Protocol of the Session on May 26, 2005

Die ehrenamtlichen Aufgaben durch bezahlte Arbeit wahrnehmen zu lassen, ist auch nicht effektiv, sondern teuer und lässt lediglich das unentgeltliche Engagement verarmen, was in das gesellschaftliche Aus führt.

Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich darlegen, wie die Fakten wirklich aussehen und wie weit wir wirklich springen. Auf der Grundlage der Zahlen des Statistischen Bundesamtes aus dem Jahr 2003 gibt es 323 Kreise in Deutschland. Nach Einwohnergrößen gestaffelt, ist der größte Kreis Sachsen-Anhalts auf dem Platz 156 zu finden. Allein neun Kreise befinden sich auf den Plätzen 304 und fortfolgende. Aufgrund des heute eingebrachten Gesetzes wäre der einwohnerstärkste Kreis auf Platz 62 statt wie bisher auf Platz 156. Sieben Kreise wären unter den ersten 110, also im ersten Drittel.

Herr Rothe, es mag sein, dass einige Länder darüber nachdenken, eine Kreisgebietsreform durchzuführen, aber zwei Drittel Deutschlands nicht.

(Zuruf von Frau Fischer, Leuna, SPD)

Ich habe nicht gehört, dass der Rest von zwei Dritteln in Deutschland die Kreise für nicht zukunftsfähig hält; das will ich auch gar nicht behaupten. Der deutsche Durchschnittskreis hat derzeit 174 000 Einwohner auf ca. 1 000 km². Der sachsen-anhaltische hat nach der Kreisgebietsreform 181 000 Einwohner auf 1 800 km² und ist damit fast doppelt so groß.

Derzeit sind 60 % der Kreise in Deutschland kleiner als 150 000 Einwohner. Diesen Wert werden wir voraussichtlich in zehn Jahren erreichen. Nach der Kreisgebietsreform sind es im Moment 27 %, die kleiner sind, und diese auch nur aufgrund der Bevölkerungsdichte. Das dürfte berechtigt sein. Der kleinste Kreis ist auf Platz 260; das ist Salzwedel mit derzeit 98 000 Einwohnern.

Vor diesem Hintergrund und diesen Zahlen die Zukunftsfähigkeit zu bestreiten, ist blanker Unsinn. Die vorgesehenen Strukturen haben beste Chancen, 20 Jahre und darüber hinaus bestandsfähig zu bleiben. Es bedarf keiner Übergangslösung in einen Regionalkreis. Das wird umso mehr deutlich, wenn man sich auch das künftige Ranking der Landkreise hinsichtlich der Flächenmaße ansieht. Aber ich will Sie nicht weiter mit Statistiken langweilen.

Meine Damen und Herren! Die Schaffung von neuen Strukturen im Land ist immer auch ein emotionales Thema. Es muss das Ziel sein, Effizienz zu verwirklichen. Jeder Betroffene kennt für sich die beste Lösung. Der Landesgesetzgeber muss aber mit kühlem Herzen für das Gute und für das Ganze an eine solche Reform herangehen. So ist es nur logisch, dass selten das Beste für jeden, sondern nur das Beste für alle als Ergebnis herauskommt.

Auch ist es natürlich, dass es bei solchen Prozessen auch innerhalb der Kreise zu Zentrifugalkräften kommt. Die werden unterschiedlich willkommen geheißen - wohl wahr. Insoweit ist es aber ein Erfolg, dass die Reduzierung der Kreise weitgehend durch Vollfusion erreicht werden kann. Im Ergebnis der Anhörung ist festzustellen, dass 17 Kreise das Gesetz gut heißen, drei damit

leben können und nur einer auf seinen eigenen Vorstellungen beharrte.

Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang einmal auf das Thema Anhalt eingehen. Anhalt ist ein geschichtlich bedeutender Teil unseres Landes, der in der Zukunft auch wieder das Potenzial haben kann, eine identitätsstiftende Wirkung zu haben. Bei einer objektiven Betrachtung muss man aber eingestehen, dass diese identitätsstiftende Rolle in der Vergangenheit eher verhalten wahrzunehmen war und mit Blick auf die Altmark, den Harz und den Süden des Landes nicht für alle bedeutsam ist.

Die unabdingbare Notwendigkeit für eine verwaltungspolitische Einheit im Raum Anhalt ergibt sich aber daraus nicht. Blickt man zurück auf das Jahr 1789, gab es vier anhaltische Fürstentümer. 1871 gab es ein Herzogtum verteilt auf acht Territorien. Zurzeit findet sich Anhalt in zehn Kreisen und nach der Gebietsreform in sieben Kreisen wieder.

Anhalt wird also durch diese Reform nicht zerstückelt; diese Behauptung ist falsch. Tatsächlich aber sind die Menschen in Köthen zum großen Teil für einen Kreis bestehend aus Anhalt/Dessau/Bernburg, die Dessauer und die Bernburger dagegen nicht. Coswig will nach Wittenberg, Roßlau nach Dessau, Jeßnitz will in Bitterfeld und Sandersleben möchte im Mannsfelder Land bleiben. Teile von Anhalt-Zerbst wollen zum Jerichower Land - so wie es in dem Gesetzentwurf vorgesehen ist.

Bei einer solchen Gemengelage kann landsmannschaftliche Verbundenheit nicht die Maxime des Handelns werden, sondern nur die landesplanerischen Ziele. Ich halte es deshalb für richtig, dass die Region um Dessau gleichmäßig mit möglichst geringen Unwuchten gestaltet wird, um die oberzentrale Funktion Dessaus in seiner Region dauerhaft zu stärken.

Und noch ein Wort zu Dessau, um den Gesamteindruck zu verdeutlichen. Es gibt in Deutschland 125 kreisfreie Städte, davon sind 42 kleiner als Dessau. Das ist die Größenordnung von Rosenheim oder Bitburg, Wilhelmshaven, Kaiserslautern oder Worms. Ich halte es nicht für ein Ding der Unmöglichkeit, dass diese Städte kreisfrei bleiben.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Meine Damen und Herren! Ein weiterer Punkt, der aus der Anhörung heraus zu betrachten war, ist die Zuweisung der Stadt Falkenstein zum zukünftigen Harzkreis. Der Schutz der kommunalen Unabhängigkeit steht weder den Kreisen noch den Gemeinden allein zu. Es ist deshalb im Grundsätzgesetz die Möglichkeit eröffnet worden, von Vollfusionen abzusehen und einzelne Gemeinden zu anderen Kreisen gehen zu lassen. Alleiniger Maßstab ist das öffentliche Wohl, um vor Gericht mit einer Entscheidung Bestand zu haben. Anhand der vorliegenden Fakten ist mir aber nicht ersichtlich, dass hier eine falsche Abwägung getroffen worden ist.

Meine Damen und Herren! Das vorliegende Gesetz entspricht in seinen Regelungen den gesetzlichen Grundlagen bzw. den Vorgaben des Grundsätzgesetzes. Es ist von dem überwiegenden Teil der Betroffenen anerkannt und hebt die Landkreise Sachsen-Anhalts weit über den Durchschnitt der deutschen Landkreise hinaus und wird aufgrund der Berücksichtigung der demografischen Entwicklung für die Zeit bis 2015 auch in Zukunft Bestand haben.

Den Beratungen im Innenausschuss und vor allen Dingen der Anhörung sehe ich mit Spannung entgegen. Ich beschließe - -

(Heiterkeit bei allen Fraktionen)

- Ich beschließe nicht, sondern ich beantrage zu beschließen, dieses Gesetz in den Innenausschuss und nur dorthin zu überweisen. - Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Wolpert. - Nun freuen wir uns, Damen und Herren des Deutschen Bundeswehrverbandes der Kameradschaft Burg sowie Seniorinnen und Senioren der Volkssolidarität der Ortsgruppe Gübs begrüßen zu können.

(Beifall im ganzen Hause)

Es geht nun weiter in der Debatte. Für die PDS-Fraktion erteile ich Frau Dr. Paschke das Wort. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Landesregierung legte uns heute einen Gesetzentwurf zur Neugliederung der Kreise vor. Es ist kein Geheimnis, dass die PDS-Fraktion die Notwendigkeit einer Kreisgebietsreform nachdrücklich unterstreicht und lange darum gekämpft hat, diese Reform bereits 2004 umzusetzen.

Die derzeitige Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen mussten erst über massiven öffentlichen Druck zu der Erkenntnis geführt werden, dass eine Neugliederung der Kreise unvermeidlich ist,

(Beifall bei der PDS - Herr Tullner, CDU: Das ist Unfug!)

so wie es der Herr Minister heute gesagt hat. Nicht zuletzt weil es erst einen massiven öffentlichen Druck geben musste und die Landesregierung sozusagen zum Jagen getragen werden musste,

(Zuruf von der FDP: Quatsch! - Weiterer Zuruf von Herrn Wolpert, FDP)

ist dieser Gesetzentwurf in seiner Konsequenz doch halbherzig geblieben. Wir können - damit komme ich zur grundsätzlichen Kritik an dem vorliegenden Entwurf - Ihrer Einschätzung nicht folgen, dass mit diesem Gesetz zukunfts- und leistungsfähige Strukturen geschaffen werden. - Warum ist das so?

Erstens. Mit dem Gesetz wird der wachsenden nationalen und vor allem der internationalen Bedeutung von Regionen kaum Rechnung getragen. Zudem entspannt weder das vorliegende noch das zuvor verabschiedete Grundsätzegesetz nachhaltig die Stadt-Umland-Probleme, was zu einer wesentlichen Voraussetzung für die Entwicklung einer Region zählt.

Zweitens. Das vorliegende Gesetz mit der darin teilweise immer noch enthaltenen Kleingliedrigkeit von Kreisstrukturen manifestiert - das wurde heute bereits angesprochen - den dreistufigen Verwaltungsaufbau. Über diese Frage ist schon oft gestritten worden, die Argumente sind ausgetauscht. Leider wird nun erst die Zeit beweisen, dass die Vertreter der Zweistufigkeit Recht

haben. Bis dahin ist aber schon viel Zeit und Geld verpulvert.

Fakt ist und bleibt - das steht für Sachsen-Anhalt seit Anfang der 90er-Jahre fest -, dass die Landkreise in ihrer Anzahl mindestens unter zehn gegliedert werden müssen, um eine Zweistufigkeit zu erreichen. Auch wenn es der derzeitige Wille der Koalition ist, am dreistufigen Verwaltungsaufbau festzuhalten, warum schafft man nicht wenigstens die Voraussetzung, dass man in einen zweistufigen Verwaltungsaufbau übergehen kann? Das wird uns auf europäischer Ebene - das wird die Zeit zeigen - von außen aufgedrückt.

(Herr Scharf, CDU: Wieso denn? - Weitere Zu- rufe von der CDU)

Drittens. In dem Gesetzentwurf wird nur allgemein formuliert, dass die Leistungsfähigkeit zur Aufnahme weiterer Aufgaben gestärkt werden muss. Nun aber heraus mit der Sprache: Was sollen diese Aufgaben sein? Wenn man sich allein die kreisfreie Stadt Dessau mit ihren 77 000 Einwohnern im Jahr 2015 anschaut, dann hat man die Größenordnung fixiert, in deren Rahmen Aufgabenübertragungen stattfinden könnten. Was soll das noch Wesentliches sein? Sie haben es nicht genannt.

Viertens. Im gerade erst verabschiedeten Grundsätzegesetz wird die für zwingend notwendig erachtete Einwohnerzahl von 150 000 mit wenigen Ausnahmeregelungen festgeschrieben. Im vorliegenden Gesetzentwurf erreichen sechs von elf Körperschaften die Einwohnerzahl von 150 000 Einwohner nicht. Manche Körperschaft liegt deutlich darunter.

(Zuruf von Herrn Scharf, CDU)

So wird die Ausnahme fast zur Regel. Aus dem Gesagten wird zwingend folgen - im Gegensatz zu Ihnen haben wir eine andere Auffassung dazu -, dass die Diskussion um die Kreisstrukturen bei Umsetzung dieses Konzeptes in wenigen Jahren erneut aufbricht. Im Grunde genommen wird der Fehler aus dem Jahr 1994 zehn Jahre später von der gleichen Koalition wiederholt. Deshalb wird es noch eine dritte Reform der kreislichen Ebene geben.

(Beifall bei der PDS)

Ob das so zutrifft oder nicht, darüber können wir uns hier noch ewig streiten. Dem Land nützt das gar nichts. Es kostet nur eine Menge Geld und bindet Kraft in den Kommunen.

Dieser grundsätzlichen Kritik sei ein exemplarisches Beispiel beigefügt. Wie kann es anders sein, ich beziehe mich hierbei auch auf die Region Anhalt. Es ist wohl unstrittig, dass durch das Interview des Ministerpräsidenten in der „Volksstimme“ vom 20. Mai 2005 das Herangehen der Landesregierung nicht plausibler wurde.

Die Überschrift des Artikels „Lieber eine unbarmherzige Wahrheit als eine barmherzige Lüge“ trifft bei dem Problem Anhalt nach unserer Meinung in umgekehrter Weise den Nagel auf den Kopf. Statt im Interesse einer ganzen Region unbarmherzig die Wahrheit zu sagen, die da lautet: „mit einer kreisfreien Stadt Dessau wird weder das Oberzentrum Dessau noch die Region stark sein“, trifft man die nur scheinbar barmherzige Lösung der Kleinteiligkeit.

Mit der Zusicherung der Kreisfreiheit Dessaus unter den Bedingungen der Fusion mit Roßlau noch vor der end

gültigen Entscheidung über neue Kreisstrukturen wurde einer gesamten Region die Chance genommen, sich nachhaltig zu entwickeln,

(Beifall bei der PDS und bei der SPD)

einer Region, die von ihren Voraussetzungen her die Musterregion Sachsen-Anhalts werden könnte: Dessau in idealer Mittellage, dazu die Achsen der Region, die Mittelzentren Köthen, Zerbst, Wittenberg und Bittelfeld. Aber nein, man schafft drei Gebilde, die alle nicht leistungsfähig sind.

Hinzu kommt, dass über zwölf Jahre gewachsene raumordnerische Beziehungen und Zielstellungen regelrecht auseinander gesprengt werden. Wir sollten das als Parlament in der Gesetzesberatung nicht zulassen.

Ich möchte einen zweiten Aspekt erwähnen, der den § 21 - Wahl und Einberufung der Kreistage - betrifft. Wir sehen bei einer Verkürzung der Wahlperiode der kommunalen Mandatsträger rechtliche, aber auch politische Probleme. Eine Abkürzung der Wahlperiode ist aus unserer Sicht nur rechtsfest, wenn die dafür notwendigen gesetzlichen Regelungen vor Beginn der Aufstellungsverfahren gesetzlich geregelt sind. Auch aus diesem Grund wurde in der letzten Legislaturperiode recht zügig das Erste Vorschaltgesetz verabschiedet.

Da das nun nicht erfolgte, hat man im Wesentlichen zwei Möglichkeiten: Entweder man setzt die Reform auf den Zeitpunkt der Kommunalwahlen oder man führt die Kreistage zusammen. Letzteres, die Zusammenführung der Kreistage für die Dauer von zwei Jahren, ist die politisch bessere Variante. Das ist man den kommunalen Ehrenamtlern schuldig. Zudem ist das Zusammenwachsen der Kreise mit der Gesamtheit der Erfahrungsträger zweifelsfrei von Vorteil.