nur Arbeitsplätze gesichert, sondern auch unter dem Strich zusätzliche geschaffen hat. Dem steht gegenüber - ohne irgendeine Neiddiskussion anzuregen -, dass Milliarden in die Förderung der industriellen Leuchttürme geflossen sind, aber Jahr für Jahr - die Statistik sagt es - die Anzahl der Erwerbsarbeitsplätze in der Industrie abnimmt.
Auch wenn die Globalisierung ein Prozess ist, an dem Sachsen-Anhalt nicht vorbei kann, ist es längst überfällig, dass die Landesregierung die Erfordernisse der Stabilisierung und Entwicklung des Binnenmarktes stärker in den Vordergrund ihres Handelns rückt. Dazu gehört auch ein politisches Engagement, wenn entgegen allen Proklamationen durch die EU im Rahmen der WTOVerhandlungen Wege beschritten werden, die regelrecht zur Zerstörung von wirtschaftlichen Potenzen, von Arbeitsplätzen im ländlichen Raum beitragen.
Ich sage dies nicht ohne Grund. Die Äußerung des Herrn Ministerpräsidenten anlässlich des Tages des offenen Hofes in Ostrau hat nicht nur mich sehr verwun
dert. Mit seinem Standpunkt, wer Wettbewerb wolle, der müsse sich damit abfinden, dass andere Länder Zucker billiger produzierten, hat er das Bemühen der Ministerin und des Agrarausschusses konterkariert.
Wenn wir Entwicklungsprobleme sehen, vor denen wir heute in Europa, in der Bundesrepublik und schließlich auch in Sachsen-Anhalt stehen, und wenn wir deren Ursachen besser verstehen möchten, dann können wir die Sicht auf diese Zusammenhänge nicht außer Acht lassen.
Die menschenunwürdigen Bedingungen auf den Zuckerrohrplantagen in Brasilien und die Missachtung von Umweltstandards - geschweige denn, dass überhaupt welche bestehen - bei der Produktion von Zucker und anderen Nahrungsmitteln in Brasilien, aber auch in einigen Ländern Europas haben letztlich wohl sehr viel mit den verschärften Problemen in unseren Dörfern zu tun. Wer zur Zuckermarktordnung ja sagt, der muss sich die Frage stellen, wie teuer die EU die Förderung der ländlichen Räume kommt, wenn die wirtschaftliche Basis und Arbeitsplätze zerstört werden.
Ich kann es unseren ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern nicht verdenken, dass sie sich in die Metropolen dieser Welt aufgemacht haben, wie ich es nachvollziehen kann, dass gerade junge Menschen immer mehr die ländlichsten Regionen in unserem Land verlassen. Natürlich ist das schmerzlich; aber darum sind wir angetreten, diesen Trend aufzuhalten und möglichst umzukehren.
Wir werden die Landesregierung beim Wort nehmen, wie sie in der Antwort schreibt, die Kräfte und Mittel zu bündeln mit dem Ziel, die Förderpolitik wirkungsvoller auf der Grundlage differenzierter regionaler Handlungskonzepte zu koordinieren.
Wenn es um wirtschaftliche Potenziale geht, sehen wir beim Anbau, bei der Verarbeitung und bei der Vermarktung von nachwachsenden Rohstoffen eine Chance. Hierbei bieten sich neue Möglichkeiten zur Schaffung gewerblicher Existenzen und neuer Arbeitsplätze in den ländlichen Räumen. Hierbei wird der ländliche Raum seine Versorgungsfunktion gegenüber der Gesellschaft mit Rohstoffen und Energie künftig auf völlig neue Art und Weise wahrnehmen und seinen ganz spezifischen Beitrag zum Wandel in der Energiepolitik leisten müssen.
Meine Damen und Herren! Der Wert der ländlichen Räume besteht nicht nur in den vermarktungsfähigen Potenzialen, sondern ist auch in den Gratisleistungen zu finden, die sie für die Gesellschaft erbringen. Gefragt ist eine Bundes-, Landes- und auch Kommunalpolitik, die die ländlichen Räume nicht allein nach den Maßstäben der Marktwirtschaft bewertet und die nicht allein aus dem Blickwinkel von Städten und Ballungszentren betrieben wird.
Notwendig ist eine Politik, die Rahmenbedingungen für die Mobilisierung eigener, endogener Entwicklungspotenziale schafft, eine Politik, die der weiteren innerstädtischen Entleerung ebenso entgegenwirkt wie einer diffusen Verstädterung ländlicher Räume.
Es gilt auch zu verhindern, dass diese Räume zu einzigartigen Billiganbietern für zweifelhafte Investoren werden. Wir dürfen nicht zulassen, dass das, was uns an den ländlichen Räumen vornehmlich begeistert, Schritt für Schritt zerstört wird.
Meine Damen und Herren! Ländliche Entwicklungspolitik erfordert die Beachtung der spezifischen Siedlungsstrukturen und der Einmaligkeit der natürlichen Bedingungen in den unterschiedlichen Regionen. Deshalb muss die Haushaltspolitik des Landes darauf gerichtet sein, Strukturpolitik zugunsten der ländlichen Räume zu ermöglichen.
Daraus resultiert ein besonderer Finanzbedarf, dem gerade in den ländlichen Regionen nicht immer nach den Grundsätzen und Normen städtischer Entwicklung Rechnung getragen werden kann. Diesen finanziellen Spielraum brauchen die Kommunen, um ihrer Verantwortung bei der Wahrung der öffentlichen Daseinsvorsorge gerecht werden zu können.
Die geringe Siedlungs- und Unternehmensdichte - daraus resultieren das geringe Steueraufkommen und geringe sonstige Einnahmen der Kommunen - muss bei der Gestaltung des kommunalen Finanzausgleichs stärker als bisher angemessen berücksichtigt werden.
Es ist eine Tatsache - diese kann nicht vom Tisch gewischt werden -: Die Kommunen, Vereine, Verbände und die im ländlichen Raum lebenden Menschen selbst haben entfernungsbedingt höhere spezifische Fixkosten zur Sicherung der Daseinsvorsorge, zur Nutzung der sozialen und kulturellen Angebote. Nicht nur Schüler, auch Ärzte verbringen mehr Zeit auf der Straße, wenn es zum Beispiel um die Sicherung der Not- und Hausarztversorgung geht. In dieser Hinsicht waren die Veränderungen im Rahmen des kommunalen Finanzausgleichs und des ÖPNV für die Flächenkreise kontraproduktiv.
Es ist auch längst an der Zeit, einen Schritt weiter zu gehen, als - wie in der Antwort auf die Große Anfrage - darüber zu philosophieren, ob die EU oder die Landesregierung die Diskussion zur Bildung von Entwicklungsfonds für die Gestaltung der ländlichen Räume zuerst eröffnet hat. Jetzt, meine Damen und Herren, muss es darum gehen, endlich auch in dieser Hinsicht zu handeln. - Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich weiß nicht, ob Sie es bemerkt haben; aber wir haben bereits gestern fast den ganzen Tag lang über den ländlichen Raum geredet. Auch heute befasst sich unsere Tagesordnung wieder überwiegend mit Themen aus diesem Bereich. Das betrifft insbesondere Probleme der Landesentwicklung und der finanziellen Ausstattung. Insofern ist dieser Tagesordnungspunkt mit dem letzten Tagesordnungspunkt für heute eng verbunden, in dem es speziell um die Auswirkungen der demografischen Entwicklung im Zusammenhang mit der EU-Förderung geht. Ich werde ebenfalls noch darauf zu sprechen kommen.
Die Debatte über die Krise der Europäischen Union hat uns gezeigt, welche Probleme auf uns zukommen. In diesem Zusammenhang stehen auch die Aussagen von Herrn Dr. Daehre in seiner Regierungserklärung zur Mobilität und Entwicklung der Infrastruktur. Dies alles hängt zusammen - das ist auch nicht verwunderlich; wir haben
es bereits gehört -, ist doch unser Land zu über 80 %, sowohl was die Fläche als auch was die Einwohnerzahl anbetrifft, unter dem Begriff „ländlicher Raum“ zu subsumieren.
Vieles ist dazu schon gesagt worden. Es herrscht im Grunde genommen auch Einigkeit darüber, wie wir vorgehen wollen. Verdeutlicht worden ist das schon in der Beantwortung der Großen Anfrage der Kollegen der SPD-Fraktion durch Frau Ministerin Wernicke und in den Beiträgen meiner Vorredner. Dies betrifft aber noch viele andere Tagesordnungspunkte unserer Sitzung.
Unsere Fraktion setzt sich mit der Entwicklung des ländlichen Raumes intensiv und umfassend auseinander. Wir haben insbesondere die Fragen der Raumordnung und der ländlichen Entwicklung im Zusammenhang betrachtet. Ein Ergebnis unserer Arbeit ist das so genannte Bürgerlandpapier, das unsere Erkenntnisse und Ergebnisse als eine Art Status quo und Handlungsorientierung zusammenfasst. Es geht uns darum, aus Fehlern der Vergangenheit zu lernen, dabei jedoch keine düsteren Zukunftsszenarien als Worst Case zu entwerfen, sondern den Menschen in unserem Land, im ländlichen Raum Perspektiven aufzuzeigen.
Denn das, meine Damen und Herren, liebe Kollegen, ist die Aufgabe, die wir haben. Impulse für Perspektiven und Lösungsansätze müssen aus diesem Hause kommen und nicht die Endzeitstimmung, die von einigen wohl mit Bedacht verbreitet wird.
Die Bürger in unserem Land schauen auf uns, auf ihre Vertreter in der Politik und erwarten, dass wir uns den Problemen stellen und Lösungen anbieten.
Meine Damen und Herren! Auf der strukturpolitischen Konferenz, die unsere Fraktion vor kurzem durchgeführt hat, haben es uns die Fachleute und Wissenschaftler ganz deutlich gesagt: Die demografische Entwicklung ist nicht aufzuhalten, wahrscheinlich nicht einmal zu stoppen, allenfalls in ihren Auswirkungen abzubremsen. Wir wissen unter anderem aus der Studie von Frau Professor Dienel: Nicht einmal die beste staatliche Kinderbetreuung in Deutschland hält die jungen Menschen, insbesondere die jungen Frauen in unserem Land.