(Unruhe bei der PDS - Frau Dr. Sitte, PDS: Mein Gott! - Herr Gallert, PDS: Sie hat doch eine Kreis- funktion! - Zuruf von Herrn Dr. Köck, PDS)
Die Frage verstehe ich nicht, weil ich nicht weiß, worauf das zielen soll. Zielt es darauf, dass ihr Gemeinden weggenommen werden, die sie haben möchte? Die Frage ist mir nicht verständlich.
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Es ist heute schon mehrfach gesagt worden: Dieser Gesetzentwurf zur Gebietsreform in SachsenAnhalt stellt eine der strategischen Entscheidungen dar, die in dieser Legislaturperiode noch fallen werden. Es ist wahrscheinlich die wichtigste Entscheidung, die überhaupt noch aussteht, vor allen Dingen deswegen, weil dieses Gesetz, das wir hier verabschieden werden, in absehbarer Zeit Wirkungen entfalten wird - jawohl, Herr Wolpert, dazu stehe ich -, die wahrscheinlich weiter in die Zukunft ausstrahlen werden, als dieses Land Sachsen-Anhalt noch existieren wird.
Wir gehen in unserer internen Diskussion davon aus - das sage ich ganz deutlich -, dass der Rahmen des Landes Sachsen-Anhalt nicht der endgültige Rahmen sein wird, in dem sich die künftigen Kreisgebietsstrukturen, die wir in diesem Jahr beschließen werden, wiederfinden müssen.
Insoweit muss man diese Dimension hier aufmachen und darf in der Diskussion nicht nur von den aktuellen Erfordernissen ausgehen.
Außerdem - darauf habe ich gerade Bezug genommen - hat diese Kreisreform natürlich eine Schlüsselstellung im Hinblick auf den gesamten Verwaltungsaufbau des Landes Sachsen-Anhalt. Sie wird Auswirkungen auf die Gemeindestrukturen und auf die Struktur der Landesverwaltung haben, in welchem Land auch immer sich diese Landesverwaltung dann befinden wird.
Mit der Verabschiedung dieses Gesetzes entscheiden wir darüber, welches Reformsignal von Sachsen-Anhalt nach außen gehen wird. Werden wir in der Lage sein, in Bezug auf die neuen Aufgaben innerhalb der europäischen Integration und auf die demografischen Herausforderungen, vor denen die Bundesrepublik steht, die aber insbesondere in Sachsen-Anhalt ins Bewusstsein geraten, ein Reformsignal in die Bundesrepublik auszustrahlen, oder werden wir es nicht sein?
Ich sage jetzt einmal: Bei der Diskussion über die Kinderbetreuung ist Mecklenburg-Vorpommern immer als leuchtendes Beispiel von der Landesregierung hervor
gehoben worden. Ich würde mir wünschen, dass Sie sich auch in dieser Frage an Mecklenburg-Vorpommern orientieren.
Welches Ziel sollte also die Kreisgebietsreform bzw. die Neuordnung der Strukturen unterhalb der Landesebene haben? - Zum einen - das ist schon gesagt worden - steht für uns die Stärkung der Oberzentren im Zentrum der Diskussion. Wir brauchen diese Stärkung der Oberzentren. Wir brauchen sie auch dann, wenn wir die Stärkung der Oberzentren nicht als eine Aufgabe der Peripherien im Land verstehen. Aber es ist natürlich richtig, dass wir für eine erfolgreiche Entwicklung in diesem Land die Oberzentren - davon haben wir genau drei - stärken müssen.
Wir brauchen des Weiteren - darüber ist heute leider überhaupt noch nicht diskutiert worden - die Möglichkeit einer modernen Zweistufigkeit. Der Einzige, der darauf eingegangen ist, war Herr Wolpert. - Natürlich, Herr Wolpert, das, was wir wollen, würde im Endeffekt die Existenz des jetzigen Landesverwaltungsamtes infrage stellen. Das ist vollkommen richtig.
Das machen wir ganz bewusst, weil wir die jetzige Existenz des Landesverwaltungsamtes als strategische Fehlentscheidung in dieser Dimension empfinden. Wir halten das nicht für modern. Deswegen wollen wir daran etwas ändern. Deswegen sind das sehr wohl Auswirkungen, die wir nicht nur in Kauf nehmen, sondern ausdrücklich erzielen wollen.
Wir brauchen sehr wohl eine größere Bürger- und Entscheidungsnähe, und zwar dadurch, dass wir Kompetenzen auf die Ebene unterhalb des Landes verlagern.
Erst dadurch wird die Möglichkeit eröffnet, dass Ehrenamtler überhaupt noch etwas zu entscheiden haben. Das ist eine hervorragende Diskussion. Ehrenamtler müssen ihre Funktionen in einem möglichst engen Territorium ausüben. Wenn sie nun aber in dem engen Territorium gar nichts mehr zu entscheiden haben, dann entleert das ihre Tätigkeit mindestens genauso.
Es ist eine neue Diskussion, das gebe ich zu. Wir haben bei uns in der Fraktion eine ausgesprochen lange Diskussion zu der Frage des Verhältnisses von Wirtschaftsregion oder Planungsregion und Landkreisgrenzen geführt. Der Kollege Köck, der hier sitzt, hat schon im Jahr 1999 versucht, die PDS-Fraktion und den PDS-Vorstand davon zu überzeugen, dass wir für eine dynamische Wirtschaftsentwicklung in unserem Land eine Identität von Wirtschaftsregion und Kreis brauchen. Diese Idee hat damals noch keine Mehrheit bei uns gefunden. Jetzt hat er eine Mehrheit für diese Idee gefunden. Das sage ich hier auch ganz deutlich.
Die Mehrheit kam deswegen zustande, weil die Entwicklung wirklich vorangeschritten ist und weil wir eine integrierte Betrachtung der Wirtschaftsentwicklung des Landes Sachsen-Anhalt und seiner Verwaltungsstrukturen brauchen. Eine Verwaltungsentwicklung, die eben nicht die Identität von Wirtschaftsraum und Kreisstruktur hervorbringt, ist aus unserer Sicht eine Verwaltungsstruktur,
Vor dem Hintergrund dieser definierten Zielstellungen komme ich nun zu der Bewertung des vorliegenden Gesetzentwurfs. Zum einen: Erfüllt dieses Gesetz wirklich die Notwendigkeit der Stärkung der Oberzentren? - Wir sagen ausdrücklich nein. Die Zweckverbandskonstruktion, die hier angepackt wird, ist in der vorgelegten Form aus unserer Sicht nicht lebensfähig. Sie ist deswegen nicht lebensfähig, weil es zwischen dem Oberzentrum und den jeweiligen Mitgliedern in dieser Zweckverbandskonstruktion nicht zu einem vernünftigen Verfahren kommen wird. Sie ist auch deswegen nicht lebensfähig, weil uns der Interessenausgleich in diesen Zweckverbänden nicht logisch erscheint. Schon die gesetzliche Beschränkung auf die Flächennutzungsplanung ist hierbei das erste Problem.
Eine Frage ist überhaupt nicht beantwortet worden: Was ist denn mit den vielfältigen Problemen - Herr Polte hat unter anderem das Schulproblem angesprochen - zwischen dem Oberzentrum und seinem Umland? Wie sollen die Aufgaben denn eigentlich auf diesen Zweckverband übergehen? - Wenn alle einverstanden sind? Per Mehrheit, wenn einer möglicherweise ausschert?
Derjenige, der nicht zur Mehrheit gehört, ist aber möglicherweise derjenige, der dagegen klagt, dass gemeindliche Zuständigkeiten auf diesen Zweckverband übertragen werden. Da ist eine außerordentlich schwierige und spannende Frage.
Wir können uns gern fünf Jahre lang anschauen, wie sich diese Dinge entwickeln. Wir können gern nach fünf Jahren sagen: Das war ein Fehler. Ich frage aber, ob dieses Land so viel Zeit, ob dieses Land noch so viele Ressourcen, ob dieses Land noch so viel Geduld hat, sich solche Fehlentwicklungen zu leisten.
(Starker Beifall bei der PDS - Frau Feußner, CDU: Sie haben acht Jahre lang nichts gemacht! Da hätten Sie das machen können! Jetzt protzen Sie so! Das ist doch ein Hohn!)
Wir haben außerdem das Problem, dass die Kreisstrukturen, die Sie, Herr Daehre, vorschlagen, natürlich eine Dreistufigkeit fundamentieren. Mit diesen Kreisstrukturen, die möglicherweise im Bereich von zwölf, 13 oder 14 Einheiten unterhalb der Landesebene liegen - wir müssen die Zahl der Kreise und der kreisfreien Städte addieren -, wird es natürlich nicht möglich sein, alle dezentralen Aufgaben einer Verwaltung in diesem Land auf die Kreise zu übertragen. Das ist auch gar nicht beabsichtigt.
Was passiert also? - Alle Dinge, die noch dezentral verantwortet werden, zum Beispiel Ämter für Landwirtschaft und Flurneuordnung, werden irgendwo im Landesbereich bleiben, gehen damit nicht in die Bündelungsbehörde Kreis über und werden in diese Mammutbehörde Landesverwaltungsamt in der einen oder anderen Form eingegliedert. Wir halten das nicht für eine zukunftsfähige Option. Wir lehnen diesen Grundgedanken deswegen ausdrücklich ab.
Wir haben - wahrscheinlich als einzige Fraktion - noch ein anderes Problem. Wir haben immer die Situation, dass wir, wenn die öffentliche Verwaltung nicht in der Lage ist, Daseinsvorsorge mit ihren eigenen Strukturen effizient zu gewährleisten, zur Privatisierung kommen mit der Begründung: Sie sind dazu nicht in der Lage. Wir wollen ausdrücklich den umgekehrten Weg gehen. Wir wollen die Verwaltungsstrukturen so realisieren, dass öffentliche Daseinsvorsorge auch öffentlich realisiert werden kann und dass nicht ineffiziente Strukturen im Nachhinein als Begründung dafür herhalten müssen, dass diese Aufgaben privatisiert werden müssen. Das ist ein Unterschied beim Herangehen.
Die Verhinderung der Großkreisbildung durch die Obergrenze von 300 000 Einwohnern halten wir für regelrecht paradox. Warum möchte denn diese Landesregierung Dinge, die vor Ort entstehen - wenigstens die, die wir nicht für ausreichend halten würden -, noch zusätzlich behindern? Haben Sie denn so viel Angst um die Aufgaben in der Landesebene, dass Sie fürchten, die großen Kreise würden irgendwann auf die Idee kommen, Ihnen diese Aufgaben wegzunehmen?
Behindern Sie wenigstens an der Stelle nicht die Überzeugungen, die vor Ort schon gewachsen sind, die möglicherweise mit der regionalen Identität Anhalt einen Kreis realisieren können, der weit über diese Obergrenze von 300 000 Einwohnern hinausgeht. Welchen Grund - das konnten wir noch nicht erkennen - soll diese Landesregierung haben, solche Initiativen, die möglicherweise schon von unten entstehen, noch zusätzlich zu behindern, wenn sie selbst schon nicht die Kraft hat, diese Dinge zu befürworten?
Wir denken, dass wir es vor dem Hintergrund der europäischen Entwicklung, vor dem Hintergrund des Scheiterns der Föderalismuskommission mit einer Situation zu tun haben, in der diese Struktur der Bundesrepublik nicht mehr ewig bestehen bleiben wird.
Wenn wir das umsetzen, was Sie vorgelegt haben - das ist unsere feste Überzeugung -, dann realisieren wir wieder eine Zwischenlösung, zu der dieses Haus in zehn Jahren, wenn es dann noch als solches existiert, wieder sagen muss: Zu kurz gesprungen; diese und jene Aufgaben sind nicht erfüllt; wir haben einen Wettbewerbsnachteil gegenüber anderen Regionen, die in dieser Frage schon weiter sind. Wir müssen wieder eine neue Reform machen.
Wir haben diese Zeit nicht mehr. Wir haben diese Ressourcen nicht mehr. Wir haben diese Geduld in diesem Land nicht mehr. Es darf keine Zwischenlösung geben. Jetzt muss eine optimale endgültige Lösung für diese Kreisstrukturreform gefunden werden.
Wir haben in unseren eigenen Reihen lange diskutiert. Ich sage es ganz klar, weil Einwände kommen werden: Das werden wir auch weiter tun. Wir haben lange, seit 1999, seitdem über diese Idee zum ersten Mal bei uns diskutiert worden ist, über diese fünf Großkreise geredet. Wir haben jetzt eine Mehrheit im Landesvorstand. Wir haben eine deutliche Mehrheit auch in der Fraktion, die diese Option befürwortet.
In diesem Zusammenhang bin ich Ihnen außerordentlich dankbar, Herr Daehre; denn derjenige, der am meisten
dazu beigetragen hat, dass diese Mehrheit bei uns in den eigenen Reihen hat gefunden werden können, sind Sie mit der Vorlage Ihres Gesetzentwurfs gewesen. Es wurde ganz offensichtlich und deutlich, dass es mit solchen kleinteiligen Lösungen wahrscheinlich doch nicht geht. Wenn gerade dieses Stadt-Umland-Problem so nicht gelöst werden kann, dann müssen wir wahrscheinlich doch die größere Option wählen. Ihr Gesetzentwurf war letztlich derjenige, der zu solchen Mehrheiten auch bei uns geführt hat. Herzlichen Dank noch einmal, Herr Daehre.
Lassen Sie mich kurz zu dem wichtigsten Argument kommen, das auch bei uns immer dagegen gestanden hat: die ehrenamtlichen Tätigkeiten. Natürlich ist eine ehrenamtliche Tätigkeit in solch großen Gebilden eine Problemstellung. Das war bei uns auch immer das Ausschlaggebende.
Nun könnte man sich ein wenig flapsig darüber hinwegsetzen und sagen: Wenn man sich ansieht, was in den letzten Monaten an Nebentätigkeiten von Landtagsabgeordneten und Bundestagsabgeordneten bekannt geworden ist, dann könnte man fast auf die Idee kommen, dass der Bundestag eigentlich auch ein ehrenamtliches Gremium ist. Des Weiteren könnte man sagen: Wenn die das machen können, dann wird das wahrscheinlich auch auf Großkreisebene möglich sein.
Ganz so einfach ist es natürlich nicht. Wir brauchen, um diese Dinge mit einer ehrenamtlichen Funktionsträgerschaft zu realisieren, zwei neue Elemente: