Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie die Justiz der DDR zu Recht dafür kritisiert wurde, dass sie noch keine Verwaltungsgerichtsbarkeit besaß, an deren Errichtung gerade gearbeitet wurde. Nun wollen genau jene Kritiker diese Gerichtsbarkeit durch Zusammenlegung quasi wieder abschaffen. Das ist für mich nicht nachvollziehbar.
Eine Verkürzung der Rechtswege von bisher drei auf nur zwei Instanzen halten wir nicht für geboten, da wir befürchten, dass es damit zu Rechtsschutzbeschneidungen kommt. Insbesondere muss kritisiert werden, dass das Berufungsgericht Rechtsmittel durch Beschluss oh
ne mündliche Verhandlung zurückweisen darf und dass das Berufungsgericht nahezu vollständig an die Tatsachenfeststellung der ersten Instanz gebunden ist.
Wenn Tatsachen nur noch in der Eingangsinstanz vorgebracht, erörtert und festgestellt werden dürfen, muss sich die Gesellschaft fragen lassen, wie viel Rechtsschutz sie sich leisten will. Das würde auch dazu führen, dass die Amtsgerichte mit langwierigen Verfahren belastet werden, da versucht werden wird, alle notwendigen - das ist selbstverständlich -, aber auch alle unnötigen Argumente vorzubringen.
Wir würden die Dreistufigkeit befürworten, die sich zusammensetzt aus dem Eingansgericht für alle Klagen und Anträge, dem Berufungsgericht und dem Revisionsgericht, das ausschließlich der Vereinheitlichung der Rechtsprechung dient.
Nach wie vor halten die Verfechter der Reform wider besseres Wissen an einer Kostenneutralität fest. Ohne personelle, materielle und finanzielle Unterstützung der Justiz werden aber die Ziele, insbesondere die Stärkung der Eingangsinstanz, nicht zu erreichen sein.
Zu den Veränderungen im Strafrecht: Wir stimmen Ihnen zu, Herr Minister, dass im Strafrecht auf eine weitere uneingeschränkte Tatsacheninstanz nicht verzichtet werden darf. Dabei ist der von Ihnen vorgeschlagene Weg, ein Wahl-Rechtsmittel einzuführen, überdenkenswert, auch im Hinblick auf die von Ihnen angesprochene Ungleichbehandlung von Strafverfahren, die vor dem Amtsgericht verhandelt werden können, und denen, die aufgrund der Schwere gleich beim Landgericht anhängig gemacht werden müssen.
Ebenso unterstützen wir Sie bei der Forderung, die Einheitsfreiheitsstrafe im Erwachsenenstrafrecht einzuführen.
Eine weitere Möglichkeit, die Zivilgerichte zu entlasten, wäre die Ausweitung der Anwendung des Adhäsionsverfahrens im Strafverfahren. Das Adhäsionsverfahren bietet dem Verletzten einer Straftat die Möglichkeit, gegen den Straftäter bereits im Strafverfahren vermögensrechtliche Ansprüche wie Schmerzensgeld oder Schadenersatz geltend zu machen.
Diese Möglichkeit besteht zwar bereits in der Strafprozessordnung, sie wird jedoch kaum angewendet und sollte aus unserer Sicht erweitert werden. Neben der Tatsache, dass dem Opfer damit ein nachträglicher Gang vor ein Zivilgericht erspart wird, würde dieser Weg auch sein Rechtsempfinden deutlich positiv beeinflussen.
Ein weiteres Problem, das aus unserer Sicht nur halbherzig aufgegriffen wurde, ist die Frage der Behandlung von Bagatelldelikten. So soll die Rechtsbeschwerde zu dem Oberlandesgericht in Ordnungswidrigkeitsverfahren bis zu einer bestimmten Höhe der Geldbuße abgeschafft werden. Dies ist sicherlich zu befürworten. Allerdings fehlt das generelle Aufgreifen des Problems von Bagatelldelikten.
Durch das Massenphänomen der Bagatelldelikte werden die Gerichte, die Staatsanwaltschaften und die Polizei extremen Belastungen ausgesetzt. Sie sind alle dermaßen überlastet, dass die Bearbeitung der mittleren und schweren Kriminalität immer stärker behindert wird.
Aus unserer Sicht sollte ernsthaft über Möglichkeiten nachgedacht werden, wie hier Abhilfe geschaffen werden kann, zum Beispiel auch durch die Unterteilung in Verfehlungen und in Vergehen.
Meine Damen und Herren! Ich möchte nun zur Qualitätssicherung kommen. Einer erhöhten Führungsverantwortung für Richter und Staatsanwälte und einer Fortbildungsverpflichtung analog der Rechtsanwaltschaft steht nichts entgegen. Allerdings bitte ich zu bedenken, dass überlastete Richter und Staatsanwälte keine weitere Führungsverantwortung übernehmen können.
Ich komme nun zu der Frage, ob und wie Aufgaben, die der ordentlichen Gerichtsbarkeit zugewiesen wurden, ausgelagert und auf andere Stellen übertragen werden können. Sie werden sicherlich verstehen, dass angesichts eines solchen Vorhabens bei uns alle Alarmglocken schrillen.
Dabei ist unser großes Problem nicht die Überlegung, den Notaren Aufgaben aus den Bereichen des Register-, des Grundbuch-, des Nachlass- und des Familienrechts, zum Beispiel bei der Vorbereitung von einvernehmlichen Scheidungen, zu übertragen, wenn die noch vorhandenen verfassungsrechtlichen Bedenken durch die Ausgestaltung des konkreten Verfahrens beseitigt werden können.
Sie widerspräche dem Funktionsvorbehalt des Artikels 33 Abs. 4 des Grundgesetzes, wonach die Ausübung hoheitlicher Befugnisse Angehörigen des öffentlichen Dienstes übertragen werden soll, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis stehen.
Gerichtsvollzieher sind mit hohen Eingriffsermächtigungen in grundgesetzlich verbriefte Rechte der Bürger ausgestattet, die nur auf der Grundlage eines staatlichen Gewaltmonopols ausgeübt werden dürfen. Die Vollstreckung gerichtlicher Titel muss im Interesse sowohl der Gläubiger als auch der Schuldner in staatlicher Hoheit bleiben und darf nicht den Privatinteressen von Unternehmern untergeordnet werden.
Zustimmen können wir der weichen Konfliktlösung - so haben Sie, Herr Minister, es genannt -, die auch aus unserer Sicht zu einer Entlastung der Gerichte und zu einer größeren Akzeptanz bei den Parteien führen wird.
Sicherlich werden Sie uns im Rechtsausschuss über die ersten Ergebnisse Ihres Projektes berichten. Wir sind auf jeden Fall gespannt, wie dieses Vorhaben von den Parteien und von den Rechtsanwälten angenommen wird.
Meine Damen und Herren! Selbstverständlich werden wir uns der Diskussion über all die aufgeworfenen Reformvorhaben trotz vieler Vorbehalte nicht verschließen. Eine Justizreform, die ihren Namen verdienen will, muss als ein komplexes rechtspolitisches, finanzielles, organisatorisches und personelles Vorhaben verstanden und realisiert werden. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt erscheint es uns jedoch zu sehr von fiskalischen Gesichtspunkten geprägt und geleitet zu werden. Aber gerade das darf bei der Rechtspolitik nicht der Gradmesser bzw. die Motivation sein. - Ich danke Ihnen.
Vielen Dank, Frau Tiedge. - Für die CDU-Fraktion erteile ich nun dem Abgeordneten Herrn Stahlknecht das Wort. Bitte sehr, Herr Stahlknecht.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die ersten Jahre des 21. Jahrhunderts sind geprägt von öffentlichen Diskussionen über die Entlastung des Staates, Deregulierung, Privatisierung oder zumindest Reregulierung. Kurzum, der Staat Bundesrepublik Deutschland steht in seiner Gesamtheit auf dem Prüfstand. Geprüft wird, ob er sowohl den Anforderungen, die sich aus dem Zusammenwachsen beider deutscher Staaten, der Einbettung und der Einbeziehung in ein gemeinsames Europa und der fortschreitenden Globalisierung ergeben, als auch der Erfüllung der Ergebniserwartung der Bürgerinnen und Bürger gerecht wird.
Der richtungsweisenden Diskussion darüber, ob der Staat und die Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland für die Zukunft gewappnet sind, kann sich auch der Justizbereich nicht entziehen. Eine aktuelle und gute Justizpolitik, der wir uns in der heutigen Debatte widmen, muss feststellen, ob und wie sich Staat und Gesellschaft verändert haben oder in absehbarer Zeit verändern werden. Die Justiz und alle ihr angehörenden Organe der Rechtspflege müssen auf den konkreten Zustand von Staat und Gesellschaft abgestimmt sein.
Meine Damen und Herren! Die Rechtslage wird zunehmend komplizierter. Das Zusammenwirken immer wieder neu hinzukommender Gesetze untereinander und im Verhältnis zu den bestehen bleibenden Vorschriften lässt sich nur mit einem deutlich höheren Aufwand als noch vor 20 Jahren überblicken.
Es sind mittlerweile auch nicht immer nur deutsche Rechtsvorschriften, die Beachtung verlangen, sondern in rasant fortschreitendem Maße auch europäische Normen, die einschlägig sind. Manchmal fügen sie sich nicht bruchlos in das Geflecht deutscher Rechtsbeziehungen ein. Der europäische wie der deutsche Gesetzgeber neigen ferner, allen Bekundungen zu der Notwendigkeit einer Entbürokratisierung zum Trotz, zu einem Perfektionismus, der sich in einer kaum Flexibilität zulassenden Regelungsdichte mit Vorschriften für zahlreiche Einzelfälle, Ausnahmen und Gegenausnahmen niederschlägt.
Meine Damen und Herren! Trotz und auch gerade wegen aller Reformdiskussionen muss - das will ich herausstellen - die richterliche Unabhängigkeit als eine große Errungenschaft unseres modernen Verfassungsstaates hervorgehoben werden. Dies war in den letzten Jahrhunderten nicht die Regel. Die große Errungenschaft, die darin besteht, dass die Justiz nicht mehr der Umsetzung des Willens der Herrschenden oder der staatlichen Willkür unter dem Gewand der Justitia dient, wird im Rahmen der zunehmenden Kritik an der dritten Gewalt leider allzu oft vergessen. Die richterliche Unabhängigkeit ist ein hart umkämpftes Recht der Richterschaft, aber auch der Allgemeinheit gewesen.
In der Zeit des Absolutismus und der späteren totalitären Systeme des Dritten Reiches und auch der DDR versuchten Herrschende, ihren Einfluss auf die Judikative dadurch zu sichern, dass sie Richter persönlich von sich abhängig machten, indem sie sich, sei es direkt oder indirekt, Möglichkeiten sicherten, in den beruflichen Werdegang und somit auch in die Stellung der Richter ein
zugreifen. Die Beispiele des Dritten Reiches und der DDR zeigen, dass dies letztlich dazu diente, das Prinzip der Gewaltenteilung auszuschalten bzw. zu umgehen und somit alle staatstragenden Gewalten in einer Person oder in einer bestimmten Gruppe bzw. Partei zu vereinen.
Ebenso - ich denke dabei an den heutigen Nachmittag, der einem dunklen Kapitel unserer deutschen Geschichte gewidmet ist - hat die Geschichte gezeigt, dass eine absolute und unkontrollierbare Unabhängigkeit der Richterschaft verheerende Folgen haben kann. In diesem Zusammenhang sei nur auf die unrühmliche Stellung der Richterschaft am Ende der Weimarer Republik hingewiesen.
Meine Damen und Herren! Die Modernisierung der Justiz muss einerseits die richterliche Unabhängigkeit unangetastet lassen, andererseits aber verhindern, dass die richterliche Unabhängigkeit von einigen Juristinnen und Juristen, Richterinnen und Richtern als Argument für eine Reformbremsung missbraucht wird.
Dies zugrunde gelegt, darf eine Reform der Justiz grundsätzlich alles Althergebrachte hinterfragen und auf den Prüfstand bringen, bis eben an die Grenzen dieses Kernbereiches der richterlichen Unabhängigkeit. Eine Modernisierungspolitik darf auch nicht vergessen, dass in einem modernen Verfassungsstaat Wahrheits- und Gerechtigkeitsfindung nur und ausschließlich auf der Grundlage von Gesetzen stattfinden darf. Gleichwohl muss verhindert werden, dass die Justiz durch die Zunahme von Gesetzen oder die Verkomplizierung von Prozessabläufen durch Gesetze gelähmt wird. Dann verkehrt sich der Verfassungsgrundsatz des Gesetzesvorbehalts in sein Gegenteil.
Auch gehört zu einer Modernisierung der Justiz, so denke ich, ein gesellschaftliches Umdenken. Rechtsfindung, meine Damen und Herren, ist nicht gleichzusetzen mit einem allgemeinen Gerechtigkeitsgefühl aller billig und gerecht denkenden Bürgerinnen und Bürger. Diese Methode der Rechtsfindung wurde im NS-System unter der Bezeichnung „gesundes Volksempfinden“ missbraucht.
Allen Reformvorhaben, denen ich mich zuwenden werde, werde ich wechselseitig den Spiegel der richterlichen Unabhängigkeit, den Spiegel des Gesetzesvorbehalts und auch den Spiegel des gesellschaftlichen Umdenkens vorhalten.
Meine Damen und Herren! Der Blick in die Geschichte der Justiz hat deutlich gemacht, welch hohes Gut die Unabhängigkeit der Justiz und ihrer Richter in unserem rechtsstaatlich verfassten Gemeinwesen darstellt. Damit ist die äußerste Demarkationslinie einer jeden Justizreform bestimmt, indem sich für die Justiz - eben anders als bei der Sanierung privater Wirtschaftsorganisationen - ausschließlich ökonomisch orientierte Reorganisationsmaßnahmen verbieten.
Meine Damen und Herren! Die dargestellten schwieriger gewordenen Aufgaben, die veränderte Erwartungshaltung der Bürger und auch einen Wertewandel kann die Justiz mit dem reduzierten Personal nicht in althergebrachter Weise bewältigen. Die bereits erfolgten und im Ansatz guten Rationalisierungs- und Verbesserungsmaßnahmen in der Justiz halten sich selbst bei einer Ausstattung nach dem jeweiligen Stand der Technik in Grenzen. Denn es ist zwar möglich, einen schnelleren
Zugang zu Informationen zu erhalten, die Fähigkeit, diese zur Kenntnis zu nehmen und ihre jeweilige Bedeutung für den konkreten Fall zu erkennen, lässt sich hingegen, weil dort Menschen arbeiten, nicht großartig steigern. Die Bewältigung dieser Aufgaben stellt aber bei den Gerichten und Staatsanwaltschaften den Hauptteil der Arbeit dar.
Meine Damen und Herren! Die bisherige, durchaus anerkennenswerte Entwicklung der Justiz kann jedoch angesichts der erkennbaren Herausforderungen, vor denen die Justiz steht, erst als ein erster Schritt begriffen werden. Sie reicht bei weitem nicht aus, um mit der rasanten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung Schritt zu halten. Denn der gegenwärtige Zustand der Justiz ist durch eine in vielen Gerichtszweigen festzustellende überlange Verfahrensdauer, einen aufgeblähten Apparat, Überregulierung und eine sehr starke Ausdifferenzierung in verschiedenen Gerichtsbarkeiten geprägt.
Die Organisation, die Führung, die Verfahrensabläufe, also das Management der einzelnen Justizeinheiten zeichnet sich, gemessen an modernen Unternehmen der freien Wirtschaft, durch eine zuweilen anachronistisch wirkende Innovationsarmut aus. Zwar lassen sich zweifelsohne nicht alle Managementinstrumente der privaten Wirtschaft ohne weiteres auf Justizbehörden übertragen, deren Aufgabe und Funktion sich fundamental von denen privater Wirtschaftsunternehmen unterscheidet; gleichwohl lässt sich nicht leugnen, dass sich auch die traditionelle Justiz stärker für Instrumente der professionellen Unternehmensführung und Organisation öffnen muss.
Meine Damen und Herren! Was ist aber das tragende Motiv, das uns heute zu einem effektiveren Handeln für die Justiz herausfordert? - Aus meiner Sicht ist es der verfassungsrechtlich verankerte Justizgewährleistungsanspruch, der als Ausfluss des staatlichen Gewaltmonopols als Korrektiv gesellschaftlicher Fehlentwicklungen wirkt, den es für die Zukunft zu sichern gilt. Die Justiz benötigt eine Veränderung, um den ihr verfassungsrechtlich übertragenen Justizgewährleistungsanspruch, der, jedenfalls in vielen Fällen, aufgrund einer überlangen Verfahrensdauer gefährdet ist, auch zukünftig erfüllen zu können.
Schafft sie es nicht, stellt sie nicht nur sich selbst infrage, sondern gefährdet auch unseren Rechtsstaat im Ganzen.
Meine Damen und Herren! Eine nach all dem notwendige Reform der Justiz an Kopf und Gliedern setzt zum einen präzise, aber auch ehrgeizige, zum Teil vielleicht auch visionäre Zielvorgaben voraus. Denn nur dem, der den Mut zu einem großen Ansatz hat und dabei auch bereit ist, vermeintliche Denkverbote zur Seite zu schieben, kann ein großer Wurf gelingen. Alles andere - um in dem an einer Stelle von dem Justizminister verwendeten Bild zu bleiben - stellte nur eine kosmetische Behandlung der Dame Justitia dar.
Bei der Ermittlung der Herangehensweise an eine solche fundamentale Justizreform sollte den daran Beteiligten aber auch klar sein, dass sich die genannten Probleme in der Justiz nicht durch eine Aufstockung der finanziellen Mittel für diesen Geschäftsbereich werden lösen lassen. Vielmehr ist angesichts der allgemeinen Finanzlage des Bundes und des Landes davon auszu
gehen, dass dieser Geschäftsbereich auch in den kommenden Jahren einen Beitrag zur allgemeinen Haushaltskonsolidierung wird leisten müssen. Deshalb kann es uns bei realistischer Sicht nur darum gehen, die vorhandenen Ressourcen effizienter zu organisieren und einzusetzen. Unsere Aufgabe muss sich daher auf eine optimale Allokation vorhandener personeller und sachlicher Ressourcen beschränken.