Protocol of the Session on January 28, 2005

- Wissen Sie, ich werbe dafür - ich werde nicht müde, das zu tun -, dass man die eigenen Erfolge anspricht und die eigenen Versäumnisse, die es auch bei CDU und FDP gibt, nicht verschweigt. Da würde Ihnen manchmal ein bisschen mehr Offenheit gut tun, gerade bei diesem Thema. Als wir im Jahr 1994 an die Regierung kamen, fanden wir Strukturen vor, die gerade festgezurrt waren. Ich möchte die Regierung sehen, die sich zwei oder drei Jahre nach dieser Strukturveränderung aufmacht, gleich wieder neue Strukturen zu schaffen.

(Zuruf von Herrn Gürth, CDU)

Es gab damals Diskussionen, ob wir das wollen. Das haben wir ausdrücklich verneint. Richtig ist - das haben wir auch schon mehrfach erwähnt -, dass wir beim StadtUmland-Problem sicherlich hätten rigider sein können und müssen. Aber wir hatten etwas für die vierte Wahlperiode vorgelegt - das lief damals unter dem Namen Manfred Püchel -, was Sie innerhalb von wenigen Wochen und Monaten kurzerhand weggewischt haben. Wenn Sie das nicht getan hätten, wären wir in vielen Dingen ein ganzes Stück weiter und würden die Debatte, die wir heute führen, nicht mehr so führen müssen.

(Beifall bei der SPD)

Trotzdem sage ich noch einmal: Das, was jetzt vorliegt - ich gehe davon aus, dass es am Ende ein fertiges Gesetz geben wird -, wird dieses Land so nachhaltig verändern wie kein anderes Gesetz, das wir in dieser Wahlperiode beschließen. Ich sage das unabhängig von dem, was am Ende dabei herauskommt. Das sollten alle wissen, die an diesem Gesetz mittun wollen.

Aber ich muss auch darauf hinweisen, warum wir eigentlich dieses Gesetz machen. Das ist doch keine Willkür. Es gibt Rahmenbedingungen, die uns zwingen, solche Veränderungen vorzunehmen. Ich hätte mir schon gewünscht, dass die Regierung bei der Einbringung auf diese Rahmenbedingungen eingegangen wäre. Zu erwähnen ist erstens die wahnsinnige demografische Entwicklung. Dieses Land wird innerhalb von 30 Jahren eine Million Einwohner nicht mehr haben.

(Minister Herr Dr. Rehberger: Abwarten!)

- Wenn Sie, Herr Rehberger, „abwarten“ sagen, muss ich an Ihrer Kompetenz zweifeln. Es ist unwidersprochen, dass - -

(Zustimmung bei der SPD - Minister Herr Dr. Reh- berger: 30 Jahre!)

- Die Hälfte dieser Zeit ist doch schon vorbei, Herr Rehberger. Wir reden nämlich über eine Entwicklung, die seit dem Jahr 1990 anhält; wir stehen bei der Halbzeit dieser Entwicklung.

Wir alle finden doch diese Entwicklung dramatisch und schlecht. Bloß, es macht keinen Sinn, die Augen davor zu verschließen, dass solche Prozesse in den nächsten 15 Jahren nicht grundlegend verändert werden können. Dass wir etwas tun müssen, ist klar. Nur, wenn Sie „abwarten“ sagen, Herr Rehberger, ist mir schon klar, dass Sie solche Dinge, die wissenschaftlich fundiert sind - -

(Zurufe von der CDU und von der FDP)

- Ist doch gut! - Dann brauche ich mich nicht über das zu wundern, was jetzt als Gesetzentwurf auf dem Tisch liegt. Das ist so was von beliebig und zeigt, dass Sie das, was passiert, weder zur Kenntnis nehmen noch berücksichtigen.

(Beifall bei der SPD)

Ich werde Ihnen, Herr Rehberger, all diese Gutachten zuschicken. Wenn Sie dann immer noch meinen, Sie seien der einzig Schlaue, der das anders sieht, dann sagen Sie mir bitte, warum das so ist.

Der zweite Punkt ist das Thema Haushalt. Darauf will ich gar nicht näher eingehen. Es stellt sich nämlich die Frage, inwieweit die Volumina der öffentlichen Haushalte in den nächsten Jahren zurückgehen werden. Darüber wird viel gesprochen. Darüber, ob es genau ein Drittel oder mehr oder weniger sein wird, kann man trefflich streiten; aber klar ist, dass die Volumina der Haushalte geringer werden. Darauf muss man jetzt reagieren.

Deswegen sage ich, wir müssen heute schauen, dass die Lösungen, die wir finden, Bestand haben, weil wir diese Entwicklung aufnehmen und ihr gerecht werden müssen.

Übrigens, Herr Minister Daehre, Sie haben in einem Zeitungsinterview selbst gesagt, dass kleinteilige Strukturen, in denen jeder weitgehend für sich allein arbeitet, auf europäischer und auf Bundesebene keine Chance mehr hätten. Nun frage ich mich, warum Sie das nicht gemacht haben.

(Minister Herr Dr. Daehre: Das ist doch nicht kleinteilig!)

- Doch, das wissen Sie genau. Ich möchte wetten, Herr Daehre, Sie sehen sich weder als Magdeburger noch als Vorharzer, Sie sehen sich auch nicht als Sülzetaler, Sie sehen sich wahrscheinlich, egal wie die Struktur heißt, stets als Langenweddinger; das wird so bleiben. Genauso wie sich Jens Bullerjahn als Ziegelröder sieht und nicht als Mansfelder oder als ehemaliger Hallenser oder als Magdeburger.

Die Frage, wo mein Bezugspunkt ist, ist doch relativ leicht zu beantworten. Der Bezugspunkt ist dort, wo der Mensch wohnt, wo er lebt, wo er auch die Möglichkeit hat, politisch zu gestalten. Das sollten wir bei all diesen Strukturfragen nicht dauernd infrage stellen.

Für eine Lösung, die wir alle suchen, sollte es doch möglich sein, unterschiedliche Konzepte zuzulassen. Ich verstehe gar nicht die ständige Kritik an Andersdenkenden in dem fachlichen Fall. - Ich habe das jetzt bewusst zugespitzt.

Diese Lösungen müssen aber doch alle bestimmten Kriterien folgen. Die haben Sie ja selber genannt. Es ist die Frage der Stärkung der Zentren, und zwar nicht nur bezogen auf die Oberzentren, sondern auch auf die Mittelzentren. Das ist die Frage der Bildung neuer Landkreise. Das ist aber auch die Frage der Kreisstädte.

Hierzu sage ich: Bei all diesen Punkten ist Ihre Antwort immer halbherzig. Sie wollen eigentlich stärken, machen aber nicht die Eingemeindung, sondern den Zweckverband, weil Sie wissen, Sie kriegen Ärger. Sie denken auch zu Recht darüber nach, neue Landkreise zu strukturieren. Aber Sie gehen nicht weit genug, sondern suchen sich die freiwillige Möglichkeit, weil Sie wissen, Sie kriegen damit den Ärger derjenigen, die irgendwo aufgehen.

Sie wissen auch - diejenigen, die im Kreistag sitzen, wissen das auch ganz genau -: Am Ende müssen Sie über Kreisstädte entscheiden. Dazu habe ich gelesen, dass der MP darüber nachdenkt, diese Frage offen zu halten. - Wer auch immer schon einmal Kommunalpolitik gemacht hat, der kann sich überhaupt nicht vorstellen, dass es eine Diskussion geben kann, in der nicht der zentrale Punkt die Frage der Kreisstadt ist. Es gibt nämlich - was Sie völlig falsch darstellen - schon seit 14 Jahren die Möglichkeit, Lösungen freiwillig zustande zu kriegen. Viele dieser Lösungen kommen nicht zustande, weil die Freiwilligkeit nämlich die Egoismen dazu verleitet, Lösungen zu verbauen.

Ich kann das am Mansfelder Land und an Sangerhausen klarmachen. Die Frage, wer wo mit wem zusammengeht, wird deswegen nicht beantwortet, weil die Mansfelder und die Sangerhäuser sich nicht darauf einigen können, wer die Kreisstadt werden soll. Dies wird auch noch 20 Jahre so bleiben. Deswegen sind wir als Gesetzgeber gehalten, solche Dinge, die unauflöslich erscheinen, einmal zu klären. Dazu sitzen wir hier.

(Beifall bei der SPD)

Ich ärgere mich auch mächtig darüber, dass Sie mit der Erfahrung eines Kreistags dieses Thema zwar immer wieder hochhalten, aber in Ihrem tiefsten Innern genau diese ungelösten Dinge bestätigen. Wir müssen die Kraft haben, diese offenen Fragen zu lösen. Wir müssen auch die Kraft haben, die Oberbürgermeisterinnen und Oberbürgermeister von Zentren gegen das Umland zu stärken; denn - das können Sie mir jetzt gern vorwerfen - diese Zentren werden immer wieder die Funktion haben, das Umland mitzunehmen.

(Zustimmung von Herrn Felke, SPD)

Solange das Umfeld davon lebt, dass es andere aus den Zentren herausholt bzw. dann Funktionen wahrnimmt, womit man Geld verdient, werden die Oberzentren immer die schwachen Seiten haben. Das wissen Sie auch. Deswegen sage ich: Sie sind inkonsequent. Das Gesetz an sich ist eine Ansammlung von Inkonsequenzen.

Wir stellen uns jetzt einmal praktisch vor, was Sie vorhaben. Da gibt es das kleine Dorf, die Gemeinde, vielleicht so am Rande des Mansfelder Landes. Jetzt kommen Sie mit dem Zweckverband. Dort wird das Dorf Mitglied. Es gibt noch die Verwaltungsgemeinschaft. Die muss ja nicht in Gänze Mitglied des Zweckverbandes werden. Darüber liegt der Landkreis, der hat ja auch noch Interessen. Dann gibt es die Planungsgemeinschaft, die Planungsregion, und dann gibt es das Land. Das alles in einem Umkreis, den man bei einer gut ausgebauten Infrastruktur wahrscheinlich bald in drei Stunden abfahren kann, nämlich von Zeitz bis Salzwedel - sagen wir vier Stunden; man muss ja nicht rasen -, wo zwei Millionen Menschen wohnen. Sie haben gerade gesagt, das Umland von Frankfurt habe die gleiche Einwohnerzahl.

Dafür haben wir dann fünf, sechs Verwaltungsebenen, die Geld kosten, die Beschäftigte brauchen und die auch etwas tun wollen. Also werden sie immer darauf achten, dass sie ihre Sinnhaftigkeit nachweisen. Sie werden der nächsten Ebene - ob nach unten oder oben - nachweisen, wie notwendig sie sind. Wir werden für die einfachste Frage fünf Begleitungen haben, die alle sagen: Leute, wir müssen bestehen bleiben.

Das ist das Problem, und nicht die ideologische Grundfrage, ob der eine für mehr Eingemeindungen oder für die Freiwilligkeit ist.

Das alles hat Manfred Püchel in den letzten Jahren auch aufgeworfen. Er wie auch wir wie auch Sie mussten aber anerkennen, dass die Vorgaben, die Annahmen für die nächsten Jahre andere sind, als wir es vor fünf, sechs, sieben Jahren noch gedacht haben. Nur, wenn ich Herrn Rehberger höre, weiß ich, dass der heute noch bei den falschen Annahmen steckt und deswegen auch noch zu falschen Antworten kommt.

(Beifall bei der SPD)

Die vierte Konfliktlinie, die ich aufzeigen will, ist - das wissen Sie selber - die Nähe zur Landtagswahl. Das ist keine qualitative. Nur eines - das habe ich das letzte Mal schon sehr vehement ausgeführt -: Wenn wir es nicht schaffen, dieses Thema politisch schnellstens abzuräumen, sehe ich die große Gefahr - Herr Webel hat das in seiner ihm eigenen Art auch gesagt: Dann denken wir eben darüber nach, das zu verschieben -, dass dieses Thema dann wahrscheinlich völlig untergeht. Das wäre dann eine Situation, die - unabhängig von Ihnen - das Land auf Jahre hinaus vor ganz schwierige Prozesse stellen würde. Denn wir haben jetzt die Diskussionen, die sind im Gange, und wenn diese Diskussionen nicht irgendwie kanalisiert werden, werden sie in ein völliges Durcheinander führen.

Was muss deshalb passieren? Die Konzepte der einzelnen Parteien müssen erkennbar sein. Das gilt für uns genauso wie für die PDS, aber auch für die Regierungsfraktionen. Es kann nicht sein, dass Herr Daehre - wobei man dankbar sagen muss, dass endlich etwa vorliegt - etwas vorlegt, der MP darüber nachdenkt, mit den Kreisstädten etwas anderes zu machen, der Innenminister meist so da sitzt wie: Es geht mich alles nichts an, aber ich habe ja meine Karte, die ich autorisiere, dass es einen Herrn Webel gibt, der sagt: Mal sehen, was noch alles kommt. Die FDP hält sich übrigens vornehm zurück, weil sie sich schon mehrfach beim Rausgucken die Ohren verbrannt hat.

(Heiterkeit und Zustimmung bei der SPD - Oh! bei der FDP)

Die FDP ist ja auch der kleinere Partner.

Das alles muss mal aufhören. Wir haben das getan - das wissen Sie genau, Herr Daehre -, nicht nur in Form von Pressemitteilungen. Wir haben ganz klar fünf, sechs Punkte definiert.

Bezogen auf die Struktur heißt das: Einheitsgemeinden flächendeckend - Sie können auch die Frage selber stellen, Herr Daehre -, fünf Landkreise und eine Regierung, eine kleine und feine Regierung, wobei dann die großen Kreise auch die Zentren auffangen, wobei ich auch dazu sage: Diese Diskussion müssen wir noch offensiv führen. Was dabei herauskommt, wissen wir alle noch nicht. Nur: Diese Konzepte müssen klar sein. Diese Konzepte müssen in Diskussionen eingebracht werden und sie müssen die weiteren Diskussionen, zum Beispiel um die Kreisstadt, mit aufnehmen. Es wird keine Lösung zur Kreisgebietsreform mehr geben ohne dieses Thema, dessen bin ich mir völlig sicher.

Ich sage jetzt etwas in Richtung Kompromiss. Das ist mir sehr wichtig. Die Kompromissfindung, die Findung des politischen Kompromisses - Herr Daehre, Sie haben sie angesprochen - muss in den nächsten Wochen zugespitzt werden und sie muss - das sage ich in klarem Be

wusstsein - in den nächsten Wochen auf den Punkt gebracht werden. Ich habe ein bisschen den Eindruck gehabt, bei den Dingen, die Sie nicht vom Blatt abgelesen haben, dass Ihnen das nicht ganz klar war.

(Unruhe)

- Vielleicht können Sie von der CDU, weil Sie das auch mit betreffen wird - -

Eine Kompromisslösung, die nur darin besteht, das, was Sie vorhaben, absegnen zu lassen, weil man vielleicht Angst hat, das könnte nach einer Wahl wieder aufgemacht werden, wird es nicht geben.

(Herr Gürth, CDU: Ach ja?)

Eine Kompromisslösung, die fachlich nicht passt, die nicht aufnimmt, was wir gesagt haben - also diese nachhaltige demografische Entwicklung, auch die Entwicklung der Finanzen -, wird es mit uns nicht geben. Ich denke, Sie wissen das auch. Wenn Sie auf einem anderen Weg sind, müssen Sie es allein machen, müssen aber auch damit leben, dass dieses Thema bei einer veränderten politischen Mehrheit wieder auf die Tagesordnung kommt.

Im Übrigen sind Sie die letzten, die sich darüber aufregen könnten; denn das war das erste, was Sie zu Beginn dieser Wahlperiode getan haben: ohne Sinn und Verstand alles kaputt zu machen, weil es nicht von Ihnen kam.

(Beifall bei der SPD und bei der PDS)

Es kann aber - das sage ich für die SPD-Fraktion - einen Kompromiss geben. Ich denke, die PDS wird als Oppositionsfraktion genau dieses Diskussion mittragen, weil eine nächste Gebietsreform eine ganz breite Akzeptanz haben sollte. Sie sollte all diese Punkte mitnehmen, die bisher nicht Teil dieses Gesetzes sind.