Protocol of the Session on June 20, 2002

Herr Ministerpräsident, ich erinnere Sie an Ihre Worte vor dem Hohen Haus und appelliere an den von Ihnen bekundeten Willen zu einer konstruktiven Zusammenarbeit. Diese ist durch das von der Landesregierung angekündigte Verfahren nicht gewährleistet.

Für die Beratungen in den Fachausschüssen stehen lediglich 14 Arbeitstage zur Verfügung; angemessen sind nach anerkannten Grundsätzen für die Behandlung von Haushaltsvorlagen zwei bis drei Monate, die wir aber nicht in Gänze einfordern. Allerdings muss klar sein, dass eine angemessene Zeit zur Verfügung steht. Eine fachlich fundierte Beratung in den Fachausschüssen ist aufgrund der von mir dargestellten engen Terminkette praktisch nicht möglich.

Sollte es tatsächlich das erklärte Ziel der Landesregierung sein, einen soliden Nachtragshaushalt zu beschließen, dann sollten Sie unserem Antrag folgen und die Beschlussfassung auf die Sitzung nach der Sommerpause verlegen. Es würde dann genügend Zeit für eine intensive Beratung in den Fachausschüssen zur Verfügung stehen.

Bei einer Verabschiedung des Nachtragshaushaltes im Herbst ist auch eine Verbindung mit den Beratungen über die Haushaltseckwerte für das Haushaltsjahr 2003 möglich. Bei dem Umfang der geplanten Neuverschuldung ist eine gemeinsame Betrachtung beider Haushaltsvorlagen aus unserer Sicht zwingend geboten. Die Beschlussfassung über den Nachtragshaushalt in der

ersten Sitzungsperiode des Landtages nach der Sommerpause führt unseres Erachtens nicht zu einer Gefährdung des Haushaltes, weil die angeordnete Haushaltssperre eine sparsame Haushaltsführung garantiert.

Meine Damen und Herren! Sollte es aber Ihr eigentliches Ziel sein, sich ohne Blessuren über die Bundestagswahl zu retten und die richtigen Grausamkeiten, die hier ansatzweise schon angedeutet worden sind, erst im Jahr 2003 zu begehen, dann sagen Sie dieses auch öffentlich den Bürgern.

(Frau Liebrecht, CDU: Was denn für Grausamkei- ten? - Zuruf von Herrn Tullner, CDU)

Ich will Ihnen das nicht unterstellen, aber der Verdacht drängt sich auf, wenn man sich die von Ihnen gewählte Verfahrensweise anschaut.

Herr Ministerpräsident, Sie haben in der letzten Sitzung des Landtages erklärt, dass hier im Hohen Hause der Ort ist, um darüber zu streiten, was für unser Land das Beste ist, und Sie haben für Fairness und für Verständnis untereinander plädiert. Ich reiche Ihnen symbolisch die Hand und bitte Sie, uns gemeinsam die nötige Zeit zu lassen, uns intensiv mit dem Nachtragshaushalt zu beschäftigen, um letztlich auch die Einhaltung der Verfassung zu garantieren.

Im Oktober könnte ein Nachtragshaushalt mit dem gebotenen Abstand zur Bundestagswahl beschlossen werden. Ich bin mir relativ sicher, dass sich dieser dann auch im Rahmen der Verfassung bewegen würde. Vorschläge, wie dies aus unserer Sicht möglich ist, werden wir in die Haushaltsberatungen einbringen.

Meine Damen und Herren von der FDP- und von der CDU-Fraktion, es liegt nun an Ihnen zu beweisen, ob Ihnen die Einhaltung der Verfassung ein so hohes Gut ist, wie es in der Vergangenheit von Ihren Mitgliedern immer wieder erklärt worden ist.

Wenn Sie sich dafür entscheiden - mit Ihrer Stimmenmehrheit, über die Sie hier verfügen -, den Nachtragshaushalt, wie geplant, bereits im Juli durch den Landtag zu bringen, dann behalten wir uns weitergehende Schritte vor. Nach einer gründlichen Prüfung der Rechtslage, den Stellungnahmen des GBD, des Landesrechnungshofes und gegebenenfalls weiterer Verfassungsrechtler würden wir in diesem Fall den Gang vor das Landesverfassungsgericht in Erwägung ziehen. - Ich bitte Sie um Zustimmung zu unserem Antrag.

(Zustimmung bei der SPD)

Danke, Herr Abgeordneter Doege. Sie signalisierten die Bereitschaft, noch eine Frage von Herrn Scharf zu beantworten. - Bitte, Herr Scharf.

Herr Kollege Doege, die Erwirtschaftung einer globalen Minderausgabe ist in so einem Haushalt, wie Sie ihn noch beschlossen haben, eine verdammt schwere Aufgabe. Nun müsste man denken, dass man sich sofort daran setzt, diese zu erarbeiten.

Wir haben nach der Regierungsübernahme einmal in alten Protokollen geblättert, und uns ist eine Vereinbarung in der Staatssekretärskonferenz am 4. Februar 2002 in die Hände gefallen, in der man sich darauf verständigt hat, im Haushaltsführungserlass festzulegen, die Unter

setzung der globalen Minderausgabe in den Einzelplänen nicht zum 30. April, sondern erst zum 30. Juni auf den Weg zu bringen.

Das heißt, Sie selbst - vermute ich einmal - haben sich in Ihrer Regierungszeit gar nicht ernsthaft an die Aufgabe gemacht, die globale Minderausgabe tatsächlich erwirtschaften zu wollen.

(Herr Bullerjahn, SPD: Herr Scharf!)

Oder hätten Sie eine andere Wertung für diesen Auszug?

(Zurufe von Herrn Bullerjahn, SPD, und von Herrn Kehl, FDP)

Herr Scharf, ich stimme Ihnen zu, dass die Erwirtschaftung einer globalen Minderausgabe in Höhe von 2 % des Haushaltsvolumens sicherlich eine sehr stringente Haushaltsführung verlangt. Sie selbst haben in den Entwurf des Nachtragshaushaltes erneut eine globale Minderausgabe eingestellt. Wir haben hier zur Kenntnis genommen, dass die globale Minderausgabe bereits untertitelt sei. Das ist in dem Entwurf so noch nicht erkennbar. Wir sind also sehr gespannt auf die Ausführungen, die der Finanzminister bei den Beratungen im Finanzausschuss machen wird.

Zu dem zweiten Punkt, den Sie angesprochen haben: Da ich nicht Mitglied des Kabinetts war, kann ich zu dieser Vorlage, die mir nicht vorliegt, auch keine Aussagen machen. Tut mir Leid.

(Herr Scharf, CDU: Glück gehabt! - Heiterkeit bei der CDU)

- Man muss auch einmal Glück haben.

Damit ist die Einbringung der beiden Drucksachen erfolgt. Wir kommen jetzt zur Aussprache. Meine Damen und Herren! Im Ältestenrat wurde eine Debattendauer von 60 Minuten für die Fraktionen vereinbart. Die Reihenfolge und die Redezeit gestalten sich wie folgt: PDS 13 Minuten, CDU 25 Minuten, FDP neun Minuten und SPD 13 Minuten.

Für die PDS-Fraktion spricht der Abgeordnete Herr Gallert. Herr Gallert, Sie haben das Wort.

Werte Anwesende! Werter Herr Finanzminister, vielleicht eines vorneweg: Sie können sich sicher sein, auf die Art und Weise der Auseinandersetzung, Herr Paqué, die Sie hier eben begonnen haben, werde ich mich nicht einlassen. Ich werde das auch nicht machen müssen.

(Zustimmung bei der PDS)

Das, womit Sie sich auseinander zu setzen haben, werden in erster Linie die Zahlen sein. Ich garantiere Ihnen, in spätestens 24 Monaten werden Sie sich ärgern, hier eine solche Rede gehalten zu haben.

(Beifall bei der PDS und bei der SPD - Herr Tull- ner, CDU: Das ist eine Drohung!)

Der heute vorliegende Entwurf eines Nachtragshaushalts stellt eine wirkliche Herausforderung für die politischen Auseinandersetzungen im neuen Landtag dar. Dies betrifft sowohl die unmittelbaren Akteure aus Exe

kutive und Legislative als auch diejenigen, die diese Diskussion medial vermitteln werden. Ich glaube, die Herausforderung ist für Letztere am größten.

Die Herausforderung besteht darin, dass der vorliegende Entwurf eben nicht mit einem Schlagwort zu kennzeichnen ist. Jawohl, dieser Haushaltsentwurf ist eine notwendige Reaktion auf eine krisenhafte Zuspitzung bezüglich der Landesfinanzen ab dem laufenden Haushaltsjahr 2001. In ihm werden über eine erhöhte Neuverschuldung Risiken abgedeckt, die mit der Steuerschätzung im November 2001 sichtbar wurden, aber durch uns bei der Beschlussfassung im Dezember 2001 nicht schon über zusätzliche Kredite abgedeckt wurden. Hierbei gebe ich Ihnen sogar Recht, Herr Paqué. Leider kann ich mich aber auch nicht daran erinnern, dass die CDU-Fraktion zu diesem Zeitpunkt einen entsprechenden Antrag gestellt hätte.

Darüber hinaus werden Defizite abgedeckt, die mit dem Haushaltsabschluss des Jahres 2001 im Februar dieses Jahres sowie durch die Mai-Steuerschätzung sichtbar wurden.

Die Summe der Defizite beläuft sich auf rund 560 Millionen €. Eine gewaltige Hypothek, die im November 2001, als wir den Haushalt beraten haben, in Sachsen-Anhalt genauso wenig abzusehen gewesen ist, wie in Sachsen oder Thüringen. In Sachsen, dem Musterland konservativer Haushaltsführung, beträgt das Defizit 900 Millionen € - ein Betrag, der in etwa den gleichen Anteil wie im Landeshaushalt von Sachsen-Anhalt ausmacht.

Bei den Verlusten der Mai-Steuerschätzung - Herr Böhmer, hierzu hat man Ihnen etwas Falsches aufgeschrieben - schießt Thüringen den berühmten Vogel ab. Sachsen-Anhalt und Sachsen haben Einnahmeverluste bei den Steuern in Höhe von 5 % der Gesamteinnahmen, in Thüringen sind es knapp 6 %. Von dort kenne ich aber keine Schlagzeilen, die der Landesregierung vorwerfen, bei der Haushaltsdiskussion betrogen zu haben. Übrigens hat unter den ostdeutschen Flächenländern Mecklenburg-Vorpommern mit einer Abweichung von lediglich 2 % offensichtlich die seriöseste Haushaltsschätzung gehabt.

(Beifall bei der PDS - Zustimmung bei der SPD - Lachen bei der CDU)

Für die Bewertung der Situation ist vor allem eines wichtig: Eine Reaktion in diesem Nachtragshaushalt bezüglich dieser Summe ist nötig. Der Vorwurf, dass dies alles schon bei der Beschlussfassung bekannt gewesen sein müsste, ist einfach falsch. Da aber hiermit die politische These bedient werden kann, dass Rot-Rot unseriöse Haushalte macht, interessiert die Wahrheit nicht.

Darüber hinaus hat dieser Haushalt jedoch einen anderen Aspekt, den einer künstlichen Verschärfung der Haushaltslage zur Illustration der roten Laternen im Land Sachsen-Anhalt. Damit meinen wir die Überschreitung der verfassungsmäßigen Kreditobergrenze, die auf die Summe der eigenfinanzierten Investitionen festgelegt ist, um rund eine Viertelmilliarde Euro.

Für uns geht aus dem vorliegenden Haushaltsentwurf nicht schlüssig hervor, warum sämtliche Risiken des Haushaltes in dieser Form so komfortabel abgedeckt werden müssen. Sicherlich ist die zusätzliche Einstellung von Ausgaberesten wünschenswert. Sicherlich ist der Ausgleich des gesamten Defizits des Jahres 2001 in diesem Jahr für die Koalition verlockend. Sicherlich ist die Anhebung der Personalkostenstellen geradezu ver

führerisch. Kann sich übrigens noch jemand erinnern, was die CDU im letzten Haushalt dazu beantragt hat?

(Zurufe von der PDS und von der SPD: Ja!)

Herr Scharf, Ihr Kommentar ist dazu wirklich interessant.

Natürlich ist es eine komfortable Situation, sich mit dem Verweis auf die Vorgängerregierung Polster zu schaffen. Aber ist der Preis der massiven und bewussten Überschreitung der verfassungsmäßigen Obergrenze nicht in Wahrheit viel zu hoch für diese taktischen Überlegungen? Bei uns verfestigt sich der Verdacht, dass mit diesem Vorgehen der alte Spruch bedient wird: Auf fremdem... - bestimmtes Körperteil - ist gut durch Feuer reiten.

(Zustimmung bei der PDS, von Herrn Dr. Heyer, SPD, und von Herrn Dr. Polte, SPD)

Zur Erinnerung: Der Haushalt ist faktisch in allen ostdeutschen Ländern aus dem Ruder. Ob mit oder ohne Nachtragshaushalt wird man mit Ausnahme von Mecklenburg-Vorpommern mit einem höheren Gesamtdefizit abschließen. Aber die Verfassungsgrenze wird natürlich nur in Sachsen-Anhalt angerührt.

Aus taktischer Sicht habe ich durchaus Verständnis für dieses Herangehen. Der erfolgreiche Rote-LaterneWahlkampf wird bis zur Bundestagswahl fortgeführt und die eigenen Wahlversprechen, wie der Spruch vom RotRot-Stift in der Bildungspolitik, können dann schneller kassiert werden. Geschickt werden die Probleme überzeichnet, um dann die eigenen möglichen Erfolge dagegensetzen zu können.

(Frau Liebrecht, CDU: Das ist eine Unterstel- lung!)

Ein einfacher Vergleich macht dies übrigens deutlich: Während der Landeshaushalt im Jahr 2001 ein reales - also nicht das geplante, sondern das tatsächlich aufgelaufene - Defizit von 900 Millionen € aufweist, soll dieses im Haushaltsjahr 2002 auf einmal 1,3 Milliarden € betragen. Das ist eine Steigerung um 400 Millionen € innerhalb eines Jahres. Die Logik ist relativ einfach: Je tiefer man die Messlatte in Bezug auf die Haushaltskonsolidierung legt, umso einfacher kann man später in die Höhe springen.

Da ich als parlamentarischer Geschäftsführer von Hause aus auch eher ein Taktiker bin, nötigt mir dieses Vorgehen durchaus Respekt ab.