Rüdiger Fikentscher
Appearances
Last Statements
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das ehrenamtliche bürgerschaftliche Engagement ist so aktuell wie das Wetter. Insofern könnten wir täglich darüber debattieren. Es ist auch in seiner Vielfalt und seiner Auswirkung auf unsere Gesellschaft von ähnlicher Bedeutung. Deswegen ist es sehr richtig und gut - ich habe es sehr begrüßt -, dass der Ministerpräsident hierzu das Wort genommen hat. Denn es ist tatsächlich eine Querschnittsaufgabe; man darf es nicht auf ein Ressort, auf einen Bereich zurückstutzen.
Aber irgendetwas muss bei der Koordinierung in der Koalition doch schief gelaufen sein. Jedenfalls haben Sie das Thema vorübergehend einmal aus dem Auge verloren. Ich darf daran erinnern, dass am 6. Juli - das ist heute schon erwähnt worden - eine Ehrenamtskonferenz von Ihnen durchgeführt worden ist. Am 8. Juli hatten wir dann hier im Landtag die Diskussion über den PDSAntrag. Der Antrag ist in den Ausschuss für Kultur und Medien und mitberatend in den Ausschuss für Gesundheit und Soziales überwiesen, aber bis jetzt noch nicht beraten worden.
Man hätte, Ihr Engagement vorausgesetzt, in den Ausschüssen schon etwas tun können.
Diesen Antrag hätte man um denjenigen, den Sie haben, ergänzen können. Das ist aber nicht geschehen.
Sie haben, wie Sie selbst schreiben, den Antrag im September für heute angekündigt und den Antrag nun im Oktober eingebracht und dazu noch eine Aktuelle Debatte beantragt. Warum das notwendig ist, erschließt sich höchstens, wenn man auf den nächsten Sonntag in Gommern schaut.
Das könnte vielleicht einen Grund haben: die damit verbundene Aufforderung, dass in den Medien darüber berichtet werden möge. Die Begründung für die Aktuelle Debatte ist natürlich mit dem Hinweis auf die hessische Ehrenamtsstudie von Anfang September dieses Jahres nicht ganz aus der Luft gegriffen; man hätte es allerdings auch anders einbringen können. Dass der Regierende Bürgermeister von Berlin am 9. September dieses Jahres die ersten Freiwilligenpässe übergeben hat oder die
Ehrenamtskonferenz am 6. Juli dieses Jahres sind auch Zeichen dafür, wie wichtig das Thema von allen genommen wird.
Ein Wort zur hessischen Landesregierung bzw. zu der Studie. Das ist eine dicke Studie von 80 Seiten Umfang, die erst kürzlich erschienen ist. Sie fußt auf einer Vergleichsuntersuchung aus dem Jahr 1999 und heißt: „Gemeinsam aktiv. Bürgerengagement im Land Hessen“. Die Landesehrenamtsagentur hat sie herausgegeben.
Im Vorwort schreibt Ministerpräsident Koch unter anderem: Besonders wichtig sei, die Unsicherheiten beim Versicherungsschutz seien nun Vergangenheit. - Das ist ein ganz wichtiger Punkt, der schon in der Debatte im Juli mit zur Sprache kam und heute an verschiedenen Stellen wieder angesprochen worden ist.
Es wünscht sich also jeder, dass der Versicherungsschutz ausgebaut wird. Ministerpräsident Koch wünscht sich für den Rest Deutschlands, dass andere Länder dem hessischen Beispiel folgen sollten. Das, glaube ich, sollten wir auch tatsächlich tun; denn es hat sich herausgestellt, dass wir insgesamt beim ehrenamtlichen Engagement und damit auch bei der staatlichen Förderung und Organisation des Ganzen ein wenig zurückgeblieben sind.
Es gibt aber inzwischen ein Heft, das hauptsächlich von den Sparkassen herausgegeben worden ist mit der Überschrift: „Sicher engagiert - Versicherungsschutz im Ehrenamt“. Darin können Sie nachgucken, jeder kann nachgucken, welchen Versicherungsschutz man in Anspruch nehmen kann, wo man sich erkundigen kann, was in dem einzelnen Amt möglich ist. Versicherungsschutz im Ehrenamt: Unfallversicherung, Haftpflicht, weitere Versicherungen, die entsprechenden Adressen, das kann man alles entnehmen.
Die Publikation gibt Orientierung und greift denjenigen unter die Arme, die sich ehrenamtlich engagieren, und auch denjenigen von uns, die den Ehrenamtlichen Hilfe angedeihen lassen. Das alles gibt es also schon. Vielleicht sollte das auch in unserem Land Schule machen.
Es wird darin auch über Sammelverträge für die Engagierten informiert. Diese Sammelverträge sind staatlicherseits abgeschlossen worden. Eine schöne Landkarte ist dazu abgebildet: die westlichen Bundesländer, nicht die südlichen und nicht die östlichen außer Berlin, sind schon dabei. Sachsen-Anhalt ist noch nicht dabei. Es wäre durchaus möglich, dass sich das Land dem anschließt. Sechs Bundesländer sind dabei, Hessen auch.
Nun noch ein paar Bemerkungen zu dem Antrag, der mit der Aktuellen Debatte verbunden ist, was vernünftig ist. Der erste Punkt, die Bedeutung des Ehrenamts, das weiß jeder, das können wir abhaken. Das ist eine klare Sache und dem widerspricht niemand. Dass der Landtag all den Ehrenamtlichen dankt, ist auch eine schöne Geste; das machen wir gern, bringt aber auch nichts weiter.
- Ich habe es doch nicht abgewertet. Sie haben es geschrieben und ich habe nur gesagt, dass es gut ist und dass wir dazu stehen. Aber darüber brauchen wir jetzt nicht zu streiten.
Der vierte und letzte Punkt, die Aufforderung an die Medien: Ich beteilige mich auch gern einmal an Medienschelte, aber die Medien berichten jedenfalls bei uns, in der „Mitteldeutschen Zeitung“, vergleichsweise viel über ehrenamtliches Engagement, über einzelne Personen oder Gruppen. Sie können aber immer noch mehr machen, und sie aufzufordern, mehr zu berichten, ist in Ordnung.
Kernstück Ihres Antrages ist aber der dritte Punkt. Darin wird zunächst die Landesverwaltung aufgefordert, bürgerfreundlicher zu werden. - Das sollten wir einmal beschließen. Wir beschließen einfach einmal, die Landesverwaltung wird bürgerfreundlicher. Dann hätten wir es doch.
Dass ein gestuftes Anerkennungssystem ausgearbeitet werden muss, das ist auch richtig. Die Landesregierung ist offensichtlich schon dabei, daran zu arbeiten, wenn auch ein bisschen verzögert. Ich sagte schon, wir sind ein klein wenig Entwicklungsland in dieser Hinsicht, aber dennoch ist es gut, dass die Landesregierung daran arbeitet.
Die Modernisierung der Verwaltungs- und Zuwendungspraxis: Im Mai dieses Jahres ist schon der Runderlass des Finanzministers gekommen; der Herr Ministerpräsident hat es erwähnt. Es wäre interessant zu erfahren, was er gebracht hat. Ein bisschen Laufzeit muss man ja einem solchen Erlass geben. Wir werden demnächst sicherlich einmal herausfinden müssen, an welcher Stelle der Erlass etwas gebracht hat. Ich höre immer wieder, dass die Vereine und Verbände, die auf ehrenamtliches Engagement angewiesen sind, unverändert große Schwierigkeiten haben, an Mittel heranzukommen. Ob der Erlass selbst oder seine Umsetzung daran etwas ändern konnte, das lässt sich jedenfalls im Moment für uns noch nicht herausfinden.
Kernstück des Ganzes ist tatsächlich die Modernisierung der Zuwendungspraxis, weil es um das Geld geht, das überall fehlt. Wir müssen feststellen, je besser es einem Land geht, je höher der durchschnittliche Wohlstand ist, umso besser ist auch das ehrenamtliche Engagement. Die Länder und Gegenden, die es am nötigsten hätten, haben also am wenigsten von ehrenamtlichem Engagement. Das ist ein natürlicher Zusammenhang, den wir leider nicht ganz auflösen können, aber mit öffentlicher Hilfe vielleicht ein klein wenig besser machen können.
Ihre weiteren Punkte wie etwa eine Bundesratsinitiative: Nun gut, das kommt öfters vor. Vielleicht kann man in den künftigen Koalitionsvertrag auch diese Punkte mit einbringen. Dieser Vertrag soll ja sehr intensiv verhandelt werden und wird sicherlich sehr viele Punkte enthalten. Das wäre eine Gelegenheit. Dann muss man nicht den Umweg über den Bundesrat gehen.
Fortbildungssysteme gibt es zum Teil schon. Das ist eine schwierige Angelegenheit. Ressortübergreifend wird man im Ausschuss darüber reden können.
Schließlich Handreichungen: Ich habe eine von den wichtigen Handreichungen, die es woanders schon gibt, erwähnt. Das wird man machen müssen, weil sich fast alles immer auf den Versicherungsschutz konzentriert. Sammelversicherungen erwähnte ich; Sachsen-Anhalt sollte diesen Schritt gehen.
Es gibt allerdings noch andere Punkte, die in Ihrem Antrag nicht enthalten sind und die wir in den Ausschuss einbringen werden und diskutieren müssen wie zum Beispiel den Aufbau von Freiwilligenagenturen. Es gibt bisher erst eine arbeitsfähige Agentur in Halle. Im Harz und in Magdeburg sind sie im Begriff, sich aufzubauen. Das reicht noch nicht. Ich weiß aus Halle, dass die Sache funktioniert und dass viel geschieht. Es sind viele sehr engagierte Leute dabei, die das organisieren, weil es viele Menschen gibt, die sagen, sie wollen etwas tun. Darin finden diese eine Stelle, die ihnen sagt, jawohl, für Sie, für dich ist etwas dabei. Das sollte man weiter aufbauen.
Das Landesnetzwerk sollte auch ausgebaut werden. Bundesnetzwerke - wir haben schon beim vergangenen Mal kritisch darüber diskutiert. Ich möchte nicht, dass das Ehrenamt verstaatlicht wird.
Ich möchte aber natürlich gleichzeitig, dass man den Ehrenamtlichen die Hilfestellung gibt, die notwendig und seitens des Landes, des Staates möglich ist. Den richtigen Weg zu finden, wird in einem insgesamt relativ armen Land besonders schwierig sein.
Meine Damen und Herren! Kurzum, dieses Thema ist wichtig und vielfältig. Sachsen-Anhalt hinkt in einigen wichtigen Punkten anderen Bundesländern hinterher. Wir müssen aufholen, wir müssen uns gemeinsam anstrengen. Die Regierung sollte handeln und sich das Beispiel Hessen vor Augen führen. Inzwischen gibt es ja dieses schöne Papier, in das man hineinschauen kann, wie man das alles machen kann.
In den Ausschüssen sollte nun zügig beraten werden - nicht liegen lassen. Wir hatten eigentlich die Absicht, alle Ausschüsse außer dem Petitionsausschuss damit zu beschäftigen, aber das würde ein bisschen zu weit führen, weil wir das Ganze dann vielleicht so lange beraten, bis es der Diskontinuität verfällt. Wir schlagen also die Ausschüsse für Kultur und Medien, für Inneres, für Soziales und Gesundheit und natürlich auch für Finanzen, weil das Thema mit einer Menge Geld zu tun hat, vor.
Der Beitrag des Ministerpräsidenten hat gezeigt, dass die Regierung das Thema ernst nimmt, dass sie von sich aus in einigen Punkten schon tätig ist. Hoffentlich können wir also in den Ausschüssen gemeinsam gut darüber beraten. Wir haben auf einen Änderungsantrag verzichtet, mit dem wir all das, was ich jetzt gesagt habe, hätten einbringen können. Das kann alles im Ausschuss geschehen.
Ich bin nicht ganz der Meinung von Frau Paschke - sie hat es vielleicht auch nicht so gemeint -, dass wir jetzt damit abtauchen sollten, sondern wir sollten das Thema sehr wohl hoch halten und ständig in die Öffentlichkeit bringen,
damit auch alle feststellen, dass sich der Landtag damit beschäftigt und nicht nur Sonntagsreden hält. - Vielen Dank.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Fast überall, wohin ich komme - ich vermute, Ihnen geht es genauso -, trifft man auf Leute, die über Unzulänglichkeiten klagen, über Ärgernisse, über vermeintliches oder tatsächliches Unrecht, das ihnen begegnet, und was alles nicht getan wird, aber getan werden müsste. Wenn wir mit solchen Leuten reden, dann ist natürlicherweise der erste Schritt, ihnen nahe zu legen, sie sollen sich, wenn es denn möglich ist, um ihre eigenen Angelegenheiten erst einmal selbst kümmern. Wenn sie zu mehreren sind, dann sollen sie sich möglichst zusammenschließen und gemeinsam etwas tun. Dazu können wir sie ermuntern, können beraten und Hilfestellung geben. Das ist dann das, was wir in der Summe als bürgerliches Engagement bezeichnen.
Dazu lässt sich viel tun, aber viele können es von sich aus nicht so leisten, wie sie es leisten wollten. Deswegen brauchen sie natürlich Hilfe.
Ein solches Engagement ist großartig, es ist bei uns leider noch nicht so tief verwurzelt, wie es in anderen Staaten der Fall ist. Ich denke nur an die USA, wo die Leute seit jeher dem Staat misstrauen und sagen: Der Staat soll möglichst gar nichts machen. Was gemacht werden muss, machen wir gefälligst selber. - Dort haben wir ganz andere Traditionen als hier bei uns, wo sich traditionell alle auf den Staat verlassen.
Aber es ist inzwischen sehr viel in Bewegung gekommen und es ist auch staatlicherseits, von politischen Parteien, im Bundestag - Enquetekommissionen usw. - sehr viel dafür getan worden. Das ist außerordentlich zu begrüßen.
Woran es am meisten, wie mir scheint, noch fehlt, ist das, worauf die PDS in der Begründung zu ihrem Antrag hinweist. Es steht da:
„Vor allem jedoch braucht es Bürgerinnen und Bürger, die bereit und in der Lage sind, sich aktiv für das gesellschaftliche Gemeinwesen zu engagieren.“
Daran fehlt es noch. Dafür müssen wir auch Ermutigungen geben. Dazu greife ich gleich diese Frage, die eben im Gespräch war, auf, nämlich die der Versicherung. Es gibt viele Leute, die sagen: Ich würde gern mitmachen. Ich würde die Schulklasse begleiten. Ich würde dort, wo ein Einsatz ist, gern etwas mit tun, aber was ist, wenn dabei etwas passiert, wenn mir etwas passiert oder ein Schaden entsteht, den ich verursacht habe oder für den ich verantwortlich gemacht werde? An dieser Stelle setzt
sehr häufig das Engagement gar nicht erst ein oder sehr leicht aus.
Natürlich, muss ich sagen, ist die DDR-Vergangenheit auch noch mit im Spiel. Denn es gab da eine Regel - wenn ich es recht verstehe, etwa so -: Alles gesellschaftliche Engagement oder alle, wie es damals hieß, gesellschaftliche Tätigkeit und Betätigung sei pauschal versichert. Wenn man damals mit anderen Leuten zusammen zum Sport ging oder irgendwo etwas umgegraben hat, war man versichert. Das war eine Beruhigung. Etwas Ähnliches schwebt, glaube ich, vielen vor. Es wird vermutlich in Deutschland in dieser pauschalen Form nicht gehen. Wenn wir schrittweise dahin kämen, wäre es gut.
Aber, meine Damen und Herren, in dem Antrag ist auch eine ganze Reihe von Punkten enthalten, über die man, glaube ich, im Ausschuss miteinander noch sehr genau und gründlich reden muss, weil viele Dinge noch nicht so scharf sind, dass man dazu einfach ja sagen könnte.
Es gibt eine Reihe von Spielregeln in der Bürgergesellschaft. Ich will nur einmal fünf nennen. Das erste ist die Selbstorganisation. Die Bürger sollen sich selber organisieren und nicht von anderen organisiert werden. Es muss die Freiwilligkeit gegeben sein. Das heißt, man kann nicht von Amts wegen Leute irgendwo hineinschicken und sagen: Macht mal dort bei der Bürgerbewegung oder beim bürgerschaftlichen Engagement mit!
Es muss die Eigenverantwortung gegeben sein. Das heißt, die Leute, die etwas machen, müssen auch die Verantwortung dafür übernehmen und sie nicht einfach auf andere abwälzen können, indem sie sagen, sie hätten es gut gemeint, aber da es schlecht gegangen sei, seien andere, die Kommune oder das Land, dafür zuständig. Man muss Vertrauen in die Sache haben und sich gegenseitig vertrauen, dass die Sache klappt.
Man muss sich auch gegenseitig unterstützen. Bei der gegenseitigen Unterstützung spielt natürlich die Kommune oder unter Umständen das Land auch eine Rolle. Zu den Voraussetzungen dafür gehört dann wiederum, dass wir Unternehmen in unserem Land haben, die sich gegenüber unserem Gemeinwesen verpflichtet fühlen, dass der Staat solche Initiativen nicht hemmt, sondern dass er sie dort, wo es möglich ist, unterstützt, jedenfalls bürokratische Hemmnisse wegräumt.
Der Staat sollte das Engagement auch anerkennen, wobei die Anerkennung nicht zum Selbstzweck verkommen soll. Nicht dass jemand anfängt, sich zu engagieren, weil er irgendwo eine Nadel ergattern will, mit der er sich dann stolz zeigt; es muss schon umgekehrt sein: Erst muss etwas gemacht werden, was dann gelegentlich auch anerkannt wird.
Die Organisationen müssen auch eine weitgehende Mitbestimmung derer gestatten, die mit tätig sind.
Ich weise auf zwei Gesichtspunkte hin, auf die wir auch während der Beratungen noch kommen müssen, wo ich meine, dass Grenzen gezogen sind. Wenn man das Ganze so organisiert, wie es sich zum Teil in Tendenzen schon erkennen lässt, dann fürchte ich, dass man an die Grenze kommt, wo man das bürgerschaftliche Engagement zum Teil quasi verstaatlicht, eine Überorganisation schafft, in der sich dann alle an bestimmte Regeln halten müssen
und wo sie Zuwendungen bekommen, die wiederum nach bestimmten Grundsätzen der Landeshaushaltsordnung und dergleichen kontrolliert werden. Das ist das Gegenteil von freiwilligem Engagement.
Das Zweite: Man muss natürlich auch eine Grenze ziehen zwischen denjenigen, die sich für die Allgemeinheit engagieren und selber nur zum Teil betroffen sind, und denjenigen, die eine Bürgerinitiative gründen und bloß wollen, dass die Straße vor ihrem Haus gepflastert wird, und sich hinterher auflösen. Das ist nichts, was ich unterstützen würde, nicht als Kommune und nicht als Land.
Das heißt, man muss das nicht so pauschal sehen. Nicht alle, die sagen, sie seien bürgerschaftlich engagiert, sind gute Leute, die nur etwas Gutes machen. Aber sehr viele, die das tun, müssen unterstützt werden. Um das im Einzelnen zu regeln, freue ich mich auf die Überweisung in den Ausschuss für Kultur und Medien. Damit sind wir einverstanden. Der Sozialausschuss wäre noch sehr gut, weil dort die Frage der Versicherung, die eine zentrale Frage ist, in Ruhe miteinander beredet werden kann.
Ich glaube, dass wir weder den DDR-Zustand wieder brauchen noch den jetzigen unzulänglichen Zustand für gut befinden sollten. - Vielen Dank.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Thema ist ohne Zweifel aktuell, und zwar seit 14 Jahren. Es hätte jetzt nicht der Begründung bedurft, dass ein Papst gestorben ist. Weder der Tod noch die Neuwahl eines Papstes wird die Verhältnisse bei uns in dieser Hinsicht ändern, auch nicht die Diskussion in Berlin; das haben wir gerade gehört.
Ich fand es deswegen ein klein wenig befremdlich, dass Sie, Frau Feußner, etwas vorwurfsvoll zu uns geschaut haben. Ich konnte daraus fast die Verdächtigung herauslesen, als würden wir uns mit dem Gedanken tragen, hieran etwas ändern zu wollen.
Es hat bei uns nirgends, weder intern noch nach außen, irgendeinen Hinweis darauf gegeben.
Die Aktualität ist also in jedem Falle gegeben.
Ebenfalls seit 14 Jahren besteht ein Spannungsfeld zwischen dem, was wir einerseits wollen, und dem, was wir andererseits können. In Bezug auf diese Thematik besteht ein öffentliches Interesse, und es gibt auch individuelle Interessen, und zwar von Personen, aber auch von Gruppen. Dieses Spannungsfeld entfachte immer wieder auch eine Diskussion. Dabei ging es jedoch nicht um das Grundsätzliche.
Durch das Rechtsgutachten sind nunmehr neue Aussichten entstanden. All das ist dargelegt worden. Es gibt die Aussicht darauf, die Situation verbessern zu können. Das ist gut. Man sollte alle Möglichkeiten, die sich daraus ergeben, voll ausschöpfen.
Es gibt noch immer enge Grenzen. Diese werden wir auch nicht grundsätzlich erweitern können. Seitens des Ministeriums und des Ministers ist schon gesagt und geschrieben worden, dass wir das Problem aufgrund der neuen Auslegungsmöglichkeiten nicht vollständig lösen können; aber wir können die Situation vielleicht verbessern.
Es stellt sich die Frage: Was wollen wir eigentlich? - Im Grunde wollen wir alle das Gleiche, nämlich einen wertebezogenen Unterricht für alle. Warum wollen wir das? - Weil wir es für wichtig halten. Unabhängig von Parteien und unabhängig von Bekenntnissen wird ein solcher Unterricht für wichtig gehalten.
Vermutlich wir alle bekennen uns zu dem Grundsatz, dass der freiheitliche säkulare Staat auch von Voraussetzungen lebt, die er nicht selbst schaffen und auch nicht selbst garantieren kann, dass er aber versuchen muss, diese Voraussetzungen zu schützen, damit er sich nicht selbst seiner Grundlage beraubt.
Wenn das unser gemeinsames Bekenntnis zu der Situation ist, dann sind wir alle für einen wertebezogenen Unterricht. Dazu gehören dann auch die Sinnfragen des Lebens. Aber Staat und Parteien sind für die Sinnfragen des Lebens nicht zuständig.
Sie sind vielleicht für nachgeordnete Fragen zuständig, aber nicht für die grundlegenden Sinnfragen. Wir wollen jedenfalls nicht Kirche sein.
Die rechtlichen Grundlagen sind heute wieder einmal erwähnt worden: das Grundgesetz, die Landesverfassung, das Schulgesetz, Erlasse usw. Hierzu zitiere ich gern eine Aussage, die Frau Dr. Hein am 9. Juli 2004 gemacht hat. Sie sagte:
„Ich halte es auch nicht für sehr hilfreich, dass wir uns hier regelmäßig die Gesetzestexte vorlesen...“
Das sollten wir, glaube ich, im Allgemeinen sein lassen; denn diejenigen, die sich damit beschäftigen, kennen sie ohnehin.
Bei diesem Thema, das, wie ich sagte, immer aktuell ist, gab es verschiedene Aktualisierungsschübe, die manchmal von der Regierung, und zwar von allen bisherigen Regierungen, manchmal von einzelnen Abgeordneten oder von Fraktionen ausgelöst wurden. Es sind Papiere erarbeitet worden.
Eines der bedeutendsten Papiere ist wahrscheinlich die Expertise „Religions- und Ethikunterricht in der Schule mit Zukunft“ vom Mai 2001. Darin stehen bedeutsame Sätze. Es lohnt sich, darin zu lesen. Einen Satz möchte ich vorlesen, weil er für uns alle wichtig ist, auch im Hinblick auf die Schlussfolgerungen. Unter der Überschrift „Öffentlichkeit“ heißt es:
„Die Stabilisierung und die Weiterentwicklung des Bereiches von Religions- und Ethikunterricht hängt entscheidend von seiner Akzeptanz und Unterstützung in der gesellschaftlichen Öffentlichkeit, in den politischen Parteien und bei den Mitgliedern der Landesregierung ab. Dabei muss sich das Anliegen dieser Fächer gegen anders gelagerte oder gar gegenläufige Interessen durchsetzen.“
Unterstützend wird in diesem Prozess die Eröffnung eines parteiübergreifenden Dialogs über die Rolle religiöser und ethischer Bildung an den öffentlichen Schulen Sachsen-Anhalts vorgeschlagen. Im Landtag von Sachsen-Anhalt findet das regelmäßig statt; deswegen brauchen wir uns dadurch nicht kritisiert zu fühlen. Wir sollten durchaus daran festhalten.
Bei den Aktualisierungsschüben kommt es dann auch immer wieder zu Anfragen und Debatten. Es ist, glaube ich, in diesem Landtag im Allgemeinen immer wieder Einigkeit in der Sache selbst erzielt worden. Wenn man die Ausführungen in den letzten Landtagsdebatten noch einmal nachliest, dann stellt man fest, dass sie alle in die
gleiche Richtung gehen. Herr Minister Olbertz hat bereits darauf Bezug genommen. Das alles ist schon sehr gut.
Für eines bin ich Frau Dr. Hüskens geradezu dankbar. Sie sagte vorhin, dass zwei Stunden Ethikunterricht oder Religionsunterricht natürlich nicht in der Lage sein würden, die für die jungen Menschen oder für die Menschen insgesamt wichtigsten Fragen zu beantworten. Es soll lediglich versucht werden, Antworten zu geben, Wissen zu vermitteln.
Ich wage kaum die Frage zu stellen, welches Ergebnis herauskäme, wenn die Soziologen in einer vergleichenden Untersuchung einmal diejenigen etwa 50 % der jungen Leute, die in den letzten 15 Jahren Religions- oder Ethikunterricht hatten, denjenigen gegenüberstellen würden, die diesen Unterricht nicht hatten. Möglicherweise würde festgestellt, dass die einen bessere Menschen geworden sind als die anderen.
Wenn die einen besser geworden sind, dann sind wir den anderen etwas schuldig geblieben. Wenn sie aber nicht besser geworden sind, dann relativiert sich natürlich die ganze Anstrengung.
Dennoch sind wir uns alle, glaube ich, darin einig, dass es sich nicht nur lohnt, sondern dass wir es weiterhin tun müssen und ernst nehmen müssen; denn das gehört zu unserem Leben.
Eine Pflicht zur Teilnahme am Ethikunterricht halte ich für sehr gut. Ich bin allerdings gespannt, was die Kirchen im Einzelnen dazu sagen werden. Wir kennen die Befürchtungen. Ein Pflichtfach Ethik wird sich unter Umständen so weit durchsetzen, dass der Raum für Religionsunterricht beider Konfessionen enger wird. Das haben auch Sie bisher befürchtet, wenn ich das richtig mitbekommen habe.
Ein konfessionsübergreifender Unterricht wird sich schon deswegen nicht flächendeckend durchsetzen lassen, weil ein Gläubiger der einen Konfession nicht so leicht geneigt sein wird, seine Kinder in den Unterricht einer anderen Konfession zu schicken. Das beißt sich unter Umständen mehr, als wenn ein Gläubiger verpflichtet wird, in den Ethikunterricht zu gehen, in dem Wissensvermittlung, aber nicht so sehr Glaubensvermittlung erfolgt. Das wird also ein echtes Problem.
Außerdem muss man sagen: Nicht die Fächer vermitteln die Ethik und die Lebenshaltungen, sondern es sind die Personen; die haben wir natürlich auch außerhalb solcher Fächerangebote. Innerhalb des Unterrichts muss aber Zeit vorhanden sein, um das zu jeder Ethik und zu jeder Religion gehörende Wissen zu vermitteln. Das kann nicht nur nicht schaden, sondern es ist auch für alle im Sinne einer breiteren Bildung erforderlich.
Es wird in der Schule nicht die Antwort darauf gegeben, ob es einen Gott gibt oder nicht, aber es wird die Antwort darauf gegeben, welche Menschen nach welchem Gott fragen, und es wird aufgezeigt, was sie für verschiedene Antworten darauf bekommen können usw. Es wird also Wissen vermittelt. Es ist in der Schule allemal wichtig, auch zu erfahren, wie andere Menschen zu unserem Leben und zu unserer Gesellschaft stehen.
Der Religionsunterricht ist zum Teil auch eine Glaubensunterweisung. Ich habe nicht die Befürchtung, die Frau Dr. Hein beim letzten Mal geäußert hat, dass dort eine Missionierung erfolgt. Missionierung kann man heute höchstens noch im Sinne von Werbung und Vorbildwirkung verstehen, aber nicht mehr im Sinne der Missionierung, wie sie früher einmal mit Feuer und Schwert oder mit anderen Druckmitteln durchgesetzt worden ist. Darüber sind wir in einem säkularisierten Staat zum Glück längst hinaus. Warum soll man durch Werbung und Vorbildwirkung nicht auch junge Menschen zu beeinflussen versuchen? - Das ist schon richtig. Das wäre in einem Religionskundeunterricht allerdings nicht möglich.
Im Religionskundeunterricht - ich weiß, dass die Kirchen den gar nicht so mögen - steht ein Lehrer da und erzählt, was die einen oder anderen in ihrer Religion tun und glauben. Eine Religion zu vermitteln, ohne ihr selbst anzugehören und ohne den Glauben zu teilen, das gelingt nur sehr wenigen Menschen. Es gibt welche, die können das. Wenn sie es aber alle so distanziert machen, wie sie es gerade gelernt haben, dann ist es außerordentlich schwer. Das muss man dann schon denjenigen überlassen, die selbst zu dieser Religion stehen. Es wird aber schwer sein, Lehrer mit einer solchen Persönlichkeit zu finden, die dazu in der Lage wären.
Kurzum: Es sollte daher schon getrennt bleiben. Es sollte Religionsunterricht für diejenigen geben, die daran glauben und deren Elternhaus darauf achtet. Die anderen sollten über das unterrichtet werden, was andere glauben, zumal ja immer noch der schöne Satz gilt: Die einen glauben, dass sie glauben, und die anderen glauben, dass sie nicht glauben. - Danke schön.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Während wir in Europa Weihnachten feierten, bebte im Indischen Ozean der Meeresboden. Die Folge war eine gewaltige Flutwelle, auf Japanisch Tsunami genannt. Sie breitete sich typischerweise ringförmig aus und erreichte mit der Geschwindigkeit eines Flugzeuges nach wenigen Stunden die Küsten vieler Länder. Dort richtete sie unvorstellbare Zerstörungen an und riss, wie wir heute wissen, mehr als 200 000 Menschen in den Tod.
Dem weltweiten Entsetzen über diese folgenreichste Naturkatastrophe in unserer jüngeren Geschichte folgten neben der Trauer auch Hilfen in bisher nicht gekanntem Ausmaß.
Der Schrecken über das Geschehene wird lange anhalten. Er vermindert sich auch nicht, sondern er verstärkt sich eher dadurch, dass uns die Geophysiker erklären können, wie so eine Welle entsteht, dass es nämlich an bestimmten Stellen unserer Erdoberfläche immer wieder zu Erd- und Seebeben kommen muss, weil sich dort Erdschollen gegeneinander bewegen, wodurch gewaltige Kräfte freigesetzt werden, und dass dergleichen immer wieder geschehen wird.
Doch auch die Fachleute wissen nicht, wann, wo und in welchem Ausmaß solche Wellen wieder entstehen werden. Sie wissen nur, dass wir sie nicht verhindern können. Allenfalls sind die bedrohten Menschen in der Lage, sich vor ihnen besser zu schützen und durch Warnsysteme wenigstens teilweise in Sicherheit zu bringen. Auch darüber wurde sogleich diskutiert. Doch zunächst galt und gilt es, unmittelbar zu helfen.
Die Nachrichten und Berichte waren so grauenvoll, dass sie sich grundsätzlich von den sonst an Feiertagen bevorzugten Unglücksmeldungen unterschieden. Auch die Medien verzichteten sehr bald auf reißerische Begriffe wie „Horrorwelle“ und Ähnliches. Hier musste keine zusätzliche Aufmerksamkeit erregt werden.
Die ungestellten, unverfälschten Bilder, die Zahlen und die Einzelschicksale lösten auch ohne verstärkendes Vokabular echtes Entsetzen aus. Sie weckten Mitgefühl und Hilfsbereitschaft, obwohl auch diesbezüglich unser Vorstellungsvermögen begrenzt ist, sodass uns wohl überwiegend der Bericht über die ersten Tausenden von Toten mehr bewegt haben mag als die späteren Meldungen über die Zehntausenden. Und doch wissen und fühlen wir, dass jedes einzelne Opfer zählt.
Die Betroffenen sind nicht damit getröstet, dass es neben ihnen noch Tausende andere traf. Wochen vergingen, bis das ganze Ausmaß des Schadens auch nur annähernd erfasst werden konnte. Inzwischen verwischt sich die Grenze zwischen direkten und indirekten Opfern sowie direkten und indirekten Schäden. Es wird Jahre dauern, bis an diesen Küsten und in diesen Ländern wieder das normale Leben einkehrt. Die Helfer brauchen einen langen Atem.
Meine Damen und Herren! Wir wissen, was geschehen ist. Wir kennen die Folgen und wissen um die Notwendigkeit der Hilfe. Was also wurde getan, was wird getan und was muss noch getan werden?
Den Toten können wir nicht mehr helfen, wohl aber ihrem Angedenken, wozu auch die Identifizierung gehört. Den Lebenden, die ihre Existenzgrundlage verloren haben und deren Lebensraum empfindlich geschädigt wurde, muss sowohl schnell als auch nachhaltig geholfen werden. Jeder kann dazu beitragen, je nachdem, wozu er in der Lage ist.
Und das geschah auch. Unverzüglich begann die Soforthilfe. Von Deutschland aus wurde sie der Zuständigkeit entsprechend über das Auswärtige Amt gelenkt und geleistet. Schrittweise geht sie in die Hilfe für den Wiederaufbau im Sinne der Entwicklungszusammenarbeit über.
Deutschland hilft überproportional, tritt jedoch nicht in einen Überbietungswettbewerb ein. Das Gleiche sollte auch innerhalb Deutschlands gelten, zwischen Ländern und Kommunen, Hilfsorganisationen und Parteivertretern. Andererseits soll diese Hilfe natürlich auch sichtbar werden, und es schadet nicht, wenn wir als Friedensmacht in der Welt erkennbar sind, als ein Land, das sei
ne Kräfte dort einsetzt, wo Hilfe außerhalb von Kriegen notwendig ist.
Diese Fragen haben offenbar auch die USA bald so gesehen, nachdem Präsident Bush zunächst eine ganz andere Haltung erkennen ließ und in den USA dafür schwer gescholten wurde.
Die deutsche Hilfe konzentriert sich auf Sri Lanka und Indonesien. Man muss bei der Auswahl unter den betroffenen Ländern bedenken, dass einige von ihnen nicht gänzlich arm sind und durchaus auch eigene Verantwortung für die Hilfe tragen können.
Die Bundesregierung hat für die deutsche und internationale Hilfe eine ganz einfache Strategie vorgeschlagen. Das Stichwort heißt „Patenschaften“ - Länder für Länder, Regionen für Regionen, Städte für Städte, Krankenhäuser für Krankenhäuser usw. Nach diesem Prinzip lässt sich ein einfaches Hilfsprogramm aufbauen, das wirksamer ist als eine zentrale Sammlung und Verteilung.
Es bedarf allerdings der Koordinierung und der Kenntnis vorhandener Strukturen. Denn wie hilft man am besten jemandem, den man nicht kennt und dessen Verhältnisse man nicht beurteilen kann? Doch wohl indem man sich auf andere Personen und Organisationen stützt, die vor Ort sind oder sich dort auskennen.
Die Hilfe nach diesem Grundsatz hat bereits begonnen. Auf der Bundesebene sprach der Kanzler schon am 12. Januar 2005 mit Vertreterinnen und Vertretern der kommunalen Spitzenverbände und der Länder darüber. Es wurde Folgendes vereinbart: Die Partnerschaftsinitiative wird zentral von einem Ausschuss der Bundesregierung, der Länder und der Kommunen gesteuert. Dieser nahm am 17. Januar 2005 seine Arbeit auf. Die Kommunen in ihrer Gesamtheit werden in diesem Gremium von den kommunalen Spitzenverbänden vertreten. Außerdem sollen in einem Arbeitsstab, der „Partnerschaftsinitiative“ genannt wird, unter Leitung des Auswärtigen Amtes die Hilfsanfragen aus den Katastrophengebieten und die Hilfsangebote von Ländern und Kommunen zusammengeführt bzw. koordiniert werden.
In all das sind wir, das Land Sachsen-Anhalt, voll eingebunden. Wir haben damit einen vorgezeichneten Weg, um wirksam helfen zu können. Nun werden wir ihn tatkräftig beschreiten. Dem dient auch unser heutiger gemeinsamer Antrag.
Wir freuen uns und begrüßen es sehr, dass ein Antrag aller Fraktionen ohne vorherigen Streit zustande kam. Wir begrüßen es außerdem, dass die Landesregierung nicht erst aufgefordert werden muss, sondern bereits tätig wurde und einhellig in dieser Frage unterstützt werden kann. Streit wird es auf anderen Gebieten unter uns noch genug geben.
Die Einrichtung einer Infobörse zur Fluthilfe ist zweifelsfrei der richtige Schritt. Die gemeinsame Beratung von Vertretern der Landesregierung, von Hilfsorganisationen sowie des Städte- und Gemeindebundes und des Landkreistages bildet die beste Gewähr dafür, dass die Hilfe an die richtige Stelle kommt; denn bekanntlich hilft es nicht, Gutes tun zu wollen, wenn man sich nicht auskennt.
Auch wollen alle, die gespendet haben oder noch spenden werden, zu Recht sicher sein, dass ihre Hilfe tatsächlich bei Hilfsbedürftigen ankommt. Koordinierung heißt, nicht abzuwarten, bis nach einem Gesamtplan
alles geregelt werden kann, sondern die unverzügliche Vermittlung an die richtigen Stellen bei gleichzeitiger Verhinderung doppelter oder unzweckmäßiger Hilfe.
Inzwischen geht es fast ausschließlich um den mittel- und langfristigen Wiederaufbau. Dieser sollte sorgfältig und entsprechend den speziellen Bedürfnissen in den betroffenen Gebieten durchgeführt werden.
Meine Damen und Herren! Auch deutsche Urlauber waren unter den Toten und Hunderte von Deutschen werden noch vermisst. Hier galt und gilt es, zu Hause, vor Ort zu helfen, soweit dies möglich ist. Aus SachsenAnhalt sind vergleichsweise wenig Menschen unter den Opfern, doch das vermindert unsere Betroffenheit insgesamt nicht.
Auch das rechte Maß an öffentlicher Trauer ist in Deutschland gefunden worden. Am 9. Januar 2005 fand im Berliner Dom ein Trauergottesdienst statt und am 20. Januar 2005 im Deutschen Bundestag ein Staatsakt zum Gedenken an alle und nicht nur an die deutschen Opfer der Flutkatastrophe an den Küsten des Indischen Ozeans. Bundespräsident Horst Köhler sprach in seiner nachlesenswerten Rede auch für uns, für alle Einwohner Deutschlands. Wir schließen uns diesem Gedenken an.
Heute sprechen wir im Landtag jedoch in erster Linie über unseren Beitrag bei der Hilfe. Da gibt es tatsächlich noch einiges zu bedenken und anzumerken. Die Mittel, die zusammenkommen, haben einen bisher einzigartigen Umfang. Es spenden Einzelne und auch ganze Organisationen. Es werden Benefizveranstaltungen der unterschiedlichsten Art durchgeführt, seien es nun Konzerte oder sportliche Wettkämpfe.
Je nach ihren Möglichkeiten und dem Gefühl der Betroffenheit helfen und spenden die Städte und Gemeinden. Falls vorhanden, greifen sie auf bestehende Verbindungen zurück, nutzen alte Beziehungen und Erfahrungen, wie das Beispiel Halle zeigt. Die dortigen Franckeschen Stiftungen haben seit 300 Jahren Beziehungen zu Südindien in die Gegend von Trankebar. Dort ist Hilfe nötig. Sie kann unmittelbar an die richtige Stelle gebracht werden. Viele Hallenserinnen und Hallenser sowie die Stadt insgesamt haben sich der Unterstützung angeschlossen. Ähnliches gilt für Magdeburg.
In der Koordinierungsstelle des Landes wird sehr bald eine lange Liste vorliegen, die dergleichen enthält. Das begrüßen und unterstützen wir.
Besonders erwähnenswert erscheint mir der Kreis Bitterfeld. Die Papiere von dort habe ich mir genauer angesehen. Unter dem Eindruck der beim Elbe- und MuldeHochwasser vor zweieinhalb Jahren selbst erfahrenen Hilfe wurde das Projekt „Bitterfeld hilft“ ins Leben gerufen. Das Projekt wird vom Landrat, dem Bürgermeister der Stadt Bitterfeld und der Oberbürgermeisterin von Wolfen getragen. Bereits das kombinierte Kennwort des Spendenkontos lässt erkennen, wie konkret die Hilfe sein soll: Hochwasseropferhilfe, Wohnen, Fischerboote, Hospital, SOS-Kinderdorf oder Schule. Dafür kann man sich entscheiden. Wer helfen will, kann sich an konkreten Teilprojekten der Aktion beteiligen.
Einer der Punkte, der immer wieder zu Recht angesprochen wird und wohl auch künftig noch eine große Rolle spielen wird, ist: Wohin gehen die Spenden im Einzelnen? Werden sie auch wirklich ordnungsgemäß verwendet?
Immer dann, wenn in der ersten Aufregung unter den schrecklichen Eindrücken eine rasche, unbürokratische Hilfe in Aussicht gestellt wird und so gehandelt wird, entsteht das Risiko eines jahrelangen unerfreulichen Nachspiels, wie leider schon so oft geschehen.
Die Erfahrung lehrt, dass irgendwann eine Prüfung kommt. Dann wird nicht mehr nach dem Zeitdruck gefragt, dann wird das Wort „unbürokratisch“ zum Vorwurf, weil nicht exakt nach den Vorschriften gehandelt wurde oder gar fahrlässig dem Eigennutz Raum gegeben worden ist. Gefragt wird dann nicht mehr nach Schnelligkeit, sondern nur noch nach Klarheit und Vorschriftentreue. Das war nach dem Oder-Hochwasser nicht anders als nach dem Elbe-Hochwasser. Es ist also allen Helfenden und Koordinierenden zu wünschen, dass es ihnen gelingt, bei aller Hilfsbereitschaft letztlich doch auf jeden Euro zu achten.
Es trifft sicherlich auch zu, dass die gewaltige Hilfsbereitschaft und Hilfsaktion unseren Blick von anderen Bedürftigen ablenkt. So hat bereits nach wenigen Tagen das Uno-Flüchtlingshilfswerk darauf hingewiesen, dass in Afrika, speziell im Kongo, jährlich vermutlich mehr Menschen umkommen, als der Flutkatastrophe zum Opfer gefallen sind. Sie dürfen wir nicht ganz aus den Augen verlieren.
Auch in unserem Land werden vermutlich diejenigen, die gegenwärtig zu Recht für weitere gute Zwecke sammeln und um Hilfe bitten, etwas weniger erhalten, weil es sich nicht nur um zusätzliche Hilfsbereitschaft handelt. Das ist allerdings nur eine Beobachtung am Rande; denn die schlechteste Handlung wäre schließlich, nur weil man nicht allen helfen kann, ganz darauf zu verzichten. Wir rufen also auch aus dem Landtag von Sachsen-Anhalt alle auf, nach ihrem Vermögen zu helfen.
Meine Damen und Herren! Manchmal führen uns schreckliche Ereignisse auch Positives vor Augen. Die Flutkatastrophe in Südostasien gehört dazu. Die Menschen fragten nicht, wessen Aufgabe es sei, den Flutopfern zu helfen, sondern sie versuchten es spontan selbst. Es gibt dafür einfache menschliche Gründe. Das Gefühl der Zusammengehörigkeit hat ein Ausmaß erreicht, wie wir es stets erhofft, aber bisher kaum je erlebt haben. Wenn das Wissen darum, auf einer gemeinsamen Erde zu leben, das Eintreten des einen für den anderen über alle Grenzen und Schranken der Länder, Religionen und Kulturkreise hinweg auch Folge oder gar Ausdruck der Globalisierung ist, dann ist das die beste Seite der Globalisierung. Dann wächst daraus auch Hoffnung.
Selbst wenn wir es sind, die häufiger geben als nehmen, so sind wir im Grunde darum zu beneiden; denn es ist besser geben zu können, als nehmen zu müssen. - Danke schön.
Vielen Dank, Frau Liebrecht. - Nun hören wir für die PDS-Fraktion Frau Tiedge. Bitte schön.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Antisemitismus - ein weites Feld, ein schreckliches Feld, ein gefährliches Feld. Es ist ein weites Feld, weil bereits der Begriff im Laufe der Zeit verschieden definiert und unterschiedlich weit gefasst wurde. Heute verstehen wir unter Antisemitismus nicht nur den bekennenden oder gewalttätigen Judenhass, nicht nur die Behauptung, dass Juden minderwertig und schädlich seien, sondern auch vielerlei scheinbar harmlos daherkommende Äußerungen, auf die ich noch näher eingehen werden.
Ein weites Feld ist der Antisemitismus auch hinsichtlich seiner Geschichte und Verbreitung. Seit Jahrhunderten gibt es Verfolgungen von Juden. Pogrome waren in Europa weit verbreitet. Noch immer ist der Antisemitismus in den meisten Länder Europas zu Hause.
Ein schreckliches Feld ist der Antisemitismus, weil auf seiner Grundlage das von Deutschland ausgehende und durch Deutsche verübte größte Verbrechen in der Menschheitsgeschichte geschah - der Holocaust.
Ein gefährliches Feld ist der Antisemitismus deswegen, weil es noch immer Früchte trägt. Trotz aller Aufklärung und Bemühungen dagegen wachsen auf diesem Feld weiterhin Abneigung und Hass, antisemitisches Denken und Handeln.
Gegen all das richtet sich unser gemeinsamer Kampf, der Kampf aller Demokraten, aller politisch Verantwortlichen in Deutschland. Das ist auch der Grund dafür, dass die SPD-Fraktion einen Antrag zum Thema Antisemitismus gestellt hat. Der Anlass selbst ist nicht dramatisch, aber ernsthaft, wie ich noch darlegen werde.
Meine Damen und Herren! Wir Deutschen haben eine besondere Verantwortung dafür, die Erinnerung an den Holocaust und das Gedenken an die Opfer wach zu halten. Wir müssen uns immer wieder neu mit den Ursachen und den Folgen auseinander setzen, um einer solchen Entwicklung bereits im Ansatz entgegenzuwirken und eine Wiederholung auszuschließen.
Zugleich ist es ein Thema, vor dem viele in unserem Lande gern die Augen verschließen, weil sie die schreckliche Vergangenheit nicht wahrhaben wollen, nicht daran erinnert werden wollen und die Debatte beenden möchten. Wer sich jedoch, so wie wir alle, den öffentlichen Fragen gegenüber verantwortlich fühlt, darf selbst nicht wegsehen, sondern ist verpflichtet, mit größter Aufmerksamkeit auch auf die leisesten Ansätze antisemitischen Denkens und Sprechens zu reagieren. Er muss sich öffentlich damit auseinander setzen und darf nicht erst darauf warten, dass er durch Taten dazu gezwungen wird.
Die Debatten über den Antisemitismus werden in der Öffentlichkeit meist aufgrund besonderer Anlässe geführt. Das sind entweder herausragende antisemitische Handlungen oder Äußerungen und Verhaltensweisen öffentlicher Personen.
So war es bei unserer Aktuellen Debatte am 21. Juni 2002; sie wurde aufgelöst durch Äußerungen und Verhaltensweisen des stellvertretenden FDP-Vorsitzenden Jürgen Möllemann. So war es auch kürzlich, als am 11. Dezember 2003 der Deutsche Bundestag über einen Antrag aller vier Fraktionen zum Thema Antisemitismus debattierte. In diesem Fall war der CDU-Abgeordnete Hohmann der Anlass. Bei unserer heutigen Debatte ist es Wolfgang Kupke. - Aber das sind stets nur die Anlässe. Die Ursachen liegen tiefer und verlangen eine gründliche Beschäftigung damit.
Der Deutsche Bundestag ist dieser Aufgabe gerecht geworden. Er führte eine ausgiebige Debatte mit 13 Rednerinnen und Rednern und mit wechselseitigem Aufeinanderzugehen, also eine echte Auseinandersetzung. Verglichen damit wird unsere heutige Debatte bescheiden ausfallen. Sie darf deswegen jedoch nicht minder klar und entschieden sein.
Meine Damen und Herren! Zwar redet in Deutschland niemand mehr offen davon, dass die Juden vergast wer
den müssten, doch tief eingegrabene antisemitische Vorurteile und Abneigungen haben sich in weiten Teilen der Gesellschaft erhalten. Sie wurden jahrzehntelang genährt und auch während der ersten Nachkriegsjahre in Deutschland offenbar nicht entschieden bekämpft. Jedenfalls hat erst der vor 40 Jahren begonnene Frankfurter Auschwitz-Prozess das unvergleichliche Ausmaß der nationalsozialistischen Judenvernichtung erstmals massiv in das Bewusstsein der internationalen und der deutschen Öffentlichkeit gebracht.
Nach der Aufdeckung aller Verbrechen und Gräueltaten bleibt unverrückbar bestehen, was die Philosophin Hannah Ahrendt damals sagte: Es handelte sich um die bisher einzige planvoll betriebene Ausrottung einer gesamten von den Verfolgern einer zu vernichtenden Rasse zugeordneten Menschengruppe. Dies ist nun einmal von Deutschland ausgegangen und von Deutschen ausgeführt worden. Alle Versuche, den Holocaust zu verallgemeinernden philosophischen oder geschichtsvergleichenden Erklärungsmustern aufzulösen und damit die besondere und einzigartige deutsche Schuld zu verdecken, finden an dieser Tatsache ihre Grenzen.
Inzwischen kennt jeder diese grauenvolle Geschichte oder könnte sie kennen. Dennoch gibt es immer wieder neue Versuche der Relativierung und Geschichtsklitterung. Auch darauf bezieht sich die in der Begründung zu unserem Antrag zitierte Einschätzung von Paul Spiegel.
In der Weihnachtsausgabe der „Jüdischen Allgemeinen“ lesen wir den Satz:
„So also ging in Deutschland das Jahr 2003 zu Ende, das Jahr, das uns einen neuen Begriff geschenkt hat, den von den Juden als Tätervolk.“
Dieses Wort ist inzwischen zum Unwort des Jahres erklärt worden.
Die „Süddeutsche Zeitung“ fragte schon am 6. November 2003: Wie tief ist der Abgrund des Antisemitismus in diesem Land? Zuvor hatte eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa herausgefunden, dass jeder fünfte Deutsche latent antisemitisch eingestellt sei. Auch wurde eine zunehmende Toleranz gegenüber antisemitischen Äußerungen festgestellt. Mehr als 23 % sehen zuviel Einfluss von Juden in Deutschland, 18 % weisen den Juden eine Mitschuld an ihren Verfolgungen zu und fast 55 % aller unterstellen, dass Juden aus der Vergangenheit Vorteile ziehen wollen.
Hans-Jochen Vogel sprach als ehemaliger Oberbürgermeister der Stadt München diese Tatsache bei der Grundsteinlegung für ein jüdisches Zentrum am Jakobsplatz in München am 9. November 2003 klar an:
„Wir wissen, dass es auch in unserer Stadt noch immer antisemitische Tendenzen und Ausschreitungen gibt und zuletzt sogar Pläne für einen Anschlag gegen diesen Ort vorbereitet worden sind. Es beschämt uns, dass noch immer jüdische Einrichtungen des ständigen polizeilichen Schutzes bedürfen, und ich bin bestürzt, dass gerade dieser Tage Juden in unserem Land erneut mit unsäglichen Unterstellungen beleidigt wurden.
Deshalb muss zu dem Gedenken ein Versprechen hinzutreten, das Versprechen nämlich, dass wir nicht wegschauen und weghören, sondern im
Sinne des ‚Nie-wieder‘, des ‚Nicht-noch-einmal‘ dem Ungeist entgegentreten, wo er sich von neuem zeigt.“
So weit Hans-Jochen Vogel bei dieser Veranstaltung.
Meine Damen und Herren! Der Antisemitismus ist auch ein heimtückisches Problem, das sich mit dem Aussterben der älteren Generationen nicht von selbst löst. Hierbei werden geradezu Erbschaften weitergereicht. Auf die Erfahrungsgenerationen folgen offensichtlich die so genannten Bekenntnisgenerationen.
Der „Tagesspiegel“ vom 8. November 2003 fragte dazu: Wie steht es um die deutsche Erinnerungskultur? Sind die Deutschen unbelehrbar? - Sie wollen offenbar aus dem Schatten von Auschwitz heraustreten und sind im Begriff, sich ihre Erinnerungen neu zusammenzustellen.
Meine Damen und Herren! In diese Gesamtsituation hinein fällt nun die Hohmann-Affäre. Martin Hohmann - Jurist, langjähriger Bürgermeister, CDU-Bundestagsabgeordneter. Ausgerechnet am Tag der Deutschen Einheit hält er die Rede, die die Affäre ausgelöst hat. Sich auf sehr unsicherem geschichtlichem Boden bewegend verwies er darauf, dass bei den Bolschewiki eine vergleichsweise große Anzahl von Juden an den Verbrechen dieser Zeit beteiligt gewesen sei und man die Juden deshalb ebenso als „Tätervolk“ bezeichnen könne, wie man es mit den Deutschen tue.
„Die Zeit“ vom 6. November 2003 führt zu dieser Rede aus: Hängen bleiben sollte bei Hohmanns Zuhörern ja nur, dass auch Juden schon Untaten begangen hätten, und zwar bereits früher als die Deutschen. Daraus schlussfolgert nun wieder Hohmann, Juden und Deutsche hätten sich gegenseitig nichts vorzuwerfen, seien gewissermaßen historisch quitt.
In voller Absicht bemühte er dabei Halbwahrheiten, um zu einer umfassenden Entsorgung der deutschen Geschichte zu gelangen. Das alles wird relativierend ausgesprochen, aber immerhin absichtsvoll in die Welt gesetzt. Diese Form des Antisemitismus sagt nicht mehr „an allem sind die Juden schuld“, sondern „die Juden sind auch nicht weniger schuld als wir“. Genau das steht im krassen Widerspruch zu dem, was mit meinem vorigen Zitat von Hannah Ahrendt zum Ausdruck kommt.
Die weitere Geschichte des Falls Hohmann ist bekannt. Obwohl der Saal bei seiner Rede voller Zuhörer war,
fand sich zunächst niemand, der die antisemitischen Äußerungen anprangerte. Erst vier Wochen später geschah das auf dem Weg über das Internet. Dann setzten die öffentliche Protestwelle und die Diskussion ein.
Genau eine Woche lang haben Angela Merkel und ihre Mitstreiter geglaubt und wohl auch gehofft, der Fall Hohmann lasse sich ohne einen klaren Schnitt durchstehen. Dann allerdings behauptete die Parteivorsitzende, man habe dem Delinquenten nur eine Woche Zeit für die Umkehr einräumen wollen; diese habe er nicht genutzt. Doch die Unionsfraktion hat dem Vernehmen nach in dieser Woche kein einziges Mal darüber diskutiert.
Nun ist Martin Hohmann seit dem 14. Dezember 2003 nicht mehr Mitglied der CDU/CSU-Fraktion. Bei der entscheidenden Abstimmung stimmte jedoch ein Fünftel der Fraktion gegen Angela Merkel und damit für den Ver
bleib Hohmanns. In den Medien hieß es dazu: Ein Verlierer, keine Siegerin!
Meine Damen und Herren! Der CDU-Bundestagsabgeordnete Hohmann hat in seiner „Tätervolk“-Rede offensichtlich einer großen Zahl seiner Anhänger und einem bestimmten Umfeld aus dem Herzen gesprochen, und das offensichtlich mit Absicht. Damit komme ich zu dem, was unter dem in unserer Antragsüberschrift angedeuteten Begriff „Vorfeld des Antisemitismus“ zu verstehen ist.
Das Vorfeld des Antisemitismus beginnt mit harmlos erscheinenden Ausdrücken und Redewendungen. Es geht dabei um Stimmungen, um Denkschemata und um Ausdrucksweisen, die geeignet sind, den Boden für den Antisemitismus zu bereiten. Zum Vorfeld gehören auch das Schweigen, das Dulden, das Nichterkennen, das Nichtwahrhabenwollen oder das Bagatellisieren antisemitischer Äußerungen. Das Besondere daran ist, dass viele sich dessen überhaupt nicht bewusst sind.
So sind auch die Journalisten der „Zeit“ bei ihren Recherchen vor Ort zu dem Schluss gekommen: Was an der Rede Hohmanns antisemitisch gewesen sein könnte, verstehen die meisten Menschen in seinem Heimatort Neuhaus in Hessen nicht. Im allgemeinen Sprachgebrauch nimmt man es dabei oft nicht sehr genau.
Darauf angesprochen, gibt es die klassische Antwort, dass schließlich Meinungs- und Gedankenfreiheit bestehe. In anderen Zusammenhängen heißt es: Man wird doch noch sagen dürfen... - dann kommen Vorwürfe gegen einzelne Menschen jüdischen Glaubens bzw. jüdischer Herkunft.
Dem Staat Israel gegenüber, den man natürlich wegen Teilen seiner Politik kritisieren darf und gelegentlich sogar muss, verhält es sich nicht anders. Auch Versatzstücke nationalsozialistischer Propaganda hört man immer wieder. Wer mit dem Wort „die Juden“ diese sprachlich ausbürgert, indem er sie „den Deutschen“ gegenüberstellt und sie damit zu Fremden im eigenen Land macht, steht außerhalb der demokratischen Wertegemeinschaft.
Es mag sein, dass solche Äußerungen oft nur auf Gedankenlosigkeit beruhen, doch dann ist es umso wichtiger, darauf aufmerksam zu machen.
Zum Vorfeld gehört unseres Erachtens auch die Initiative „Kritische Solidarität“, die Zeitungsmeldungen zufolge 1 600 CDU- und CSU-Mitglieder unterschrieben haben. Sie setzen sich damit für den wegen seines unbelehrbaren Antisemitismus aus der Unionsfraktion ausgeschlossenen Bundestagsabgeordneten Hohmann ein.
Damit komme ich auf unseren Antrag zurück. Er enthält keine Spur eines Antisemitismusvorwurfs gegen eine Partei. Dafür gibt es nicht den geringsten Anlass. Wir fordern jedoch von allen, wachsam zu sein gegenüber Tendenzen, die in diese Richtung führen können. Bei uns und in der Öffentlichkeit mussten jedoch Zweifel darüber aufkommen, ob diese Wachsamkeit innerhalb der CDU in der Angelegenheit Kupke ausreichend war. Solche Zweifel wollen wir durch die heutige Debatte beseitigt wissen.
Wolfgang Kupke, ehemaliger Bundestagskandidat der CDU, Stadtrat in Halle, früherer Ausländerbeauftragter
des Landes Sachsen-Anhalt, erklärte gegenüber der „Volksstimme“ vom 26. November 2003:
„Ich finde es falsch, Martin Hohmann aus der Partei und Fraktion auszuschließen. Das ist ein schwerer Schlag gegen das im Grundgesetz verankerte Recht auf freie Meinungsäußerung. Hohmanns Rede war teilweise unglücklich, aber nicht antisemitisch. Das muss eine Demokratie aushalten. Eine Rüge durch die Partei hätte es auch getan.“
Wolfgang Kupke fügte auf eine Nachfrage hinzu:
„Ich kann natürlich nicht für die gesamte sachsen-anhaltische CDU sprechen, aber in meinem Kreisverband Halle kenne ich kein CDU-Mitglied, das für den Parteiausschluss Martin Hohmanns ist.“
Diese Aussage wurde getroffen, nachdem die CDU/CSUBundestagsfraktion eine Woche lang darüber nachgedacht hatte und zu dem Schluss gekommen war, dass Martin Hohmann, der das Unwort des Jahres 2003 geprägt hat, für die Fraktion und die Partei aus den genannten Gründen nicht mehr tragbar ist. Wo also steht Kupke und wo stehen die vielen von ihm genannten CDU-Mitglieder?
Der Landesgeschäftsführer der CDU meinte lediglich, die Hohmann-Unterstützung aus Halle zur Kenntnis nehmen zu müssen, und kündigte an, dass das Thema auf die Tagesordnung des Landesvorstandes gesetzt werde. Die CDU blieb der Öffentlichkeit seither die Antwort schuldig. Das könnte heute nachgeholt werden, verbunden mit der Zustimmung zu unserem Antrag.
Meine Damen und Herren! Das friedliche Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Religionszugehörigkeit muss so selbstverständlich sein, dass Bürger jüdischen Glaubens ohne Angst in Deutschland ihre Heimat haben. Dies ist und bleibt das gemeinsame Ziel aller Demokraten. - Ich danke Ihnen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Noch ein paar kurze Bemerkungen dazu. Wir freuen uns, dass unser Antrag offensichtlich eine so breite, fraktionsübergreifende Zustimmung findet. Ich verstehe in gewisser Weise, dass gesagt wurde, Sie hätten es lieber gesehen, wenn ein Antrag aller Fraktionen zustande gekommen wäre. Dies kann man unterschiedlich sehen. Aber ich habe auch mit etwas Verwunderung in der letzten Woche festgestellt, dass mit dem Ansinnen zu einem solchen gemeinsamen Antrag niemand auf uns zugekommen ist.
Wir hatten ja schon Fälle, in denen jemand gesagt hat: Wir treten Ihrem Antrag bei wegen des Konsenses oder wir beteiligen uns daran. Darüber hätte man reden können. Das ist kein Vorwurf an Sie; nur weil Sie sich in dieser Richtung geäußert haben. Eine gewisse Verwunderung kann ich dann zurückgeben.
Ich freue mich, dass inhaltlich von allen so gesprochen worden ist, wie es sich bei diesem Thema im Grunde genommen fast von selbst versteht.
Ich freue mich auch, dass der Ministerpräsident dazu noch Stellung genommen hat; denn zunächst war ja von dem, was wir als Antwort von Ihrer Seite erwartet haben, überhaupt nicht die Rede. Das hätten wir dann auch ganz gern gehört.
Herr Ministerpräsident, Sie sagten, dass es sicherlich richtig sei, dass man, wenn eine solche Diskussion in einer Partei oder wo auch immer auftritt, sie möglichst intern und nicht an der Öffentlichkeit diskutieren sollte. - Aber in diesem speziellen Fall hatten wir eine öffentliche Diskussion. Die ist nicht von uns, von niemandem von uns in die Öffentlichkeit gebracht worden, sondern von den Betreffenden selbst. Und in diesem Fall wäre es dann doch wünschenswert gewesen, dass man der Öffentlichkeit gegenüber wenigstens das Ergebnis dieser internen Diskussion gesagt hätte. Dann wäre einiges, was wir heute hier besprochen haben, vielleicht bereits vorher aus der Welt geschafft worden.
Kurzum: Ich freue mich darüber, dass wir diesen breiten Konsens in unserem Landtag haben. Es ist auch, glaube ich, richtig, dass wir dieses Thema in unserem Landtag noch einmal aufgegriffen haben, und ich wünschte mir nur, dass wir es in Sachsen-Anhalt nicht in so relativ kurzen Abständen nötig hätten, ein solches Thema zu behandeln. - Danke schön.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Deutschland wird sich an einem Krieg im Irak nicht beteiligen. - Dieser Satz von Bundeskanzler Gerhard Schröder steht seit dem vergangenen Sommer fest. Dieser Satz ist immer, wenn nachgefragt wurde, wiederholt und eindeutig bestätigt worden.
Als es um die Frage ging, was dies international bedeute, weil Deutschland schließlich nicht allein dastehe, hat der Bundeskanzler hinzugefügt: Diese Grundposition werden wir unmissverständlich auch in Erklärungen und Abstimmungen deutlich machen.
Das ist eine klare Aussage. Dennoch gab es von verschiedenen Seiten Kritik. Es gab Kritik von denjenigen, die einen radikalen Pazifismus vertreten, weil sie sagen:
Ihr seid irgendwo doch beteiligt, und es gab Kritik von denjenigen, die diese klare, konsequente Haltung im internationalen Geflecht nicht für richtig gehalten haben oder noch immer nicht für richtig halten.
Für uns ist jedoch Folgendes unstrittig: Wir warnen dringend davor, dass wir in Deutschland eine Debatte führen, in der Krieg als ein normales Mittel der Politik neben anderen vorkommt.
Krieg kann unter bestimmten Bedingungen - das muss man leider zugeben - unvermeidbar sein. Wir sind auch keine pazifistische Partei. Aber wenn ein Krieg ausbricht, ist dies immer das Eingeständnis, dass zuvor die Politik versagt hat.
Ein solches Scheitern der Politik bedauern wir. Deswegen wollen wir versuchen, alle Möglichkeiten auszunutzen, um dieses Scheitern der Politik, das letztlich zum Krieg führen kann, nicht eintreten zu lassen.
Von uns werden in diesem Zusammenhang immer wieder zwei Gründe, die Gerhard Schröder als Erster so klar benannt hat, angeführt.
Der erste ist: Ein Krieg gegen den Irak stellt die Terrorismusbekämpfung infrage. Es ist - natürlich unter der Führung der USA, der größten Macht auf dieser Erde - ein Bund gegen den Terrorismus zustande gekommen, der sich darauf verständigt hat, den Terrorismus weltweit zu bekämpfen. Jedoch sollte man sich daran erinnern: Noch niemand hat von einem einzigen islamischen Führer eine eindeutige Stellungnahme gegen die terroristische Organisation el-Kaida und gegen Osama bin Laden gelesen. Sie machen zwar mit, aber sie haben sich nicht eindeutig davon distanziert.
Das bedeutet, dass das Ganze, was da geschmiedet worden ist, ein zerbrechliches Gebilde ist, das unter einem Irak-Krieg sehr leicht und höchstwahrscheinlich völlig zerbrechen könnte. Damit wäre die Gefahr des Terrorismus größer und nicht kleiner geworden.
Der zweite Grund, der massiv gegen einen Irak-Krieg spricht, betrifft die Frage: Was wird danach? Diese Frage ist bis jetzt von niemandem beantwortet worden.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand davon ausgehen kann oder darf, dass die Völker im Irak - ein geschlossenes Volk ist es nicht - darauf warten, von den Amerikanern oder von anderen befreit zu werden, um dann Demokratie und Freiheit aufzubauen. Die Verhältnisse im Inneren des Landes sind nicht so, dass ein solcher Anstoß ausreichend wäre. Die Annahme, dass unter einer Besatzungsmacht in diesen großen Ländern mit so völlig unterschiedlichen Völkern und unterschiedlichen Denkweisen in absehbarer Zeit die Ideale der Freiheit, der Gerechtigkeit, der Demokratie usw. aufblühen würden, ist eine gefährliche Illusion, wenn der Krieg eines Tages ausbräche, enden würde und man eine solche Situation dort vorfinden würde.
Es ist hinlänglich bekannt, dass es in den USA Denkschulen des Neokonservatismus gibt, die in den letzten Jahren unter der Bush-Administration einen großen Einfluss gewonnen haben. Die meinen es, nach allem, was man hört, sogar ehrlich, aber sie haben eine Art Sendungsbewusstsein, dass man davor andererseits wieder Angst bekommen kann. Sie wollen andere Völker, ande
re Länder mit anderen Kulturen beglücken und sehen aus dieser Sicht heraus nicht, was es für ein Debakel, aber auch für eine Katastrophe geben kann.
Die Lage im Irak ist schrecklich; darüber dürfen wir uns keine Illusionen machen. In diesem Land herrschen politische, nationale und religiöse Unterdrückung. Wir unterschätzen nicht die Gefahr, die in dem Land steckt und die von diesem Land ausgehen kann.
Das Regime des Saddam Hussein ist ein schlimmes Regime. Es ist eine Gefahr für das eigene Volk. Saddam Hussein hat gegen die eigene Bevölkerung neben vielen anderen Unterdrückungsmaßnahmen auch Giftgas eingesetzt. Es ist auch eine Gefahr für die Umgebung. Saddam Hussein hat im Krieg gegen den Iran und im Krieg gegen Kuwait Giftgas eingesetzt und schlimme Methoden angewandt. Das ist eine Gefahr. Im Irak befanden sich nachweislich Massenvernichtungswaffen. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich dort noch welche befinden, ist relativ groß.
In dieser klaren Lageeinschätzung sind wir uns wahrscheinlich alle einig. Diesbezüglich wird es wahrscheinlich auch keine Differenz zwischen der Einschätzung durch die Amerikaner und der in Deutschland geben. Die Frage ist jedoch: Was ist zu tun in dieser Lage, wenn man sie so einschätzt?
Die Vorwürfe gegen den Irak bestehen fort. Das Regime ist noch immer da. Der Irak hat nicht abgerüstet, jedenfalls nicht in dem Ausmaß, wie es nötig gewesen wäre - zumindest nicht nachweislich.
Man hätte die Blix-Kontrolleure - wenn ich sie einmal so salopp bezeichnen darf - aber nicht in den Irak schicken und dort kontrollieren lassen sollen, wenn man dann sagt: Wir warten aber gar nicht auf das Ergebnis der Kontrollen, sondern wir entscheiden unter ganz anderen Gesichtspunkten.
Wenn ich jemanden in das Land schicke und ihn mit vielen Kompetenzen und viel Technik ausrüste, dann muss ich ihm auch die Möglichkeit geben, die Kontrollen zu Ende zu führen, und darf nicht eines Tages sagen, nun reicht es.
Es steht auch fest, dass das Regime von Saddam Hussein nicht ehrlich ist, auch nicht den Kontrolleuren gegenüber. Die Zusammenarbeit lässt nicht nur zu wünschen übrig, sie ist sehr, sehr schlecht. Man muss versuchen, die Bereitschaft zur Zusammenarbeit durch Druck zu erhöhen.
Eine Unterstützung des Irak für den Terrorismus ist nicht nur nicht nachgewiesen worden. Vielmehr ist neueren Berichten zu entnehmen, dass die Geheimdienste herausgefunden haben, dass zwischen den el-Kaida-Terroristen und dem Regime in Bagdad grundlegende Differenzen bestehen und dass sie sich eben nicht gegenseitig unterstützen. Dieser Vorwurf kann offensichtlich nicht aufrechterhalten werden.
Die Frage lautet: Reichen diese Gründe - auch die fehlende Zusammenarbeit mit der Uno -, um jetzt einen
Krieg in den Irak zu tragen? Bei dem Stichwort mangelnde Zusammenarbeit mit der Uno muss auch die Frage erlaubt sein, ob denn die Amerikaner mit den Waffenkontrolleuren gut genug zusammenarbeiten. Warum haben sie denen nicht ihre immer wieder angekündigten Beweise und Dokumente vorgelegt, damit sie besser kontrollieren können?
Hier liegt auch noch einiges im Argen. Das verstärkt den Verdacht, dass die Amerikaner ein Ziel verfolgen, das zu verfolgen sie sich vorgenommen haben, und dass sie diese ganzen anderen Dinge nicht so ernst nehmen, wie sie unserer Meinung nach genommen werden müssten.
Für die Kontrollen ist Zeit nötig. Die Frage, ob wirkliche Beweise gefunden worden sind, ist noch offen, zumindest konnte sie nicht überzeugend beantwortet werden. Wenn die Kontrollen - ich sagte es bereits - jetzt nicht fortgeführt werden, hätte man mit ihnen gar nicht erst beginnen müssen.