Protocol of the Session on November 20, 2003

Nicht zustimmen würde ich Ihnen aber, wenn Sie vordergründig nur Kostenargumente nehmen, um zu sagen, der Bund möge jetzt ein Leistungsgesetz für behinderte Menschen auflegen und entsprechend ausformulieren. Es hätte mich gefreut, wenn bis zum Jahr 1998 ein solches Leistungsgesetz - denn spätestens seit dem Jahr 1995 fordern die Behindertenverbände ein solches Leistungsgesetz - aktiv erarbeitet worden wäre; denn meines und unseres Erachtens muss es in erster Linie um die Sicherung der Gleichstellung und der Chancengleichheit behinderter Menschen in der Gesellschaft gehen und erst nachrangig um die Kostenfrage.

Ursprünglich war ja das BSHG dafür gedacht, in Notlagen, in außergewöhnlichen Fällen, Hilfe zu leisten als Netz unter den Netzen. Genau das trifft für die Gruppe der behinderten Menschen nicht zu. Hierbei ist aus der Einzelfallhilfe eine Regelhilfe für eine ganze Gruppe von Menschen geworden. Das gilt es zu verändern. Insofern unterstützen wir das Ansinnen, auf Bundesebene ein Leistungsgesetz zu entwerfen und dann möglicherweise zu beschließen.

Sie sagten, es wurden Untergruppen, Arbeitsgruppen, gebildet, um Kompromisslinien herauszuarbeiten. Deshalb ist unser Antrag und unser Vorschlag zu klären: Worin könnten denn Kompromisslinien liegen? Ich würde es sehr unterstützen wollen, wenn es jetzt nicht zu einem Sozialgesetzbuch XII kommt.

Wir erlauben uns insofern, auf einige Fakten und Aspekte aufmerksam zu machen. Diese Aspekte wären:

Erstens. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung wurde intern - man könnte fast meinen, als geheime Verschlusssache - erarbeitet und vorbereitet. Er wurde am 13. August 2003 im Bundeskabinett beraten. Die Liga der Freien Wohlfahrtspflege bemerkt dazu - ich zitiere -:

„Die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege bedauern und kritisieren, dass ein umfassender Gesetzentwurf zur Neuordnung des Bundessozialhilferechts und damit des letzten Netzes der sozialen Sicherung in Deutschland nicht in einem regulären Verfahren, das heißt unter breiter Fachdiskussion, entstanden ist. Bis in die letzten Julitage dieses Jahres hinein waren selbst den Fachleuten in Deutschland nur wenige Passagen des Gesetzentwurfes bekannt.“

Auch der Verein für öffentliche und private Fürsorge hält das Gesetzgebungsverfahren zum gegenwärtigen Zeitpunkt für verfrüht und merkt an: Der Deutsche Verein spricht sich nachdrücklich für die Zurückstellung einer grundlegenden Sozialhilfereform aus.

Auch die kommunalen Spitzenverbände meinen, dass eine Aussetzung des Gesetzgebungsverfahrens dringend geboten sei.

Zweitens. Wenn das Gesetz nicht aufgehoben oder grundlegend verändert wird, wird es zu erheblichen Verschlechterungen der Lebenssituation und Lebensqualität behinderter und chronisch kranker Menschen kommen. Die Interessenvertretung „Selbstbestimmt leben“ sieht eine Schlechterstellung behinderter Menschen insbesondere in den Fragen der Einkommensanrechnung und der Bedarfsdeckung.

Auch das wird vom Deutschen Verein unterstrichen, es wird vom VDK unterstrichen und insbesondere wird gesagt: Wenn die jeweilige Finanzkraft der öffentlichen Haushalte eine bedeutende Rolle spielt, wird es ein Bundessozialhilfegesetz und Hilfe in Notlagen so wie bisher nicht mehr geben. Das bedeutet in der Realität eigentlich, dass das Bundessozialhilfegesetz quasi abgeschafft wird und ein Netz unter den Netzen, so wie in den letzten 30 Jahren, nicht mehr existieren wird.

Herr Bischoff, Sie fragten: Warum so schnell? - Darum geht es, deshalb ist es so schnell: In der Öffentlichkeit nimmt man diese Sauerei kaum wahr. Deshalb muss es jetzt so schnell gemacht werden. Leider Gottes nehmen wir damit einen Richtungswechsel vor, weil, wie ich schon gesagt habe, das Netz unter den Netzen beseitigt wird. - Danke, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der PDS)

Vielen Dank, Herr Dr. Eckert. - Damit ist die Debatte abgeschlossen und wir stimmen ab.

Es ist beantragt worden, diesen Antrag zu überweisen. Ich formuliere es erst einmal ganz allgemein. Wer stimmt einer Überweisung zu? - Wer stimmt dagegen? - Das ist eindeutig die Mehrheit.

Deswegen wird jetzt über den Antrag selbst abgestimmt. Wer stimmt dem Antrag zu? - Die PDS-Fraktion. Wer stimmt dagegen? - Die Koalitionsfraktionen. Wer enthält sich? - Wie angekündigt, die SPD-Fraktion. Damit ist dieser Antrag abgelehnt und der Tagesordnungspunkt 18 ist abgeschlossen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 19:

Erste Beratung

Erschließung touristischer Werbe- und Vertriebswege

Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 4/1141

Einbringerin ist die Abgeordnete Frau Kachel. Bitte sehr, Frau Kachel.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Touristiker waren sich in diesem Monat bei der in Halberstadt stattgefundenen Tourismustagung einig: Sachsen-Anhalt hat ein vielfältiges Angebot an Natur und Kultur zu bieten. Das kam auch in dem dort erstmals vorgestellten Masterplan zum Ausdruck. Wer sich schon länger mit der Thematik beschäftigte, fand hierin bekannte bzw. seit Jahren im Aufbau befindliche Produkte und Projekte, nur in einer neuen Systematik geordnet.

Seit zwei Jahren, vorrangig im ersten Halbjahr dieses Jahres, hat unser Land rückläufige Übernachtungszahlen zu verzeichnen, obwohl die touristische Infrastruktur weiter ausgebaut worden ist. Nach Aussage der Landesregierung ist rund ein Viertel des Gesamtrückgangs auf die Einbrüche bei der Betriebsart Jugendherbergen und Kieze usw. zurückzuführen. Als Ursache wird die Umsetzung der Regelungen des neuen Schulfahrtenerlasses gesehen.

Es ist unverständlich, dass eine Landesregierung, die sich Bürokratieabbau auf die Fahnen geschrieben hat, als einziges Bundesland ohne Not eine entsprechende Reglementierung erlassen konnte - mit diesen negativen Auswirkungen für den Tourismusbereich. Ich fordere den Kultusminister Professor Olbertz auf, diesen wirtschaftsfeindlichen Erlass zurückzunehmen, um den Bereich Kinder- und Jugendreisen wieder zu stärken.

(Beifall bei der SPD und bei der PDS)

Klammert man den durch den Schulfahrtenerlass hervorgerufenen Übernachtungsrückgang aus, bleibt immer noch ein Negativtrend von minus 3 % bei den Übernachtungen. Nur das Land Hessen weist die gleichen negativen Zahlen aus. Das ist mehr als alarmierend und zeigt, dass wir unsere Zielgruppe mit den jetzigen Vertriebswegen nur unzureichend erreichen.

Wen wollen wir erreichen? Bei näherer Betrachtung der Statistik ist ablesbar, dass ein Großteil der Gäste sich auf einer Kurzreise mit einer durchschnittlichen Aufenthaltsdauer von 2,3 bis 2,8 Übernachtungen in SachsenAnhalt befindet.

Der Trend zu häufigerem Reisen bei geringen Aufenthaltszeiten zeigt sich sowohl in Sachsen-Anhalt wie auch im gesamten Bundesgebiet. Es sind vorrangig ältere Menschen, denen es bei uns gefällt. Aufgrund der demografischen Entwicklung verstärkt sich ihr Anteil in der Gesellschaft. Schon jetzt leben 16 Millionen Senioren in Deutschland und bis zum Jahr 2020 werden es 40 Millionen sein. Institute geben die Prognose ab, dass die Anzahl der Kurzurlauber um 50 % steigen wird. Sie suchen gute Angebote.

Was will der Kunde, den wir gewinnen wollen? Seine Vorstellungen und Wünsche haben sich in den letzten Jahren grundlegend geändert. Untersuchungen haben ergeben, dass zwischen Angebot und Wollen der Gäste - auch in Sachsen-Anhalt - oft eine Diskrepanz herrscht. Bei der Befragung von Touristen in Sachsen-Anhalt danach, warum sie zu uns kommen, wurde an erster Stelle Erholungsurlaub, gefolgt von Städte- und Bildungsreisen sowie Aktivurlaub genannt. Man will Entspannung, Abstand zum Alltag, Natur erleben, etwas Gesundes tun. Es gewinnt an Wert, mit allen Sinnen zu erleben. All das können wir bieten, wobei das noch ausbaufähig ist, denn in Sachsen-Anhalt gibt es nur etwas über 60 Wellnessangebote.

An dieser Stelle möchte ich ausdrücklich begrüßen, dass mit der Projektentwicklung „Selketal 2004“ ein Angebot entstehen wird, bei dem Körper, Geist und Seele bzw. die Sinne im Einklang stehen werden. Es soll auch eine Anbindung durch die HSB von Quedlinburg aus geben.

Frau Abgeordnete, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage des Abgeordneten El-Khalil zu beantworten?

Im Nachhinein.

Zum Abschluss.

Herr Reppel vom Internationalen Institut für Tourismus- und Kurortberatung, übrigens auch Berater der Landesregierung, führte bei der in der letzten Woche in Ilsenburg durchgeführten Fachtagung des Bäderverbandes aus, dass klassische Marketingleute diese Klientel zu oft umgehen, und forderte eine stärkere Berücksichtigung in unserem Masterplan.

In den vom Land prädikatisierten Erholungs- und Kurorten sind noch weitere Angebote zu entwickeln. Zurzeit erreichen wir mit den vorhandenen Angeboten zu wenig Neukunden. Die Klassifizierung mit Sternen oder die Vergabe eines Qualitätssiegels für Einrichtungen reicht nicht aus, um neue Gäste zu gewinnen. Schlussfolgerung kann nur sein, dass der touristische Anbieter vor Ort neue starke Partner braucht, um neue Vertriebswege zu erschließen und bedeutend mehr Kunden als bisher auf Sachsen-Anhalt aufmerksam zu machen. Hierbei besteht Handlungsbedarf.

20 starke Partner aus dem Bereich Tourismus und Umwelt und drei Bundesministerien sind bereit, mit Anbietern zu kooperieren. Ich will nur einige nennen: der Deutsche Tourismusverband, der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband, der ADAC, der Verkehrsclub Deutschland, der Verband deutsche Naturparke, der Bäderverband, die Bahn, der Städte- und Gemeindebund und verschiedene Ministerien des Bundes.

Die genannte Trägergemeinschaft hat sich im Jahr 2001 auf eine einheitliche Umweltdachmarke für den Tourismus in Deutschland geeinigt: „Viabono“, eine immens starke Marke. Nur wenige wissen, was dieses Gütesiegel beinhaltet, und hierbei sieht die SPD-Fraktion die Aufgabe der Landesregierung, diese Vertriebsmöglichkeiten dem Anbieter nahe zu bringen. „Viabono“ ist die natürliche Wohlfühlmarke mit mehr Qualität und Genuss.

Die Marke Viabono orientiert sich erstens an den Wünschen der Reisenden wie Natur, Qualität und Genuss. Zweitens bündelt sie auswählte Reiseangebote von einzelnen Unternehmen und Kommunen und hat sogar Regionen unter ihrem Dach. Zurzeit sind 200 Lizenznehmer, vornehmlich Hotels, in dieser Marketinggesellschaft gebündelt. Aus Sachsen-Anhalt sind es lediglich zwei Ilsenburger Einrichtungen und ein Campingplatz.

Die Chance, Zugriff auf 20 Millionen Endkunden und 100 000 Touristiker zu bekommen, ist bei uns kaum bekannt. Die Baden-Württemberger, die Bayern und die Brandenburger sind da viel pfiffiger. Einzelkämpfer werden zukünftig kaum überleben.

Wie erreicht man nun den Kunden? - Mundpropaganda, Zeitungen, Zeitschriften und Internet werden angegeben. Insbesondere das Internet gewinnt als Informationsquelle und Vertriebskanal an Bedeutung. Reiseinformationen finden dabei ein besonders großes Interesse. Hier muss angesetzt werden.

Wie funktioniert das Marketing von Viabono? Eines will ich vorausschicken: Messen bringen nicht viel, sie kosten nur viel Geld. Es ist lediglich ein Prestigefrage, dabei zu sein. Werte Kollegen! Es gibt eine fruchtbare Kooperation und effiziente Aktivitäten über die Fachpresse und andere Medien, die von unseren touristischen Anbietern noch nicht genutzt werden. Es ist zurzeit noch eine ruhende Chance für Sachsen-Anhalt.

So erscheinen regelmäßig Artikel in der ADAC-“Motorwelt“ - Verteiler 14 Millionen Haushalte -, im ADAC-Campingführer „Freizeitmobil“ mit einer Auflage von 380 000 zu der Thematik Natur genießen. In den Zügen der DB liegen Broschüren „Lust auf Natur“ mit einer Auflage von 200 000. Bei einem Gewinnspiel verzeichnete man 30 000 Teilnehmer. In der „Frankfurter Allgemeinen“, in der „Süddeutschen Zeitung“, im „Hamburger Abendblatt“, in der „Zeit“, in der „Brigitte“ und anderen sind in den letzten Monaten mehr als 300 Artikel über Viabono erschienen. Des Weiteren gab es mehrminüte Beiträge in neun Fernsehsendern, unter anderem ARD, ZDF, 3Sat, sowie im Rundfunk.

Daraufhin stieg die Zahl der Anfragen bei Viabono im Internet von Oktober 2002 bis Juli 2003 auf über zwei Millionen. Im Monat Juli wurden knapp 3 500 Kontakte vermittelt.

Ich denke, die Wettbewerbsvorteile liegen auf der Hand. Laut Masterplan der Landesregierung will sich das Land auf Erholungsurlaub, Aktiv- und Gesundheitstourismus konzentrieren. Wenn ich bei Google, der meistgenutzten Suchmaschine, den Begriff „Wellness“ eingebe, erhalte ich sofort einen Link zu Viabono.

Bundesweit hat der Bereich Wellness eine Steigerungsrate von 125 %, der Bereich Fitness von 51 % und der Bereich Gesundheitsurlaub von 46 % zu verzeichnen. Auf diesen Zug müssen wir aufspringen.

Im Westharz mit seinen 5,4 Millionen Übernachtungen gibt es bereits sechs dieser Wohlfühlorte. Dies bedeutet zum Beispiel, die gesamte Bergstadt Sankt Andreasberg ist mit ihrem Angebot in Viabono vernetzt. Der Ostharz hat nur zwei Millionen Übernachtungen bei zwei Drittel der Fläche und es gibt noch keinen vernetzten Ort. Ich hoffe, dass sich das ändert. Seit der Wende sind in die touristische Infrastruktur Millionen geflossen. Somit sind alle Voraussetzungen da.

Meine Damen und Herren! Das sind die Märkte der Zukunft. Der Antrag der SPD-Fraktion wird vom Landesverband der Dehoga, unserem Bäderverband, dem Campingverband, dem ADAC und dem ADFC SachsenAnhalt und Niedersachsen sowie dem Harzer Verkehrsverband, den Jugendherbergen und den Kiezen unterstützt.

Ein veränderter Markt erfordert veränderte Konzepte. Die Menschen sind qualitätsbewusster und gebildeter. Darauf muss sich unser Land einstellen.

Der Präsident des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes Sachsen-Anhalt teilte mir auf Anfrage mit, dass er voll hinter den Zielen und Aufgaben von Viabono

stehe. Die Themenbereiche enthalten wertvolle Anregungen für die touristischen Leistungsträger und tragen zur besseren Vermarktung der Gastronomie, der Hotellerie, der Campingplätze und anderer Einrichtungen bei. Er regt an - ich zitiere -:

„Der Masterplan für den Tourismus in SachsenAnhalt für den Zeitraum 2004 bis 2008 sollte daher auch den Aspekt der geprüften Viabono-Qualität berücksichtigen. Besonders interessant: Die Hotels, die mit Viabono zusammenarbeiten, erhalten zudem vor allem längere Buchungsanfragen, sodass auch aus betriebswirtschaftlichen Gründen eine Zusammenarbeit ratsam wäre.“

Auch der Landestourismusverband hat mir auf eine Anfrage hin bestätigt, dass er der Marke Viabono aufgeschlossen gegenübersteht und man sich dieser Thematik zuwenden will.