Protocol of the Session on June 21, 2002

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich denke, wir kommen zu einem Thema, das wir weniger emotional behandeln können.

Ich freue mich, namens der CDU-Fraktion und der FDPFraktion einen Gesetzentwurf einbringen zu können, der Defizite in der Gestaltung der Bildungslandschaft im Land aufgreift. Mit dem Gesetzentwurf zur Einführung der Grundschule mit verlässlichen Öffnungszeiten, wie wir es nennen, wenden wir uns der Ausgestaltung der ersten Schulphase zu.

Die Grundschule ist die Einrichtung, in der die Kinder zum ersten Mal institutionalisierte Bildung im engeren Sinne erfahren. Ich will die Leistung der Kindertagesstätten hier keineswegs schmälern; aber in der Ausgestaltung und organisatorischen Umsetzung der Institution Grundschule erfahren die Kinder, welchen Stellenwert Bildung in der Gesellschaft hat.

Die Grundlagen, die in der Grundschule für die weiteren Bildungsgänge und die zukünftige Entwicklung der Schüler gelegt werden, gehen weit über die bloße Vermittlung der Grundfähigkeiten des Lesens, des Schreibens und des Rechnens hinaus.

Mit dem Gesetz vom 24. November 2000 wurde von unserer Vorgängerregierung die Grundschule mit festen Öffnungszeiten eingeführt. Dies geschah nach ausgiebiger Diskussion, bei der eine Vielzahl von Argumenten gehört wurde.

Wir haben an diese Diskussionen angeknüpft und ihnen in dem Gesetzentwurf in besonderem Maße zu ihrem Recht verholfen. Dieses schlägt sich schon in der Namensänderung nieder, der Grundschule mit verlässlichen Öffnungszeiten. Kritikern, die einwenden, dass dieses bloße Kosmetik sei, möchte ich entgegnen, dass die symbolische und tatsächliche Wirkung der Bezeichnung eines außersprachlichen Gegenstandes von großer Wichtigkeit ist.

Der Name ist immer ein Identifikationsmoment. Vor diesem Hintergrund macht es schon einen gewaltigen Unterschied, ob ich die Grundschule mit dem Attribut „fest“ oder mit dem Attribut „verlässlich“ versehe. Eine in wesentlichen Punkten abweichende Auffassung von Schule findet hierin ihren Ausdruck. Die neue Grundschule heißt „verlässlich“, weil sich die Eltern darauf verlassen können, dass ihre Kinder jeden Tag zu verlässlichen Zeiten und in verlässlicher Qualität unterrichtet und betreut werden.

(Frau Dr. Paschke, PDS: Das war bisher auch so!)

Allerdings halten wir es nicht für sinnvoll, die Ein- und Ausgangsphasen für alle Kinder zur Schulpflicht zu erklären.

Zu Recht protestierten die Eltern, die ihre Kinder nach Unterrichtsschluss nicht abholen durften, nur weil eine willkürlich festgelegte Verweildauer noch nicht erfüllt war. Dabei geht es mir gar nicht darum, die Setzung des Zeitrahmens, dieser fünfeinhalb Stunden, auf die wir uns auch beziehen, zu kritisieren.

Der Zwangscharakter, mit der diese Zeit wie ein Dogma verteidigt wurde, war das Problem. Es entstand in einer Abwägungsphase, in der der Bildungsauftrag der Grundschule mit Argumenten der Arbeitsplatzsicherung für Betreuungspersonal verwoben wurde. Die Folge war, dass in der gesetzlichen Ausgestaltung nicht der Mut aufgebracht wurde, dem Elternrecht die notwendige Bedeutung beizumessen.

(Zustimmung bei der CDU)

Die gesetzliche Missachtung des Elternwillens hat, wie Sie wissen, zu Protesten bis hin zur Klage vor dem Landesverfassungsgericht geführt. Nicht das Ergebnis dieser Klage, sondern der Umstand als solcher ist beunruhigend.

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird dem Elternwillen hinsichtlich der Zu- und Abgangsphase Rechnung getragen und zugleich das positive, das verlässliche Angebot der Grundschule auf hohem pädagogischen Niveau gewahrt. Es ist den Eltern freigestellt, ob sie ihr Kind nach Unterrichtsschluss abholen oder ob sie die Angebote der pädagogischen Mitarbeiter in Anspruch nehmen.

Die Tätigkeit der pädagogischen Mitarbeiter war durch hohes Engagement bei der Erfüllung der veränderten Aufgaben gekennzeichnet. Wir halten sie weiterhin für einen integralen Bestandteil der Grundschule mit verlässlichen Öffnungszeiten. Dies ist auch der Grund dafür, dass wir ihre Rolle im veränderten Absatz 1 des § 4 festhalten wollen.

Ansonsten denken wir, dass man zuerst die Anforderungen und Ziele einer Einrichtung formulieren sollte, um anschließend deren Ausgestaltung und die Formalitäten festzulegen.

So ist die Vermittlung von Grundkenntnissen und -fähigkeiten die zentrale Aufgabe der Grundschule. Die Beherrschung der Kulturtechniken spielt sowohl für den Erwerb weiterer Fähigkeiten als auch für das Gelingen des Lebens eine Schlüsselrolle.

Da sowohl der Entwicklungsstand als auch die sozialen und persönlichen Voraussetzungen der einzelnen Schüler insbesondere in der Grundschule stark divergieren, kommt den pädagogischen Mitarbeitern auch dort eine besondere Verantwortung zu. Gemeinsam mit den Lehrerinnen und Lehrern gilt es, besondere Begabungen auszubilden und zu fördern, vorhandene Lücken zu schließen und Defizite zu beseitigen. Die enge Verzahnung von Unterricht und außerunterrichtlichen Angeboten ist also gewollt und wird vorausgesetzt.

Dies meint „Verlässlichkeit“ ebenfalls. Verlässlich ist eine Grundschule nach unserem Gesetz nämlich auch, weil sie Angebote für die verschieden Interessen unterbreitet. Die Eltern können sich sicher sein, dass ihre Kinder im Rahmen der Öffnungszeiten optimal betreut und nicht verwahrt werden. Dazu gehört natürlich auch, dass Angebote in Brückenstunden verbindlich sind.

Ganz anders verhält es sich jedoch mit der flexiblen Ein- und Ausgangsphase, die naturgemäß eine höhere Variabilität besitzen soll. Hierin liegt außerdem ein immenses Potenzial für die Arbeit der pädagogischen Mitarbeiter, Formen zu finden, die anspruchsvolle Inhalte mit Flexibilität verbinden.

Das Vertrauen in die Qualität ihrer Arbeit lässt uns sicher sein, dass auch nach der Einführung der Freiwilligkeit dieser Phasen die meisten Schüler diese Angebote wahrnehmen werden, einfach weil dort etwas passiert, die Kinder mit ihren Mitschülern gemeinsam auf Erlebnis- und Entdeckungstour gehen können. Auch die Eltern werden eher bereit sein, diese Angebote durch ihr Engagement zu unterstützen, da sie sehen, wie viel Spaß und Freude es ihren Kinder machen wird.

Statt einer Lernfabrik mit festen Arbeitszeiten wird die Grundschule nach unserem Gesetzentwurf ein Stück mehr Lebensraum bieten,

(Frau Mittendorf, SPD, schüttelt den Kopf - Zuruf von Frau Dr. Kuppe, SPD)

den man unter Berücksichtigung der Schulpflicht aufsuchen und in den Vor- und Abgangszeiten verlassen kann.

Die Grundschule mit verlässlichen Öffnungszeiten gemäß dem vorgelegten Gesetzentwurf wird die Grundschule attraktiver machen und bewusst den Mut, den Elternwillen zu respektieren, umsetzen. Ich beantrage die Überweisung des Gesetzentwurfes in den Bildungsausschuss. - Danke.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Dr. Volk. - Wir treten in die Debatte ein. Es ist eine Redezeit von zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Zunächst spricht für die Landesregierung Herr Minister Professor Dr. Olbertz. Bitte schön.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Ich bin fast ein wenig erstaunt darüber, dass sich die Oppositionsbänke bei diesem wichtigen Thema so gelichtet haben,

(Frau Feußner, CDU: Ja, es ist ihr Gesetz! Es ist eigentlich schade! - Herr Rothe, SPD: Wir sind ganz Ohr, Herr Minister! - Unruhe)

als führte man sozusagen den Landtag mit verlässlichen Sitzungszeiten ein.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ich möchte das Anliegen des Gesetzentwurfes noch einmal sehr ernsthaft bestärken, bekräftigen und begründen. Die Landesregierung begrüßt den von den beiden Regierungsfraktionen vorgelegten Gesetzentwurf ausdrücklich. Die Opposition wäre sicher sprachlos, wenn die Landesregierung dies nicht täte.

Ich will die Begründung kurz pointieren. Mit dem Gesetzentwurf wird ein wesentlicher Punkt der Koalitionsvereinbarung umgesetzt, der sich mit dem Elternwillen und dem Ersterziehungsrecht der Eltern befasst. Die Änderung ist - das möchte ich ausdrücklich sagen - im formalen Sinne marginal, in der Sache aber sehr bedeutsam. Der Elternwille wird wieder eingesetzt.

(Zustimmung bei der CDU, von Herrn Qual, FDP, und von Herrn Dr. Volk, FDP)

Ausdrücklich nicht geändert werden sollen die Öffnungszeiten der Grundschulen von fünfeinhalb Stunden und die Tätigkeit der pädagogischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Der Besuch der Eingangs- und der Ausgangsphase soll künftig aber freiwillig sein. Die Wahrnehmung der dort angesiedelten Angebote wird damit nicht mehr durch eine staatliche Vorschrift gesteuert, sondern durch die Qualität.

Verlässlich soll vor allem die Qualität der Schule sein. Daran möchte ich primär arbeiten. Deswegen sage ich: Diese Änderung ist zunächst in der Sache sehr wichtig,

aber in Bezug auf ihren Reformeffekt für die Arbeit der Grundschule noch nicht das, was man sich für eine moderne Grundschule wünschen muss; denn wir müssen an inhaltliche Reformen heran, für die wir im Moment nur die Rahmenbedingungen neu justieren mit einer aus der Perspektive der Union und der FDP sehr wichtigen Änderung.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Wenn ich also sage, die Wahrnehmung der außerhalb der festen Unterrichtsangebote angesiedelten Angebote soll nicht mehr durch eine staatliche Vorschrift gesteuert werden, sondern durch die Qualität, dann füge ich hinzu: Geschieht in dieser Zeit etwas Interessantes, Anregendes und Aufregendes, dann werden die Eltern von sich aus entscheiden, ihre Kinder noch in der Schule zu belassen. Oder noch besser: Die Kinder selbst werden von ihren Eltern verlangen, noch bleiben zu dürfen.

(Zustimmung bei der CDU und von Minister Herrn Dr. Daehre)

Ich habe mich mangels Übung im Parlament entschieden, gleich nach der Einbringung des Gesetzentwurfes das Wort zu ergreifen. Ob das immer die klügste Variante ist, werde ich beobachten.

Ich kenne die Einwände der Oppositionsfraktionen nun noch nicht so genau. Aber ich werde einmal versuchen, einige zu rekonstruieren aus den Gesprächen heraus, die oft durchaus konstruktiv gewesen sind. Auf diese würde ich gern eingehen.

Das Erste ist: Ich bin mir vollkommen im Klaren darüber, dass durch die Veränderung dieses Modus konzeptionell an die Grundschule eine neue Herausforderung gerichtet wird, weil sie nicht mehr den gesamten Rahmen so gestalten kann, dass der letzte Unterrichtsblock am Ende stattfindet. Das ist mir vollkommen klar. Hierbei muss man abwägen, wo Spielräume größer und wo sie kleiner sind.

Aus der Rückmeldung der Grundschulen, mit denen ich mich natürlich vorher verständigt habe - auch die Medien haben die Grundschulen hierzu befragt -, weiß ich, dass die große Mehrzahl der Grundschulleiterinnen und -leiter, die dazu befragt worden sind, erklärt haben, dass sie damit eigentlich kein gravierendes Problem haben. Der Spielraum ist immer noch groß genug.

Ich halte es für sehr wichtig, an die methodischen Innovationen der Grundschule mit festen Öffnungszeiten, die ich nicht nur respektiere, sondern zu einem Teil ausgesprochen gut finde, anzuknüpfen und sie durch Modifikationen in das neue Modell zu übernehmen; denn die Grundschulen sollen einen Rahmen, in dem sie auch im besten Sinne des Wortes experimentieren können, und einen modernen Schulalltag bekommen, der aus mehr besteht als nur aus Pauken von Stunde zu Stunde.

(Zustimmung von Minister Herrn Dr. Daehre)

Die Möglichkeit ist durch die Grundschule mit verlässlichen Öffnungszeiten keineswegs versperrt.

(Zustimmung bei der CDU und von Minister Herrn Dr. Daehre)

Sie könnten sicherlich zweitens sagen, es handele sich bei den Eltern, die mit der Grundschule mit festen Öffnungszeiten ihr Elternrecht eingeschränkt gesehen haben, nur um eine Minderheit. Dies ist sicherlich, rein quantitativ gesehen, zunächst richtig. Dann könnte ich daran erinnern, dass Sie schon oft in sehr vernünftigen

Zusammenhängen letztlich auch für den Schutz von Minderheiten eingetreten sind.

(Heiterkeit und Zustimmung bei der CDU - Frau Feußner, CDU: Genau!)