Meine Damen und Herren! Beim Lesen des Textes des Einbringers der Aktuellen Debatte habe ich mich zunächst gezwungen, gutgläubig zu sein. Ich habe gesagt: Okay, ich unterstelle den Koalitionsfraktionen, dass sie ernsthaft über Wirtschafts- und Finanzpolitik reden wollen.
Spätestens nachdem ich die Rede des Ministerpräsidenten im Bundestag zu dem gleichen Thema gelesen habe, weiß ich aber, dass es eigentlich nur um das Schwarzer-Peter-Spiel geht - das haben Sie hier auch ganz deutlich gesagt -: Was macht der Bund, was macht der Bund? Der Landtag soll zusammenrücken!
Das kommt mir vor wie in früheren Zeiten, als man die Frauen in Kriegszeiten an die Bohrmaschinen gerufen und danach wieder zurückgeschickt hat. So ungefähr stelle ich mir das mit dem Zusammenrücken im Landtag jetzt vor.
Was das dann bringt, haben wir beim KiFöG gesehen: In der Umsetzung waren Sie grottenschlecht. Solange Sie darin nicht besser werden, ist es sicherlich schwierig, näher zusammenzurücken.
Sie hätten sich das Plagiat sparen können, Herr Gürth, das wäre besser gewesen; zumal Ihr Ministerpräsident bei der Debatte im Bundestag gar nicht anwesend war. Er ist nämlich gegangen, nachdem er gesagt hatte, was er sagen wollte, und hat gar nicht mehr gehört, was die anderen dazu sagen.
- Das stimmt. Das steht sogar im Protokoll des Bundestages, ganz sicher. Wenden Sie sich bitte an den Bundestag. Anderenfalls würden sie falsche Protokolle verteilen, Herr Schrader. Heute ist der Ministerpräsident auch nicht anwesend. Insofern hätten Sie die Debatte vielleicht doch auf morgen verschieben sollen.
Zu dem Gutachten. Meine Damen und Herren! Der Satz „Glaube nur der Statistik, die du selbst gefälscht hast.“ ist zwar auf die Betrachtung des Wirtschaftswachstums nicht anwendbar, aber auch nur aus dem Grund: weil die Datenbasis real existierend und unbestechlich ist. In der politischen Bewertung allerdings kommen wir ganz schnell zu dem Vergleich mit dem Eingangssatz.
Die Kommentare reichen von „Stimmungsumschwung“ über „Konjunkturbelebung im Vormarsch“ und „Nachweis des Scheiterns der Bundespolitik“ bis zu dem Aufruf, nicht in eine liebevolle Kultivierung des Selbstzweifels zu fallen. Daraus kann man sich aussuchen, was man selbst für richtig oder für falsch hält.
Wenn man sich aber das Gutachten genau anschaut, stellt man fest, dass die Gutachter, wenn auch in Nuancen unterschiedlich, zu zentralen gemeinsamen Schlüssen kommen. Die außenwirtschaftlichen Impulse greifen vermehrt auf binnenwirtschaftliche Investitionen in Ausrüstungen durch.
Es ist eine Binsenweisheit, Herr Gürth. Wenn Sie sich die Gutachten der Institute oder auch einzelne andere Konjunkturanalysen der vergangenen Jahre anschauen - ich weiß, dass Sie das tun, insofern ist es besonders unverständlich, dass Sie hier solche Aussagen machen -, stellen Sie fest, dass das daran liegt, dass in den letzten Jahren, und zwar nicht erst in den letzten zwei Jahren, sondern schon nachdem der Wendeaufschwung im Westen weg war, die Binnennachfrage dramatisch eingebrochen ist und ein Großteil des Umsatzes auch westdeutscher Länder auf dem Binnenmarkt gemacht wird. Deshalb ist das Ganze noch nicht so angesprungen. Ich werde nachher noch einmal darauf zurückkommen.
- Schauen Sie sich doch die Daten an, Herr Tullner. Sie sind doch eigentlich viel intelligenter, als Sie sich jetzt mit Ihren dummen Zwischenbemerkungen hier darstellen.
Bei den Preisen bleibt Deutschland Stabilitätsgarant in Europa, sagen die Gutachter. Im Jahresverlauf wird die Erwerbstätigkeit in Deutschland spürbar zunehmen, allerdings im Jahr 2005 stärker.
Wir werden sehen, ob das der Fall ist. Das sind Prognosen der Gutachter. Sie werden das aus gutem Grund und mit guter Datenbasis so gesagt haben.
Die Konjunkturrisiken scheinen durchweg berechenbar. Die Wachstumsprognosen, nach denen das Wirtschaftswachstum bei 1,5 %, also am unteren Level, liegen wird - darin sind sich wohl auch die Bundesregierung und die Wirtschaftsforschungsinstitute einig - sind belastbar. In Ostdeutschland sind es 1,3 %.
Im europäischen Vergleich liegt Deutschland noch vor Italien, den Niederlanden und Portugal, allerdings - das ist richtig - ist das Tempo der Auflösung der Stagnation nicht schnell genug. Das alles geht noch zu langsam. Deshalb sind auch die Ergebnisse noch nicht so, wie man sie sich wünscht.
Die Gutachter sagen auch: Die Reformen der Bundesregierung sind noch nicht ausreichend. Aber sie sind auf den Weg gebracht und daran muss weiter gearbeitet werden.
Die besonderen Probleme der ostdeutschen Wirtschaft bestehen jedoch in der Orientierung auf den Inlandsmarkt - das wissen Sie so gut wie ich, Herr Gürth -, da die Binnennachfrage das noch schwächelnde Element ist. Unter anderem dadurch, dass es kein gemeinsames Vorziehen der zweiten Stufe der Steuerreform gab - das sagen die Gutachter auch, auch das steht darin -, hat es eine Verzögerung bei der Nachfrage auf dem Binnenmarkt gegeben. Wenn das die Hauptabsatzmärkte für
(Herr Tullner, CDU: Sie haben kein Vertrauen in die Politik der Bundesregierung! Das ist das Problem!)
Uns Ostdeutschen werden im Übrigen von den Gutachtern viele Aufgaben ins Buch geschrieben. Dazu gehören die Rückführung des Staatssektors und die Bekämpfung der Abwanderung. Das sind zwei Themen, die wir eben schon angerissen haben.
Vorhin hat jemand - ich glaube, Frau Fischer, Sie waren es - von Flickschusterei gesprochen, die dort erfolgt.
Das ist tatsächlich diesem föderalistischen System geschuldet. Wir alle sind dabei, darüber nachzudenken, wie man verhindern kann, dass der eine dann, wenn der andere regiert, versucht gegenzusteuern, unabhängig davon, ob das gut oder schlecht ist.
Ich kann nur sagen: Minister Clement hat dazu in der Debatte ein schönes und treffendes Zitat von Fontane vorgebracht. Fontane sagte:
„Der Konservatismus soll im Übrigen seinem Wesen nach eine Bremse sein. Damit muss man vieles entschuldigen.“
Das ist ein schönes Zitat von Fontane. Das mag nun in seiner Zeit noch als Entschuldigung gegolten haben, heute gilt es jedenfalls nicht mehr. Man hätte sich in der Tat solche Dinge wie die Praxisgebühr in Höhe von 10 € und anderes sparen können.
Zur Wirtschaftspolitik, meine Damen und Herren. Herr Böhmer sieht den Beginn allen Übels - das tat er im Übrigen auch in der Debatte - immer mit dem Start der rot-grünen Bundesregierung aus den Sümpfen kriechen.
Richtig ist, dass sich seit Anfang der 90er-Jahre drei entscheidende Faktoren negativ entwickeln. Die Investitionsquote ist im Durchschnitt der Bundesländer im Trend leicht gesunken. Für Sachsen-Anhalt gilt das nicht; hier ist sie stark gesunken und im Haushalt 2004 dann noch einmal stark weggebrochen. Das ist eine Glanzleistung, das kann ich Ihnen bescheinigen. Das Arbeitsvolumen ist fast kontinuierlich gesunken und der Anstieg der Arbeitsproduktivität hat abgenommen.
Diese Wachstumsschwäche hat der Staat - auch das sagen die Gutachter - in allen Jahren mit verursacht, indem er in der Investitionstätigkeit nachgelassen hat. Im Nachtragshaushalt sind im Übrigen die stärksten nominalen Kürzungen für das Land wiederum im investiven Bereich zu sehen.
Darüber hinaus hat es keine konsequente Konsolidierung der Haushalte gegeben. Das gilt insbesondere auch für Sachsen-Anhalt nach dem Jahr 2002. Sie sollten sich wirklich einmal überlegen, was Sie damit angerichtet haben.
Die Gutachter sagen des Weiteren: Verfehlt waren auch die Kürzungen der Ausgaben für Bildung und Humankapital. Ich erinnere nur an die Hochschulstrukturreform, die hier aus rein fiskalischen Gründen in Angriff genommen wird,
anstatt erst einmal zu schauen, wie man zunächst alles inhaltlich definieren kann, um dann zu einer vernünftigen Struktur für Sachsen-Anhalt zu kommen.
Welche Schlussfolgerungen und Empfehlungen, meine Damen und Herren, werden für den Aufbau Ost gegeben? - Ostdeutschland soll für Investoren attraktiver gemacht werden. Die vorhandenen wirtschaftlichen Potenziale sollen gestärkt, aber nicht staatlich gelenkt werden. Die Verkehrsinfrastruktur soll weiter ausgebaut werden. Die Solidarpaktmittel sollen nicht weiter zweckentfremdet eingesetzt werden.
Der Personalbestand in den Ländern und Kommunen soll zurückgeführt werden. Die Länder - denken Sie wieder an Ihren Haushalt - sollen Sorge dafür tragen, dass ihren Kommunen in ausreichendem Umfang Mittel für die Finanzierung von zusätzlichen Investitionen zufließen. Der öffentlichen Hand obliegt es, durch Investitionen in Schulen und Hochschulen die Ausbildung junger Menschen zu verbessern.
Die Lohnfindung soll weiterhin an der Produktivitätsentwicklung vor Ort ausgerichtet sein. Die Wirtschaftsforschungsinstitute sind allerdings nicht der Auffassung, dass Ostdeutschland langfristig ein Niedriglohngebiet sein soll. Sie prognostizieren, dass dies gar nicht möglich sein wird, dass es bei höherer Qualität vielmehr eine automatische Entwicklung hin zu höheren Löhnen geben wird.
Eine Evaluierung der Arbeitsmarktpolitik ist notwendig, um die Treffgenauigkeit zu erhöhen. Herkömmliche Instrumente hatten zwar einen Auffangeffekt, der auch wichtig war, ein Struktureffekt ist aber nicht eingetreten. Schließlich soll der Aufbauprozess Ost in eine gesamtdeutsche Regionalpolitik eingegliedert werden. - Das, Herr Gürth, sind die Punkte, über die wir hier inhaltlich im Landtag diskutieren müssen. Es geht nicht um ein Schwarzer-Peter-Spiel.
Es gibt Verantwortlichkeiten beim Bund und es gibt Verantwortlichkeiten bei den Ländern. Fangen wir bei der Verantwortlichkeit der Länder an.
Eine Modellregion ist Sachsen-Anhalt nicht geworden, weil das, was Sie eingereicht haben, nicht gut genug war. Das ist doch ganz klar.