Protocol of the Session on July 8, 2004

Meine Damen und Herren! Wir müssen noch über den Entschließungsantrag unter Nr. 2 der Beschlussempfehlung in der Drs. 4/1693 abstimmen. Wer diesem Entschließungsantrag seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Zeichen mit der Stimmkarte. - Zustimmung bei der CDU- und der FDP-Fraktion. Gegenstimmen? - Keine. Enthaltungen? - Bei der PDS- und der SPD-Fraktion. Damit ist auch diesem Entschließungsantrag mehrheitlich zugestimmt worden. Der Tagesordnungspunkt 1 ist abgeschlossen. Nochmals, meine Damen und Herren, allen Mitgliedern des Finanzausschusses, insbesondere der Vorsitzenden, unseren herzlichen Dank.

(Zustimmung bei allen Fraktionen)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir treten ein in die Beratung zu Tagesordnungspunkt 2:

Erste Beratung

Entwurf eines Gesetzes zur Förderung, Betreuung und Bildung von Kindern in Kindertageseinrichtungen (KiBeG)

Volksbegehren „Für ein kinder- und jugendfreundliches Sachsen-Anhalt“ - Drs. 4/1680

Unterrichtungen der Landesregierung - Drs. 4/831, 4/905 und 4/1681

(Drei Vertrauenspersonen des Volksbegehrens betreten den Plenarsaal)

Meine Damen und Herren! Wie Sie sehen, nehmen nun drei der Vertrauenspersonen des Volksbegehrens auf den für sie bereitgestellten Stühlen unterhalb der Pressetribüne Platz. - Ich begrüße Sie herzlich.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir zu diesem Tagesordnungspunkt einige Vorbemerkungen. Zunächst begrüße ich die Vertrauenspersonen des Volksbegehrens, die zu meiner Linken im Plenarsaal Platz genommen haben, noch einmal herzlich.

(Beifall im ganzen Hause)

Meine Damen und Herren! Erstmals in der noch jungen Geschichte des Landes Sachsen-Anhalt ist ein Volksbegehren zustande gekommen. Am 28. Mai 2003 beantragte das Bündnis „Für ein kinder- und jugendfreundliches Sachsen-Anhalt“ gemäß § 10 Abs. 1 des Volksabstimmungsgesetzes die Durchführung eines Volksbegehrens mit dem Ziel der Annahme eines Gesetzentwurfes.

Die Landesregierung nahm den Antrag an und setzte als Frist für die Eintragungen den Zeitraum vom 13. August 2003 bis zum 12. Februar 2004 fest. Die durch den Landeswahlleiter veranlasste Prüfung der eingereichten Unterschriftenlisten ergab ein Gesamtergebnis von 260 588 gültigen und 30 040 ungültigen Eintragungen.

Die Landesregierung hat den Landtag mit Schreiben vom 30. Juni 2004 gemäß § 19 Abs. 1 des Volksabstimmungsgesetzes über die Zulässigkeit des Volksbegehrens „Für ein kinder- und jugendfreundliches SachsenAnhalt“ informiert und hat dem Landtag den Gesetzentwurf des Volksbegehrens, versehen mit der beigefügten Stellungnahme der Landesregierung, zugeleitet. Ich verweise auf die Unterrichtung der Landesregierung in der Drs. 4/1681.

Gemäß § 19 Abs. 2 des Volksabstimmungsgesetzes gelten für das weitere Verfahren die Bestimmungen über die Behandlung von Gesetzentwürfen mit der Maßgabe, dass das Volksbegehren innerhalb von vier Monaten nach Eingang beim Landtag abschließend zu behandeln ist. Das bedeutet, die zweite Beratung des Gesetzentwurfes muss bis zum 30. Oktober 2004 erfolgt sein. Sollte der Landtag den begehrten Gesetzentwurf nicht innerhalb von vier Monaten unverändert annehmen, so ist ein Volksentscheid herbeizuführen.

Heute, meine Damen und Herren, haben wir zunächst die erste Beratung des Gesetzentwurfes im Landtag durchzuführen. Der Ältestenrat hat sich zum Verfahren wie folgt verständigt. Der Ältestenrat geht davon aus, dass den Vertretern des Volksbegehrens ein Artikel 80 Abs. 2 Satz 2 der Landesverfassung nachgebildeter Anspruch auf Anhörung zuwächst. Das Verfahren der Beteiligung der Vertrauenspersonen soll deshalb dem Verfahren der Behandlung der Volksinitiative durch den Landtag der dritten Wahlperiode im Jahr 1999 folgen. Gibt es dagegen Widerspruch? - Ich sehe, das ist nicht der Fall. Dann ist dies hier so beschlossen worden.

Demnach verfahren wir jetzt wie folgt: Zunächst wird eine Vertrauensperson des Volksbegehrens die Möglichkeit erhalten, zur Einbringung des Gesetzentwurfes im Plenum zu sprechen. Dazu stehen ihr wie jedem Einbringer 15 Minuten Redezeit - das sieht unsere Geschäftsordnung auch regulär für die Abgeordneten vor - zur Verfügung. Danach erhalten die Fraktionen und die Landesregierung die Gelegenheit, in der Diskussion ihre Standpunkte darzulegen. Es ist für die Fraktionen eine

Redezeit von je zehn Minuten vereinbart worden in der Reihenfolge: CDU, SPD, FDP und PDS. Abschließend soll der Vertreter des Volksbegehrens die Möglichkeit erhalten, Schlussbemerkungen zu machen.

Den Vertrauenspersonen habe ich die Möglichkeit eingeräumt - das sehen Sie -, im Plenum Platz zu nehmen, um sich gegebenenfalls während der Aussprache untereinander verständigen zu können.

Nach der Beratung wird der Landtag darüber abzustimmen haben, ob der Gesetzentwurf zur weiteren Beratung in Ausschüsse des Landtages überwiesen werden soll. Wie im Jahr 1999 soll den Vertrauenspersonen die Möglichkeit gegeben werden, an den Ausschussberatungen mit Rederecht teilzunehmen.

Meine Damen und Herren! Wir treten nun in die Beratung des Gesetzentwurfes in der Drs. 4/1680 ein. Zur Einbringung erteile ich zunächst Herrn Kay-Uwe Papenroth das Wort. Herr Papenroth, Sie haben jetzt das Wort. Bitte.

Herr Papenroth:

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Ministerpräsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Ich möchte, dem Anlass des heutigen Tages entsprechend und weil es im Einzelfall vielleicht auch hilft, eine offensichtlich unübliche, eventuell auch aus der Mode gekommene Anrede hinzufügen: Sehr geehrte Vertreterinnen und Vertreter unseres Volkes! Heute bringt erstmals in der Geschichte dieses Parlaments und dieses Landes eine Bürgerinitiative einen eigenen Gesetzentwurf in den Landtag ein. Auch wenn einige - glücklicherweise nicht allzu häufige - Äußerungen in den zurückliegenden Wochen den Verdacht nahe legten, es wolle jemand die Regierung stürzen, wird diese Premiere doch mehrheitlich als Beispiel gelebter Demokratie empfunden.

Was war der Auslöser dieser landesweit beispielhaften Initiative, in deren Verlauf alle Unkenrufe über Politikverdrossenheit oder Resignation vor Regierungsentscheidungen ad absurdum geführt wurden? Es war die Frage: Was wird aus der Betreuung und Förderung der Kinder in den Kindertagesstätten unseres Landes?

Mein heutiges Ziel wird es sein, auf die gesellschaftspolitische Bedeutung der Thematik hinzuweisen, die, weil es unsere Kinder betrifft, alle im Land angeht. Zuvor jedoch ein kurzer Rückblick: Im Herbst 2002 erschütterte eine Gesetzesnovelle das noch immer an das Gute glaubende Wählervolk in Sachsen-Anhalt durch radikale Einschnitte in die bestehenden gesetzlichen Regelungen zur Kinderbetreuung.

(Beifall bei der PDS - Widerspruch bei der CDU)

Man freute sich zu dieser Zeit noch auf die im Wahlkampf versprochenen Arbeitsplätze und die wirklich tollen Wahlplakate mit dem kinderschaukelnden Ministerpräsidenten wurden gerade erst abgenommen. Man glaubte auch der vollmundigen Aussage des neu ins Amt eingeführten Kinderministers, wonach mit ihm keine Kürzungen bei der Kinderbetreuung zu machen seien.

Die Eckpfeiler der Novellierung bestanden nicht aus pädagogischen Ansätzen, sondern ausschließlich aus der Vorgabe, 43 Millionen € bei den Kindern einzusparen, egal wie. Sogar eine Gesetzesfolgenabschätzung war überflüssig. Oder war sie nicht gewollt?

Sehr geehrter Herr Minister Kley, eine freihändige Vergabe von Beraterverträgen an Kindertagesstätten hätten wir zum damaligen Zeitpunkt begrüßt - nicht nur, weil sich die finanzielle Situation der Einrichtungen schlagartig verbessert hätte, sondern auch, weil Sie direkten Zugang zu den praktischen Erfahrungen vor Ort bekommen und eventuell davon profitiert hätten.

(Beifall bei der PDS - Zustimmung bei der SPD)

Widerstand gegen diese konzeptionslose Hauruckaktion war nicht nur vorprogrammiert, sondern aus meiner Sicht auch zwingend erforderlich.

(Zustimmung von Frau Ferchland, PDS)

Ein Bündnis von Bürgerinnen und Bürgern gründete sich, um sich für ein kinder- und jugendfreundliches SachsenAnhalt einzusetzen - mit im Boot namhafte Gewerkschaften, wie ver.di, die GEW, der DGB, aber auch Parteien, wie PDS, Bündnisgrüne und - mit wechselndem Einsatz - auch die SPD. Das Bündnis war und ist jedoch weder ein gewerkschaftliches Sprachrohr, noch dient es der Durchsetzung von parteipolitischen Zielen.

(Oh! bei der CDU)

Ich gehöre keiner Gewerkschaft an, vertrete hier aber trotzdem die Interessen der Erzieherinnen, weil es mir um die Kinder geht.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Frau Wy- brands, CDU: Der Erzieherinnen, aber nicht der Kinder!)

Ich bin auch in keiner Partei.

(Minister Herr Dr. Daehre: Das war interessant! - Minister Herr Prof. Dr. Olbertz: Der Kinder oder der Erzieherinnen? - Weitere Zurufe)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bitte Sie, sich wieder zu beruhigen und dem Redner die Möglichkeit einzuräumen, weiter zu sprechen.

Herr Papenroth:

Ich bin in keiner Partei, sitze aber im Bündnis neben verschiedenen Parteimitgliedern, und wir haben sogar, ob Sie es nun glauben oder nicht, auf regionaler Ebene Mitglieder der CDU und der FDP dabei. Selbst die im Frühjahr 1999 in Oschersleben gegründete Volksinitiative „Für die Zukunft unserer Kinder“, heute Mitglied im Bündnis, wurde damals von so prominenten CDU-Abgeordneten wie Frau Feußner oder dem heutigen Verkehrsminister Herrn Daehre mit Rat und Tat unterstützt.

(Beifall bei der PDS)

Wir haben auch heute noch Fotos von der Gründungsveranstaltung, die wir gern zur Verfügung stellen. Ich erinnere mich noch an den leidenschaftlichen Beitrag der Abgeordneten Frau Feußner in der „Volksstimme“ mit dem Zitat: „SPD und PDS machen Kindertagesstätten zu Aussteigebahnhöfen.“

(Frau Feußner, CDU: Richtig! Dazu stehe ich auch!)

Das Bündnis ist von Beginn an ein Sammelbecken all derer, die die gesellschaftliche Verantwortung für die

Förderung und Betreuung unserer Kinder erkannt haben.

(Lachen)

Trotz der Verankerung in der Landesverfassung und im Volksabstimmungsgesetz gab es wiederholte Versuche, die Teilnahme der Bürgerinnen und Bürger am Volksbegehren zu behindern. Der durchaus erfolgreiche öffentliche Aufruf zum Verbot der Auslegung der Listen in den Kindertagesstätten seitens der Staatssekretärin im Sozialministerium, Frau Freudenberg-Pilster, hat unser Demokratieverständnis stark erschüttert. Spektakulär, aber wenig erfolgreich dagegen war das plötzlich aus dem Ärmel des Sozialministers gezauberte kostenlose Kindergartenjahr, das wir wohl auch heute vergeblich auf der Tagesordnung suchen werden.

Die Unterstützung unseres Volksbegehrens war dort am größten, wo die Folgen des Kinderförderungsgesetzes noch durch die zahlreichen Pleiten und Pannen verstärkt wurden, die der Auslegungsspielraum des Gesetzes bietet. Statt klare rechtliche Vorgaben zu erlassen, wurden die zahllosen Interpretationsblüten des Kinderförderungsgesetzes kleingeredet, verdrängt und ausgesessen. Betroffene blieben sprichwörtlich im Regen stehen und leisteten nicht selten im selben ihre unterstützende Unterschrift. Obwohl kein politisches Thema im Land so umfangreich und so anhaltend diskutiert wurde wie die Kinderbetreuung, behaupteten Abgeordnete der CDU-Fraktion, die Menschen hätten zum Teil nicht gewusst, wofür sie da unterschreiben würden.

(Zurufe von der CDU)

Trauen Sie denn den Leuten in Sachsen-Anhalt nicht zu, dass sie lesen, hören und sich eine eigene Meinung bilden können?