Wo das Land Sachsen-Anhalt tatsächlich steht, verdeutlicht ein Vergleich der Innovationskraft aller Bundesländer in einer Untersuchung des ISW Halle-Leipzig. Als besondere Schwäche Sachsen-Anhalts heben die Wissenschaftler hervor, dass der Einsatz finanzieller Mittel im Vergleich zu anderen Regionen nicht effizient genug erfolgt. Als ein entscheidendes Manko bezeichnet es diese Studie auch, dass das Land nur über einen äußerst geringen Anteil an technologieorientierten, zukunftsorientierten Unternehmen verfügt. Umso dringender ist es nach unserer Auffassung, das Vorhandene zu erhalten und zu stabilisieren.
Ich bitte Sie, unserem Antrag zuzustimmen, damit das Wirtschaftsministerium über seine Maßnahmen im Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit berichten kann. - Ich danke Ihnen.
Danke, Herr Abgeordneter Dr. Thiel. - Seitens der Landesregierung besteht der Wunsch, die Debatte zu eröff
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst einmal, Herr Dr. Thiel - ich glaube, dazu gibt es keine unterschiedliche Meinung in diesem Hause -: Die wirtschaftliche Lage in Sachsen-Anhalt und in der Bundesrepublik Deutschland ist wahrlich nicht so, wie wir sie gern hätten.
Es ist gerade in einer solchen wirtschaftlichen Situation ganz einfach, den einen oder anderen Beispielfall dafür anzuführen, was nicht so läuft, wie wir es gern hätten. Wenn Sie, Herr Dr. Thiel, allerdings fair bleiben wollen - ich kenne Sie als einen fairen Kollegen -, dann müssen Sie neben die Negativbeispiele eben auch die anderen stellen. Wer nur die negativen Beispiele aufzählt und die positiven vergisst, der präsentiert ein verzerrtes Bild und wird der tatsächlichen Situation nicht gerecht.
Auch wenn es im verarbeitenden Gewerbe den einen oder anderen Betrieb gibt, der dichtmacht oder abwandert, muss man doch fairerweise zur Kenntnis nehmen, dass es auf der anderen Seite eine Entwicklung gibt, in der sich Sachsen-Anhalt sehr deutlich von den anderen ostdeutschen und erst recht von den westdeutschen Bundesländern abhebt: Die Investitionstätigkeit im verarbeitenden Gewerbe ist seit 2002 deutlich angewachsen.
Wir haben in den beiden Jahren 2002 und 2003, wie Sie wissen, Investitionen in Höhe von mehr als 6 Milliarden € durch Förderbescheide auf den Weg gebracht. Zum ersten Mal in der Geschichte Sachsen-Anhalts wurden mehr Mittel in Anspruch genommen, als im Haushaltsplan bereitgestellt wurden, um Investitionen zu finanzieren. Über diese Investitionen, die ich jetzt nicht im Einzelnen aufzählen möchte, die Ihnen aber hinreichend bekannt sind - jedenfalls einige ganz wichtige -, werden mehr als 14 000 Arbeitsplätze geschaffen.
Ich sage deutlich: Das ist nur ein Segment unserer Volkswirtschaft, allerdings ein ganz wesentliches. Ohne solide industrielle Basis wird eine Volkswirtschaft wie die in Sachsen-Anhalt nicht auf die Beine kommen.
Es ist von großem Interesse - das muss man dann eben auch erwähnen, Herr Dr. Thiel -, dass der Umsatz und insbesondere die Beschäftigung im verarbeitenden Gewerbe in Sachsen-Anhalt im Jahr 2003 per Saldo zugenommen hat, während bundesweit im gleichen Zeitraum 156 000 Arbeitsplätze weggefallen sind. Das zeigt, dass wir entgegen dem Bundestrend eine alles in allem zuversichtlich stimmende Tendenz haben.
Wir haben auch bei den Gewerbean- und -abmeldungen, wie Sie wissen, erstmals seit einer ganzen Reihe von Jahren wieder positive Salden. Auch das ist ermutigend.
Schließlich haben wir auch zum ersten Mal seit Jahren bei der Unterbeschäftigungsquote im Jahr 2003, verglichen mit dem Jahr 2002, eine positive Entwicklung. Die Unterbeschäftigungsquote - das ist die Arbeitslosenquote plus alle Maßnahmen des zweiten Arbeitsmarkts -
ist in der Zeit von Dezember 2002 bis Dezember 2003 von 23,4 % auf 22,3 % gefallen. Dieses Ergebnis ist alles andere als zufrieden stellend, aber der Trend stimmt, meine Damen und Herren. Ich glaube, das muss man bei einer solchen Debatte sagen dürfen.
Zur Zahl der Insolvenzen. Natürlich gibt es viel zu viele Insolvenzen in der Bundesrepublik. Bundesweit haben wir noch nie so viele Insolvenzen gehabt wie im Jahr 2003. In Sachsen-Anhalt ist die Zahl der gewerblichen Insolvenzen um etwa 10 % zurückgegangen.
Das ist auch nur ein relativer Erfolg, das ist doch ganz klar. Aber wenn die Gesamtbedingungen für die Wirtschaft in Deutschland so sind, wie sie etwa im Jahr 2003 waren, dann muss man sich nicht darüber wundern, dass auch bei uns die Gesamtentwicklung nicht so läuft, wie sie laufen sollte.
Ich sage in aller Deutlichkeit noch einmal - ich unterstreiche das, was ich eingangs sagte -, dass natürlich die wirtschaftliche Gesamtentwicklung wesentlich besser werden muss. Über das wirtschaftspolitische Instrumentarium ist insbesondere in diesem Hohen Hause schon oft genug diskutiert worden.
Natürlich ist es vor allem der Bund, der die Rahmenbedingungen setzt. Die Höhe und die Gestaltung der Steuern und der Abgaben sind eine wesentliche Voraussetzung dafür, ob es in der Wirtschaft gut oder weniger gut läuft.
Die Energiepolitik, meine Damen und Herren, spielt eine Rolle. Wenn von der Bundesregierung, getragen von der Mehrheit des Bundestages, Energie systematisch verteuert wird, dann braucht man sich nicht zu wundern, dass energieintensive Unternehmen dichtmachen.
Welche Möglichkeiten haben wir auf der Landesebene? - Im Wesentlichen ist es - das ist richtig - die Möglichkeit, durch Investitionsförderung eine positive Entwicklung voranzubringen. Diesbezüglich sind die Zahlen aus den beiden letzten Jahren sehr erfreulich.
Des Weiteren können wir die Finanzierungsinstrumente verbessern. Das tun wir auch, indem wir die Investitionsbank errichten. Damit schaffen wir neben all den bereits existierenden Angeboten im Bereich der Darlehen, der Bürgschaften und der stillen Beteiligungen insbesondere für die kleinen Betriebe weitere Angebote.
Von überragender Bedeutung - das steht außer Frage - ist natürlich eine optimale Beratung und Qualifizierung der vielen Kleinunternehmerinnen und -unternehmer, die es im Lande gibt. Das ist eine wichtige Aufgabe. Auf diesem Sektor werben wir gemeinsam mit allen Anbietern. Insbesondere wollen wir zusammen mit den Kammern das Angebot verbessern. Im Rahmen der Existenzgründeroffensive ist zwar bereits eine Menge geschehen, aber wir wollen das weiter verbessern.
Sehr geehrter Herr Thiel, wenn Sie die Vorstellung haben, dass man Unternehmen, die ins Wanken geraten sind oder gar insolvent sind, mit staatlichen Mitteln aus dieser Situation herausführen könnte, dann sind Sie nach meiner Überzeugung auf dem Holzweg.
Meine Damen und Herren! Es gibt dafür ein sehr interessantes Beispiel. Die Vorgängerregierung hat - dies ge
schah sicherlich in allerbester Absicht - ein Darlehensprogramm mit dem Titel „Impuls 2000“ aufgelegt. Im Rahmen dieses Programms wurden an Unternehmen, die sich in einer Krise befanden, Darlehen ausgereicht.
Was ist passiert? - Binnen weniger Monate wurden zig Millionen Euro zum Fenster hinausgeworfen, weil man mit diesen Hilfen die Insolvenz lediglich um einige Wochen oder Monate hinausschieben konnte, aber man konnte das Blatt nicht wenden. Ich kann nur deutlich sagen: Dieser Weg ist unverantwortlich, weil er in die falsche Richtung führt.
Herr Thiel, Sie nennen in Ihrem Antrag Beispiele, bei denen die Dinge nicht so laufen, wie wir es gern hätten. Unter anderem taucht der Name Bad Kösen auf. Ich möchte es nicht im Einzelnen ausführen, aber ich sage Ihnen, dass in diesem und in den meisten anderen Fällen die Kosten, die bei uns für die Produktion anfallen, deutlich über denen liegen, die an anderen Standorten in anderen Ländern dafür anfallen. Das ist der entscheidende Punkt. Deshalb überlegt man etwa in Bad Kösen, ob man bestimmte Produktionen nach Polen verlegt. Auch andere Unternehmen in Sachsen-Anhalt, insbesondere mittelständische, haben ihre Produktion teilweise in benachbarte Länder wie Tschechien, Slowakei, Ungarn und Polen verlegt.
Jetzt sind wir an dem entscheidenden Punkt: Wir können den Inhabern, den Betreibern und auch den Mitarbeitern die unternehmerische Verantwortung für das einzelne Unternehmen nicht abnehmen. Wer damit anfängt, meine Damen und Herren, ein System zu etablieren, in dem das Land, der Staat letztlich für die einzelbetriebliche Entwicklung in die Verantwortung genommen wird, der hebt unser marktwirtschaftliches System auf.
Diese Alternative und deren Ergebnisse konnte man im Jahr 1990 in unserem Land und anderswo im Einzelnen betrachten.
Herr Minister, Sie haben die Lohnentwicklung bzw. die Entlohnung in anderen Staaten, insbesondere in den osteuropäischen Staaten, zum Anlass genommen, um deutlich zu machen, worin die Gefahr für die Unternehmen in Sachsen-Anhalt besteht. Wenn man dieser Logik folgt, kann man im Grunde genommen nur sagen: Entweder bestehen vergleichbare Bedingungen oder es kommt zu einem Dumpingeffekt, der zwangsläufig hier ankommen muss.
Ich möchte auf Ihr letztes Beispiel zu sprechen kommen. Unternehmerische Verantwortung hin oder her, das mag alles gut und schön sein. Ich kenne genügend Unternehmer, die sehr verantwortungsvoll entscheiden, gera
de auch in Bezug auf ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, weil sie wissen, dass es ein extremes soziales Problem ist, in dieser Situation die Arbeit zu verlieren.
Aber diese unternehmerische Verantwortung ist auch begrenzt durch die Gesetzgebung: Unter bestimmten Voraussetzungen müssen sie Insolvenz anmelden. An dieser Stelle sind zwangsläufig ebenso Grenzen gesetzt. Das heißt, es geht hierbei um eine wirtschaftspolitische Steuerungsfunktion, die Sie als Wirtschaftsminister wahrnehmen sollen.
Selbstverständlich, aber das Entscheidende ist doch, dass die Rahmenbedingungen, die aufgrund der Gesetzgebung oder aufgrund der weltwirtschaftlichen Gegebenheiten nun einmal so sind, wie sie sind, nicht durch Maßnahmen einer Landesregierung aufgehoben werden können. Alles, was wir tun können, ist, die Unternehmen im Rahmen unserer Möglichkeiten zu ertüchtigen und Investitionen anzureizen.
Aber es ist völlig ausgeschlossen, dass der Wirtschaftsminister bei einem Unternehmen, das seine Arbeitsplätze nach Polen verlagern will, vorstellig wird und gewissermaßen anbietet, dass das Land quasi die Differenz zwischen den polnischen und den heimischen Löhnen ausgleicht. Damit kämen wir total ins Rutschen. Im Übrigen würde dadurch eine immer weniger effiziente Wirtschaft entstehen.
Frau Sitte, ich weise nur auf diese Problematik hin. Ich habe auch kein Patentrezept. Ich sage in aller Deutlichkeit, dass man nicht glauben sollte, der Staat könne alle Wirtschaftsprozesse durch entsprechende Interventionen seinerseits korrigieren. Das muss man zur Kenntnis nehmen.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit noch ein anderes, sehr interessantes und eigentlich positives Beispiel aus unserem Land erwähnen. In Sangerhausen gibt es eine der größten Fahrradfabriken der Bundesrepublik Deutschland mit mehreren hundert Beschäftigten und mit einer wachsenden Tendenz hinsichtlich der Zahl der Mitarbeiter und der Umsätze.
Aber, meine Damen und Herren, die Fahrräder, die dort zusammengebaut werden, bestehen aus Teilen, die ausschließlich im Ausland gefertigt werden. Die Aluminiumrahmen kommen aus China, die Steuerungen kommen aus Japan, die Sättel kommen aus Irland. Alles kommt aus dem Ausland.
Es muss uns nachdenklich stimmen, dass diese Produkte, die wir mit Sicherheit in der gleichen Qualität herstellen können, bei uns offenbar so teuer sind, dass sie nicht mehr wettbewerbsfähig sind. Es ist ein Irrtum zu glauben, dass eine solche Entwicklung durch die Intervention der Landesregierung behoben werden könnte.
Ich sage Ihnen, Herr Thiel, in aller Deutlichkeit: So sehr ich Ihre Sorgen teile, aber die Tendenz, die in Ihrem Antrag zum Ausdruck kommt, ist für mich nicht akzeptabel. Sie sprechen von einem aktiveren und vorausschauenderen Handeln der Landesregierung zur Bestandspflege und Erhaltung.