Protocol of the Session on July 18, 2002

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Antrag der PDS war in der ursprünglichen Form von uns abzulehnen, da die SPD-Fraktion durchaus die Notwendigkeit einer Reform sieht. Wir haben deshalb durch unseren Änderungsantrag in den ersten Satz eingefügt: unbeschadet einer notwendigen Reform von Arbeitslosen- und Sozialhilfe. Anderenfalls sieht der Antrag so aus, als solle es nie eine Reform geben. Nach der Einbringung wissen wir jetzt sehr wohl, dass es lediglich um die Reform nach SGB III ging. Ich hoffe, dass auch die Antragsteller das so sehen.

In den vorangegangenen Diskussionen von diesem Podium aus hat sich die SPD immer gegen ein einfaches Zusammenlegen von Arbeitslosen- und Sozialhilfe auf der Basis des SGB III positioniert. Daran wollen wir auch heute nichts ändern. Ein Zusammenlegen auf dieser Basis wäre für die meisten Arbeitslosenhilfeempfänger und Arbeitslosenhilfeempfängerinnen ein katastrophaler und empfindlicher Einkommensverlust, da unter der Berechnungsgrundlage des SGB III einfach keine Leistungen mehr gezahlt würden. Die Senkung des Lebensstandards mit allen Folgen für Kaufkraft und Umsatz können wir gemeinsam eigentlich nicht wollen. Ich gehe daher von einer fraktionsübergreifenden Zustimmung zu unserem Änderungsantrag aus.

Die psychologischen Folgen für die Betroffenen, alle Ersparnisse aufgebraucht zu haben, regelmäßig Konten und Einkünfte offen legen zu müssen, sowie die finanziell derzeit nicht tragbaren Belastungen für die Kommunen sind zwei weitere Gründe für diesen Antrag. Frau Bull hat das alles ausführlich dargelegt.

Trotzdem sehen wir sehr wohl die Notwendigkeit einer Reform, aber mehr unter dem Aspekt, dass die beiden steuerfinanzierten Systeme unterschiedlich gehandhabt werden, verwaltet werden, bearbeitet werden und als Leistungen des Staates an unterschiedlichen Stellen ausgezahlt werden. Vielen Arbeitslosenhilfeempfängern bleibt auch heute schon der zusätzliche Gang zum Sozialamt nicht erspart.

Bei jeder Diskussion zum SGB III und auch zum JobAqtiv-Gesetz hat unsere Fraktion für ein stärkeres Engagement der Bundesanstalt für Arbeit für die arbeitsfähigen, das heißt auch für die Arbeit suchenden Sozialhilfeempfänger und Sozialhilfeempfängerinnen geworben. Das bisherige Argument der Bundesanstalt: „Leistungen kann nur beanspruchen, wer Geldleistungen bezieht“, ist zwar nachvollziehbar, aber ein ungerechtes und für Sozialhilfeempfänger und Sozialhilfeempfängerinnen menschenverachtendes Argument. Mit welchem

Recht wird einem Sozialhilfeempfänger, einer Sozialhilfeempfängerin Fortbildung oder Hilfe bei der Eingliederung in den ersten Arbeitsmarkt versagt, wenn er oder sie zum Beispiel ein Studium beendet hat oder sonstige Gründe dafür vorliegen, dass er oder sie nicht entsprechend den geforderten Wartezeiten in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt hat?

In Sachsen-Anhalt leben fast 55 000 Arbeit suchende Sozialhilfeempfänger und Sozialhilfeempfängerinnen. Sie müssen gleiche Chancen haben, über das Arbeitsamt Hilfen bei der Jobsuche zu erhalten. Wir hoffen, dass das durch Reformen auch gelingt. Speziell bei jungen Menschen sollten wir die Erfahrung des Sozialamtes vermeiden helfen.

Als die SPD-Landesregierung schon 2001 den Sozialämtern der Kreise ESF-Mittel zur Verfügung gestellt hat, damit für Arbeit suchende Sozialhilfeempfänger und Sozialhilfeempfängerinnen Beschäftigung mit Einjahresverträgen organisiert werden kann, wurde das Projekt als Verschiebebahnhof vom Sozialamt zum Arbeitsamt kritisiert. Sozialhilfeempfänger haben bisher aber nur solche Chancen.

Wenn heute von einer Reform gesprochen wird, verstehe ich zur dieser Zeit und unter Betrachtung der Modellprojekte „MoZart“ und Job-Center Köln darunter verschiedene Hilfen aus verschiedenen Systemen, aus einer Hand ausgereicht mit beschäftigungsförderndem Ziel. Da sind gute Erfolge erzielt worden.

Wir wissen: In Sachsen-Anhalt fehlen Arbeitsplätze - wie in allen anderen neuen Bundesländern auch. Aufgabe der Hartz-Kommission aber ist es, Vorgaben zu erarbeiten, Vermittlungen zu verbessern, Bürokratie abzubauen, die Zusammenarbeit mit Unternehmen zu verbessern, mit Arbeitsuchenden zielgerichteter zusammenzuarbeiten, das heißt passgenau zu vermitteln, wo Arbeitskräfte gesucht werden. Alles sollte und wird offensichtlich diskutiert, sorgt in der Presse für Aufregung und wird schließlich wieder zurückgenommen.

Bei all meinem Optimismus und Vertrauen in die Kommission: Arbeitsplätze kann sie nicht schaffen. Das ist auch nicht ihre Aufgabe.

Es darf bei der Zusammenführung der Systeme nicht vorrangig darum gehen, Geld zu sparen bzw. die Kommunen zahlen zu lassen, sondern wir erwarten ein effizientes System, das in der Lage ist, bessere und wirkungsvollere Angebote zu unterbreiten, um den Menschen die Möglichkeit zu geben, unabhängig von Hilfeleistungen zu leben. Wie Sie sich die Zusammenlegung der Systeme vorstellen, ist mir leider aus Ihrem Diskussionsbeitrag eben nicht so deutlich geworden.

Die Veränderung beider Systeme verlangt ausgiebige Beratungen ohne Zeitdruck unter Einbeziehung des Parlaments - eine Aufgabe für die nächste Legislaturperiode einer SPD-Bundesregierung. - Danke schön.

(Beifall bei der SPD)

Frau Fischer, möchten Sie eine Frage der Abgeordneten Frau Sitte beantworten? - Bitte, Frau Sitte.

Ich habe eine Frage, die sich aus der Begründung ergibt. Darin steht unter anderem: Bei der Mehrzahl der Betroffenen würde die Absenkung des Leistungsniveaus

und die Anwendung der Berechnungsgrundlagen gemäß BSHG zu massiven Kürzungen ihrer Einkommen führen.

Als die SPD ihr Bundeswahlprogramm verabschiedet hat, haben Andrea Nahles und andere aus Ihrem politischen Kreis vor allem dafür gesorgt, dass im SPDBundeswahlprogramm steht, dass es nicht darum geht, eine Absenkung auf das Sozialhilfeniveau zu erzielen. Nun ist der Antrag so gefasst, dass er unterschiedlich interpretierbar ist, weil Sie nur von notwendigen Reformen sprechen. Dazu gehört noch mehr als die Frage, ob abgesenkt wird. Habe ich das so zu verstehen? Das ist mir bei Ihren Ausführungen nicht ganz klar geworden.

Doch. Ich denke, es darf auf keinen Fall eine Absenkung auf Sozialhilfeniveau geben. Wir reden heute schon von einer Grundsicherung anstatt Sozialhilfe. Man muss für die, die Arbeit suchen, andere Möglichkeiten schaffen. Ich hoffe, dass beide Systeme so zusammengeführt werden, dass man die Berechnungsgrundlagen durchaus zusammenführt und es ein höheres Niveau gibt für all diejenigen, die Arbeit suchen und vermittelt werden sollten.

Vielen Dank. - Für die FDP-Fraktion spricht die Abgeordnete Frau Röder.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Angesichts der fortgeschrittenen Stunde werde ich mich kurz fassen. Ich empfehle Ihnen, sowohl den Antrag der SPD-Fraktion als auch den Antrag der PDS-Fraktion abzulehnen. Nach beiden Anträgen soll die Landesregierung beauftragt werden, sich auf Bundesebene und im Bundesrat gegen die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe nach SGB III einzusetzen.

Die Diskussion über eine Reform der Sozialsysteme gibt es schon seit langem. Es gibt zwei Systeme nebeneinander. Das ist Ihnen alles bekannt. Beides wird aus Steuern finanziert und beides wird nach Bedürftigkeit verteilt. Beide Systeme arbeiten unterschiedlich.

(Frau Bull, PDS: Aber doch nicht nach Bedürftig- keit!)

- Die Gewährung von Arbeitslosenhilfe richtet sich auch nach der Bedürftigkeit. Frau Bull, Sie haben vorhin gesagt, wir wollen Menschen in gleichen Problemlagen gleich behandeln. Dazu sage ich Ihnen: Ja, das wollen wir. Wir wollen Menschen in gleichen Problemlagen gleich behandeln;

(Frau Bull, PDS: Schlecht!)

denn das ist eine Frage der Gerechtigkeit. Das sollte Ihnen eigentlich bekannt sein.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Diese Notwendigkeit wird inzwischen auch von fast allen Parteien erkannt. Auch Bundeskanzler Schröder hat vor einiger Zeit in der Presse verlautbaren lassen, dass im Fall eines Wahlsieges der SPD bei der Bundestagswahl die Arbeitslosenhilfe mit der Sozialhilfe zusammengeführt werden könnte. Dass sich die SPD-Fraktion im Bundestag das vorstellen kann, habe ich zumindest der Presse so entnommen. Daher verwundert mich der Änderungsantrag der SPD-Fraktion ein wenig.

Frau Bull, Sie haben in der Begründung Ihres Antrags gesagt - - In der schriftlichen Begründung ist das nicht ganz so deutlich geworden. In der schriftlichen Begründung Ihres Antrages stand, dass jemand, der Sozialhilfe erhält, keinen Anspruch auf arbeitsmarktpolitische Hilfen hätte. Ich habe mich einmal mit dem Arbeitsamt in Verbindung gesetzt. Das Arbeitsamt sieht das anders.

Die Maßnahmen nach dem SGB III hängen zum großen Teil davon ab, ob man Arbeit suchend ist. Es spielt nur in wenigen Fällen eine Rolle, ob man Arbeitslosenhilfe oder Sozialhilfe erhält. Das große Ziel einer Reform der Sozialsysteme ist und bleibt, die Menschen wieder in Arbeit zu bringen. Diese Hilfen wird es weiterhin geben, egal ob diese Menschen Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe oder was auch immer beziehen.

Das Land Sachsen-Anhalt hat schon einen kleinen Schritt in diese Richtung getan. Das Bundesland Hessen hat Ende Mai 2002 im Bundesrat den Antrag eingebracht, ein Offensivgesetz zu verabschieden. Nach diesem Offensivgesetz soll den Ländern über eine Experimentierklausel die Möglichkeit gegeben werden, Modellversuche durchzuführen, nach denen man zum Beispiel solche Hilfen zum Lebensunterhalt zusammenlegen könnte.

Das Land Sachsen-Anhalt hat diesem Gesetzentwurf des Landes Hessen zugestimmt. Das ist richtig so; denn wir müssen einfach einmal sehen, dass wir verschiedene und auch neue Wege gehen können. Ich halte es für falsch, sich von vornherein einen Weg abzuschneiden. Daher fordere ich Sie auf, beide Anträge abzulehnen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Zustim- mung von Minister Herrn Dr. Rehberger)

Danke, Frau Röder. - Jetzt hat noch einmal Frau Bull die Möglichkeit, das Wort zu ergreifen, wenn sie es wünscht. Bitte schön, Sie haben jetzt das Wort.

Eine kurze Vorbemerkung, Frau Liebrecht. Zum Alleinstellungsmerkmal der PDS zu diesem Problem möchte ich sagen: Es gibt in dieser Gesellschaft natürlich nicht nur die im Bundestag vertretenen Parteien, die sich eine politische Meinungsbildung erlauben können.

(Oh! bei der CDU)

Wenn Sie sich einmal die Beschlussempfehlung zu dem Antrag im Bundestag anschauen, dann stellen Sie fest, dass es dort eine Vielzahl nicht nur von Gewerkschaften, sondern auch von Verbänden, Vereinen und dergleichen gibt, die sich im Gegensatz zu Ihnen gegen die Überführung in die Sozialhilfe aussprechen und die stattdessen eine Grundsicherung in der Arbeitslosenhilfe einfordern.

Sie sprechen die ganze Zeit - darin gehe ich mit Ihnen konform - von einer Reform der Sozialhilfe. Keine Frage. Die Frage, wie wir Kinder in der Sozialhilfe betrachten - über die Frage der Anrechnung des Kindergeldes haben wir schon mehrmals diskutiert -, ist nicht das Problem, das mit dem Antrag verfolgt wird.

Hierbei geht es um eine andere Gruppe Betroffener, nämlich um diejenigen, die im Moment nicht Sozialhilfeempfängerinnen oder -empfänger sind. Es geht um

diejenigen, die im Moment Bezieher von Arbeitslosenhilfe sind und deren Einkommen mitunter signifikant über denen der Sozialhilfeempfänger liegen. Um diese Personengruppe geht es.

Wenn Sie ehrlich sind, dann geben Sie zu, es heißt in Ihrem Antrag, wie ich den Debatten im Bundestag entnommen habe, Sie wollen genau diesen Menschen - das ist auch die Wahrheit - Einkommen bis zur Höhe von 400 € streichen, und zwar mit der Begründung, diese Menschen könnten doch arbeiten gehen.

(Frau Liebrecht, CDU, schüttelt den Kopf)

Das mag in Bezug auf die westlichen Bundesländer - da bin ich nicht so firm - möglicherweise stimmen. Professor Dr. Böhmer hat aber in seiner Stellungnahme gegen die Vorschläge der Hartz-Kommission genau diese Argumentation aufgegriffen und hat gesagt, das nützt uns im Osten nichts, weil das hier nicht vorhanden ist, was benötigt wird, um diesen Menschen eine Alternative bieten zu können, meinethalben auch eine Arbeit im Niedriglohnsektor.

(Beifall bei der PDS)

Also bleibt von Ihrem politischen Vorhaben nichts weiter, als dass Sie bei einer Überführung der Arbeitslosenhilfe in die Sozialhilfe Empfängerinnen und Empfängern von Arbeitslosenhilfe schlicht und ergreifend Einkommen streichen.

(Frau Liebrecht, CDU: Das stimmt nicht!)

Frau Kollegin von der FDP-Fraktion, natürlich haben wir auch Sozialhilfeempfängerinnen in Maßnahmen nach dem SGB III. Das ist aber die Ausnahme. Deswegen haben wir ja zwei unterschiedliche Systeme. Was beide Gruppen Betroffener eint, ist lediglich das Problem der Arbeitslosigkeit.

Die sozialen Standards sind sehr verschieden. Sie können sich gern einmal mit Vertretern der kommunalen Spitzenverbände darüber unterhalten. Selbst dort gibt es ja die Diskussion bis jetzt. Der Landkreistag sagt, bei Erhöhung des Anteils an der Einkommensteuer um neun Prozentpunkte sind wir dafür. Das hat ein Weilchen gedauert.

Wenn Sie sich einmal die Argumentation und die Meinungsbildung des Landkreistages und jetzt auch des Städte- und Gemeindebundes anschauen, dann stellen Sie fest, das ist sehr wohl ein sehr differenzierter Meinungsbildungsprozess gewesen. Das möchte ich einmal so sagen.

(Zuruf von Frau Liebrecht, CDU)

Die kommunalen Spitzenverbände stehen einfach vor der Entscheidung, mitzumachen, zu verweigern oder zu gestalten. Sie haben sich eben für die Gestaltung entschieden. So einfach, wie Sie sich das hier machen, indem Sie sagen, nur noch die PDS ist dagegen, ist es nicht zu haben.