Danke, Herr Abgeordneter Wolpert. - Damit ist die Debatte beendet. Wir treten ein in das Abstimmungsverfahren zur Drs. 4/1002. Es geht um die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verfassung. Wer damit einverstanden ist, den bitte ich um das Kartenzeichen. - Wer ist dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist die Beschlussempfehlung einstimmig angenommen worden. Wir beenden den Tagesordnungspunkt 9.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Allen Appellen an die Wirtschaft zum Trotz ist die aktuelle Bilanz der Ausbildungssituation mehr als ernüchternd. Hinsichtlich dieser Einschätzung scheint es sogar einen fraktionsübergreifenden Konsens zu geben.
So hat der Ministerpräsident unter der Überschrift „Fachkräftemangel bedroht Wettbewerbsfähigkeit“ gegenüber der Presse sinngemäß erklärt, dass die Wirtschaft sich nicht allein auf Förderprogramme des Staates verlassen dürfe, da die Überalterung der Belegschaften und die geburtenschwachen Jahrgänge seit Anfang der 90erJahre sonst in drei bis vier Jahren zu einem Fachkräftemangel führen würden, der die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen bedrohe.
Der Ministerpräsident sagte wörtlich: „Wer Fachkräfte benötigt, muss deshalb auch ausbilden.“ Dieser Aussage kann ich voll und ganz zustimmen und ich kann sie unterstützen. Auch die Fakten und Zahlen geben ihm Recht.
Ende August dieses Jahres waren 7 724 junge Menschen noch nicht vermittelt. Diese Zahl wirkt noch bedrohlicher, wenn man weiß, dass zum gleichen Zeitpunkt des vergangenen Jahres „nur“ 4 800 Jugendliche noch nicht vermittelt waren. Konkret bedeutet das: Fast 3 000 Bewerber mehr sind in diesem Jahr noch ohne Ausbildungsplatz.
Auch die Landesregierung trägt zu einer Verringerung des Angebots an betrieblichen Ausbildungsplätzen in Sachsen-Anhalt bei. Noch im vergangenen Jahr wurden im Landesdienst 764 Ausbildungsverhältnisse begründet. Wir haben diese Informationen durch Kleine Anfragen direkt erfragt. In diesem Jahr sind es hingegen nur noch 494 Ausbildungsplätze. Dies ist ein Rückgang von 35 %. Das steht in einem krassen Widerspruch zu dem, was in der Öffentlichkeit vermittelt wird. Es wird nämlich so getan, als würden im Landesdienst mehr Jugendliche ausgebildet; faktisch ist die Zahl der Ausbildungsplätze jedoch gesunken.
Den 7 724 Bewerbern stehen lediglich 1 400 freie Stellen zur Verfügung. Das entspricht einer Quote von 5,5 Bewerbern je Ausbildungsplatz. Ich sage das, um die Dimension deutlich zu machen.
Wie dramatisch die Situation tatsächlich ist, zeigt auch die Zahl der angebotenen betrieblichen Ausbildungsplätze. Mit Stand August 2003 wurden lediglich 10 400 Stellen gemeldet. Das ist der niedrigste Stand seit 1992, und das auch nur deshalb, weil die Statistik erst seit 1992 geführt wird. Anderenfalls würde der Vergleich wesentlich dramatischer ausfallen.
In diesem Zusammenhang muss man das Urteil des Bundesverfassungsgerichts in die Betrachtung einbeziehen, das schon vor Jahren entschieden hat, dass ein auswahlfähiges Angebot im dualen System nur gewährleistet ist, wenn ein 112,5-prozentiges Ausbildungsplatzangebot durch die Wirtschaft sichergestellt wird. Wenn man das zugrunde legt, dann wird die gesamte Ausbildungsmisere besonders deutlich.
Meine Damen und Herren! Wer die Ausbildungssituation in Sachsen-Anhalt und darüber hinaus nüchtern betrachtet, der wird zu dem Ergebnis kommen, dass alle Versprechungen und Zusagen, ob sie nun im Bündnis für Arbeit oder im Forum für Wirtschaft und Arbeit gemacht wurden, bisher nicht eingehalten worden sind und auch gegenwärtig nicht eingehalten werden. Im Gegenteil, die Wirtschaft bildet nicht mehr, sondern weniger aus.
An dieser Stelle muss man eines auch einmal deutlich sagen dürfen: Es kann nicht sein, dass die Bundes- und die Landesminister, die Arbeitgeberpräsidenten und die Gewerkschaften Jahr für Jahr Klinken putzen müssen, um zusätzliche Ausbildungsplätze locker zu machen. Man gewinnt dabei zunehmend den Eindruck, dass sich potenzielle Ausbildungsbetriebe nur bewegen, wenn Fördermittel zur Verfügung gestellt werden, nach dem Motto „Ich bilde nur aus, wenn ich dafür auch Staatsknete bekomme“.
Ich glaube, es ist deshalb auch notwendig, ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass die berufliche Bildung keine sozialpolitische Veranstaltung ist, sondern im ureigenen Interesse der Wirtschaft selbst liegt.
Ich habe in diesem Zusammenhang bereits den Ministerpräsidenten zitiert. Ergänzend muss man hinzufügen, dass ab dem Jahr 2006 kaum noch Schulabgänger für die Ausbildung zur Verfügung stehen. Man kann salopp sagen: Die Auszubildenden werden dann wahrscheinlich mit dem Lasso gefangen werden müssen. Gleichzeitig werden bis zum Ende des Jahrzehnts ganze Jahrgänge qualifizierter Facharbeiter, Techniker und Ingenieure aus den Betrieben ausscheiden.
Die Folge ist ein Fachkräftemangel, dessen Auswirkungen noch nicht abzusehen sind. Eines ist aber bereits heute klar - ich hoffe, auch in diesem Punkt gibt es einen fraktionsübergreifenden Konsens -: Gelingt es nicht, diese Entwicklung zu stoppen und umzukehren, gefährden wir die Zukunftsfähigkeit unseres Landes.
Aus Gesprächen, Diskussionen und Befragungen wissen wir, dass sich viele Investoren bei ihrer Ansiedlung für Sachsen-Anhalt entschieden haben, weil sie bei uns qualifizierte Fachkräfte vorfinden. Diesen Standortvorteil dürfen wir nicht verspielen.
Meine Damen und Herren! Wenn wir auch zukünftig ein Land mit hohem Qualifizierungsstandard und gut ausgebildeten Fachkräften bleiben wollen, dann brauchen wir ein zukunftsfähiges, gerechtes und vor allem konjunkturunabhängiges Finanzierungssystem für den gesamten Bereich der beruflichen Bildung.
In unserem Antrag haben wir dazu schon einige Stichworte genannt. Natürlich muss es zunächst darum gehen, die drohende Ausbildungsplatzlücke durch gemeinsame Anstrengungen bis zum Ende des Jahres zu schließen. Dazu gehört dann aber auch, dass die Zahl der Ausbildungsplätze im Landesdienst deutlich erhöht wird.
Qualitativ kommt es aus unserer Sicht darauf an, nicht nur einzelne Ausbildungsplätze zu fördern, sondern auch Ausbildungsnetzwerke und Ausbildungsverbünde stärker als bisher in die Förderung einzubeziehen. So werden gerade kleine und mittelständische Unternehmen in die Lage versetzt, zusätzliche Ausbildungsplätze anzubieten.
Auch hierzu eine Zahl: Gemäß Berufsausbildungsbericht 2002 für das Land Sachsen-Anhalt bilden lediglich 28 % aller Betriebe aus, während sich 72 % - sicherlich aus sehr unterschiedlichen Gründen - überhaupt nicht an der Ausbildung beteiligen. Genau hier könnten durch Ausbildungsnetzwerke und -verbünde die Voraussetzungen geschaffen werden, um weitere Betriebe in die Ausbildung einzubeziehen. Beispiele dafür gibt es im Land bereits ansatzweise.
Ich will einen Punkt hinzufügen, der in unserem Antrag nicht genannt worden ist. Es geht um die GA-Förderung. Wir konnten aus der Presse erfahren, dass ab dem 1. September 2003 die Förderrichtlinien völlig verändert worden sind. Auf unsere Nachfrage im Wirtschaftsausschuss, auf welcher Grundlage eine Veränderung der Richtlinie vorgenommen worden ist, wurde auf ein Gutachten zu der gesamten GA-Förderung verwiesen. Hierbei ist interessanterweise festzustellen, dass gerade die Förderpräferenz in Verbindung mit der Schaffung von Ausbildungsplätzen dazu geführt hat, dass die Zahl der betrieblichen Ausbildungsstellen seit 1997 kontinuierlich angestiegen ist und im Jahr 2000 ihren Höchststand erreicht hat.
Wir können nicht nachvollziehen, ob die Frage der neuen Ausbildungsplätze überhaupt noch Bestandteil der Förderrichtlinie sein wird. Dies ist zumindest aus den uns zugänglichen Materialien nicht ersichtlich. Vielleicht kann der Minister dazu einiges ausführen.
Wir haben in unserem Antrag ausgeführt, dass es natürlich darum gehen muss, weiterhin mit der Wirtschaft verbindliche Vereinbarungen zur Schaffung von Ausbildungsplätzen zu treffen. Die Vereinbarungen müssen allerdings so abgefasst sein, dass die gemachten Zusagen auch eingefordert werden können.
Sollte allerdings bei der Bilanz des Ausbildungsjahres 2003/2004 erneut festgestellt werden, dass die Wirtschaft ihre Zusagen nicht eingehalten hat und dass das Angebot an betrieblichen Ausbildungsplätzen erneut un
zureichend ist, dann fordern wir mit unserem Antrag eine Bundesratsinitiative des Landes Sachsen-Anhalt, die das Ziel hat, auf Bundesebene eine gesetzliche Regelung für die Errichtung eines Ausbildungsfonds zu schaffen.
Aus diesem Ausbildungsfonds sollen zusätzliche Ausbildungsplätze im dualen System finanziert werden.
- Das wollte ich gerade sagen. - Gespeist werden soll der Fonds durch Betriebe und Unternehmen, die überhaupt nicht ausbilden.
- Ob das eine Zwangsabgabe ist, darüber können wir uns durchaus unterhalten. Die Betriebe haben schließlich die Möglichkeit, sich dieser Abgabe zu entziehen, indem sie ausbilden.
Wir können uns vorstellen, dass davon kleine, nicht ausbildungsfähige Betriebe, aber auch Existenzgründer ausgenommen werden. Auch im Hinblick auf die Organisation und die Funktionsweise des Fonds sind wir nicht festgelegt. Aus unserer Sicht ist es auch denkbar, dass ein solcher Fonds branchenspezifisch organisiert und beispielsweise von den Akteuren der Branche in eigener Zuständigkeit betreut wird.
Ich möchte in diesem Zusammenhang an ein altbekanntes Beispiel erinnern: Die Bauwirtschaft arbeitet bekanntlich seit Jahren nach dem Prinzip der Umlagefinanzierung, und ich denke, dass sie das erfolgreich tut. Die Ausbildung der Lehrlinge wird dabei von einer gemeinsamen Kasse getragen. Alle Betriebe der Branche zahlen in die Kasse ein und finanzieren damit überbetriebliche Lehrwerkstätten. Dies ist ein mögliches Modell für eine gerechte und vor allen Dingen konjunkturunabhängige Finanzierung der Berufsausbildung.
Meine Damen und Herren! Mit einer Bundesratsinitiative - so sehen wir es jedenfalls - für einen Ausbildungsfonds und damit für eine verstetigte Ausbildungsfinanzierung, die unabhängig von konjunkturellen Schwankungen geregelt und organisiert ist, könnte die Landesregierung ihrer Verantwortung für die Sicherung eines lang- und mittelfristigen Fachkräftebedarfes nachkommen.
Es reicht nicht aus - so wurde in der Vergangenheit in diesem Hause immer wieder diskutiert -, den schwarzen Peter anderen zuzuschieben. Letztlich sind wir selbst für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes verantwortlich. Deshalb hoffe ich - ich bin Optimist -, dass die Kolleginnen und Kollegen aus den Koalitionsfraktionen unserem Antrag zustimmen können. - Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.