Protocol of the Session on June 20, 2002

Drittens. Es geht uns darum zu klären, ob ausschließlich die Polizei die Ermächtigung erhalten soll, die Gewalttäter wegzuweisen. In diesem Zusammenhang verweise ich auf die Frage bezüglich der Verwaltungsbehörden.

Viertens. Über alle anderen insbesondere im SPD-Entwurf gewünschten Regelungsinhalte, wie zum Beispiel in Absatz 7, sollten wir ausführlich im Innenausschuss diskutieren. - Ich freue mich auf die Beratung und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei der FDP)

Danke, Herr Abgeordneter Madl. - Für die PDS-Fraktion spricht die Abgeordnete Frau Ferchland.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ausgelöst durch das seit dem 1. Mai 1997 verabschiedete Gewaltschutzgesetz in Österreich hat in den vergangenen Jahren eine breite Diskussion über grundlegende Veränderungen in der Bekämpfung von häuslicher Gewalt stattgefunden. Es geht um einen Paradigmenwechsel, der zu einem neuen Verständnis der häuslichen Gewalt und zu einer anderen Konzeption der staatlichen Reaktion geführt hat. Das heißt, das Phänomen der häuslichen Gewalt ist in Österreich als Ergebnis einer gesellschaftlichen Entwicklung in die Verantwortung der staatlichen Behörden übergegangen.

Lassen Sie mich kurz die drei Komponenten des Paradigmenwechsels nennen, weil wir doch eine große Anzahl von Neulingen in diesem Parlament haben.

Erstens. Die Bekämpfung der häuslichen Gewalt ist eine öffentliche Angelegenheit. Einsätze wegen häuslicher Gewalt gehören zum polizeilichen Alltag. Schnelle, wirksame und vor allen Dingen täterorientierte Intervention ist von großer Bedeutung für den Opferschutz und für

die Prävention. Eine täterorientierte Intervention erwarten auch die Opfer, die von sich aus keinen Strafantrag stellen.

Im Bereich der Polizei besteht das Bedürfnis nach Rechtssicherheit, da oftmals Unsicherheit darüber herrscht, welche Interventionsform sinnvoll und angemessen ist. Hierbei treffen sich die Erwartungen von Beamtinnen und Beamten und die der betroffenen Frauen. - Sie entschuldigen, dass ich von Männern und Frauen spreche, aber 90 % der Gewalttäter im häuslichen Bereich sind männlich. - Der Einsatz soll Wirkung zeigen und Schutz bieten.

Wird in Fällen von häuslicher Gewalt nur schlichtend und ermittelnd interveniert und nicht wegen des Verdachts auf eine Straftat ermittelt, dann wird in der überwiegenden Zahl der Fälle die Dynamik und die Gefährlichkeit häuslicher Gewalt verkannt. Dem Täter wird überdies vermittelt, dass er nichts Unrechtes getan hat und dass er weiterhin Gewaltanwendung ausüben kann. Bei dem Opfer wird das Ohnmachtsgefühl gestärkt und es wird entmutigt, erneut polizeiliche Hilfe zu suchen.

Andererseits muss auch hierbei auf die starke Betroffenheit von Kindern hingewiesen werden. Die Intervention gegen häusliche Gewalt schafft oft erst die Möglichkeit, etwas zugunsten des unmittelbar oder mittelbar von Gewalt betroffenen Kindes zu tun. Diesen Kindern zu ersparen, in einer von männlicher Gewalt geprägten Erlebniswelt aufzuwachsen, vermeidet nicht nur schwere Traumatisierungen von Kindern, sondern ist auch ein Mittel, um diese generationsübergreifende Weitergabe des Gewaltmusters zu durchbrechen.

Zweitens. Die staatliche Reaktion erfolgt im Horizont der Gewaltbeziehung. Bis heute hat die polizeiliche Intervention einen künstlich begrenzten Zeithorizont durch die isolierte Betrachtung der gerade geschehenen Gewalttat. Es wurde eine Beruhigung der Situation abgewartet oder bewirkt. Allenfalls wurde einer unmittelbar drohenden weiteren Beeinträchtigung des Opfers dadurch begegnet, dass diesem geraten wurde, zum eigenen Schutz die Wohnung zu verlassen. Der Peiniger blieb unbehelligt. Die polizeiliche Aufgabe bestand darin, dafür Sorge zu tragen, dass endlich Ruhe eintritt.

Ein Ausblenden der Beziehung zwischen Täter und Opfer bedeutet jedoch nicht weniger als das Ausblenden des eigentlichen Problems. Die einzelne Gewalttat kann, wenn sie im festen Rahmen einer Beziehung stattfindet, nur vor dem Hintergrund dieser Beziehung verstanden und sinnvoll bearbeitet werden.

Mit der Einblendung der Gewaltbeziehung verändert sich nämlich der Zeithorizont. Nicht nur die nächsten Stunden, sondern auch die nächsten Monate werden als prekärer Zeitraum wahrgenommen. Vor diesem Hintergrund genügt es nicht mehr, die akute Situation zu entschärfen, sondern es muss dem Opfer Zeit gegeben werden, um sich aus der Gewaltbeziehung zu befreien. Solange die Beziehung besteht, lebt das Opfer in dauernder Gefahr.

Eine polizeiliche Intervention, die im Horizont der Gewaltbeziehung erfolgt, hat nur begrenzte Möglichkeiten. Dessen sind wir uns bewusst. Sie kann im Alleingang die Gewaltbeziehung weder beenden noch angemessen sanktionieren. Daher ist das ein erster Schritt und als Lückenschluss zu verstehen.

Es bedarf einer weiteren Kooperation. Ein Kooperationspartner sind hierbei die Jugendhilfe, die Justiz, die

Frauenhäuser, die Männerberatungsstellen und die Interventionsstellen. Ohne diese Einrichtungen, meine Damen und Herren, ist das Ganze sinnlos.

Drittens. Die staatliche Reaktion wird normativ und richtet sich nun endlich gegen den Täter. Während es bei einer Gewalttat einen Täter und ein Opfer gibt, gehören zu einem Streit bekanntermaßen zwei, die als gleichrangige Partner angesehen werden und denen unterstellt wird, dass prinzipiell beide Verantwortung tragen. Der deeskalierende Ansatz diente, wie bereits gesagt, dazu, das Opfer aus der Gefahrenzone zu befreien. Diese Vorgehensweise lässt jedoch den Täter aus dem Spiel. Man verzichtet darauf, dessen Verantwortung zu thematisieren.

Nunmehr richtet sich das staatliche Handeln gegen die, von denen die Gewalt ausgeht. Die Täter sollen zur Verantwortung gezogen werden und die Konsequenzen tragen. Es soll deutlich gemacht werden, dass Gewalt nicht toleriert wird.

Den Grundgedanken der SPD-Fraktion, das SOG zu novellieren, um die Wegweisung zu ermöglichen, begrüßen wir ausdrücklich, denn die Generalklausel ist auch nach unserer Auffassung nicht ausreichend. Dennoch geht der Entwurf der SPD aus fachlicher Sicht für uns nicht weit genug. Er lässt viele Positionen, wie die Weitergabe von Daten, völlig offen.

Frau Ferchland, ich bitte Sie, zum Schluss zu kommen.

Jawohl! - Da es sich aber hierbei um einen Eingriff in das Grundrecht handelt, müssen wir eine klare Position beziehen und klare Zuständigkeiten nennen, um einen Missbrauch auszuschließen.

Bitte den letzten Satz!

Ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit der CDU; denn auch ich fand den Gesetzentwurf der letzten Legislaturperiode zu kurz gefasst und den der SPD-Fraktion noch nicht weitgehend genug. Lassen Sie uns darüber in den Ausschüssen streiten. - Danke.

(Beifall bei der PDS)

Die Debatte wird fortgesetzt mit dem Beitrag der FDPFraktion. Es spricht der Abgeordnete Herr Kosmehl.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Problematik der häuslichen Gewalt ist ernst zu nehmen und gehört in eine gesellschaftliche Debatte. Es ist festzustellen, dass sich das Hohe Haus bereits in der dritten Wahlperiode vielfach mit dem Thema beschäftigt hat. Die Schwierigkeit für die Politik besteht allerdings darin, sehr emotionale Gegebenheiten familiärer und zwischenmenschlicher Art umfassend zu betrachten und sachlich zu entscheiden.

Am 11. Dezember 2001 hat der Deutsche Bundestag das Gesetz zum zivilrechtlichen Schutz vor Gewalttaten und Nachstellungen - kurz Gewaltschutzgesetz - beschlossen und damit für zivilrechtliche Ansprüche und zivilrechtliche Aspekte der häuslichen Gewalt eine Regelung getroffen.

Der vorliegende Gesetzentwurf der Fraktion der SPD zum Schutz vor häuslicher Gewalt unternimmt nun den Versuch, die Problematik im Hinblick auf ordnungsrechtliche und gefahrenabwehrrechtliche Aspekte aufzugreifen. Allerdings kann die zugrunde liegende Problematik der häuslichen Gewalt nicht durch eine schnelle und meiner Meinung nach undifferenzierte Ergänzung des SOG gelöst werden.

Richtig ist, dass sich CDU und FDP im Koalitionsvertrag darüber verständigt haben, eine Regelung zur Wegweisung in eine Novellierung des SOG einzubeziehen. Im Entwurf der SPD-Fraktion ist als Lösungsansatz enthalten, lediglich die Wohnungswegweisung und das Rückkehrverbot neu in das Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung einzuführen. Die Frage, die dabei aufgeworfen wird, ist aber, ob ein solches ordnungsrechtliches Instrument derzeit notwendig ist.

(Zustimmung bei der FDP und von Herrn Höhn, PDS)

Hierbei ist festzuhalten - der Minister des Innern hat heute Morgen in der Fragestunde bereits darauf hingewiesen; es dürfte unstreitig sein -, dass es auf der Grundlage des derzeitigen Rechts möglich ist, eine Wegweisung als Platzverweis zu bezeichnen und dass von dieser Möglichkeit bereits Gebrauch gemacht wird. Wenn das der Fall ist, dann sehe ich derzeit keinen akuten Handlungsbedarf für eine Änderung des SOG in diesem kleinen Teil.

Wenn der Gesetzgeber über die bestehende Regelung hinaus tätig werden will, so kann dieses nur in einer vielseitigen, sachlichen Auseinandersetzung und vor allen Dingen unter einer differenzierten Betrachtung erfolgen. Frau Kollegin Schmidt, dazu kann ich im Gesetzentwurf Ihrer Fraktion keine differenzierte Lösung erkennen. Insbesondere erscheint mir die generelle Pauschale von zehn Tagen und die Regelung, nur ausnahmsweise eine kürzere Dauer zuzulassen, nicht differenziert.

Eine weitere Schwachstelle des Entwurfes, meine ich, ist, ob wir zukünftig, wie in Ihrem Entwurf vorgeschlagen, unsere Polizei als vorgelagerte Rechtsberatungsstelle hinsichtlich weiterer zivilrechtlicher Möglichkeiten verstehen wollen oder ob sich die Polizei nicht auf die Kernaufgaben, Gefahren abzuwehren, konzentrieren und notwendige Maßnahmen auf der Grundlage der jetzt bestehenden Regelung anordnen sollte, solange und soweit dieses erforderlich ist.

Nach dem eben Ausgeführten und vor dem Hintergrund, dass eine Regelung zur Wegweisung zum Beispiel aus der gemeinsam genutzten Wohnung verschiedene verfassungsrechtlich geschützte Rechtspositionen nicht lediglich tangiert, sondern in diese Positionen auch tief eingreift, kann die Fraktion der FDP dem hier vorgelegten Antrag nicht zustimmen.

(Beifall bei der FDP)

Ich würde mich aber dem Antrag auf Überweisung in den Innenausschuss anschließen. - Danke.

(Beifall bei der FDP)

Danke, Herr Abgeordneter Kosmehl. - Die Debatte wird beendet durch den Debattenbeitrag der SPD-Fraktion. Herr Rothe, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nach dem zutiefst und unverwechselbar liberalen Beitrag des Kollegen Kosmehl bin ich doch ein bisschen perplex,

(Heiterkeit bei der SPD und bei der PDS)

werde aber versuchen, Herr Kollege, Sie auf das zu verweisen, was die FDP-Fraktion im nordrhein-westfälischen Landtag gesagt hat, die das mitbeschlossen hat, was wir Ihnen heute als Entwurf vorlegen.

(Zustimmung bei der SPD)

Dieser Entwurf, Herr Madl, unterscheidet sich ganz gravierend von dem, was die CDU hier eingebracht hat. Das war ein undifferenzierter Schnellschuss, Herr Kosmehl, von dem Sie gesprochen haben. Der CDU-Entwurf umfasste ganze fünf Zeilen. Unser Entwurf - und zwar der Gesetzestext, ich rede gar nicht von der Begründung - umfasst eineinhalb Seiten.

(Frau Liebrecht, CDU: Weniger ist manchmal mehr!)

Das ist bei einem so gravierenden Grundrechtseingriff, wie es die Wegweisung aus der eigenen Wohnung über einen längeren Zeitraum bedeutet, absolut geboten.

(Zustimmung bei der SPD)

Frau Kollegin Schmidt hat hierzu schon Beispiele angeführt. Ich erwähne ein weiteres: Betrachten Sie den von uns vorgeschlagenen Absatz 1 des § 36 a, der in das SOG eingefügt werden soll. Darin heißt es zum räumlichen Bereich der Wegweisung:

„Der räumliche Bereich, auf den sich Wohnungsverweisung und Rückkehrverbot beziehen, ist nach dem Erfordernis eines wirkungsvollen Schutzes der gefährdeten Person zu bestimmen und genau zu bezeichnen. In besonders begründeten Einzelfällen“

- etwa wenn jemand eine Praxis in dem Haus hat, in dem die Wohnung liegt -

„können die Maßnahmen nach Satz 1 auf Wohn- und Nebenräume beschränkt werden.“