Wir sollten ebenfalls zur Kenntnis nehmen, dass den Abwanderungen in hohem Maße Zuwanderungen gegenüberstehen: Im Jahr 2003 sind mehr als 41 000 Menschen nach Sachsen-Anhalt gezogen, mehr als in jedem Jahr seit 1998. Andere merken es offenbar schneller als wir: Sachsen-Anhalt hat viel zu bieten, auch viele interessante Arbeitsplätze.
Herr Präsident, ich entschuldige mich sehr. Sie sehen, wie gut es war, dass ich zum Beispiel mit Herrn Gallert keine Diskussion begonnen habe. Aber unbeschadet dessen bitte ich, mich zu Ende sprechen zu lassen. Ich brauche nicht mehr viel Zeit, ich bin relativ bald fertig.
(Herr Bullerjahn, SPD: Das hätte man vorher mal sagen können, Herr Rehberger, damit es die Ab- geordneten wissen!)
Meine Damen und Herren! Problematisch sind nicht die Wanderungsprozesse als solche, problematisch ist ein negativer Saldo bei Wanderungsprozessen. Den Tiefpunkt hat Sachsen-Anhalt im Jahr 2001 erlebt, als per Saldo rund 23 000 Menschen mehr gegangen als gekommen sind. Wie in der ersten Hälfte der 90er-Jahre schließt sich inzwischen allerdings die Schere wieder. Die Attraktivität unseres Landes im Vergleich der Bundesländer untereinander nimmt offenkundig wieder zu.
Umso fataler wäre es, wenn sich, wie Vertreter der Opposition zum Teil fordern, die Politik der Landesregierung an Hochrechnungen für die nächsten 15 Jahre orientieren und für das Jahr 2020 eine Bevölkerungszahl von nur noch zwei Millionen Menschen zugrunde legen würde.
Meine Damen und Herren! Wer solche Rechnungen anstellt und darauf seine Politik - zum Beispiel bei der Kreisgebietsreform - stützt, begeht einen doppelten Fehler. Abgesehen davon, dass Trendforscher allenfalls einen Zeitraum von fünf bis sieben Jahren als vorhersehbar einschätzen, vermittelt er den Eindruck, dass mit den von ihm prognostizierten zwei Millionen Menschen im Jahr 2020 gewissermaßen die Talsohle erreicht sei. Sollte jedoch tatsächlich ein solcher Tiefpunkt kommen, dann sind weitere dramatische Einbrüche angesichts der dann eingetretenen totalen Überalterung durch nichts zu verhindern. Wer sich also an solchen Zahlen orientiert, springt entweder zu weit oder zu kurz. Dazu ist die Landesregierung nicht bereit.
Zwei Millionen Menschen im Jahr 2020 zur Grundlage politischer Entscheidungen im Jahr 2005 zu machen kommt für die Landesregierung aber auch aus einem anderen Grund nicht in Betracht. Denn wer so argumentiert, der verlangt letztlich die Kapitulation der Politik vor angeblich zwangsläufigen Entwicklungen, meine Damen und Herren. In Wirklichkeit ist es aber gerade die Aufgabe der Politik, solche Fehlentwicklungen zu verhindern.
Es hätte katastrophale Folgen auf dem Arbeitsmarkt, wenn im Jahr 2020 nur noch zwei Millionen Menschen mit der dann zwangsläufigen Altersstruktur in SachsenAnhalt leben würden. Viele in den letzten 15 Jahren angesiedelte Unternehmen hätten dann keine ausreichende Zahl von qualifizierten Arbeitskräften mehr.
Für die Landesregierung steht deshalb fest: Wir müssen und wir werden in den vor uns liegenden Jahren alles unternehmen,
um den Bevölkerungsschwund zu bremsen und den Trend umzukehren, wie es Mitte der 90er-Jahre schon einmal ansatzweise gelungen ist.
Zugegeben, auf das generative Verhalten der Menschen hat die Regierung so gut wie keinen Einfluss. Umso kla
rer ist, dass ein Schrumpfungsprozess in der Bevölkerung durch eine gezielte Zuwanderungspolitik auch, aber nicht nur aus westdeutschen Regionen ausgeglichen werden muss. Darüber wird man sich in den nächsten Jahren sehr gründlich Gedanken machen müssen.
Lassen Sie mich zum Schluss sagen: Wir hier in Sachsen-Anhalt laden Menschen, die etwas unternehmen wollen, ganz herzlich ein, in unser Land zu kommen. Wir brauchen viele zusätzliche selbständige Existenzen. Dann wächst automatisch auch wieder die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze.
Unsere Lage mitten in Deutschland, mitten in Europa spricht für uns. Sachsen-Anhalt ist ein landschaftlich außerordentlich reizvolles und ein geschichtlich hochinteressantes Land mit tüchtigen, innovativen Menschen. Wir haben mehr Platz als andere, wir arbeiten länger, wir können vieles, selbst Hochdeutsch. Es lohnt sich also, zu uns zu kommen. Sehr viele ausländische Investoren haben das längst erkannt und in Deutschland wird sich das auch immer mehr herumsprechen.
Zusammenfassend möchte ich deshalb feststellen, dass wir zwar die von uns selber gesetzten ehrgeizigen Ziele in der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik noch lange nicht erreicht haben, aber - wie die unterschiedlichen Daten und Fakten beweisen - auf dem richtigen Wege sind. Deshalb werden wir diesen Weg auch konsequent weiter gehen, mit großem Engagement, das auch darin zum Ausdruck kommt: Wir stehen früher auf. - Herzlichen Dank.
Herr Gallert, Sie wollten noch eine Frage an den Minister richten? - Herr Minister, sind Sie bereit zu antworten?
Wegen Ihrer Androhung, mir stundenlang zu antworten, kriege ich jetzt schon die Kritik, dass ich Ihnen nur eine Frage stelle.
Herr Rehberger, ich habe ein richtiges Problem und einen Hinweis. Das richtige Problem, das ich habe, ist, dass Sie als Wirtschafts- und Arbeitsminister in Ihrer Erklärung den gesamten Bereich des zweiten Arbeitsmarktes, der öffentlich geförderten Beschäftigung nur an einer einzigen Stelle erwähnt haben, und zwar als Sie gesagt haben, dass mit dem Modell „Magdeburger Alternative“ auf die Beschäftigung im ersten Arbeitsmarkt abgezielt werde und damit die negativen Auswirkungen eines zweiten Arbeitsmarktes vermieden würden. Ansonsten haben Sie in Ihrer gesamten Erklärung von dem zweiten Arbeitsmarkt nicht gesprochen. Der Ministerpräsident sprach aber ausdrücklich in seiner Regierungserklärung während der letzten Landtagssitzung von einem solchen Bereich und dessen Notwendigkeit.
Jetzt frage ich Sie als Vertreter der Landesregierung, als zuständigen Minister: Soll sich der zweite Arbeitsmarkt aus Ihrer Sicht auf das Einstiegsgeld beschränken und hat er ansonsten aus Ihrer Sicht nur negative Auswirkungen?
Noch ein Hinweis zu der Kampagne und den EuropaMitteln. Ich sage Ihnen nur eines: Denjenigen, der Ihnen erzählt hat, dass der Bereich „Technische Hilfe“ aus den Europa-Mitteln ausschließlich zu Werbungszwecken verwendet werden darf,
- Sie haben zweimal gesagt: wir hätten das sowieso nur für Werbungszwecke verwenden dürfen -, den schicken Sie mal zu mir. Ich erzähle dem, wofür er das Geld einsetzen darf.
Herr Kollege Gallert, über Letzteres unterhalten wir uns ganz friedlich und ich schicke Ihnen auch gern ein paar Personen, die das mit Ihnen erörtern können.
Was den zweiten Arbeitsmarkt anbetrifft, so ist das natürlich ein wichtiges Thema. Aber ich sage: Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik haben die Aufgabe, alles zu tun, um den zweiten Arbeitsmarkt überflüssig zu machen.
Diejenigen, die immer nur in den Kategorien des zweiten Arbeitsmarktes denken - das ist bei der PDS sehr stark feststellbar -, gehen am eigentlichen Problem vorbei. Denn sie steigern den Aufwand, den der Staat für diesen Bereich hat, mit der Folge, dass der erste Arbeitsmarkt darunter kontinuierlich stärker leidet und schrumpft.
Deswegen sage ich in aller Deutlichkeit: Natürlich gibt es im Moment zu Recht Maßnahmen auf dem zweiten Arbeitsmarkt. Das ist eine Entscheidung des Bundes. Sie wissen, dass die Agentur für Arbeit eine Bundeseinrichtung ist. Aber als Wirtschafts- und Arbeitsminister des Landes Sachsen-Anhalt sage ich klipp und klar: Je stärker diese Maßnahmen in Richtung erster Arbeitsmarkt orientiert sind, desto besser. Wir müssen endlich wieder dahin kommen, dass der erste Arbeitsmarkt umfassend funktioniert, und müssen diese aufwendigen Hilfskrücken schrittweise zurückführen.
Vielen Dank, Herr Minister. Es gibt noch eine Nachfrage. Sind Sie bereit, auch eine Nachfrage von Herrn Dr. Köck zu beantworten?
Ihre Antwort auf die Frage von Herrn Gallert provoziert förmlich, Sie zu Ihrer Meinung zu dem zu befragen, was die sachsen-anhaltinische Wirtschaft in persona von Herrn Hatton und Herrn Dr. Peter Heimann in der letzten Ausgabe der Zeitschrift „Mitteldeutsche Wirtschaft“ aussagt. Sie fordern: Wir brauchen eine Freigabe der Löhne nach unten und dort, wo die Löhne für ein auskömmliches Einkommen zur Existenzsicherung nicht ausreichen, ist dann die solidarische Gesellschaft gefordert.
Das ist das, was ich eben vorgetragen habe und was übrigens Herr Gallert in der Diskussion mit den Herren Professoren Schöb und Weimann, wenn ich es richtig verstanden habe - Sie können mich korrigieren, wenn es anders war -, nachdrücklich unterstützt hat. Er ist aufgestanden und hat gesagt: Deren Modell ist plausibel,
Ich habe eben dargetan, warum wir dieses Modell - außer dem Ansatz, den es hat - nicht übernehmen: weil es nicht die Effekte hat, die notwendig sind. Aber ich sage noch einmal: Wenn wir ein soziales Sicherungssystem haben, das dem einzelnen Berechtigten faktisch einen Stundenlohn von 5, 6, 7 oder 8 € gewährleistet, dann können wir nicht erwarten, dass irgendjemand im Land für 3 oder 4 € arbeitet, selbst wenn er noch so gering qualifiziert ist.