Protocol of the Session on July 9, 2004

So geht es durchaus auch um Probleme und Risiken der Pluralität; denn nur wer um Alternativen weiß, kann sie bewusst in seine Auswahl einbeziehen. Mit anderen Worten: Vielfalt und Freiheit, Grundwerte unserer demokratischen Kultur, verlangen Qualifikation. Genau damit tritt die religiöse und ethische Bildung in einer neuen Dimension auf die Tagesordnung.

Nun ist es sicherlich offen, ob das Bedürfnis nach Religiosität auch anthropologisch erklärbar wäre. Immerhin scheint Religion nicht selten das zu sein, was jungen Menschen fehlt und für das sie sich, zum Beispiel in der Mystik, manchmal sogar in destruktiven Kulten, Ersatz

suchen. Dass es sich hierbei nicht selten um Reflexe auf eine von vielen jungen Leuten empfundene Kälte der sozialen Beziehungen in der technisierten Hochleistungsgesellschaft handelt, manchmal auch auf Schwierigkeiten mit der Entzauberung der Welt, die allen Rätseln sozusagen den Schleier wegzieht, das wird alles heute kaum in Zweifel gezogen.

Der Religions- und der Ethikunterricht soll solche Fragen aufnehmen, die Schülerinnen und Schülern bei ihrem Nachdenken über sich und die Welt begleiten, ihnen bei der Suche nach tragfähigen Antworten helfen und sie in eine Auseinandersetzung mit Glaubensdingen und entsprechenden Überlieferungen stellen. Dass hierbei die eigene Kultur den Bezugsrahmen liefern muss - das scheint mir sehr wichtig -, das versteht sich von selbst; denn multikulturelle oder multireligiöse Orientierungen lassen sich nur von dem Fundament des Eigenen aus einnehmen. Ist dieses Fundament mangels Wissens zum Beispiel und mangels Begegnung fragil, dann erst wird alles Fremde schnell als Bedrohung empfunden,

(Zustimmung von Frau Feußner, CDU)

anstatt es als Bereicherung und Anregung zum toleranten und aufgeklärten Miteinander in das eigene Denken aufzunehmen. Auch hierbei sind insbesondere der Religionsunterricht und der Ethikunterricht geeignet, eine elementare Menschheitssprache zu erlernen, die religiöse Dimension der Grundfragen menschlichen Lebens aufzudecken und ein reflektiertes Verständnis dazu zu entwickeln.

Übrigens ist es für mich durchaus verständlich, dass atheistische Eltern, die sich der kulturellen Bildung ihrer Kinder durch den Religionsunterricht gern aufschließen würden, spätestens an der Frage scheitern, ob sie den evangelischen oder den katholischen Religionsunterricht wählen sollen. Auf welcher Grundlage sollen sie diese Entscheidung denn treffen? Hier müssen wir unbedingt weiter nach integrativen Modellen suchen.

Bewusst spreche ich nicht von ökumenischen Modellen, so sehr ich diese begrüßen würde. Erste Schritte wurden unter anderem durch die so genannte 18er-Regelung, die, glaube ich, Frau Mittendorf angesprochen hat, gegangen. Hierzu erwarten wir in Kürze die Auswertung seitens der Kirchen, um dann über die weitere Entwicklung solcher begrüßenswerten Ansätze zu beraten.

Ebenso wichtig ist mir, dass die Fächer Religion und Ethik nicht in einen Gegensatz zueinander gebracht werden. Vielmehr sollte man erkennen, dass ein auf der Grundlage der Verfassung erteilter Ethikunterricht in erheblichem Umfang Inhalte der christlich-jüdischen Tradition vermitteln muss, wenn er bei seiner Sache bleiben will, und dass umgekehrt der christliche Glaube viele Verhaltensnormen beinhaltet, die keineswegs nur im Glauben selbst, sondern in der menschlichen Vernunfteinsicht begründet sind.

Meine Damen und Herren! Aus all diesen Gründen misst die Landesregierung in Einklang mit der Verfassung dem Religions- und dem Ethikunterricht für die schulische Bildung und Erziehung eine große Bedeutung zu. Die Frage nach einer möglichst umfassenden Einführung dieser Fächer ist damit freilich noch nicht beantwortet, sondern zunächst einmal nur gestellt.

Dem Bemühen, an allen Schulen des Landes Ethik- und Religionsunterricht zu etablieren, werden nicht nur Grenzen gesetzt durch das Fehlen von qualifizierten Lehr

kräften, sondern auch durch die nach wie vor verbreitete Meinung, Religion und Ethik seien Privatsache, die dazu führen kann, dass trotz vorhandenem Lehrkräfteangebot manchmal Lerngruppen gar nicht zustande kommen. Hierbei ist noch viel Informations- und Überzeugungsarbeit zu leisten - bei den Schülern, bei den Eltern, auch bei den Lehrern. Am glaubwürdigsten kann das alles natürlich durch Beispiele guten Unterrichts geschehen.

Der Ethik- und der Religionsunterricht wurde in den letzten Jahren kontinuierlich, wenn auch langsam, ausgebaut. Wobei ich diese Kritik „langsam“ auch auf die acht Jahre der Regierungszeit der vorigen Regierung beziehe.

(Zuruf von Frau Mittendorf, SPD)

Ich erwähne das nur, weil Frau Mittendorf das gesagt hat. Von mir aus hätte ich das gar nicht gemacht, weil ich gerade bei diesem Thema auf der Suche nach Konsens bin und nicht auf der Suche nach gegenseitigen Vorhaltungen.

Es gibt ein stetiges Bemühen, die Lehrkräftesituation für den Ethik- und den Religionsunterricht zu verbessern. So wurden weitere Stellen für den Ethik- und den Religionsunterricht ausgeschrieben, der Haushaltsansatz für das Gestellungsgeld für kirchliche Lehrkräfte erhöht und Weiterbildungskurse und berufsbegleitenden Studiengänge zum Erwerb einer Lehrbefähigung für Ethik, evangelische und katholische Religion angeboten. Im Haushaltsplan 2004 steht für die Vergütung der katechetischen Lehrkräfte ein Ansatz von über 1,9 Millionen € zur Verfügung. Das ist übrigens eine Erhöhung gegenüber 2003 von fast 360 000 €, und auch für den Doppelhaushalt haben wir eine Erhöhung angemeldet.

Diese quantitative Entwicklung des Religionsunterrichts wird durch eine wachsende Zahl der Schülerinnen und Schüler in diesem Unterrichtsfach begleitet. Problemfelder für die relativ geringe Anwahl des Religionsunterrichts seitens der Elternhäuser bzw. Schüler bestehen natürlich nach wie vor auch in der fehlenden konfessionellen Bindung, in der unzureichenden Anzahl qualifizierter Lehrerinnen und Lehrer ohnehin, auch in der mangelnden Aufklärung über Ziele und Anliegen des Unterrichts, dem allzu oft noch eine Missionsaufgabe unterstellt wird, und in Einzelfällen auch in pädagogischen und didaktischen Schwächen des erteilten Unterrichts.

Meine Damen und Herren! Die Landesregierung hat in ihren Bemühungen, die ethische und religiöse Bildung an den Schulen zu verbessern, viele Vorschläge aus der Expertise „Ethik- und Religionsunterricht in der Schule mit Zukunft“ der vorherigen Landesregierung aufgegriffen. Im Übrigen hat diese Expertise wiederum eine Reihe von substanziellen Aussagen aus dem Bericht der Enquetekommission „Schule mit Zukunft“ übernommen.

Dabei weiß die Regierung sich einig mit den Landeskirchen in der Wahrnehmung dieser erstrangigen Kultur- und Bildungsaufgabe. Gewiss gibt es in Einzelfragen immer wieder einmal auch unterschiedliche Auffassungen zu den Kirchen, die auch in dieser Frage keine Weisungsempfänger, sondern gleichberechtigte Partner der Landesregierung sind.

Das bitte ich zu bedenken, wenn in dem vorliegenden Antrag von der Landesregierung ein Handlungskonzept verlangt wird. Ein solches Konzept kann immer nur ein gemeinsames Konzept aller Beteiligten sein, sodass ich

eine Einhaltung von gesetzten Fristen beispielsweise nicht verbindlich zusagen kann. Vielmehr wollen wir das, wenn, dann in der Partnerschaft mit den Kirchen gemeinsam entwickeln.

Aber abgesehen davon möchte ich dem Landtag empfehlen, den Antrag der SPD-Fraktion in den Ausschuss zu überweisen und fraktionsübergreifend nach besseren Lösungen für die aufgeworfenen Probleme um die religiöse Bildung an den Schulen unseres Landes zu suchen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Minister. - Nun beginnt die Debatte mit fünf Minuten Redezeit je Fraktion. Für die FPDFraktion erhält Herr Dr. Volk das Wort. Bitte sehr, Herr Dr. Volk.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sicherlich wird sich ein Großteil von Ihnen an den berühmten Auftrittsmonolog von Faust erinnern. Goethe lässt seinen Protagonisten in dem Bemühen um die Erkenntnis, was die Welt im Innersten zusammenhält, feststellen, dass er Philosophie, Juristerei, Medizin und, wie er sagt, leider auch Theologie studiert hat. Sie kennen den Ausgang der Geschichte.

Wenn Sie nun fragen, was das mit dem vorliegenden Antrag zu tun hat, so meine ich, sehr viel. Ethik und Religion sind Fächer, die aus unterschiedlichen Blickwinkeln und Perspektiven Schüler befähigen sollen, einen Wertekanon zu entwickeln, der ihnen hilft, Zusammenhänge zu verstehen, zu verstehen, was die Welt im Innersten zusammenhält, Vorgänge einzuschätzen und Handlungsanweisungen für sich selbst zu entwickeln. Dabei stehen diese Fächer nicht allein, sondern sie tun das im Zusammenspiel mit anderen Unterrichtsfächern. Sie haben praktisch eine übergreifende Funktion bei der Persönlichkeitsentwicklung junger Menschen.

Diese Bemerkung voranzuschicken war mir wichtig, weil in unserer heutigen schnelllebigen und von der Technik und den virtuellen Medien bestimmten Zeit die Werteorientierung nicht auf der Strecke bleiben darf.

Meine Damen und Herren! Wenn wir über den vorliegenden Antrag fundiert diskutieren wollen, kommen wir an in einem Blick in das Grundgesetz, die Landesverfassung und das Schulgesetz nicht vorbei. Lassen Sie mich kurz auf die einschlägigen Regelungen hinweisen.

Der Religionsunterricht und sein Äquivalent Ethik sind die einzigen Unterrichtsfächer, die in einem Artikel in der Landesverfassung ausdrücklich erwähnt werden. Ich werde jetzt keine Ursachenanalyse anstellen oder eine neuerliche staatskirchliche und verfassungsrechtliche Diskussion anfangen. Die Literatur, die dazu insbesondere im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung um das Brandenburger LER-Modell - Lebenskunde, Ethik, Religion - vor dem Bundesverfassungsgericht entstanden ist, füllt allein mehrere Regalmeter.

Während das Grundgesetz in Artikel 7 Abs. 3 lediglich den Religionsunterricht zum ordentlichen Lehrfach an öf

fentlichen Schulen erhebt, erwähnt die Landesverfassung auch den Ethikunterricht. Dort heißt es in Artikel 27 Abs. 3:

„Ethikunterricht und Religionsunterricht sind an den Schulen mit Ausnahme der bekenntnisgebundenen und bekenntnisfreien Schulen ordentliche Lehrfächer. Unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechtes wird der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt.“

Dieser Verfassungsauftrag spiegelt sich in § 19 des Schulgesetzes wider. Da in dieser Fächergruppe die Lehrerversorgung anfangs nicht gegeben war, legte bereits das Schulreformgesetz von 1991 in § 19 Abs. 5 fest, dass der Unterricht erst bei gesicherter Lehrerversorgung eingerichtet werden muss. Dieser Absatz hat alle bisherigen Schulgesetznovellen überlebt und gilt heute noch.

Wenn wir jetzt unseren Blick von den Gesetzen in die Schule lenken, könnte man ein Lehrstück über die Divergenz von Verfassungswunsch und Praxis schreiben. Nach wie vor erreicht das Wahlpflichtfach Ethik/Religion kaum zwei Drittel der Schüler.

Aus der Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage von Kollegin Liebrecht zur Unterrichtsversorgung in den genannten Fächern geht allerdings auch hervor, dass in den vergangenen fünf Jahren Zuwächse in allen Schulformen zu verzeichnen sind. Besuchten im Schuljahr 1998/1999 noch 41 % der Schüler der Grundschulen Ethik- oder Religionsunterricht, waren es im Schuljahr 2002/2003 ca. 66 %. An den Sekundarschulen wuchs die Quote von 23 % auf 40 % und an den Gymnasien von 35 % auf 65 % - das alles sind Zirka-Angaben.

Die FDP dürfte nicht in dem Verdacht stehen, ein glühender Verfechter religiöser Bildung an der Schule zu sein. Aber ich halte es für richtig und wichtig, die Aufmerksamkeit des Bildungsausschusses wieder einmal auf diese Fächergruppe zu richten.

Das Schulgesetz erhebt die Anerkennung ethischer Werte und die Bindung an diese sowie die Achtung religiöser Überzeugungen zu den Erziehungszielen der Schule. Nun gibt es keine Fächer, die darauf ein Monopol haben, aber es stimmt mich doch nachdenklich, wenn die Fächer, die diese Ziele vornehmlich verfolgen, nicht angeboten werden können.

Wir sollten bei der Problemanalyse und der angestrebten Diskussion das Ziel nicht aus den Augen verlieren. Wir können im Ausschuss über die von der Antragstellerin erwähnte Expertise debattieren und das Einsetzen einer Arbeitsgruppe fordern; dann führen wir eine Metadiskussion und analysieren die Analyse.

Wir könnten jedoch darüber nachdenken, wie wir mit den vorhandenen, wenn auch bescheidenen finanziellen Möglichkeiten die Sicherstellung von Ethik- und Religionsunterricht nachhaltig verbessern können. In der Hoffnung, dass der zweite Fall eintritt, Frau Mittendorf, stimmt die FDP-Fraktion einer Behandlung im Ausschuss und damit einer Diskussion zu. - Besten Dank.

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Dr. Volk. - Meine Damen und Herren! Für die PDS-Fraktion erteile ich nun der Abgeordneten Frau Dr. Hein das Wort. Bitte schön, Frau Dr. Hein.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag der SPD-Fraktion zielt auf ein altbekanntes Problem. Ich kann mich noch ganz gut daran erinnern, dass in der ersten Legislaturperiode darüber gesprochen wurde, dass wir für die Ausbildung einer ausreichenden Zahl von Fachlehrerinnen und Fachlehrern für diese Fächergruppe einen Zeitraum von etwa zehn Jahren benötigen werden. Dieser Zeitraum ist nicht nur abgelaufen, er ist überschritten, ohne dass der Bedarf an Fachkräften gedeckt werden konnte.

Allerdings halte ich es nicht für sehr sinnvoll, alle zwei bis drei Jahre „Schraps hat den Hut verloren“ zu spielen. Ich halte es auch nicht für sehr hilfreich, dass wir uns hier regelmäßig die Gesetzestexte vorlesen, die bestimmte Prämissen setzen. Damit wird die Situation wohl nicht verändert werden.

Werteerziehenden Unterricht zu organisieren und abzusichern, fachlich fundiert abzusichern, ist unsere gemeinsame Aufgabe. Gerade wenn man die unzureichende Bildung der Elterngeneration - inzwischen übrigens auch der Großelterngeneration - in diesem Fächerspektrum in Rechnung stellt, insbesondere in unserem Lande, gebührt dieser Bildungslücke größte Aufmerksamkeit. Dies betrifft insbesondere jene Kinder, die nicht aus religiös geprägten Elternhäusern kommen.

Aus diesem Grund möchte ich betonen, dass sich die PDS einen stärker religionskundlichen und ethischen Unterricht wünschte. Wir halten auch die Kooperation zwischen den Konfessionen und zwischen den Fächern für hilfreich. Allerdings will ich einräumen, dass wir einem missionierenden Religionsunterricht nach wie vor kritisch gegenüberstehen.

Ich habe mir in Vorbereitung auf diese Debatte die Rahmenrichtlinien angeschaut. Ich bin bereit, das zu akzeptieren, aber es ist ein missionierender Religionsunterricht. Wir sollten das endlich auch zugeben.

(Herr Scharf, CDU: Wo denn? - Frau Feußner, CDU: Das stimmt überhaupt nicht! - Herr Dr. So- betzko, CDU: Stimmt nicht!)

- Ich weiß nicht, wie Sie etwa den Abschnitt „Wie beten wir“ im katholischen Religionsunterricht einschätzen wollen.

(Zustimmung bei der PDS - Herr Scharf, CDU: Das ist eben kein religionskundlicher Unterricht, Frau Kollegin!)

- Vielleicht ist es so, dass man das, wenn man selbst einer Konfession angehört, nicht so empfindet. Ich gehöre keiner Konfession an; ich empfinde es so und mit mir auch viele andere.

Ich bin, wie gesagt, bereit, das zu akzeptieren, aber es muss mir zumindest gestattet sein, eine kritische Sicht auf diese Dinge deutlich zu machen.