Protocol of the Session on November 20, 2003

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Minister Olbertz. - Die Debatte beginnt mit einem Beitrag der SPD-Fraktion. Ich erteile Frau Dr. Kuppe das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Herren und Damen Abgeordneten! Zehn Minuten sind ein sehr knapp bemessener Zeitraum, um zu diesen zwei Gesetzen, die in dem Doppelpack vorhanden sind, Stellung zu nehmen.

Deshalb in der gebotenen Kürze zunächst zu Artikel 1, dem vierten Hochschulstrukturgesetz.

Dieses Gesetz ist in der vorliegenden Fassung überflüssig.

(Zustimmung bei der SPD)

Erstens deshalb, weil schon die bestehende Gesetzeslage die notwendigen Instrumente bereit hält, um mit den Hochschulen gemeinsam zu Strukturveränderungen zu kommen. Ich nenne beispielhaft § 5 mit den Absätzen 2 bis 4, in denen die gemeinsamen Aktivitäten zur Entwicklungsplanung geregelt sind, § 5 Abs. 1, in dem die Zielvereinbarungen vorkommen, § 66, der das Zusammenwirken von Staat und Hochschulen regelt, und § 1 Abs. 3 mit der Regelung zur Errichtung, Schließung, Teilung und Zusammenlegung von Hochschulen.

Wenn Sie, Herr Minister Olbertz, an den Hochschulen und zwischen ihnen Strukturen neu ordnen wollen, hielte ich es für Ihre Pflicht und auch für ein Gebot der Ehrlichkeit, die Anfang dieses Jahres mit dem Hochschulen abgeschlossenen Zielvereinbarungen zu kündigen und mit den Hochschulen neue Vereinbarungen mit neuen Zielen und mit neuen Strukturvorstellungen zu verhandeln und dann auch zu besiegeln.

(Zustimmung bei der SPD)

Mein zweites Argument gegen das so genannte vierte Hochschulstrukturgesetz resultiert aus der Inhaltsleere dieses Gesetzes. Es ist leer. Wenn Sie, Herr Minister Olbertz, ein Strukturgesetz für notwendig erachten, dann sollten Sie die von der Landesregierung gewünschten und möglichst mit den Hochschulen verhandelten Hochschulstrukturen auch in dieses Gesetz hineinschreiben.

(Herr Dr. Püchel, SPD: Warum machen Sie das denn nicht?)

Das brächte Klarheit für die Hochschulen, das brächte Klarheit für die Kommunen und Regionen und der Landtag könnte über konkrete Vorstellungen der Landesregierung streiten.

(Herr Dr. Püchel, SPD: Die wollen nicht! - Zustim- mung bei der SPD)

Drittens halten wir auch in der neuen Fassung die vorgeschlagene Generalvollmacht für Verordnungen immer noch für verfassungsrechtlich bedenklich; die Meinungen der Gutachter sind ja wohl auch sehr stark auseinander gegangen.

Viertens will ich anmerken, dass völlig im Dunklen bleibt, wie durch dieses Gesetz Wissenschaft, Forschung und Innovation nachhaltig gestärkt werden können. Das muss ja das Ziel einer Hochschulstrukturreform in Sachsen-Anhalt sein.

Fünftens will ich noch darauf verweisen, dass nach § 1 Abs. 3 Studierenden, deren Studienangebot verändert, verlagert oder aufgehoben wird, zwar ein Weiterstudieren ermöglicht wird, aber zu noch schlechteren Bedingungen im Vergleich zu ihren anderen Kommilitoninnen und Kommilitonen.

Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, sind fünf Gründe für die SPD, das Gesetz abzulehnen.

(Zustimmung bei der SPD)

Zu Artikel 2 - Neufassung des Hochschulgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt. Aus der schon lange angekündigten Neufassung, Herr Minister Olbertz, ist bestenfalls

eine Novelle geworden. Auch das wäre ja in Ordnung, aber die Gesamteinschätzung der SPD-Fraktion lautet: Sie legen eine Flut von Regelungen vor, die zum Teil einander widersprechen, und das ist Murks.

Aus vielen Paragrafen spricht das Misstrauen des Staates gegenüber den Hochschulen. Das Gesetz erweckt den Anschein, die Hochschulautonomie zu stärken, doch dann tritt der Staat den Hochschulen gegenüber auf wie Gulliver gegenüber den Liliputanern. Die Überregulierung wird manches Beamtenherz im Ministerium vielleicht erfreuen, den Hochschulen aber ganz gewiss keinen Schwung nach vorn geben. Einige Beispiele für diese Einschätzung:

Erstens. Der Genehmigungsvorbehalt des Ministeriums für die Einrichtung von Studiengängen auf Dauer verletzt das Prinzip der Hochschulautonomie als Leitvorstellung. Im Rahmen der im Zusammenwirken verabredeten mittelfristigen Planung und der ausgehandelten Zielvereinbarungen müssen die Hochschulen ihre Strukturentscheidungen selber treffen und dann natürlich auch selber verantworten können. In diese Kategorie fällt auch die Regelung, dass die Grundordnung der Genehmigung durch das Ministerium bedarf. Auch dieses Verfahren nimmt die Hochschulautonomie einfach nicht ernst.

Zweitens. Die Fachhochschulen sollen ihr Promotionsrecht verlieren. Das ist ein Rückschritt, denn in diesem Punkt war Sachsen-Anhalt wirklich innovativ. Die Hürde muss hoch sein. Daran will ich gar keinen Zweifel lassen. Aber wenn diese Hürde überspringbar ist, dann wird das Innovationspotenzial der Fachhochschulen gestärkt. Ich meine, dass uns Großbritannien in diesem Bereich auch ein gutes Beispiel ist.

Drittens. Mit der Stärkung der Rektorate und der Dekanate soll die Abschaffung der Konzile einhergehen. Damit würde ein Organ der demokratischen Willensbildung, der demokratischen Meinungsbildung an den Hochschulen wegfallen. Ich meine, es sollte den Hochschulen überlassen sein und dort jeweils der Festlegung in der Grundordnung, sich für oder gegen ein Konzil zu entscheiden. Das sollte nicht vom Staat verordnet werden.

Viertens. Zur Weiterentwicklung der Hochschulmedizin regelt das Gesetz, dass ein weiteres Gesetz die Umwandlung der Universitätsklinika in Einrichtungen mit eigener Rechtspersönlichkeit regeln kann. Zunächst aber erwarte ich von Ihnen, Herr Minister Olbertz, dass Sie uns im Bildungsausschuss die Ergebnisse der MeinholdKommission vorstellen. Das ist schon lange zugesagt, aber noch nicht passiert.

Ich erwarte von Ihnen auch eine Darstellung dazu, welche Vorteile Sie sich von einer anderen Rechtsform für die Universitätsklinika erhoffen. Abgesehen davon meine ich aber, dass der Landtag zu jeder vom Grundgesetz erlaubten Materie ein Gesetz beschließen kann. Dazu bedarf es nicht der Formulierung in diesem Gesetz, dass wir es tun können.

(Beifall bei der SPD)

Fünftens. Die Landesregierung will Langzeitstudiengebühren einführen. Nicht zuletzt aus dem Centrum für Hochschulentwicklung, dem CHE, ist immer wieder zu hören, dass Langzeitstudiengebühren der falsche Weg der Steuerung sind, weil sie keinerlei Anreiz für die Hochschulen schaffen, die Studienbedingungen so zu gestalten, dass möglichst viele Studierende ihren Studienabschluss innerhalb der Regelstudienzeit erreichen. Beim Nachbarn Österreich ist zu beobachten, dass nach

Einführung derartiger Gebühren die Zahl der Studierenden zurückgegangen ist. Herr Minister Olbertz, wir wollen doch in Sachsen-Anhalt gerade den gegenteiligen Trend erreichen.

(Minister Herr Dr. Olbertz: Das CHE ist gegen je- derlei Gebühren!)

Neben Österreich zeigen auch andere internationale Erfahrungen, zum Beispiel aus den USA und aus Australien, dass solche Gebührenmodelle nicht dazu führen, dass sich die Hochschulen besser stehen. Nein, am Ende ist immer die staatliche Finanzierung durch private Finanzierungsanteile substituiert worden. Das genau straft insbesondere die jungen Leute, die aus Familien kommen, in denen die Einkommensverhältnisse nicht besonders gut sind.

(Beifall bei der SPD)

Damit würde eine erfreuliche Entwicklung der letzten Jahre konterkariert werden. Denken Sie daran, dass die von Rot-Grün eingeführte neue Bafög-Regelung dazu geführt hat, dass die Studierendenquote in Deutschland von reichlich 27 % des Jahrgangs 1998 auf jetzt 36 % eines Jahrgangs gestiegen ist. 40 % scheinen erreichbar. Dahin müssen wir kommen. Wir dürfen nicht zurück-, wir müssen vorwärts gehen.

(Beifall bei der SPD - Zurufe von der CDU)

Wir als Gesellschaft brauchen diese Chance für die jungen Leute, und die Jugendlichen brauchen diese Chance für sich selbst, ohne Rücksicht auf ihre soziale Herkunft.

(Zustimmung bei der SPD)

Herr Minister Olbertz, die FDP hatte die gebührenfreien Kita-Plätze versprochen. Daran müssen wir immer wieder einmal erinnern. Eigentlich muss es so und nicht anders herum gehen.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei der PDS)

In diesem Zusammenhang will ich auf die Probleme von Teilzeitstudierenden und auf den Mangel an Seminar- und Praktikumsplätzen im Zusammenhang mit der Überschreitung der Regelstudienzeit gar nicht zu sprechen kommen. Ich will aber erneut auf die Notwendigkeit hinweisen, uns in diesem Land über unbürokratische Modelle von Studienkonten zu verständigen. Ich denke, wir kommen nicht umhin, darüber zu diskutieren, Herr Minister Olbertz.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Hochschulen in Sachsen-Anhalt werden in Konkurrenz zu den Bildungsstätten anderer Länder und im Wettbewerb um die besten Köpfe nur bestehen können, wenn sie genügend Bewegungsfreiheit haben. Ein Wissenschaftler des schon erwähnten CHE hat kürzlich davon gesprochen, dass deutschlandweit eine „Entfesselung“ der Hochschulen notwendig sei; Sackhüpfen bringe sie kaum von der Stelle. Da hat er wohl Recht.

Die SPD-Fraktion, meine sehr geehrten Damen und Herren, arbeitet derzeit an alternativen Vorschlägen, die sichtbare Schritte in eine gesicherte Zukunft der Hochschulen beschreiben werden. Wir erwarten, dass es im Bildungsausschuss ein ehrliches Bemühen aller um gute und um mutige Lösungen geben wird. Ein Vorschlag, der mir im Regierungsentwurf gut gefällt, ist die Evaluierung der Studienqualität durch die Studierenden. Vielleicht gelingt es uns im Ausschuss, im Gesetzgebungsverfahren weitere zeitgemäße Antworten zu verabreden. Die

SPD-Fraktion stimmt der Überweisung in den Bildungsausschuss zu.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Dr. Kuppe. Möchten Sie eine Frage beantworten?

Aber gern.

Frau Liebrecht, Sie dürfen fragen.

Frau Dr. Kuppe, Sie haben darauf hingewiesen, dass es jetzt erfreulicherweise mehr Bafög-Empfänger gebe, und gleichzeitig gesagt, die SPD biete Lösungen an, die sichtbare Schritte in die Zukunft bedeuteten. Ist Ihnen dabei auch bewusst, dass die größere Anzahl von Bafög-Empfängern zulasten der Eltern geht, deren Kinder kein Bafög beziehen? Früher gab es Steuerfreibeträge. Diese wurden regelmäßig gesenkt, und jetzt gibt es 0 Cent.

(Beifall bei der CDU)

Es hat einen Zuwachs an Studierenden gegeben, und das zählt, Frau Liebrecht. Ich habe ja dargestellt, dass im Jahr 1998 reichlich 27 % des Abiturjahrgangs studiert haben. Beim derzeitigen Abiturjahrgang sind es 36 %. Das ist ein Zuwachs, der nicht zu leugnen ist. Wir wünschen uns doch mehr Studierende.

Wenn die Prognosen wahr werden, die davon sprechen, dass die Volkswirtschaft in etwa zehn bis 15 Jahren doppelt so viele akademisch Ausgebildete benötigt, wie jetzt ausgebildet werden, dann müssen mehr Leute studieren, dann müssen mehr Leute in die Lage versetzt werden, die Hochschulreife in guter Qualität zu erreichen, und mehr Abiturientinnen und Abiturienten müssen das Studium aufnehmen und auch zu einem guten Abschluss kommen. - Um diese Bedingungen geht es. Deswegen ringe ich so sehr um eine gute Lösung für unser Land.

(Beifall bei der SPD)