Protocol of the Session on January 23, 2004

Durch die Anspruchsregelungen des BGB besteht dann für diesen Sachverhalt eine bundesweit einheitliche Regelung, und zwar unabhängig von einer etwaigen Kulanz des Eisenbahnunternehmens. Ich füge hinzu: Das entspricht einer Forderung vieler Bahnkunden im Rahmen des Verbraucherschutzes. Also gleiches Recht für alle Kunden.

Die Fahrgast- und die Verkehrsverbände bezweifeln, dass es durch eine derartige Änderung von Haftungsvorschriften zugunsten der Bahnkunden zwangsläufig zu einer Erhöhung der Fahrpreise kommt, wie es die Bahn warnend behauptet.

Verehrte Damen und Herren! Ein attraktiver Bahnverkehr ist ein wesentlicher Bestandteil zukunftsfähiger Mobilität. Deshalb muss eine erfolgreiche Bahnpolitik auch kunden- und verbraucherorientiert sein. Das heißt, der Kunde muss im Mittelpunkt der Unternehmenspolitik stehen, was bei kritischer Betrachtung der Bilanz der Bahnreform und der aktuellen Gegebenheiten leider nur sehr eingeschränkt festzustellen ist.

Der beste Verbraucherschutz für die Bahnkunden und der beste Rechtsschutz für die Bahn ist immer noch die Einhaltung der Pünktlichkeit, um Gründe für Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden.

Bahnchef Mehdorn hatte unlängst öffentlich wenig hilfreich konstatiert, dass es meist kein großes Problem sei, wenn man einmal zehn Minuten zu spät am Ziel ankomme. Abgesehen davon, dass es sich oft genug nicht nur um Zugverspätungen von zehn Minuten handelt, muss die Frage gestattet sein, ob die Rechtsposition der Bahnkunden gegenwärtig korrekt geregelt ist, wenn diese keinen Gewährleistungsanspruch geltend machen können.

Die Folgen der Unpünktlichkeit der Bahn sind jedenfalls oft genug beträchtlich, etwa wenn ein Anschlusszug oder der Anschluss zu anderen öffentlichen Verkehrsmitteln oder zum Flugzeug nicht erreicht wird. Man kommt zu spät zum Dienst, zu wichtigen Geschäftsterminen oder in den Urlaub. Mitunter müssen zwangsläufig Taxifahrten oder Hotelübernachtungen in Anspruch genommen werden. Hinzu kommen weitere Unannehmlichkeiten wie ein langer Aufenthalt auf nicht selten sehr ungastlichen Bahnhöfen.

Näher an der Realität als der Bahnchef bewegen sich offensichtlich einige Bahnvorstände, die den Schlendrian und die lasche Haltung in Bezug auf die Pünktlichkeit massiv anprangern. Dabei wird auf eine alte Eisenbah

nerregel geschworen: Die Sekunde ist Maßstab der Planmäßigkeit.

Ob eine solche Regelung, nach der, um die Anzahl der Zugverspätungen einzuschränken und Folgeverspätungen zu vermeiden, gar nicht mehr gewartet werden soll, dem Bahnkunden hilft, ist eher fraglich, zumal in einem Bahnpapier festlegt ist, dass zwischen 7 Uhr und 9 Uhr morgens grundsätzlich keine Wartezeit mehr gewährt wird. Das heißt doch nichts anderes, als dass im Berufsverkehr Züge auch dann pünktlich abfahren, wenn die Anschlusszüge unpünktlich sind.

Wir, die Fraktionen der FDP und der CDU, sind jedenfalls der Meinung, dass die Rückbesinnung der Bahn auf alte Tugenden wie Pünktlichkeit mit der von uns vorgeschlagenen Neuregelung des Rechtsverhältnisses zwischen Bahnkunden und Bahnanbieter nachhaltig unterstützt werden sollte.

Sehr geehrte Damen und Herren! Wir bitten Sie, unserem Antrag zuzustimmen und damit als Landtag die Landesregierung aufzufordern, sich im Bundesrat genau dafür einzusetzen; denn der bisherige Beratungsstand auf der Bundesebene entspricht keinesfalls unseren Erwartungen. - Ich bedanke mich herzlich.

(Zustimmung bei der FDP, bei der CDU und von der Regierungsbank)

Vielen Dank, Herr Qual. - Bevor wir in die Debatte eintreten, hat Herr Minister Daehre um das Wort gebeten. Bitte schön, Herr Minister.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Werter Herr Kollege Qual, ich denke, Sie haben in Ihren Ausführungen deutlich gemacht, dass Handlungsbedarf besteht, wenn wir ernsthaft auch weiterhin an dem Ziel festhalten wollen, dass die Bürgerinnen und Bürger nicht nur aus Sachsen-Anhalt, sondern aus der ganzen Bundesrepublik Deutschland verstärkt den Zug benutzen. Ich habe daran aber meine Zweifel. Ich bin deshalb froh darüber, heute in der „Mitteldeutschen Zeitung“ eine Zeichnung zu finden, bei der steht:

(Minister Herr Dr. Daehre hält einen Zeitungs- ausschnitt hoch)

„Preiserhöhung 1. April 2004 - Sie können sicher sein, die kommt pünktlich - Ihre Deutsche Bahn.“

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren! Das ist neben der Erhöhung der Fahrpreise im Nahverkehrsbereich im Dezember 2003 eine weitere Erhöhung. Ich denke, wenn es so ist, dass die Bahn die Preise für den Nahverkehr erhöht - die Länder waren dagegen, aber die Bundesregierung hat gesagt, der Preis wird so angesetzt und es wird so ablaufen - und jetzt auch im Fernverkehr die Preise erhöht, dann muss man sich nicht darüber wundern, dass die Bevölkerung immer unzufriedener wird und fordert: Wenn die Leistung nicht kommt, dann muss eine Entschädigung gezahlt werden.

Ich sage aber deutlich: Es kann nicht unser Ziel sein, dass wir dahin tendieren, dass Geld zurückgegeben wird; das Ziel muss vielmehr sein, dass die Leute tatsächlich pünktlich ankommen und pünktlich ihre nächste

Verbindung erreichen. Das muss das Ziel sein, nicht umgekehrt.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Denn was nützt es mir im Endeffekt, wenn ich meine 10 € zurückbekomme, aber trotzdem wieder eine Stunde warten muss, bis der nächste Zug kommt.

Wenn wir uns heute vor Augen führen, wie es einmal gewesen ist, dann stellen wir fest: Wir als gelernte DDRBürger waren daran gewöhnt, in Halle eine Stunde warten zu müssen, bis wir nach Dresden weiterfahren konnten. Das soll aber nicht die Zielstellung sein.

Als ich das erste Mal in die Bundesrepublik einfahren durfte und man mir gesagt hat, du hast genau 60 Sekunden Aufenthalt, um von dem einen Zug in den anderen zu kommen - ich wollte es nicht glauben, aber es hat sogar funktioniert. Daran müssen wir anschließen, meine Damen und Herren: Es hat funktioniert. Das wieder zu erreichen, muss die Zielstellung sein, wenn wir die Bahn attraktiver machen wollen.

Die Rechtsbeziehungen zwischen Eisenbahnkunden und Verkehrsunternehmen werden immer noch geprägt durch öffentlich-rechtliche Vorschriften, die die Bahn einseitig bevorzugen. Ich will deutlich sagen: Es geht uns nicht nur um die Deutsche Bahn, sondern auch um die privaten Betreiber. Wir wollen sie alle in einem Boot haben. Es geht also nicht nur in die eine Richtung. Wenn Wettbewerb auf der Schiene da ist, dann muss das für den einen genauso wie für den anderen gelten.

In Anbetracht der Bahnreform und der wachsenden Zahl nicht bundeseigener Eisenbahnen im Wettbewerb um den König Kunden sind diese Vorschriften abzuändern bzw. abzuschaffen und durch Vorschriften zu ersetzen, die dem Bahnkunden die üblichen Verbraucheransprüche unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Eisenbahnverkehrs gewähren. Ich bin fest davon überzeugt, dass insoweit Konsens in diesem Hohen Haus besteht.

Aber nicht nur Politiker sind von der Notwendigkeit von Rechtsänderungen überzeugt, auch die Verkehrsunternehmen selbst wissen, dass ein hoheitliches Transportieren von Nutzern des öffentlichen Verkehrs nicht mehr zeitgerecht ist. Wir alle wissen, dass Gewährleistungsansprüche von Kunden in der Regel auf zwei Ebenen zu Verbesserungen führen:

Erstens. Der Anbieter bemüht sich verstärkt, die Leistungserwartungen seiner Kunden zu erfüllen, um Ersatzleistungen zu vermeiden.

Zweitens. Der Kunde ist stärker geneigt, Leistungen anzunehmen, da er auf die Leistungserfüllung stärker vertraut.

Was grundsätzlich gilt, das gilt auch für den öffentlichen Verkehr. Das wird in einem Positionspapier des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen zu Kundenrechten vom September 2003 auf den Punkt gebracht - ich zitiere mit Ihrer Genehmigung, Herr Präsident -:

„Der VDV und seine Unternehmen stehen auch in Zukunft für eine Weiterentwicklung und Verbesserung der Kundenrechte. Entsprechende Aktivitäten unternehmen der VDV und seine Mitgliedsunternehmen daher insbesondere im Bereich der Kundeninformation, des elektronischen Fahrgeldmanagements, bei der Förderung des öffentlichen Verkehrs als geschlossene Reisekette, durch Umwandlung von Kulanzleistungen in

Ansprüche, mit der Erarbeitung von Musterbeförderungsbedingungen.“

Sie sehen, meine Damen und Herren, wer wie der VDV den Kunden in den Mittelpunkt seiner Überlegungen stellt, wird schon von sich aus bemüht sein, dem Kunden als gleichberechtigtem Partner entgegenzutreten.

Diese freiwilligen Leistungen reichen aber nicht aus. Wenn wirklich ein Umdenken im öffentlichen Verkehr erfolgen soll, also weg vom Anstaltsnutzer und hin zum Kunden orientiert wird, muss auch das Recht entsprechend angepasst werden. Das Recht ist nun einmal Ausdruck eines gesellschaftlichen Konsenses.

Es hat im Bundesrat eine entsprechende Initiative gegeben, die am 7. November 2003 in einen Beschluss mündete. Die Landesregierung hat diesen Beschluss unterstützt.

Ich würde mich freuen, meine Damen und Herren, wenn dieses Haus uns heute diesen Auftrag gibt, damit wir bei den weiteren Verhandlungen mit der Bundesregierung über das angestrebte Regelwerk im Interesse des Kunden die notwendige Rückendeckung haben.

Ich hoffe, dass uns heute das Hohe Haus in einem breiten Konsens diesen Auftrag erteilt, im Interesse der Bahn, aber auch vor dem Hintergrund der Tatsache, meine Damen und Herren, dass wir mehr als 300 Millionen € im Jahr für den Regionalverkehr ausgeben, bisher aber nur 6 % der arbeitenden Bevölkerung in Sachsen-Anhalt den öffentlichen Personennahverkehr in Anspruch nehmen. Das muss sich ändern, weil die Anzahl der Nutzer im Verhältnis zu den Mitteln, die wir zur Verfügung stellen, zu gering ist.

Damit die Zahl der Fahrgäste nicht noch geringer wird, müssen die Bahnanbieter sich bewegen und sie müssen den notwendigen öffentlichen Druck dazu erhalten. Darin sehe ich den Sinn des Antrages der FDP- und der CDUFraktion. Ich bedanke mich nochmals für die Initiative und hoffe, dass es zu einem einmütigen Konsens in diesem Hohen Hause kommt. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Zustim- mung von der Regierungsbank)

Vielen Dank, Herr Minister Dr. Daehre. - Die Debatte der Fraktionen eröffnet Herr Kasten für die PDS-Fraktion. Bitte, Herr Kasten.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Qual, eigentlich wollte ich eine Nachfrage an Sie stellen. Das ist mir aber, da Sie so schnell weg waren, nicht mehr möglich gewesen. Ich stelle diese Nachfrage deswegen an den Anfang.

Ich hatte angenommen, dass Sie zu dem Antrag sprechen würden. Dieser Antrag lautet:

„Der Landtag von Sachsen-Anhalt fordert die Landesregierung auf, sich im Bundesrat dafür einzusetzen, dass sich zukünftig das Rechtsverhältnis zwischen Fahrgast und Bahngesellschaften verbessert. Dazu sind die entsprechenden Regelungen aus der Eisenbahnverkehrsordnung herauszulösen und angemessene rechtliche Regelungen zu schaffen.“

Dazu, welche Regelungen aus der Eisenbahnverkehrsordnung herausgelöst werden sollen, habe ich von Ihnen nichts gehört. Aber Sie können ja in der zweiten Runde am Schluss darstellen, welche Regelungen Sie gemeint haben. Ich hatte eher den Eindruck, es handele sich um eine Aktuelle Debatte.

Trotzdem möchte ich jetzt zu dem Antrag sprechen. Dieser Antrag, Herr Qual, bereitet mir einige Bauchschmerzen, und zwar weniger inhaltlich, sondern wegen des Zeitpunktes der Einbringung. Vor einem Jahr wäre dieser Antrag innovativ gewesen, Anfang Oktober 2003 noch sachgerecht, heute ist es eher ein Nachtrag.

Ich weiß, dass dieser Antrag sinngemäß, durch Ihre Fraktion initiiert, in anderen Bundesländern wesentlich früher gestellt wurde. Für mich stellt sich die Frage: Warum erst jetzt?

Außerdem scheinen Ihnen die Ergebnisse der Arbeit des Bundesrates entgangen zu sein. Am 10. Oktober 2003 beantragte der Freistaat Bayern die „Entschließung des Bundesrates zur Verbesserung der Rechtsstellung der Bahnkunden und zur Stärkung des Verbraucherschutzes“. Diese Entschließung wurde vom Präsidenten des Bundesrates, Herrn Professor Dr. Böhmer, auf die Tagesordnung der 792. Sitzung am 17. Oktober 2003 genommen. Mit einigen kleinen Korrekturen wurde diese Drucksache in der 793. Sitzung am 7. November 2003 zum Beschluss erhoben.

Herr Präsident, mit Ihrer Genehmigung würde ich gern ein paar Punkte daraus zitieren.

Herr Kasten, es bedarf dieser Genehmigung nicht.

„Bei der Privatisierung der Deutschen Bahn sind die Rechtsverhältnisse zu den Kunden nicht ausreichend konsequent weiterentwickelt worden. Die Rechtsbeziehung zwischen der Deutschen Bahn und ihren Fahrgästen, wie sie derzeit besteht, ist grundsätzlich privatrechtlicher Natur (Beförderungsverträge). Dieses privatrechtliche Nutzungsverhältnis wird aber beispielsweise in wichtigen Sonderbereichen durch öffentlich-rechtliche Regelungen des Bundes, namentlich die Eisenbahnverkehrsordnung von 1938, zulasten des Verbrauchers modifiziert. In keinem anderen rechtlichen Bereich muss der Verbraucher für eine mangelhafte Leistung den vollen Preis bezahlen bzw. gegen seinen Willen eine mangelhafte Leistung abnehmen.“