Protocol of the Session on April 15, 2005

(Zuruf von Herrn Reichert, CDU)

Herr Böhmer, eines enttäuscht mich persönlich ein wenig. Bisher waren wir uns, glaube ich, darin einig, dass es vernünftig ist, sich bei Analysen dicht beieinander zu finden, und dass es vernünftig ist, dass sich alle politischen Kräfte bemühen, darauf Antworten zu finden. Ich glaube, die Sozialdemokratie im Land ist die letzte politische Partei, die sich vorwerfen lassen muss, sie würde sich nicht auf den Weg machen, um Antworten darauf zu suchen.

(Beifall bei der SPD)

Wir tun das auf eine Art und Weise, zu der manche schon den Kopf schütteln. Wir tun das auf eine Art und Weise, für die wir nicht nur Lob ernten.

(Herr Dr. Polte, SPD: Richtig! Aber es ist nötig!)

Aber wir tun es.

(Zustimmung bei der SPD)

Nicht wir sind es, die sich hier nach drei Jahren Regierungspolitik hinstellen und politische Begrifflichkeiten zu einem Vortrag, genannt Regierungserklärung, summieren, in dem man uns nach drei Jahren erzählt, was man in den nächsten elf Monaten noch tun will. Diese Art der Erklärung kenne ich schon seit drei Jahren.

Deswegen lasse ich mir diesen Defätismusvorwurf gern gefallen. Ich habe gestern schon gesagt: Solange Sie sich damit beschäftigen, was wir machen, können wir uns in Ruhe vorantreiben lassen und werden auch Antworten finden. Ich sage eines in Ihre Richtung, Herr Böhmer: Wenn dies das Spiel für die nächsten Monate sein wird - glauben Sie nicht, dass wir darauf nicht antworten könnten.

(Beifall bei der SPD)

In der Diskussion werden sich sicherlich auch die Prioritäten verschieben. Die Infrastrukturentwicklung wird eine geringere Bedeutung haben. Ich glaube, das ist selbst bei Konservativen unstrittig. Es geht nicht mehr darum, dieses Land nur noch mit Autobahnen glücklich zu machen. Sicherlich werden wir in wenigen Jahren eine überregional angebundene Struktur haben, die modern ist, die auch den Ansprüchen entspricht, die man an sie stellen kann und muss. Innerregional wird man noch etwas tun müssen.

(Herr Schröder, CDU: Bestandspflege!)

- Bestandspflege sollte eine dauerhafte Aufgabe sein. Ich glaube, darin sind wir uns einig.

(Herr Dr. Polte, SPD: Ist eine dauerhafte Aufga- be!)

- Das ist eine dauerhafte Aufgabe. Danke schön, Herr Polte.

(Heiterkeit und Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

- Jetzt klatschen die, deren Aufgabe das ist.

(Zurufe von der CDU)

- Ja, ja. Ich kenne die Haushaltsansätze.

Wir müssen uns auf die Projekte konzentrieren, die der Wirtschaft unmittelbar und nachweislich nützen. Das heißt, wir müssen die Frage der Bildungsinfrastruktur ernster nehmen als bisher; das habe ich vorhin angesprochen. Angesichts der Tatsache, dass die bisherige Förderpolitik die Arbeitslosigkeit nicht beseitigen konnte, muss die Frage der Beschäftigungswirkung stärker beachtet werden.

Herr Ministerpräsident, ich habe eingangs erwähnt, dass die Regierungserklärung aus meiner Sicht nicht konkret genug ist. Ich möchte das an einigen weiteren Beispielen aufzeigen.

Zum Thema Wirtschaftsförderung. Für Nichtfachleute mag das Thema, Wirtschaftskreisläufe zu induzieren, etwas ganz Neues gewesen sein. Fördermittel sollen mehrfach zirkulieren - wir nennen das revolvierende Fonds.

(Zuruf von Herrn Dr. Schrader, FDP)

Das hatten wir alles schon. Ich weiß auch, wie damals darüber diskutiert wurde. Die Frage der Wirtschaftskreisläufe aufzugreifen ist letztendlich eine strukturpolitische Frage. Wir müssen schauen, was wir mit diesen Stärken in bestimmten Regionen anfangen, um daraus Wachstum zu generieren. Das ist sicherlich richtig.

Die Frage ist aber, wie man das politisch umsetzt. Es ist auch zu klären, mit welchen Branchen man in welchen Regionen etwas tun will. Dann wird es konkret; denn dann sind sie sofort bei der Frage: Setze ich Schwerpunkte?

Ich halte mich hierbei an die Kriterien der SPD - diese sind genauso strittig gewesen wie vieles, was wir bisher der Öffentlichkeit vorgestellt haben -, nämlich eine abgesenkte Grundförderung, aber mit besonderen Anreizen durch eine Höchstförderung, die im Zusammenhang mit Arbeitsplätzen, Innovation und Ausbildung vergeben werden kann. Dabei gibt es eine ganz klare Diskussion über eine Konzentration auf wenige - dies versehe ich mit einem Fragezeichen - Sektoren oder Regionen und zum Ausgleich Elemente der Strukturpolitik. Das ist eine offene Diskussion. Diese muss man aber auch führen, wenn man das ernst meint.

Zum Thema Innovationsförderung. Sie haben zu Recht gesagt, man will Wirtschaft und Forschung zusammenbringen, insbesondere was die Finanzierung betrifft. Nun stellt sich die Frage: Wie wollen wir das haushaltstechnisch machen? Ich kann erwähnen, dass wir einen Doppelhaushalt haben, der übrigens über diese Wahlperiode hinaus reicht; das heißt, aktuell wird daran nichts zu ändern sein.

Für die Zukunft ist das, denke ich, etwas ganz Vernünftiges. Aber es stellt sich schon die Frage: Wie soll das konkret passieren? Im ländlichen Raum - darüber haben wir gestern ausgiebig diskutiert - steht dann natürlich ganz klar die Frage der Schwerpunktsetzung. Es ist darüber zu diskutieren, ob aus den Förderfonds alles gleichmäßig finanziert werden soll, egal an welchem Standort was getan wird. Oder strukturiert man das im Sinne von: hier die Zentren, dort der ländliche Raum?

Sie haben etwas dazu angedeutet, aber eine konkrete Aussage dazu fehlt. Wie ist Ihre Sicht auf dieses Thema? Sie müssen doch nach drei Jahren irgendwann einmal ganz klar sagen können, was Sie davon halten, und nicht nur kritisieren, dass wir die Diskussion führen.

(Beifall bei der SPD)

Ein dritter Punkt ist die Frage: Wer soll das umsetzen? Mit welchen Strukturen kann das geschehen? - Sie haben mitgeteilt, welche Ministerien sich künftig worum kümmern sollen und dass in der Staatskanzlei eine zusätzliche Geschäftsstelle eingerichtet werden soll. Das bedeutet zunächst einmal mehr Bürokratie. In diesem Zusammenhang stellt sich natürlich auch die Frage: Wer hat den Hut auf?

Ich hoffe, dass das Prinzip Gebietsreform nicht wieder um sich greift.

(Beifall bei der SPD)

Ich hätte nicht erwartet, dass die Gebietsreform selbst in diese Regierungserklärung durch die Hintertür wieder Eingang findet. Ich kann mich daran erinnern, dass wir zu Zeiten der SPD-Regierung, toleriert durch die PDS - ich sage das, bevor Sie es dazwischenrufen -, einen sehr offensiven Diskussionsstil gepflegt haben.

(Herr Tullner, CDU: Das kann man nicht verges- sen!)

Das wurde von der CDU damals immer als eine Schwäche von Reinhard Höppner, von der Regierung und von wem auch immer ausgelegt. Es hieß, die PDS hätte uns am Nasenring - wie auch immer. Sie haben es jedenfalls nicht fertig bekommen, dem Kabinett einen abgestimmten Regierungsentwurf vorzulegen, und der Chef hat ein paar Tage später seine eigenen Gedanken zu der Diskussion beigetragen. Man könnte so etwas auch als Schwäche und nicht als Stärke bezeichnen. Man könnte es auch so auslegen, dass man nicht weiß, wohin er will.

Sie haben Ihre Erklärung dazu geliefert. Für mich ist sie nicht schlüssig. Deswegen hoffe ich, dass es bei den Strukturfonds etwas anders funktioniert; denn sonst wird das angesichts des Zeitdrucks unweigerlich „gegen den Baum“ gehen.

(Beifall bei der SPD)

Hinsichtlich der Förderung gibt es wichtige Fragen, beispielsweise: Wie kann man wo was am effektivsten gewinnen? Wer kann das am schnellsten und am besten machen? Dabei sollten bestimmte Ziele im Vordergrund stehen, und zwar weniger Bürokratie und schnellere Entscheidungen.

Auch dazu könnte man einen Vorschlag entwickeln, nämlich ganz klar zu sagen: Die politische Verantwortung liegt bei der Landesregierung und beim Landtag, die Verwaltung erfolgt in der Investitionsbank. Diese wiederum könnte man „aufbohren“, indem man sagt:

Alles, was Investitionen und den Bereich der Innovation betrifft, wird dort gebündelt und mit der Wisa und der LMG zusammengeführt. Es wäre einmal ein konkreter Vorschlag von Ihnen gewesen zu erklären, wie man das in Zukunft machen könnte.

(Beifall bei der SPD)

Wie gesagt, Herr Ministerpräsident, ich weiß nach Ihrer Regierungserklärung nicht, was Sie mit den EU-Geldern machen wollen. Ihren Anspruch als Regierung, Vorschläge zu machen, haben Sie nicht eingelöst. Ich habe aber den Appell zur gemeinsamen Gestaltung gehört. Wir werden uns dem auch stellen.

Übrigens habe ich mir sagen lassen, dass das Thema im Wirtschaftsausschuss schon oft angesprochen wurde. Es ist nicht so, dass das alles neu ist. Sie können es so darstellen, als ob über Nacht irgendwo in Brüssel jemand das Füllhorn aufgemacht und gesagt hätte: Jetzt müsst ihr schnell nachdenken. Diese Frage ist über Jahre auf uns zugekommen und wir hätten auch schon lange darüber diskutieren können. So neu ist das alles nicht.

Herr Bullerjahn, möchten Sie eine Frage von Frau Wybrands beantworten?

- Nein, jetzt nicht. Lassen Sie mich zum Ende kommen.

(Frau Wybrands, CDU: Aber nachher, ja?)

- Ich glaube, ich habe gestern schon einmal nein gesagt. Das möchte ich nicht noch einmal machen. Ich habe das noch gut im Ohr.

Im Wirtschaftsausschuss wurde gesagt: Das dauert immer noch; warten wir einmal ab. Wir hätten die Debatte aber auch anders aufziehen können, indem wir nämlich die Fachleute dieses Thema in den einzelnen Gremien sukzessive hätten begleiten lassen und wir diese Diskussion im Landtag heute oder später als den Abschluss der ganzen Angelegenheit, als die Möglichkeit betrachtet hätten, eine politische Willensbildung über alle Fraktionen hinweg zu erreichen.

Mir ging es wie - na gut, Sie will ich nicht in die Haftung nehmen - vielen auf der anderen Seite. Wir mussten erst einmal hören, was überhaupt kommt. Nun sind wir überrascht, wie wenig Zeit vorhanden ist und was noch alles vor uns liegt. Deswegen kann ich mir nur wünschen, dass wir auch eingebunden werden.

Aber wenn wir mit eingebunden werden sollen, dann kann das keine leere Phrase sein, dann muss der ernsthafte Wille bestehen und, Herr Böhmer, es muss tatsächlich die Möglichkeit gegeben sein, sich inhaltlich auszutauschen und dort, wo es gelingt, zu gemeinsamen Beschlüssen zu kommen. Dabei reden wir über einen Zeitraum - ich bitte Sie, mir zuzuhören - von einem halben Jahr für die inhaltliche Ausgestaltung der Programmierung.