Protocol of the Session on January 28, 2005

Beratung

Neuausrichtung aktiver Arbeitsmarktpolitik

Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 4/1993

Einbringerin für die SPD-Fraktion ist Frau Ute Fischer. Bitte sehr, Frau Fischer.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist offensichtlich nicht das Thema, das reizt, nach der Mittagspause schnell hierher zu kommen. Aber ich möchte im Zusammenhang mit unserer heutigen Antragstellung die Gelegenheit nutzen, namens der SPDFraktion all denen zu danken, die in den letzten Monaten des vergangenen Jahres für eine fast reibungslose Auszahlung des Arbeitslosengeldes II gesorgt haben: den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Sozial- und Arbeitsämter, Banken und Sparkassen.

(Zustimmung bei der SPD, bei der CDU und bei der FDP)

- Dafür kann man ruhig einmal etwas Beifall geben. - Trotz einer weitreichenden Umstellung der Sozialsysteme funktioniert das Ganze bewundernswert. Sicherlich gibt es Widersprüche, Unstimmigkeiten und fehlerhafte Eingaben, aber das erwartete Chaos ist dank aller Akteure ausgeblieben.

Jetzt kommt es darauf an, die noch bestehenden technischen Mängel zu beseitigen, vor allem aber die Widersprüche und Einwände rasch zu klären. Fehlerhafte Bescheide müssen umgehend zurückgenommen und korrigiert werden.

Die SPD-Fraktion hält es auch für notwendig, dass hierfür Widerspruchs- und Einigungsstellen vor Ort geschaffen werden, um diese Aufgabe schnell und umfassend erledigen zu können.

Der Grund unseres Antrages ist jedoch die Sorge, dass die eigentlichen Spielräume und die überdurchschnittlich gute finanzielle Ausstattung in diesem Jahr für die Eingliederung und Beschäftigung Langzeitarbeitloser nicht ausreichend genutzt werden. Nach Gesprächen mit den Arbeitsagenturen und einigen Eigenbetrieben stellen wir fest: Es gibt nicht viele neue Ideen, es gibt wenig Erfolg versprechende neue Konzepte. Der Schwerpunkt liegt auf Beschäftigungen mit Mehraufwandsentschädigungen, den so genannten Ein-Euro-Jobs, und den Jobs mit der Entgeltvariante.

Das könnte einerseits der Entlastungsaktion der Agentur für Arbeit vom Oktober 2004 und auch der Nachfrage Arbeitswilliger nach entsprechenden Stellen geschuldet sein. Aber die Äußerung des Staatssekretärs Dr. Hase

loff, diese Beschäftigungsverhältnisse auch der Wirtschaft anzubieten, hat große Wellen geschlagen und bundesweit ein eher ablehnendes Echo ausgelöst.

Da wurden teilweise wieder alte Hüte hervorgeholt und die „nutzlose öffentliche Beschäftigungsförderung“ in den neuen Bundesländern kritisiert. Aber genauso gab es eine freudige Begrüßung der Möglichkeit. Bei einzelnen Kammern wurden schon Verleihstrukturen entwickelt. Das Handwerk kritisierte das zu Recht; denn wo bleibt da eine fachgerechte Handwerkerleistung. Wettbewerbsverzerrung, Lohndumping und Entlassung von Stammpersonal wären vorprogrammiert.

Wir haben unseren Standpunkt deutlich gemacht und hoffen, dass das Instrument dieser Beschäftigungsverhältnisse wirklich den Stellenwert bekommt, der im Gesetz - zumindest nach unserer Lesart - vorgesehen ist: als wiederholt anzuwendende und letzte Chance für Arbeitsentwöhnte und Arbeitswillige mit mehreren persönlichen Defiziten, deren Bewältigung Zeit und soziale Begleitung braucht.

Wir möchten mit unserem Antrag die Landesregierung ermuntern, vorhandene Netzwerke und Strukturen zu beteiligen, Kreativität herauszulocken, damit alle Möglichkeiten des Gesetzes zur Bündelung von Programmen, unterschiedlichen Fördermodulen entsprechend den örtlichen Bedingungen in möglichst breiter Auslegung des Gesetzestextes genutzt werden. Es gibt zum Beispiel ein Acht-Punkte-Programm für unter 25-Jährige der Bundesagentur für Arbeit mit guten Beispielen.

Wir geben zu: Die Arbeitsgemeinschaften und auch die Eigenbetriebe bauen noch auf, sichten Akten und qualifizieren ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Trotzdem haben wir bei den Gesprächen festgestellt: Die Eingliederung soll mit alten Instrumenten - Eingliederungszuschuss, Trainingsmaßnahmen, Qualifizierung und kurzzeitige ABM - versucht werden.

Wir brauchen unserer Meinung nach aber neue Ideen. Gerade weil die Arbeitsmarktsituation so schwierig ist und weil die neuen Arbeitsmarktgesetze hohe Aktivierungsquoten, zum Beispiel für Jugendliche, vorsehen, kommen wir mit den alten Mitteln nicht mehr weiter. Gerade deshalb müssen neue, pfiffige Modelle, aufeinander abgestimmte Module entwickelt werden, um zum Beispiel dem Ruf der Wirtschaft nach Fachpersonal Rechnung zu tragen.

Wir meinen, mit der Bündelung entsprechender Maßnahmen müsste es möglich sein, junge Menschen mit abgeschlossener Berufsausbildung, auch von einem überbetrieblichen Träger, jetzt für die Unternehmen fit zu machen und auch andere über praktische Arbeit und Teilmodule zu einem Schulabschluss zu führen.

Diese Konzepte habe ich bisher nicht gesehen. Auch die Wohlfahrtsverbände waren nicht eingebunden in den Abbau von Defiziten und nicht darauf vorbereitet, Lebenshilfen und Einarbeitungszeiten sozialpädagogisch zu begleiten. Gerade aus Sachsen-Anhalt mit den guten Erfahrungen, den erfahrenen Akteuren und den vielen Experten müssten Erfolg versprechende Programme zu erwarten sein. Es sollte verallgemeinerungswürdige Modelle geben.

Eines steht fest: An Geld mangelt es im Jahr 2005 nicht. Wenn das Land noch zusätzlich ESF-Mittel, die vom Bund bereitgestellt werden, weitergeben würde, müsste das mit einem gewissen Qualitätsanspruch geschehen.

Qualität geht vor Quantität. Die Kunst besteht nicht darin, alle einmal bewegt zu haben. Es kommt vielmehr darauf an, Voraussetzungen für die Eingliederung zu schaffen und jungen Menschen Perspektiven zu eröffnen oder auch ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die über 55-Jährigen, sicher zur Rente führen.

Dem Rundbrief der TGL konnten wir Vorschläge für ein Landesprogramm entnehmen. Dieser stammt aber aus dem Dezember. Ich glaube, dass vieles bereits teilweise überholt ist. Ich bin gespannt auf die Ausführungen des Ministers; denn gestern hat auch ein Fachgespräch der TGL stattgefunden.

Dem Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit liegen bereits Anträge, die sich mit der Arbeitsmarktreform auseinander setzen, vor. Auf dieser Grundlage erhalten wir ganz ausführliche Informationen zur Einführung der HartzGesetze. Es wäre schön, wenn wir nun auch diesen Antrag im Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit beraten könnten. Ich bitte daher um die Überweisung des Antrags an den Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit. - Danke schön.

(Zustimmung bei der SPD)

Danke für die Einbringung, Frau Fischer. - Die Landesregierung hat an dieser Stelle um das Wort gebeten. Herr Dr. Rehberger, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das, was in dem Antrag steht, ist von der Sache her absolut plausibel; aber der Antrag hinkt hinter der Entwicklung her.

(Zustimmung von Frau Wybrands, CDU, und von Frau Fischer, Merseburg, CDU)

Denn Anfang Februar, also in den nächsten Tagen, treten das Rahmenprogramm zur Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen auf lokaler Ebene mit Mitteln des Europäischen Sozialfonds und darüber hinaus das Landesprogramm zur Schaffung von zusätzlichen Beschäftigungsmöglichkeiten für am Arbeitsmarkt besonders benachteiligte Zielgruppen in Kraft.

Das heißt, das, was wir an Arbeit leisten sollen, ist bereits geleistet. Ich möchte meiner tüchtigen Mannschaft und insbesondere auch all denen, die bei der TGL und anderswo zugearbeitet haben, herzlich dafür danken, dass wir das Geld, von dem Frau Fischer sprach, auch zügig denjenigen zugute kommen lassen können, für die es gedacht ist.

Das Rahmenprogramm regelt neben der Zielgruppe und dem Zuwendungszweck vor allem die verschiedenen Maßnahmen, die Gegenstand der Förderung sein können, zum Beispiel die Förderung von Arbeitsgelegenheiten mit den verschiedenen Varianten, die es gibt, die Förderung von Beschäftigung schaffenden Infrastrukturmaßnahmen, die Förderung modellhafter Projekte - Frau Fischer, Sie haben das angesprochen - und die Nutzung weiterer Förderprogramme des Landes.

Wir haben unabhängig von dem, was die Agentur für Arbeit an Angeboten hat, eine Reihe von eigenen Programmen: „GAJL plus“, Einstellungshilfen für Jugendliche unter 25 Jahren, Einstellungshilfen zur Schaffung

zusätzlicher Arbeitsplätze. Das alles sind Dinge, die man nutzen sollte, um im Rahmen dessen, was wir können, die Arbeitsmarktentwicklung positiv zu gestalten.

Meine Damen und Herren! Dass wir im Jahr 2004 erstmals seit einer ganzen Reihe vor Jahren per saldo mehr Beschäftigte in Sachsen-Anhalte hatten, zeigt, dass wir offensichtlich auf einem guten Wege sind.

(Zustimmung von Frau Wybrands, CDU, von Frau Fischer, Merseburg, CDU, und von Herrn Kosmehl, FDP)

Meine Damen und Herren! Im Rahmen der beiden von mir zitierten Programme, des Rahmenprogramms für die kommunale Ebene und des Landesprogramms, ist der Betrag geklärt, der an die Arbeitsgemeinschaften bzw. die allein verantwortlichen Kreise zur Kofinanzierung der Bundesmittel fließt. Im Jahr 2005 sind es Mittel in Höhe von rund 20 Millionen € aus unserem ESF-Topf, die nach dem Arbeitsmarktschlüssel auf die Städte und die Landkreise verteilt werden; dafür muss es ja einen fairen Schlüssel geben. Das verkennt auch der Antrag nicht.

Die Frage allerdings, wie die Arbeitsgemeinschaften bzw. die Kreise, die die Dinge ganz allein in die Hand genommen haben, Schwerpunkte setzen, müssen diese selbst entscheiden. Es ist in der Tat sinnvoll, bei den Schwerpunktsetzungen, die man auf der Kreisebene durchführt, die Repräsentanten der Wirtschaft, der Gewerkschaften und auch der Verbände der Freien Wohlfahrtspflege einzubeziehen, weil man nur auf diese Weise richtige Schwerpunktsetzungen im jeweiligen Kreis durchführen kann.

In der Verantwortung des Landes verbleiben im Jahr 2005 ESF-Mittel in Höhe von rund 6 Millionen €, die im Rahmen der Förderung der Lehrlingsausbildung, also des Ausbildungspaktes, sowie für Projekte von landesweitem Interesse benötigt werden, zum Beispiel für die Projekte Gartenträume, Straße der Romanik, Stadtumbau Ost oder Aktiv zur Rente.

Ich werde den Mitgliedern des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit kurzfristig beide Programme zur Verfügung stellen, damit sie sich die Details einmal anschauen können. Selbstverständlich sind wir gern bereit, im Laufe des Jahres auch über die Umsetzung und über die Erfolge oder vielleicht auch Misserfolge, die bei der Umsetzung zu verzeichnen sind, zu berichten.

Frau Fischer, Sie haben das Thema der Ein-Euro-Jobs als Möglichkeit für die gewerbliche Wirtschaft angesprochen. Ich möchte eines klarstellen: Das ist kein Vorschlag meines Staatssekretärs Dr. Haseloff. Er hat lediglich darauf Bezug genommen, dass diese Idee von einem gewissen Teil der gewerblichen Wirtschaft entwickelt worden ist.

Ich sage meinerseits: Wir werden am 16. Februar 2005 im Präsidium des Forums für Wirtschaft und Arbeit mit den Kammern, mit den Wirtschaftsverbänden und mit den Gewerkschaften darüber reden, ob es vertretbar und sinnvoll einscheint, zumindest einen Modellversuch auf diesem Sektor durchzuführen. Ich verschweige nicht, dass ich dem äußerst skeptisch gegenüberstehe.

Nachdem ich in diesen Tagen beim Neujahrsempfang des Landkreises Aschersleben-Staßfurt Professor Sinn vom Ifo-Institut München gehört habe, der der Meinung ist, man sollte das alles für die gewerbliche Wirtschaft öffnen mit dem Ziel, die Löhne generell auf ein niedrige

res Niveau zu führen, bin ich noch vorsichtiger und skeptischer.

(Zuruf von der PDS)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie auch mich zum Schluss den Dank, den Frau Fischer ausgesprochen hat, zum Ausdruck bringen. Eine solche Systemveränderung, wie wir sie jetzt im Rahmen von Hartz IV erlebt haben, ist tiefgreifend. Ich bin sehr dankbar, dass sehr viele dazu beigetragen haben, insbesondere in der Agentur für Arbeit, aber auch auf der kommunalen Ebene, dass das relativ problemlos geschafft worden ist. Dafür gilt ihnen auch namens der Landesregierung einen herzliches Wort des Dankes.

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU)

Danke, Herr Minister. - Für die CDU-Fraktion wird die Abgeordnete Frau Marion Fischer sprechen.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Zahl der Arbeitslosen steigt. Die 5-Millionen-Marke rückt, wie heute der Presse zu entnehmen war, in bedrohliche Nähe. Vor einem solchen Hintergrund wäre es fatal, wenn wir erst jetzt unsere Landesregierung auffordern wollten zu reagieren. Der Herr Minister hat heute noch einmal deutlich gemacht, dass sie sich in der Pflicht fühlt und dass sie sich der Bedeutung des Instruments der öffentlich geförderten Beschäftigung sehr wohl bewusst ist.

Genauso begrenzt wie der Einfluss, den eine Landesregierung auf die Politik der Bundesregierung nehmen kann, ist auch der Einfluss der Landesregierung auf die Arbeitsgemeinschaften und die optierenden Kommunen bei der Umsetzung der Hartz-Instrumente.

Beim Lesen des Antrags der Fraktion der SPD hat mich die Überschrift zunächst etwas irritiert. Ich habe mir überlegt, dass es ein bisschen spät wäre, erst im dritten Jahr der Regierung diese Neuausrichtung der Arbeitsmarktpolitik zu fordern. Der CDU-Fraktion scheint dieser Antrag deshalb auch überflüssig zu sein. Denn bereits im Herbst 2002 hat die Landesregierung ihre Vorstellungen zu einer modernen und aktiven Arbeitsmarktpolitik genannt.

Das Hauptaugenmerk liegt dabei nach wie vor - wenn ich das noch einmal sagen darf - auf der Stärkung und Weiterentwicklung des ersten Arbeitsmarktes und auf der dafür notwendigen bedarfsgerechten Qualifizierung und Weiterbildung; denn jeder von uns weiß, dass gering Qualifizierte ein deutlich überdurchschnittliches Arbeitslosigkeitsrisiko tragen. Deshalb müssen insbesondere junge Leute für den Arbeitsmarkt fit gemacht werden.

Ich meine, dass aufgrund der gesetzlichen Neugestaltung der Grundsicherung für Arbeitssuchende sicherlich Maßnahmen anzupassen sind. Ich bin aber absolut nicht der Ansicht, dass es einer kompletten Neustrukturierung der Arbeitsmarktpolitik bedarf.