Protocol of the Session on July 7, 2005

Beschluss des Landtages - Drs. 4/29/1139 B

Bericht und Beschlussempfehlung des Achten Parlamentarischen Untersuchungsausschusses - Drs. 4/2256

Für die Berichterstattung bitte ich Herrn Steinecke das Wort zu nehmen.

Herr Steinecke, Berichterstatter des Achten Parlamentarischen Untersuchungsausschusses:

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 20. November 2003 befasste sich der Landtag in seiner 29. Sitzung mit dem Antrag der Fraktionen der SPD und der PDS, einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss einzusetzen. Es handelt sich hierbei um einen Minderheitsantrag, zulässig nach § 2 Abs. 3 des Untersuchungsausschussgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt.

Der Landtag war somit verpflichtet, einen Unersuchungsausschuss einzusetzen, und er tat dies auch. Mit diesem Beschluss erhielt der Achte Parlamentarische Untersuchungsausschuss, bestehend aus 13 Mitgliedern, den Auftrag zu klären, inwieweit der Minister der Justiz Herr Curt Becker im Rahmen seiner Amtsführung Versuche unternahm, den Verlauf gerichtlicher Verfahren zu beeinflussen, in die kommunale Selbstverwaltung und in Verfahrensabläufe zu Stellenbesetzungen einzugreifen und damit seine Amtspflichten, vor allem die Neutralitätspflicht, verletzt hat.

Meine Damen und Herren! Im Beisein des Landtagspräsidenten Herrn Professor Dr. Spotka konstituierte sich der Ausschuss am 5. Dezember 2003. Der Untersuchungsausschuss hat in seinen 14 Sitzungen 15 Beweisbeschlüsse zur Beweiserhebung gefasst. Neben der Abforderung von Akten und Schriftstücken betrafen die Beschlüsse die Vernehmung von Zeugen zum Zwecke

der Beweiserhebung. Insgesamt wurden 58 Zeugenaussagen zu den verschiedenen Beweisbeschlüssen gehört.

In der 13., einer nichtöffentlichen Sitzung am 28. Januar 2005 beschloss der Achte Parlamentarische Untersuchungsausschuss, die Beweisaufnahme abzuschließen.

Nach Abschluss der Zeugenvernehmungen wurden in der 12. Sitzung am 3. Dezember 2004 in öffentlicher Sitzung die Zeugen Christian Graf von Wedel und HansJürgen Poser vereidigt.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Achte Parlamentarische Untersuchungsausschuss erstattet dem Landtag pflichtgemäß nach § 29 Abs. 3 des Untersuchungsausschussgesetzes den Ihnen vorliegenden Bericht. Als Fazit lässt sich feststellen: Sämtliche Untersuchungen zu den einzelnen Themenkomplexen haben nach Auffassung des Untersuchungsausschusses ergeben, dass Herr Minister Becker seine Amtspflichten nicht in pflichtwidriger Weise dazu missbraucht hat, Einfluss auf Rechtsstreitigkeiten oder Stellenbesetzungsverfahren auszuüben.

Zu dem ersten Komplex des Untersuchungsauftrages bleibt festzustellen, dass der Herr Minister zwar fehlerhaft gehandelt hat, indem er das strittige Schreiben auf dem Ministerkopfbogen verfasst hat, was er aber bereits vor der Einsetzung des Untersuchungsausschusses eingeräumt hatte. Die Zeugenbefragungen und die vorliegenden Unterlagen haben aber bestätigt, dass er zu keinem Zeitpunkt versucht hat, in dem laufenden Verfahren zwischen der Poser & Wedel GbR und der Stadt Naumburg auf das Gericht Einfluss zu nehmen. Die Untersuchungen des Ausschusses haben keine Beweise hervorgebracht, die den erhobenen Vorwurf des Amtsmissbrauchs begründeten.

Zum zweiten Komplex des Untersuchungsauftrages lässt sich feststellen, dass der Minister in keiner Weise sein Amt dazu missbraucht hat, um auf das Stellenbesetzungsverfahren für die Notarstelle in Zeitz Einfluss zu nehmen.

Das Ministerium der Justiz ist für die Verfahren der Besetzung der Notarstellen im Lande Sachsen-Anhalt zuständig. Darüber hinaus hat sich der Minister nach Vorlage des Vorgangs durch den Staatssekretär mit dem Verfahren der Stellenbesetzung aus Wirtschaftlichkeitserwägungen heraus und vor dem Hintergrund der beim Ministerium der Justiz üblichen Praxis, unwirtschaftliche Notarstellen einzuziehen, eingehend befasst.

Unmittelbar nachdem er Kenntnis von der tatsächlichen Rechtslage und dem Charakter der Bewerbungsfrist als Ausschlussfrist erlangt hatte, hat der Minister veranlasst, den zweiten Bewerber um die Notarstelle über die Rechtslage zu informieren und die einzige fristgerecht eingegangene Bewerbung zu berücksichtigen.

Bei dem dritten Untersuchungskomplex hat sich nach völliger Übereinstimmung der Zeugen ergeben, dass der Minister zu keinem Zeitpunkt versucht hat, auf das Klageverfahren gegen den Abwasserzweckverband Naumburg Einfluss zu nehmen.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der bereits erwähnten Drs. 4/2256 vom 29. Juni 2005 sind die Voten der Ausschussmitglieder wiedergegeben. Wie Sie sehen können, gab es zu den Teilen A, B und C des Berichts unterschiedliche Voten. Zu Teil A gab es sieben Zustim

mungen, drei Neinstimmen und drei Enthaltungen, zu Teil B zwölf Jastimmen, keine Neinstimme und eine Enthaltung, zu Teil C sieben Jastimmen, sechs Neinstimmen und keine Enthaltung.

Darüber hinaus kann, wie in § 29 Abs. 4 des Untersuchungsausschussgesetzes festgelegt, jedes Mitglied des parlamentarischen Untersuchungsausschusses seine abweichende Meinung in einem Sondervotum darlegen. Die Mitglieder des Untersuchungsausschusses, die den Fraktionen der SPD und der PDS angehören, haben davon Gebrauch gemacht. Die Sondervoten sind dem Bericht beigefügt; ich verweise auf die Seiten 61 ff. und 72 ff.

Was empfiehlt der Ausschuss? - Der Ausschuss empfiehlt dem Landtag mit 13 : 0 : 0 Stimmen, den Bericht zur Kenntnis zu nehmen.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem ich Ihnen meinen Bericht über den Verlauf der Untersuchungen des Achten Parlamentarischen Untersuchungsausschusses gegeben habe, möchte ich die Gelegenheit nutzen, um vor diesem Hohen Hause noch einige allgemeine Ausführungen zum Wesen des parlamentarischen Untersuchungsausschusses zu machen.

Wenn man verschiedene Publikationen und Stellungnahmen zu parlamentarischen Untersuchungsausschüssen liest, so wird man häufig mit Äußerungen wie den folgenden konfrontiert: politisches Kampfmittel, Instrument der Aufklärung, politische Inszenierung, Schmierentheater, „manchmal ist weniger halt eher mehr“, „außer Spesen nichts gewesen“. Diese Äußerungen, die die öffentliche Meinung über den Verlauf von parlamentarischen Untersuchungsausschüssen zum Ausdruck bringen, sind vor dem Hintergrund der historischen und demokratischen Bedeutung dieses Instruments sehr bedenklich.

Wir müssen uns dessen bewusst sein, dass es in der Zeit vor der Geltung des Grundgesetzes für das Parlament keine Möglichkeit gab, durch Untersuchungsausschüsse gestaltend auf die politische Tagesordnung einzuwirken. Max Weber, der Begründer der deutschen Soziologie, der auch als Vater des deutschen Untersuchungsausschussrechts bezeichnet wird, kritisierte deshalb an der Struktur des damaligen Reichstages vor allem eines - ich zitiere -:

„Sie ist zugeschnitten auf eine wirklich negative Politik. Kritik, Beschwerden, Beratungen, Abänderungen und Erledigung von Vorlagen der Regierung - darauf beschränkt sich die Einwirkungsmöglichkeit des Parlaments.“

So Max Weber. - Von positiver Teilhabe an der politischen Leitung aber sei das Parlament ausgeschlossen. Dadurch sei es gezwungen, diese negative Politik zu betreiben, das heißt den Verwaltungsleitern wie eine feindliche Macht gegenüberzustehen, von ihnen als solche mit einem unentbehrlichen Minimum an Auskünften abgespeist und nur als Hemmschuh und als Versammlung impotenter Nörgler und Besserwisser gewertet zu werden - so die Analyse Max Webers. Da dem Reichstag das Recht fehle, selber gestaltend tätig zu werden oder gar eine kontrollierende Funktion gegenüber der Verwaltung einzunehmen, sei er verfassungsmäßig zur dilettantischen Dummheit verurteilt.

Um die Übermacht der Bürokratie zu brechen, forderte Weber Untersuchungsausschüsse, die je nach Anlass Tatsachen untersuchen sollten und denen gegenüber

Regierung und Verwaltung zur Auskunft verpflichtet sein müssten. In der Zulassung der Öffentlichkeit sah Weber überhaupt kein Hindernis, sondern vielmehr ein zentrales Element der Aufklärung. „Eine durch die effektive Parlamentskontrolle erzwungene Publizität der Verwaltung ist das, was als Vorbedingung jeder fruchtbaren Parlamentsarbeit und politischen Erziehung der Nation zu fordern ist“, so Weber.

Meine Damen und Herren! Sie sehen, dass wir es bei dem Instrument des parlamentarischen Untersuchungsausschusses mit einem wertvollen Element demokratisch konstituierter Parlamente zu tun haben. Daraus erwächst für uns auch die Pflicht, mit diesem Instrument verantwortungsvoll umzugehen. Denn so berechtigt und sinnvoll die Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses in diesem Fall sein kann, so kann sie in einem anderen Fall auch dazu führen, dass dieses Instrument in der öffentlichen Wahrnehmung beschädigt wird, wenn es für politische Inszenierungen instrumentalisiert wird.

(Zustimmung von Herrn Kehl, FDP)

Dieser Verantwortung sollten wir uns stets bewusst sein.

Meine Damen und Herren! Was aber gilt vor diesem Hintergrund nun für den Achten Parlamentarischen Untersuchungsausschuss, dem ich die Ehre hatte vorsitzen zu dürfen? Außer Spesen nichts gewesen? - Nein, meine Damen und Herren, das wird man über unseren Untersuchungsausschuss sicher nicht sagen können, wobei die Bewertung letztlich den Vertretern der politischen Parteien obliegt, die diese, wie bereits erwähnt, in dem Bericht bzw. in den Stellungnahmen dazu zum Ausdruck gebracht haben.

Ich als Vorsitzender kann feststellen, dass auch dieser Untersuchungsausschuss auf der einen Seite sicherlich gelegentlich Mittel der politischen Auseinandersetzung war; auf der anderen Seite hatte dieser Untersuchungsausschuss aber auch einen reinigenden Charakter, weil er viele Umstände aufklärte und vielen Beteiligten auch Anregungen für die Zukunft gegeben hat - so hoffe ich zumindest. Allerdings habe ich als Vorsitzender manchmal auch den Eindruck gehabt, dass - dies betrifft alle Beteiligten des Ausschusses - weniger manchmal auch mehr ist.

Meine Damen und Herren! Zuletzt möchte ich die Gelegenheit nutzen, mich bei den Fraktionen, bei Frau Köhler und Herrn Vogt und auch bei dem Vertreter der Landesregierung für die gute Zusammenarbeit während der Untersuchungsausschussarbeit zu bedanken. Ich habe dabei den Eindruck gewonnen, dass ungeachtet der zum Teil deutlichen Meinungsunterschiede in der Sache ein Klima des gegenseitigen Respekts herrschte. Für mich war es eine tolle Erfahrung, meine Damen und Herren. - Herzlichen Dank.

(Zustimmung bei der CDU, bei der SPD und bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Steinecke. - Meine Damen und Herren! Bevor ich nun Frau Grimm-Benne das Wort erteile, um für die SPD-Fraktion zu sprechen, haben wir die Freude, auf der Südtribüne unseren ehemaligen Landtagskollegen Herrn Dr. Kupfer zusammen mit Damen und Herren vom Vorstand der Landesseniorenunion der CDU begrüßen zu können.

(Beifall im ganzen Hause)

Nun bitte Frau Grimm-Benne.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Vorweg auch von mir einige Worte zu den Beratungen im Untersuchungsausschuss. Im Namen der SPD-Fraktion möchte ich Ihnen, Herr Steinecke, als Vorsitzendem des Ausschusses für Ihre Verhandlungsführung danken. Der ausdrückliche Dank geht auch an die Ausschusssekretärin Frau Köhler und an Herrn Vogt vom Gesetzgebungs- und Beratungsdienst.

Welches Fazit müssen wir nach mehr als einem Jahr Arbeit im Untersuchungsausschuss ziehen? War es diesen Aufwand wert? Oder war es nur wieder eine politische Randaleveranstaltung der Opposition, wie es CDU und FDP heute gern sehen würden, deren Zeche der Steuerzahler zahlen muss?

Die Arbeit unseres Untersuchungsausschusses war wichtig, seine Einsetzung war richtig und geboten. Die Arbeit des Untersuchungsausschusses hat die Notwendigkeit des Ministerrücktritts bestätigt.

(Frau Dr. Hüskens, FDP: Ja?)

Herr Becker, es sind schon Minister wegen weitaus weniger schwerwiegender Vorfälle zurückgetreten.

(Frau Liebrecht, CDU: Aber nun!)

Es hätte Ihnen viel Respekt einbringen können, wenn Sie aus Ihren Verfehlungen die einzig mögliche Konsequenz gezogen hätten, nämlich zurückzutreten und den Weg für einen Neuanfang im Bereich der Justiz frei zu machen.

(Zurufe von Herrn Kosmehl, FDP, und von Frau Dr. Hüskens, FDP)

Aber diese Größe haben Sie nicht gehabt und das finde ich ausgesprochen bedauerlich. Sie haben mit Ihrem Verhalten dem Amt des Justizministers großen Schaden zugefügt. Auch das bleibt als Konsequenz aus dem Untersuchungsausschuss.

(Zuruf von Herrn Kolze, CDU)

Meine Damen und Herren! Durch das Studium der Akten und durch die eingehende Befragung verschiedener Zeugen konnten wir tiefe Einblicke in die Amtsführung von Herrn Justizminister Becker gewinnen. Was wir dort erblicken mussten, lässt nicht den Schluss auf eine untadelige Amtsführung zu.

Der Justizminister hat sich in dem Rechtsstreit des Kollegen Poser mit der Stadt Naumburg, deren Oberbürgermeister der Herr Justizminister bekanntlich lange Zeit war, in unzulässiger Weise für die Belange des Kollegen eingesetzt. Dies war auch kein Büroversehen, wie uns der Justizminister zunächst klar machen wollte; denn er ist von seiner engsten Mitarbeiterin ausdrücklich gewarnt worden und verwendete den Ministerbriefkopf dennoch.

Der Minister der Justiz hat versucht, mit diesem Brief in den Verlauf eines gerichtlichen Verfahrens und in die kommunale Selbstverwaltung einzugreifen. Er hat somit seine Amtspflichten verletzt.

(Frau Liebrecht, CDU: Es wurde gerade festge- stellt, dass das nicht der Fall ist! Wieso behaup- ten Sie jetzt das Gegenteil?)