Bereits die ursprüngliche Überschrift des Gesetzes „Gesetz zur Wiederherstellung der kommunalen Selbstver
waltung“ - hierbei müsste eigentlich der Justizminister aufgepasst haben - war dreist, falsch und irreführend.
(Beifall bei der SPD und bei der PDS - Herr Becker, CDU: Diese ist doch geändert worden! - Herr Schomburg, CDU: Na, na!)
Sie warfen uns damit nicht mehr und nicht weniger als Verfassungsbruch vor. Das ist eine Unverschämtheit. Die jetzige Überschrift ist zwar nicht mehr unverschämt, aber immer noch falsch.
Meine Damen und Herren von CDU und FDP, Sie verhindern mit Ihrer Verweigerungshaltung gerade eine Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung. Sie verhindern, dass die Kommunen die kommunale Verwaltungskraft erlangen, die man braucht, um kommunale Selbstverwaltung wirklich leben zu können und im bundesweiten Maßstab bestehen zu können.
Bezeichnend für den Entschließungsantrag ist in diesem Zusammenhang die rein pauschale Bezugnahme auf eine Verlagerung von Aufgaben auf die kommunale Ebene. Über die konkrete Verlagerung von Aufgaben von der kreislichen auf die gemeindliche Ebene, die unser Antrag thematisiert, schweigen Sie sich lieber aus, weil Sie genau wissen, dass das, was Sie mit Ihrem Gesetzentwurf vorgelegt haben, das Aus für eine umfassende Funktionalreform auf der kommunalen Ebene sein wird. Eine Gebietsreform ohne eine wirkliche Funktionalreform kann nicht funktionieren.
Mit unserem Antrag wollen wir, dass Sie Farbe bekennen, wie Sie zu der von den Spitzenverbänden vorgeschlagenen Funktionalreform stehen; denn sie kommt von ihnen.
Meine Damen und Herren! Wie passt eigentlich das Wort des Ministerpräsidenten von den Finanzen als Zuchtmeister der Kommunen mit dem hehren Gedanken der kommunalen Selbstverwaltung zusammen?
Herr Becker, solche Worte hätten wir nie wählen dürfen, denn dann wären Sie auf die Barrikaden gegangen.
Auch der Finanzminister äußert sich im Interview mit der „MZ“ - er ist leider auch nicht anwesend - wie folgt - ich zitiere -:
Er ist also doch zu der Erkenntnis gekommen, dass unser Land eine kommunale Gebietsreform braucht, zumindest aus finanzpolitischer Sicht. So wie die Formulierung gewählt ist, meint Herr Paqué mit finanziellem Anreiz wohl eher den Entzug von Mitteln als eine Aufstockung der Finanzen.
Mit der Kommunalreform, so wie sie in den Vorschaltgesetzen niedergelegt ist und so wie sie sich zum Beispiel in der Aufgabenverlagerung von den Landkreisen auf die Gemeinden manifestiert hätte, hätten wir für unser Land auf Dauer zukunftsfähige Strukturen geschaffen. Wir hätten auf kommunaler Ebene Geld für Investitionen freischaufeln können und mehr Bürgernähe der Verwaltung erreicht. Je kleiner die kommunale Einheit, desto größer die Verwaltungskosten. Das bei einer Kommunalreform frei werdende Geld hätten die Kommunen für freiwillige Aufgaben, wie Schwimmbäder und Bibliotheken, einsetzen können.
Ihr Konzept der Finanzen als Zuchtmeister der Kommunen wird höchstens dazu führen, dass die reichen Kommunen sich zusammenschließen; die armen wird dann wohl freiwillig niemand haben wollen. Da Sie alles freiwillig machen wollen, werden wir hinterher auf der einen Seite die Armen haben und auf der anderen Seite ein paar Reiche, denen es sehr gut gehen wird.
Der Städte- und Gemeindebund hat es in seinem Schreiben vom 4. Juli 2002 höflich auf den Punkt gebracht - ich zitiere -:
„Die sich weiter verschlechternde Finanzlage der Kommunen ist kein konzeptionelles Ordnungsprinzip für eine Kommunal- und Verwaltungsreform.“
Meine Damen und Herren! Wie bei der Grundschule mit festen Öffnungszeiten, wo es Ihnen um die Interessen einiger weniger Eltern geht und wofür Sie ein zukunftsweisendes Konzept opfern wollen,
Diese Politik ist nicht im Interesse des Gemeinwohls und wird auch nicht von der Mehrheit der Bevölkerung, die weiter denkt als Sie alle zusammen, getragen.
Ich will Ihnen zum Abschluss noch einmal die Hauptkennziffern der repräsentativen Umfrage vom August letzten Jahres nennen. Hiernach war die Akzeptanz für die Gebiets- und Verwaltungsreform sehr hoch. Immerhin 71,4 % der Befragten in Sachsen-Anhalt waren der Meinung, dass die Durchführung der Reformen notwendig ist. Ca. 74 % erwarteten als Hauptvorteil der Reform Kosteneinsparungen. Die Menschen im Land standen also unserer Reform positiv gegenüber. Das will bei diesem schwierigen Unterfangen einer Kommunalreform wirklich schon etwas bedeuten.
Ich komme zum Ende, Herr Präsident. - Als Oppositionspolitiker bleibt mir nur der Appell: Halten Sie inne - aber der Appell kommt zu spät - und verspielen Sie nicht vorschnell die Durchsetzung einer Reform, die von der Bevölkerung begrüßt wurde.
Wir alle wissen doch aus eigener Erfahrung, dass echte Reformen in Deutschland ein langes, beharrliches Bohren dicker Bretter bedeuten. Wir haben dieses Thema in der letzten Wahlperiode erfolgreich bearbeitet. Legen Sie diesen Bohrer nicht beiseite; denn wenn die Kommunalreform jetzt nicht verwirklicht wird, ist für lange Zeit die Chance vertan, die kommunale Ebene neu zu ordnen.
Meine Damen und Herren von der Koalition, ich bin wirklich gespannt darauf zu erfahren, welche der von den kommunalen Spitzenverbänden vorgeschlagenen Aufgaben Sie ohne Kommunalreform von den Landkreisen auf die Städte und Gemeinden übertragen wollen.
Das ist der letzte Satz, Herr Präsident. - Im Interesse der Kommunen hoffe ich auf Ihre Zustimmung zu dem Antrag. Sollten Sie ihn ablehnen, wäre das der erste Offenbarungseid für eine verfehlte Innenpolitik der neuen Landesregierung. - Vielen Dank.
Danke, Herr Dr. Püchel. - Meine Damen und Herren! Wir treten jetzt in eine Zehnminutendebatte in der Reihenfolge PDS-, FDP-, CDU- und SPD-Fraktion ein. Als erstem Redner erteile ich jedoch für die Landesregierung dem Minister des Innern Herrn Jeziorsky das Wort. Bitte, Herr Minister.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir begründen heute eine neue Qualität für die Arbeit der Kommunen unseres Landes.
Wir beseitigen mit der Verabschiedung des Ihnen vorliegenden Gesetzes Pressionen, denen unsere Gemeinden, Verwaltungsgemeinschaften und Landkreise ab Herbst dieses Jahres ausgesetzt werden sollten. Wir geben unseren Kommunen und den in ihnen lebenden Menschen ein Stück Eigengestaltung zurück.
Wir erkennen damit ausdrücklich die Leitvorstellungen von eigenverantwortlichen Funktionsträgern in unseren Kommunen an, seien es Gemeinderäte, Kreistagsmitglieder, Ortschaftsräte, Bürgermeister oder Landräte.
Kollege Püchel, wenn die öffentliche Meinung so ist, wie Sie sie aus der Umfrage beschrieben haben, dann werden diese Funktionsträger ihre Entscheidungen auch entsprechend treffen, wenn sie gewiss sind, dass die Unterstützung ihrer Einwohnerschaft dafür da ist.
Wir wenden uns daher gegen jede Form der Rasterung, die den Entscheidungsspielraum der örtlichen Akteure einengt. Freiwilligkeit bedeutet für uns Gestaltungsfreiheit vor Ort unter der Prämisse flächendeckender leistungsfähiger Einheiten.
- Gerichtsentscheidungen können Sie auch nicht akzeptieren. - Dieser stehen staatliche Vorgaben von Mindestgrößen kommunaler Einheiten, terminliche Vorgaben für freiwillige Zusammenschlüsse und die Androhung staatlichen Zwanges entgegen. Derartige Druckmittel lassen sich nach unserer Erkenntnis auch nicht mit einem „Blick über den Gartenzaun“ nach Sachsen und Thüringen oder woanders hin begründen. In Sachsen und Thüringen bestehen völlig unterschiedliche Kommunalstrukturen.