Protocol of the Session on January 23, 2004

(Zuruf von Frau Wybrands, CDU)

Dabei hilft uns die Aussage, wir lägen an dieser Stelle über dem Bundesdurchschnitt, überhaupt nicht. Wer be

sonders schlecht ist, muss besonders viel tun. Das war schon immer so.

(Beifall bei der PDS)

Wenn es um die Zukunftsfähigkeit geht, dann müssen wir an dieser Stelle mehr investieren. Dabei hilft uns die Nivellierung, wie sie uns immer wieder genannt wird, nicht. Dabei hilft uns nur überdurchschnittliches Engagement für Innovation und gegenüber jenen, die Sachsen-Anhalt qualitativ aus dem Unterdurchschnitt heraus und über das Mittelmaß hinaus bringen sollen.

Abschließend will ich noch sagen: Die CDU hat den letzten Wahlkampf immer unter dem Motto „Rote Laterne“ geführt.

(Herr Schröder, CDU: Die rote Laterne muss weg!)

Ich kann Ihnen nur sagen: Wenn es so, wie Sie es jetzt machen, weitergeht, dann müssen Sie aufpassen, dass nicht irgendwann der Letzte das Licht ganz ausmacht.

(Beifall bei der PDS - Zuruf von Herrn Kurze, CDU)

Damit ist die Debatte beendet. Wir treten in das Abstimmungsverfahren zur Drs. 4/1297 ein. Es ist die Überweisung an den Gleichstellungsausschuss beantragt worden. Wir werden zunächst über eine Überweisung an sich abstimmen. Wer für eine Überweisung ist, den bitte ich um das Kartenzeichen. - Das sind die Oppositionsfraktionen. Wer ist dagegen? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Damit ist eine Überweisung abgelehnt worden.

Wir werden jetzt über den Antrag selbst abstimmen. Wer dem Antrag zustimmt, den bitte ich um das Kartenzeichen. - Das sind die PDS-Fraktion und einige Mitglieder der SPD-Fraktion. Wer ist dagegen? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer enthält sich der Stimme? - Das sind einige Mitglieder der SPD-Fraktion. Damit ist der Antrag abgelehnt worden. Wir verlassen den Tagesordnungspunkt 16.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf:

Beratung

Antisemitismus schon im Vorfeld bekämpfen

Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 4/1304

Einbringer ist der Abgeordnete Herr Dr. Fikentscher. Bitte sehr.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Antisemitismus - ein weites Feld, ein schreckliches Feld, ein gefährliches Feld. Es ist ein weites Feld, weil bereits der Begriff im Laufe der Zeit verschieden definiert und unterschiedlich weit gefasst wurde. Heute verstehen wir unter Antisemitismus nicht nur den bekennenden oder gewalttätigen Judenhass, nicht nur die Behauptung, dass Juden minderwertig und schädlich seien, sondern auch vielerlei scheinbar harmlos daherkommende Äußerungen, auf die ich noch näher eingehen werden.

Ein weites Feld ist der Antisemitismus auch hinsichtlich seiner Geschichte und Verbreitung. Seit Jahrhunderten gibt es Verfolgungen von Juden. Pogrome waren in Europa weit verbreitet. Noch immer ist der Antisemitismus in den meisten Länder Europas zu Hause.

Ein schreckliches Feld ist der Antisemitismus, weil auf seiner Grundlage das von Deutschland ausgehende und durch Deutsche verübte größte Verbrechen in der Menschheitsgeschichte geschah - der Holocaust.

Ein gefährliches Feld ist der Antisemitismus deswegen, weil es noch immer Früchte trägt. Trotz aller Aufklärung und Bemühungen dagegen wachsen auf diesem Feld weiterhin Abneigung und Hass, antisemitisches Denken und Handeln.

Gegen all das richtet sich unser gemeinsamer Kampf, der Kampf aller Demokraten, aller politisch Verantwortlichen in Deutschland. Das ist auch der Grund dafür, dass die SPD-Fraktion einen Antrag zum Thema Antisemitismus gestellt hat. Der Anlass selbst ist nicht dramatisch, aber ernsthaft, wie ich noch darlegen werde.

Meine Damen und Herren! Wir Deutschen haben eine besondere Verantwortung dafür, die Erinnerung an den Holocaust und das Gedenken an die Opfer wach zu halten. Wir müssen uns immer wieder neu mit den Ursachen und den Folgen auseinander setzen, um einer solchen Entwicklung bereits im Ansatz entgegenzuwirken und eine Wiederholung auszuschließen.

Zugleich ist es ein Thema, vor dem viele in unserem Lande gern die Augen verschließen, weil sie die schreckliche Vergangenheit nicht wahrhaben wollen, nicht daran erinnert werden wollen und die Debatte beenden möchten. Wer sich jedoch, so wie wir alle, den öffentlichen Fragen gegenüber verantwortlich fühlt, darf selbst nicht wegsehen, sondern ist verpflichtet, mit größter Aufmerksamkeit auch auf die leisesten Ansätze antisemitischen Denkens und Sprechens zu reagieren. Er muss sich öffentlich damit auseinander setzen und darf nicht erst darauf warten, dass er durch Taten dazu gezwungen wird.

Die Debatten über den Antisemitismus werden in der Öffentlichkeit meist aufgrund besonderer Anlässe geführt. Das sind entweder herausragende antisemitische Handlungen oder Äußerungen und Verhaltensweisen öffentlicher Personen.

So war es bei unserer Aktuellen Debatte am 21. Juni 2002; sie wurde aufgelöst durch Äußerungen und Verhaltensweisen des stellvertretenden FDP-Vorsitzenden Jürgen Möllemann. So war es auch kürzlich, als am 11. Dezember 2003 der Deutsche Bundestag über einen Antrag aller vier Fraktionen zum Thema Antisemitismus debattierte. In diesem Fall war der CDU-Abgeordnete Hohmann der Anlass. Bei unserer heutigen Debatte ist es Wolfgang Kupke. - Aber das sind stets nur die Anlässe. Die Ursachen liegen tiefer und verlangen eine gründliche Beschäftigung damit.

Der Deutsche Bundestag ist dieser Aufgabe gerecht geworden. Er führte eine ausgiebige Debatte mit 13 Rednerinnen und Rednern und mit wechselseitigem Aufeinanderzugehen, also eine echte Auseinandersetzung. Verglichen damit wird unsere heutige Debatte bescheiden ausfallen. Sie darf deswegen jedoch nicht minder klar und entschieden sein.

Meine Damen und Herren! Zwar redet in Deutschland niemand mehr offen davon, dass die Juden vergast wer

den müssten, doch tief eingegrabene antisemitische Vorurteile und Abneigungen haben sich in weiten Teilen der Gesellschaft erhalten. Sie wurden jahrzehntelang genährt und auch während der ersten Nachkriegsjahre in Deutschland offenbar nicht entschieden bekämpft. Jedenfalls hat erst der vor 40 Jahren begonnene Frankfurter Auschwitz-Prozess das unvergleichliche Ausmaß der nationalsozialistischen Judenvernichtung erstmals massiv in das Bewusstsein der internationalen und der deutschen Öffentlichkeit gebracht.

Nach der Aufdeckung aller Verbrechen und Gräueltaten bleibt unverrückbar bestehen, was die Philosophin Hannah Ahrendt damals sagte: Es handelte sich um die bisher einzige planvoll betriebene Ausrottung einer gesamten von den Verfolgern einer zu vernichtenden Rasse zugeordneten Menschengruppe. Dies ist nun einmal von Deutschland ausgegangen und von Deutschen ausgeführt worden. Alle Versuche, den Holocaust zu verallgemeinernden philosophischen oder geschichtsvergleichenden Erklärungsmustern aufzulösen und damit die besondere und einzigartige deutsche Schuld zu verdecken, finden an dieser Tatsache ihre Grenzen.

Inzwischen kennt jeder diese grauenvolle Geschichte oder könnte sie kennen. Dennoch gibt es immer wieder neue Versuche der Relativierung und Geschichtsklitterung. Auch darauf bezieht sich die in der Begründung zu unserem Antrag zitierte Einschätzung von Paul Spiegel.

In der Weihnachtsausgabe der „Jüdischen Allgemeinen“ lesen wir den Satz:

„So also ging in Deutschland das Jahr 2003 zu Ende, das Jahr, das uns einen neuen Begriff geschenkt hat, den von den Juden als Tätervolk.“

Dieses Wort ist inzwischen zum Unwort des Jahres erklärt worden.

(Zuruf von der CDU: Das hat er gar nicht so ge- sagt!)

Die „Süddeutsche Zeitung“ fragte schon am 6. November 2003: Wie tief ist der Abgrund des Antisemitismus in diesem Land? Zuvor hatte eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa herausgefunden, dass jeder fünfte Deutsche latent antisemitisch eingestellt sei. Auch wurde eine zunehmende Toleranz gegenüber antisemitischen Äußerungen festgestellt. Mehr als 23 % sehen zuviel Einfluss von Juden in Deutschland, 18 % weisen den Juden eine Mitschuld an ihren Verfolgungen zu und fast 55 % aller unterstellen, dass Juden aus der Vergangenheit Vorteile ziehen wollen.

Hans-Jochen Vogel sprach als ehemaliger Oberbürgermeister der Stadt München diese Tatsache bei der Grundsteinlegung für ein jüdisches Zentrum am Jakobsplatz in München am 9. November 2003 klar an:

„Wir wissen, dass es auch in unserer Stadt noch immer antisemitische Tendenzen und Ausschreitungen gibt und zuletzt sogar Pläne für einen Anschlag gegen diesen Ort vorbereitet worden sind. Es beschämt uns, dass noch immer jüdische Einrichtungen des ständigen polizeilichen Schutzes bedürfen, und ich bin bestürzt, dass gerade dieser Tage Juden in unserem Land erneut mit unsäglichen Unterstellungen beleidigt wurden.

Deshalb muss zu dem Gedenken ein Versprechen hinzutreten, das Versprechen nämlich, dass wir nicht wegschauen und weghören, sondern im

Sinne des ‚Nie-wieder‘, des ‚Nicht-noch-einmal‘ dem Ungeist entgegentreten, wo er sich von neuem zeigt.“

So weit Hans-Jochen Vogel bei dieser Veranstaltung.

Meine Damen und Herren! Der Antisemitismus ist auch ein heimtückisches Problem, das sich mit dem Aussterben der älteren Generationen nicht von selbst löst. Hierbei werden geradezu Erbschaften weitergereicht. Auf die Erfahrungsgenerationen folgen offensichtlich die so genannten Bekenntnisgenerationen.

Der „Tagesspiegel“ vom 8. November 2003 fragte dazu: Wie steht es um die deutsche Erinnerungskultur? Sind die Deutschen unbelehrbar? - Sie wollen offenbar aus dem Schatten von Auschwitz heraustreten und sind im Begriff, sich ihre Erinnerungen neu zusammenzustellen.

Meine Damen und Herren! In diese Gesamtsituation hinein fällt nun die Hohmann-Affäre. Martin Hohmann - Jurist, langjähriger Bürgermeister, CDU-Bundestagsabgeordneter. Ausgerechnet am Tag der Deutschen Einheit hält er die Rede, die die Affäre ausgelöst hat. Sich auf sehr unsicherem geschichtlichem Boden bewegend verwies er darauf, dass bei den Bolschewiki eine vergleichsweise große Anzahl von Juden an den Verbrechen dieser Zeit beteiligt gewesen sei und man die Juden deshalb ebenso als „Tätervolk“ bezeichnen könne, wie man es mit den Deutschen tue.

„Die Zeit“ vom 6. November 2003 führt zu dieser Rede aus: Hängen bleiben sollte bei Hohmanns Zuhörern ja nur, dass auch Juden schon Untaten begangen hätten, und zwar bereits früher als die Deutschen. Daraus schlussfolgert nun wieder Hohmann, Juden und Deutsche hätten sich gegenseitig nichts vorzuwerfen, seien gewissermaßen historisch quitt.

In voller Absicht bemühte er dabei Halbwahrheiten, um zu einer umfassenden Entsorgung der deutschen Geschichte zu gelangen. Das alles wird relativierend ausgesprochen, aber immerhin absichtsvoll in die Welt gesetzt. Diese Form des Antisemitismus sagt nicht mehr „an allem sind die Juden schuld“, sondern „die Juden sind auch nicht weniger schuld als wir“. Genau das steht im krassen Widerspruch zu dem, was mit meinem vorigen Zitat von Hannah Ahrendt zum Ausdruck kommt.

Die weitere Geschichte des Falls Hohmann ist bekannt. Obwohl der Saal bei seiner Rede voller Zuhörer war,

(Herr Schomburg, CDU: Auch SPD-Mitglieder!)

fand sich zunächst niemand, der die antisemitischen Äußerungen anprangerte. Erst vier Wochen später geschah das auf dem Weg über das Internet. Dann setzten die öffentliche Protestwelle und die Diskussion ein.

Genau eine Woche lang haben Angela Merkel und ihre Mitstreiter geglaubt und wohl auch gehofft, der Fall Hohmann lasse sich ohne einen klaren Schnitt durchstehen. Dann allerdings behauptete die Parteivorsitzende, man habe dem Delinquenten nur eine Woche Zeit für die Umkehr einräumen wollen; diese habe er nicht genutzt. Doch die Unionsfraktion hat dem Vernehmen nach in dieser Woche kein einziges Mal darüber diskutiert.

Nun ist Martin Hohmann seit dem 14. Dezember 2003 nicht mehr Mitglied der CDU/CSU-Fraktion. Bei der entscheidenden Abstimmung stimmte jedoch ein Fünftel der Fraktion gegen Angela Merkel und damit für den Ver

bleib Hohmanns. In den Medien hieß es dazu: Ein Verlierer, keine Siegerin!