Protocol of the Session on March 3, 2005

(Zurufe von Frau Dr. Sitte, PDS, von Herrn Dr. Pü- chel, SPD, und von Herrn Bischoff, SPD)

Wenn Sie sich den Bericht der Bundesregierung anschauen, werden Sie feststellen, dass wir gegenwärtig überall Probleme mit der Datenbasis haben. Die statistischen Ämter haben über einen längeren Zeitraum die Daten nicht geschlechtsspezifisch erhoben. Das kann man rückwirkend nicht ändern. Das kann man für die Zukunft ändern, aber nicht rückwirkend.

(Frau Bull, PDS: Es gibt eindeutige Aussagen in dem Bundesbericht, der vorgestern durch alle Medien gegangen ist!)

- Dazu muss man schauen, auf welcher Datenbasis die Aussagen beruhen, Frau Bull. Ich kann Sie nur anhalten, genau in den Bericht zu schauen. Er beruht auf Befragungen und nicht auf exakten statistischen Erfassungen.

Wir können uns jetzt sachlich zu den einzelnen Themen äußern oder wir können ablenken in andere Fachgebie

te. Ich bin gern bereit, mit Ihnen intensiv die Thematik zu besprechen. Wir haben wiederholt über unsere Strategien beraten, die notwendig sind, um Armut langfristig zu verhindern.

Sie sehen aber, dass das Problem Deutschland insgesamt erreicht hat und hierbei kurzfristige parteitaktische Konzepte nicht zum Erfolg führen. Nur wenn es uns gelingt, Arbeitsplätze zu schaffen, und den Menschen die Möglichkeit gegeben wird, selbst etwas für ihr Einkommen zu tun, dann kann es uns auch gelingen, dass die Armut ihr erschreckendes Gesicht verliert.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Herr Minister, wären Sie bereit, eine Frage der Abgeordneten Frau Dr. Weiher zu beantworten?

Ja.

Bitte sehr, Frau Dr. Weiher.

Herr Minister, wenn ich Sie richtig verstanden habe, dann haben Sie geäußert, dass der Gender-Mainstreaming-Ansatz im Haushaltsbereich speziell beim Jugendbereich schon angewendet wird. Das ist mir neu. Ich würde gern von Ihnen wissen, in welchen Bereichen er in diesem Jahr oder im letzten Jahr schon spezifisch angewendet worden ist.

Im Bereich der Jugendhilfe sind wir im Moment dabei, spezifisch die Maßnahmen für Jungen und Mädchen zu erfassen und daraus Ableitungen zu treffen, wie man insgesamt diesen Etat Gender-mäßig behandeln könnte. Wir beginnen also mit kleinen Bereichen. Leider ist es aufgrund der Verknüpfungen zwischen Kommunen und Land nicht möglich, den Gender-Ansatz durchzusetzen, da verschiedene Partner mit am Tisch sitzen, die nicht alle kooperativ sind.

Vielen Dank, Herr Minister. - Meine Damen und Herren! Wir treten jetzt in die Aussprache nach der Redezeitstruktur C ein. Für die CDU-Fraktion erhält als erste Rednerin die Abgeordnete Frau Wybrands das Wort. Bitte sehr, Frau Wybrands.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Das Blatt des Ginkgobaumes besteht, wenn man es von oben betrachtet, aus zwei Teilen. Betrachtet man es von unten, ist es ein Ganzes. Betrachten Sie das doch bitte als Symbol für das Gender-Mainstreaming; denn für uns Christdemokratinnen ist dieses Blatt das Symbol dafür. Männer und Frauen leben in einer Gesellschaft, die aber je nach Geschlecht unterschiedliche Perspektiven eröffnet.

Der Begriff „Gender“ bezeichnet die gesellschaftlich, sozial und kulturell geprägten Geschlechterrollen von Frau

en und Männern. Diese sind erlernt und anerzogen, daher also veränderbar durch Politik, und zwar für Frauen und Männer. Wann immer Benachteiligungen entdeckt werden, muss Frauen- oder Männerpolitik greifen. Bevor ich näher darauf eingehe, wie das zu verstehen ist, möchte ich etwas Grundsätzliches anmerken.

Schon im Jahr 1995 verpflichteten sich auf der 4. Weltfrauenkonferenz alle Mitgliedstaaten, ein Konzept für die Implementierung von Gender-Mainstreaming zu entwickeln. Im Jahr 1996 verpflichtete sich die Europäische Union zur Durchsetzung des Prinzips. Seit dem Jahr 1999 ist der Amsterdamer Vertrag in Kraft. Er schreibt Gender-Mainstreaming in rechtlich verbindlicher Form für alle Mitgliedstaaten fest.

Die Landesregierung hat in ihrer Antwort auf die Große Anfrage der PDS-Fraktion zur Geschlechtergerechtigkeit in Sachsen-Anhalt zutreffend ausgeführt, dass GenderMainstreaming ein langfristiger und komplexer Prozess ist. Sie hat ausführlich dargestellt, was sich in den letzten Jahren getan hat. Ich will die entsprechenden Darlegungen der Landesregierung nicht wiederholen.

Gestatten Sie mir zunächst einige Anmerkungen zum Inhalt der Großen Anfrage der PDS-Fraktion. Herr Dr. Eckert, ich finde es bewundernswert, dass Sie sich dazu geäußert haben. Ich möchte Frau Ferchland von dieser Stelle alles Gute für die nächste Zeit wünschen.

Ich möchte aber doch darauf hinweisen, dass die geradezu akribisch formulierten mehr als 200 Fragen dem geneigten Leser durchaus Bewunderung abnötigen. Allerdings frage ich mich schon, ob so viel Klugheit noch weise ist.

(Zustimmung von Frau Weiß, CDU)

Wesentliche Problembereiche werden nämlich bewusst nicht angesprochen, weil den Fragestellern klar ist, wie gut Sachsen-Anhalt insbesondere bei den nicht erfragten Feldern im bundesweiten Vergleich aufgestellt ist. Der PDS-Fraktion scheint es nicht in jedem Fall darum zu gehen, ein umfassendes Bild über die Geschlechtergerechtigkeit im Land zu erhalten. Vielmehr hat sie sich Themenfelder ausgesucht, von denen sie glaubt, dass sich die Lage seit dem Regierungswechsel verschlechtert haben könnte.

Diese Intention haben wir erkannt. Ihr Ziel, liebe Kolleginnen und Kollegen der PDS-Fraktion, haben Sie verfehlt. Die Antworten der Landesregierung belegen: Wir sind beim Thema Geschlechtergerechtigkeit nach wie vor hervorragend aufgestellt.

(Zustimmung bei der CDU - Zuruf von der PDS)

Welches sind nun die wichtigen Problemfelder, die ich meine? Da ist zunächst der Gewaltbereich. Der Schutz vor Gewalt ist eines der wichtigsten Grundrechte. Nur wer die Chance auf ein gewaltfreies Leben hat, kann sich seinen Fähigkeiten entsprechend entwickeln. Danach haben aber die Fragesteller nicht gefragt. Warum nicht? Hat es sie nicht interessiert?

Am Beispiel der häuslichen Gewalt wird die Notwendigkeit des Gender-Mainstreamings überdeutlich. In Sachsen-Anhalt war es die Polizeidirektion Magdeburg, die vor nunmehr sechs Jahren die Kriminalstatistik in diesem Bereich gegendert und dabei nachgewiesen hat, dass Nacht für Nacht eine erhebliche Anzahl von Menschen Opfer von häuslicher Gewalt werden und dass

80 % der Opfer Frauen und 20 % der Opfer Männer sind.

Es dauerte noch einmal vier Jahre, bis die Beratungsstellen bereit waren, auch männlichen Opfern Beistand zu leisten. Wider besseres Wissen wurde eine Opfergruppe also lange allein gelassen. Wenn ich heute lese, dass die Kriminalstatistik des Landes ohne die Zahlen für häusliche Gewalt veröffentlicht wird, dann sehe ich allerdings auch, dass wir auf diesem Gebiet noch etwas zu tun haben.

Heute ist in Sachsen-Anhalt mit der ausdrücklichen Befugnis der Sicherheitsbehörden und der Polizei zur Anordnung von Wohnungsverweisungen und Betretungsverboten ein weiterer Schritt zur Geschlechtergerechtigkeit gemacht worden. Das entbindet politische Entscheidungsträger aber nicht von der Verantwortung. Angesichts der Schwere der körperlichen und seelischen Verletzungen sind die etablierten Schutzmechanismen ständig auf ihre Wirksamkeit hin zu beobachten und vor allem im Bereich der Prävention sind gegebenenfalls weitere Schritte zu unternehmen.

Meine Damen und Herren! Der andere wichtige Bereich, der nicht angesprochen wurde, betrifft die Vereinbarkeit von Familie und Beruf - eines der wichtigsten Kriterien der Geschlechtergerechtigkeit. Nur eine umfangreiche Kinderbetreuung eröffnet Frauen und Männern gleichermaßen die Chance auf Erwerbstätigkeit und damit auf ein selbständiges Leben ohne Armut. - Danach haben die Fragesteller aber nicht gefragt. Warum nicht? Hat sie das nicht interessiert?

Das Land Sachsen-Anhalt hat seit Anbeginn die umfassendste Kinderbetreuung in Deutschland: Eine zehnstündige, liebevolle Betreuung ermöglicht Vätern und Müttern die Berufstätigkeit. Mit der Einführung kindgerecht angebotener Bildungsmodule steigt die Qualität der Kindergärten weiter.

Trotz aller Diskussionen kann man nicht die Augen davor schließen, dass das Land Sachsen-Anhalt seit 14 Jahren am weitesten geschlechtergerecht ist. Diesen Status zu erhalten und die Kinderbetreuung weiterhin konstruktiv kritisch zu begleiten, muss allen Politikerinnen und Politikern geradezu ein Bedürfnis bleiben. - Damit sind zwei Schwerpunkte der Arbeit der Landesregierung im Bereich der Geschlechtergerechtigkeit genannt.

Der dritte Schwerpunkt bei der Beseitigung von geschlechtsspezifischen Benachteiligungen liegt im Bereich Arbeitsmarkt. Die Antwort der Landesregierung auf die hierzu endlich praxisorientierten Fragen in der Großen Anfrage machen einmal mehr deutlich, dass die Herstellung der Chancengleichheit von Frauen und Männern als Querschnittsaufgabe sehr ernst genommen wird und sich in einer Fülle von Maßnahmen und Projekten widerspiegelt. Erste Ergebnisse sind zu verzeichnen. Frauen sind in Sachsen-Anhalt nicht per se von einer höheren Arbeitslosigkeit betroffen als Männer. Der Anteil der Frauen an der Gesamtzahl der Arbeitslosen konnte von 56 % im Jahr 1997 auf weniger als die Hälfte im Jahr 2004 gesenkt werden.

Arbeitslosigkeit, meine Damen und Herren, bedeutet für jeden Betroffenen eine Lebenskrise. Die finanziellen Mittel, die zur Verfügung stehen, müssen daher passgenau in den Arbeitsmarktsegmenten eingesetzt werden, in denen Frauen oder Männer benachteiligt sind. Die Landesregierung ist in ihrem in der Antwort auf die Große An

frage klar definierten Ziel, Handlungsbedarf und Möglichkeiten in allen Förderbereichen der Arbeitsmarktpolitik im Sinne der Geschlechtergerechtigkeit kontinuierlich zu analysieren und, wo notwendig, nachzusteuern, ausdrücklich zu unterstützen.

Finanziell ist dieser Prozess mit einem gegenüber der letzten Legislaturperiode deutlich erhöhten Haushaltsansatz im Bereich der Förderung der Chancengleichheit zum Beispiel bei der Besetzung von Führungspositionen untersetzt worden; der Ansatz stieg von 10,4 Millionen € im Jahr 2002 auf jeweils 15,64 Millionen € in den Jahren 2005 und 2006. Gleichzeitig wurde durch die Fraktionen der CDU und der FDP der Ansatz zur Förderung von jungen Menschen an der zweiten Schwelle unter Berücksichtigung des Prinzips der Geschlechtergerechtigkeit noch einmal um jeweils 5 Millionen € für die Jahre 2005 und 2006 erhöht, um unseren jungen Bürgerinnen und Bürgern neue Perspektiven in Sachsen-Anhalt eröffnen und auf besondere Probleme junger Familien und vor allen Dingen junger Frauen in Sachsen-Anhalt, wie sie die Dienel-Studie umfassend dargestellt hat, reagieren zu können.

Lassen Sie mich aber nun an zwei Beispielen die nüchterne Aufzählung von in den Haushalt eingestellten Mitteln illustrieren und die Frage beantworten, was nun der Bürger ganz konkret davon hat. Das erste Beispiel ist das Projekt gegen die Abwanderung junger Landeskinder.

Das Ziel des Anwendungsprojektes in dem Bereich der Geschlechtergerechtigkeit ist es, jungen Fachkräften die dauerhafte Eingliederung in den ersten Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Das Besondere an diesem Projekt ist, dass die jungen Menschen für das Unternehmen so wertvoll gemacht werden sollen - da sie speziell für dieses Unternehmen ausgebildet werden -, dass sie auch später in der schwierigen Familienphase nicht entlassen werden - weil sie einfach wertvoll für das Unternehmen sind. Zwei Drittel der neu geschaffenen Arbeitsplätze konnten von jungen Frauen übernommen werden.

Darüber hinaus befindet sich das Ministerium für Wirtschaft und Arbeit - an dieses müssen die Fragen zu Armut und Arbeitslosigkeit gestellt werden - zurzeit in einem Prozess der Qualitätsausbildung bei Projekten zur beruflichen Eingliederung unter dem Aspekt des Gender-Mainstreamings. Ebenfalls sollen bei der Umsetzung von arbeitsmarktpolitischen Fördermaßnahmen vor dem Hintergrund der strukturellen und demografischen Entwicklung im Land bei der aktiven Arbeitsmarktförderung, der Fachkräfteintegration, der Zielgruppenförderung, der ergänzenden Jugendförderung sowie der beruflichen Aus- und Weiterbildung die Kriterien des Gender-Mainstreaming-Ansatzes Berücksichtigung finden.

Ein weiteres Beispiel: Seit Juli 2004 wird vom Ministerium für Landwirtschaft und Umwelt das Projekt „Landwirtschaftliche Berufsorientierung und -beratung zu Einkommensalternativen im ländlichen Raum SachsenAnhalts“ mit 195 000 € gefördert. Das Projekt ist darauf ausgerichtet, Schülerinnen und Schüler für landwirtschaftliche Berufe zu interessieren und ihnen Perspektiven für ein sinnerfülltes Leben in Sachsen-Anhalt aufzuzeigen. Außerdem werden so genannte standortbezogene Dienstleistungen, Hofläden, Bauerncafés usw., als Einkommensalternativen insbesondere für Frauen im ländlichen Bereich beworben.

Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zum Ende meiner Rede noch zwei weitere Aspekte des Gender

Mainstreamings in Sachsen-Anhalt ansprechen. Was die wissenschaftliche Seite des Gender-Mainstreamings betrifft, hat Sachsen-Anhalt eine Vorreiterrolle. Das bundesweit erste Gender-Institut hat seinen Sitz in Magdeburg. Es hat die einzige geschlechterdifferenzierte Datenbank in Deutschland implementiert. Das in der Planung befindliche europäische Gender-Institut wird nach dem Vorbild unseres sachsen-anhaltischen Instituts aufgebaut. Die Vorreiterrolle zeigt sich auch in Anfragen aus anderen Bundesländern wie Brandenburg, BadenWürttemberg und aus dem Ausland, sogar aus Korea.

Eine Vorreiterrolle hat Sachsen-Anhalt auch bei der Durchsetzung des Gender-Mainstreaming-Prinzips im Verwaltungsprozess. So wurden bisher 700 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung geschult.

Meine Damen und Herren! Das allein stellt Geschlechtergerechtigkeit für die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes aber noch nicht her, es kommt auf die Umsetzung an, das konkrete Handeln. Darauf hat die Landesregierung ihren Fokus gerichtet.

Bis heute ist Gender-Mainstreaming in der täglichen gesellschaftlichen Praxis in Europa weitestgehend ein Fremdkörper geblieben. Schon der englische Begriff läuft der deutschen Grammatik und Aussprache zuwider. So wird das Verfahren häufig als aufgesetzt empfunden. Der gesellschaftliche Nutzen wird nicht immer deutlich, und komplizierte Maßnahmenkataloge legen manches Mal den Eindruck nahe, dass die Methode Selbstzweck sein könnte und der reale Bezug aus den Augen verloren wird.

Meine Damen und Herren! In der Kürze der Zeit war es mir nur möglich, auf einige Schwerpunkte der Politik der Landesregierung im Bereich der Geschlechtergerechtigkeit in Sachsen-Anhalt einzugehen: mehr Gerechtigkeit zum Schutz vor häuslicher Gewalt, gerechtere Verteilung der familiären Verantwortung und mehr Chancengerechtigkeit beim Zugang zum Arbeitsmarkt und damit zu einem selbstbestimmten Leben ohne Armut.

Die Landesregierung nutzt ihren politischen Gestaltungsauftrag in Sachen Gender-Mainstreaming beispielgebend; aber allein schafft sie es nicht, für mehr Geschlechtergerechtigkeit zu sorgen. Der Funke muss überspringen, zum Beispiel auch auf unsere Unternehmen.

Wir als Landespolitiker sollten unsere Chancen nutzen, alle am gesellschaftlichen Gestaltungsprozess Beteiligten immer wieder aufs Neue hierfür zu sensibilisieren. Dazu in einem steten Erfahrungsaustausch zu stehen halte ich für eine der Sache angemessene politische Kultur. Dazu möchte ich uns alle ermutigen.

(Zustimmung bei der CDU, bei der FDP und von der Regierungsbank)

Frau Abgeordnete Wybrands, sind Sie bereit, eine Frage der Abgeordneten Frau Fischer zu beantworten?