Protocol of the Session on March 3, 2005

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich eröffne hiermit die 55. Sitzung des Landtages von SachsenAnhalt der vierten Wahlperiode.

(Unruhe)

- Wenn Sie den Schallpegel etwas dämpfen, würde ich Sie gern begrüßen. - Zu dieser 55. Sitzung begrüße ich Sie, verehrte Anwesende, auf das Herzlichste.

Ich stelle die Beschlussfähigkeit des Hohen Hauses fest.

Zunächst gebe ich Ihnen die Entschuldigungen von Mitgliedern der Landesregierung bekannt: Herr Minister Professor Dr. Olbertz entschuldigt seine Abwesenheit bei der Landtagssitzung am heutigen Tag bis 14 Uhr aufgrund seiner Teilnahme als Schirmherr an der 2. Halleschen Conference on Recombinant Protein Production bei der Martin-Luther-Universität in Halle.

Frau Ministerin Wernicke entschuldigt sich ebenfalls für die heutige Sitzung. Sie nimmt an der 9. Internationalen Elbeministerkonferenz in Dresden als Vorsitzende der Flussgebietsgemeinschaft Elbe teil.

Herr Minister Dr. Daehre bittet seine Abwesenheit am heutigen Tag bis 14.30 Uhr aufgrund einer Einladung des Herrn Staatssekretärs Braune vom BMVBW zu einer Veranstaltung zum Thema „Metropolregion Mitteldeutschland“ zu entschuldigen. Am morgigen Tag wird Herr Dr. Daehre in der Zeit von 10 Uhr bis 14 Uhr die Landesbauausstellung eröffnen. Er bittet, auch für diese Zeit sein Fehlen im Landtag zu entschuldigen.

Herr Minister Professor Dr. Paqué, der sich ursprünglich entschuldigt hatte, nimmt an beiden Tagen an der Landtagssitzung teil.

Herr Staatsminister Robra wird aufgrund der in Mainz stattfindenden ZDF-Fernsehratssitzung heute ab 16 Uhr und morgen ganztägig fehlen.

Herr Ministerpräsident Professor Dr. Böhmer bittet seine Abwesenheit am morgigen 4. März 2005 aufgrund seiner Teilnahme am MDR-Zukunftsforum „Der starke Osten“ in Leipzig zu entschuldigen.

Nun, meine Damen und Herren, zur Tagesordnung. Die Tagesordnung für die 29. Sitzungsperiode des Landtages liegt Ihnen vor. Im Ältestenrat ist vereinbart worden, die Tagesordnungspunkte 5, 8 und 10 als erste Punkte am morgigen Beratungstag zu behandeln.

Die Vorsitzende des Ausschusses für Petitionen Frau Knöfler hat darum gebeten, den Tagesordnungspunkt 13 - Erledigte Petitionen - von der heutigen Tagesordnung abzusetzen und für die nächste Sitzungsperiode des Landtages im April 2005 vorzusehen. Frau Ausschussvorsitzende Knöfler ist erkrankt und sie möchte den Bericht des Ausschusses im Plenum selbst vortragen. Gibt es dagegen Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann verfahren wir so.

Gibt es weitere Bemerkungen zur Tagesordnung? - Auch das ist nicht der Fall. Dann können wir entsprechend der festgelegten Tagesordnung verfahren.

Meine Damen und Herren! Noch eine Bemerkung zum zeitlichen Ablauf der 29. Sitzungsperiode: Die heutige Landtagssitzung werden wir in Abhängigkeit vom Stand

der Abarbeitung der Tagesordnung vereinbarungsgemäß gegen 20 Uhr schließen, sodass gesichert ist, dass die morgige Sitzung bis 13 Uhr beendet werden kann und wir alle gemeinsam am Richtfest, am Hebeschmaus oder am Richtschmaus, wie immer wir das nennen, beim Hundertwasserhaus teilnehmen können. Die morgige 56. Sitzung des Landtages beginnt wie üblich um 9 Uhr.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Damit kommen wir zum Tagesordnungspunkt 1:

Aussprache zur Großen Anfrage

Geschlechtergerechtigkeit in Sachsen-Anhalt

Große Anfrage der Fraktion der PDS - Drs. 4/1570

Antwort der Landesregierung - Drs. 4/1697

Der Ältestenrat schlägt die Redezeitstruktur C und damit eine Debatte von 45 Minuten Dauer vor. Gemäß § 43 Abs. 6 unserer Geschäftsordnung wird zunächst dem Fragesteller das Wort erteilt. Alsdann erhält die Landesregierung das Wort. Nach der Aussprache steht dem Fragesteller das Recht zu, Schlussbemerkungen zu machen. Für die Debatte sind die Reihenfolge der Fraktionen und die Redezeiten wie folgt vereinbart worden: CDU 13 Minuten, SPD sieben Minuten, FDP fünf Minuten und PDS sieben Minuten.

Ich erteile nun als erstem Redner dem Abgeordneten Herrn Dr. Eckert für die Fragestellerin, die Fraktion der PDS, das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Thema „Geschlechtergerechtigkeit in Sachsen-Anhalt“ heute, also wenige Tage vor dem Internationalen Frauentag, im Landtag aufzurufen, war Absicht. Am 8. März 1910 wurde dieser Tag erstmals begangen mit dem Ziel, gleiche Rechte für Frauen zu erkämpfen. Das war vor nunmehr 95 Jahren und es hat sich seither einiges getan.

Dennoch sind wir in Sachsen-Anhalt - diesbezüglich stimme ich der Landesregierung zu - erst am Anfang des Prozesses, den wir mit dem Begriff Gender-Mainstreaming umschreiben, am Anfang einer Politik, die tatsächlich die Geschlechterspezifik berücksichtigt und Schritte auf dem Weg zu mehr Geschlechtergerechtigkeit geht.

Ich sage das deshalb, weil man in Diskussionen oft das Gefühl hat, dass im Vordergrund der Politik hinsichtlich des Gender-Mainstreamings eine bessere Frauenförderung steht. Aber das allein reicht für eine Politik der Geschlechtergerechtigkeit nicht aus. Deshalb haben wir in der Vorbemerkung zu der Anfrage darauf hingewiesen, dass spezifische Frauenförderpolitik und Gender-Mainstreaming zwei unterschiedliche Strategien sind, die beide die Gleichstellung von Frauen und Männern zum Ziel haben.

Gender-Mainstreaming bedeutet insofern auch, gezielt Maßnahmen einer Männer- und Väterarbeit zu konzipieren und umzusetzen. Gender-Mainstreaming als Methode beinhaltet also grundsätzlich, danach zu fragen, wie sich politische Maßnahmen und Gesetze jeweils auf Frauen und Männer, auf Mädchen und Jungen auswirken sowie ob und inwieweit sie zum Ziel der Chancengleichheit der Geschlechter beitragen. Auf dieser Grund

lage sind politische Vorhaben und politisches Handeln entsprechend auszurichten und zu steuern.

Erst die Durchführung von Gender-Mainstreaming macht transparent, dass Politik eben nicht geschlechtsneutral ist, dass die unterschiedlichen Realitäten von Frauen und Männern beachtet und zum politischen Entscheidungskriterium für die Eignung und die Qualität einer Maßnahme werden müssen.

Unter Gleichstellung der Geschlechter verstehen wir, dass alle Menschen die Chance erhalten, ihre Fähigkeiten zu entwickeln. Alle Menschen sollen, ohne durch die überkommene geschlechterspezifische Rollenverteilung eingeschränkt zu werden, ihren Lebensweg wählen können. Die formale juristische Gleichstellung ist dabei lediglich ein erster Schritt zur tatsächlichen, zur materiellen Gleichstellung.

Die Aufgabe der Politik besteht darin, die entsprechenden Rahmenbedingungen in den jeweiligen Politikfeldern so zu gestalten, dass das Ziel der Geschlechtergerechtigkeit erreicht werden kann. Und genau das ist in Sachsen-Anhalt leider trotz der Aktivitäten in den vergangenen Jahren nicht selbstverständlich. Diese Feststellung, Herr Minister Kley, unterstreiche ich. Aber ich bezweifle Ihre Aussage, dass - ich zitiere - „alle, die beteiligt waren und sind, wissen, was Gender-Mainstreaming bedeutet und dass und warum sie keine deutsche Übersetzung verlangen sollten“.

Diese Zweifel gründen sich unter anderem auf die Antworten der Landesregierung auf unsere Fragen, beispielsweise die Fragen, welche die Verwaltungsorganisation betreffen.

Im Januar 2004 wurde das Landesverwaltungsamt geschaffen. Hier gab es die Möglichkeit, konkret im Sinne von Gender-Mainstreaming zu handeln und zu analysieren. Auf unsere Frage, welche Ziele im Prozess der Verwaltungsorganisation erreicht worden sind und wie die Landesregierung den Arbeitsstand beurteilt, wird faktisch nicht geantwortet. Angeblich war das in der zur Verfügung stehenden Zeit nicht leistbar. Ich glaube eher, dass die Gender-Problematik bei der Bildung des Landesverwaltungsamtes keine entsprechende Rolle spielte und aus diesem Grund nicht analysiert werden konnte.

Auch die Chance, wenigstens bei einer Gruppe von Kabinettsvorlagen die Ergebnisse des Gender-Checks analytisch darzustellen, wurde angeblich aufgrund des Aufwandes nicht genutzt.

Ich habe es mir erspart zu zählen, wie oft der Landesregierung der Aufwand zu hoch war. Aber wenn die Landesregierung gleichzeitig betont, dass sie für viele Problemstellungen zu wenig oder keine Daten hat, dann ist zu fragen, warum - den politischen Willen vorausgesetzt - sie vorhandene Daten, vorhandene Prozesse nicht entsprechend auswertet. Wenn sie es nicht tut, hat sie es nicht gewollt.

Sehr aufschlussreich ist auch die Antwort auf die Nachfrage, wie sich Gender-Mainstreaming auf das Handeln der Führungsebene auswirkt: Der Landesregierung liegen - so ist der Antwort zu entnehmen - keine Erkenntnisse vor. Aber ein Ergebnis hat die Landesregierung, so meine ich, mit der Übersicht zu den Landesbetrieben geliefert. Wenn von 40 angeführten Bereichen nur vier einen nennenswerten Frauenanteil aufweisen, so ist das ein Ausdruck fehlender Kompetenzbildung bei Führungskräften auf diesem Gebiet.

Auch die Antworten auf die Fragen nach der Berücksichtigung der Geschlechterspezifik in der Behindertenhilfe oder in der Pflege zeugen nicht gerade von kompetenter Anwendung des Gender-Mainstreamings. Im Zusammenhang mit der Behindertenhilfe wird einmal festgestellt - ich zitiere -:

„Auf geschlechtsspezifische Unterschiede wurde nicht eingegangen, da bereits in der Studie ‚Lebenssituation behinderter Menschen’... keine Unterschiede des Hilfebedarfs festgestellt werden konnten.“

Eine Seite weiter heißt es - wieder ein Zitat -:

„Aufgrund des Rahmenvertrages... ist es möglich, so genannte Leistungstypen zu erstellen, die künftig die unterschiedlichen individuellen Hilfebedarfe der betroffenen Frauen und Männer repräsentieren.“

Nebenbei gefragt: Wie ist dies möglich, wenn in den zugrunde liegenden Fragebögen gar keine geschlechtsspezifischen Fragestellungen enthalten sind? - Ich zitiere weiter:

„Die verschiedensten Leistungstypen umfassen jeweils eine Gruppe von ähnlich betroffenen Menschen mit Behinderung und unterscheiden sich in der Beschreibung durchschnittlich notwendiger Hilfeleistungen.“

Was stimmt denn nun? Es ist die Rede von der gleichen Studie und zum Zeitpunkt der Antwort der Landesregierung war der Rahmenvertrag noch nicht gekündigt. Wir sind schon der Meinung, dass es erhebliche Unterschiede bei den Maßnahmen zur Sicherung von Chancengleichheit und Teilhabe behinderter Frauen und Männer an der Gesellschaft gibt, und zwar nicht nur im Hilfebedarf.

Wenn ich unterstelle, dass die erste Aussage stimmt, dass aufgrund der Fragebögen keine Aussagen möglich sind, dann sind die Ergebnisse der Studie, die auf der Auswertung der umstrittenen Fragebögen beruht und die die Grundlage für die Verpreislichung darstellen soll, vollkommen hinfällig.

Ähnlich eigenwillige Aussagen gab es zur Pflege. Einerseits wird festgestellt - ich zitiere -:

„Für den Personenkreis, der pflegerische Dienstleistungen in Anspruch nehmen muss, steht eine leistungsfähige, zahlenmäßig ausreichende und wirtschaftliche pflegerische Infrastruktur in Sachsen-Anhalt zur Verfügung. In ihren pflegerischen und therapeutischen Konzepten müssen sich die Einrichtungsträger auf die hohe Anzahl von Frauen einstellen.“

Etwas weiter heißt es - ich zitiere erneut -:

„Zur Sicherstellung einer bedarfsgerechten pflegerischen Versorgung müssen abgestufte Betreuungsangebote vorgehalten und miteinander vernetzt werden. Dazu gehören in erster Linie geeignete Dienstleistungsangebote, die die unterschiedlichen Interessen und Bedarfe von Frauen und Männern berücksichtigen.“

Diese Antwort, die zugleich die Aufgabenstellung beschreibt, können wir nur unterstreichen. Aber dann verstehe ich nicht, wie die Landesregierung feststellen kann, dass wir in Sachsen-Anhalt eine leistungsfähige,

zahlenmäßig ausreichende und wirtschaftliche pflegerische Infrastruktur haben. Wir haben eben keine ausreichende und wirtschaftliche pflegerische Infrastruktur, insbesondere nicht unter den Gender-MainstreamingAspekten; denn wenn das so wäre, brauchte man nichts zu ändern.

Meine Damen und Herren! Frauen waren in der Pflege immer in der Mehrzahl, sowohl als Pflegepersonen als auch als zu Pflegende. Das ist wirklich nichts Neues. Während in dem Buch „Gender-Mainstreaming in Sachsen-Anhalt“ beispielsweise das Thema der Rehabilitation einleuchtend mit Zahlen unter Gender-Aspekten dargestellt werden konnte, ist es für die jetzige Landesregierung scheinbar nicht möglich, aktuelle Zahlen für die Pflege und weitere Konsequenzen für das Handeln darzulegen.

Insofern bleibt zu hoffen, dass die angekündigte Studie „Zukunft der Altenhilfe im Land Sachsen-Anhalt“ tatsächlich Gender-sensibel ist. Ich muss dazu sagen: Wenn die Landesregierung akzeptiert, dass wir ein Landesausführungsgesetz zur Pflegeversicherung haben, könnten solche Aspekte bei der Novellierung möglicherweise eine Rolle spielen.