Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Dr. Sobetzko, ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie die Initiative für diese Debatte ergriffen haben.
Sehr geehrte Damen und Herren der Opposition, ich habe bei Ihnen zugehört. Es wäre nur fair, wenn Sie auch mir zuhörten.
Herr Sobetzko, vielen Dank. Ich erachte es als wichtig, dass sich das Parlament auch in einer Debatte ohne Anträge für ein wichtiges Thema sensibilisiert. Dabei muss man nicht die überzeugen, die schon Überzeugungstäter sind, aber diejenigen, die nicht so im Detail in der Materie stehen. Bei ganz wichtigen Fragen muss man sich damit beschäftigen. Das Thema Emissionsrechtehandel haben wir ja bereits behandelt und wir hatten auch eine Anhörung dazu. Ich komme darauf noch zurück.
Meine Damen und Herren! Ich möchte mit zwei kleinen Episoden zur Chemie beginnen. In der 6. und 7. Klasse damals in den 70er-Jahren kamen die Fächer Physik und Chemie auf die Tagesordnung. Man hat sich gefragt: Was ist das eigentlich? Daraufhin sagte der Lehrer: Chemie ist das, was qualmt und stinkt; Physik ist das, was nie gelingt.
In den 80er-Jahren fuhr ich öfter mit der Bahn von Halle nach Jena. Dabei kam man bekanntlich durch Leuna, kommt man auch heute noch. Bei einer Fahrt saß mir ein schon etwas betagtes Ehepaar aus Hamburg gegenüber. Als wir durch Leuna fuhren und ein beißender Geruch auftrat, sagten sie: Junger Mann, öffnen Sie doch bitte mal das Fenster!
Meine Damen und Herren! So weit zu meinen ersten Erlebnissen. Gott sei Dank ist das vorbei und Geschichte.
Was ist eigentlich Chemie? Ich habe gestern Abend im Brockhaus nachgeschaut und festgestellt, dass es die Lehre von den stofflichen Eigenschaften der Körper und von ihren Änderungen ist. Hundert Jahre später, heute, ist Chemie für uns der Inbegriff einer nicht wegzudenkenden Wirtschaftsbranche in Sachsen-Anhalt. Man stelle sich jetzt an diesem Ort die Welt einmal ohne Chemie vor: Stühle, Tische zum Teil, vielleicht Papier, Technik, Textilien. Ich lasse es jetzt vielleicht lieber. Ohne Chemie wäre eigentlich nichts da.
Im verarbeitenden Gewerbe Sachsen-Anhalts steht die chemische Industrie mit fast 19 % nach der Nahrungsmittelbranche beim Umsatzvolumen an zweiter Stelle. Es gibt über 12 000 Beschäftigte im mittelbaren Chemiesektor. Damit ist das der drittgrößte Arbeitgeber im verarbeitenden Gewerbe.
Nach dem Strukturwandel, nach der Ansiedlung neuer Unternehmen und nach Inbetriebnahme der Anlagen ist seit Mitte der 90er-Jahre ein stetiger Umsatzanstieg, seit einiger Zeit auch wieder ein Beschäftigungswachstum zu verzeichnen. 12,8 % Wachstum, 4,2 % Beschäftigungszuwachs im ersten Quartal 2003 - das, meine Damen und Herren, ist im Vergleich zu anderen Branchen und auch in der Chemiebranche deutschlandweit einzigartig. Das ist ein richtig starkes Pfund, das wir in SachsenAnhalt haben.
50 % des ostdeutschen Chemieumsatzes kommen aus Sachsen-Anhalt. Dow in Buna, Elf-Mider in Leuna, Radici in Zeitz, Solvay in Bernburg, Bayer in Bitterfeld - Sie könnten das fortsetzen - sind klangvolle Namen.
Im Netzwerk europäischer Chemieregionen - der erste Kongress wurde am 21. Mai 2003 in Brüssel durchgeführt; es wurde darauf hingewiesen - hat SachsenAnhalt die Federführung übernommen. In einem bestimmten Wirtschaftsbereich in Europa hat Sachsen-Anhalt die Federführung übernommen. Der zweite Chemiekongress ist auf Einladung des Wirtschaftsministers nach Sachsen-Anhalt einberufen worden und die Einladung wurde dankend angenommen.
Chemie ist unbestritten eine der Stärken von SachsenAnhalt, ein Wirtschaftszweig mit hervorragenden Potenzialen, der weiter ausgebaut werden muss. Es muss uns gelingen - Frau Budde, Sie haben das völlig richtig erwähnt und ich bin voll Ihrer Meinung -, auch die Forschungsaktivitäten hier zu platzieren. Nur Produktion reicht nicht. Wir müssen die Forschungsaktivitäten hier etablieren, damit nach und nach auch die Konzernentscheidungen von den hiesigen Standorten abhängig gemacht werden. Bereitstellung von Humanpotenzial und Forschungskooperation an diesen Standorten sind damit in engem Zusammenhang zu sehen.
Chemie ist stark exportorientiert, bewegt sich im globalen Markt und deshalb ist es extrem wichtig, dass die nationalen und europäischen Rahmenbedingungen passen. Diesbezüglich ist tatsächlich Gefahr im Verzuge. Die europäischen Chemieregionen haben in ihrer gemeinsamen Erklärung am 21. Mai 2003 in Brüssel die Sache auf den Punkt gebracht. Sie fordern von der EU nichts weiter als eine faire Chemiepolitik in Europa gegenüber ihren globalen Wettbewerbern. Das ist, denke ich, eine ganz wichtige Sache.
Dies hat einen triftigen Hintergrund; denn die neu geplante Chemikalienpolitik der EU ist kontraproduktiv. Sie
wird zu Arbeitsplatzabbau führen, gefährdet Unternehmensexistenzen insbesondere bei den kleinen und mittelständischen Unternehmen.
Ich werde mich jetzt etwas kürzer fassen, weil die inhaltlichen Dinge schon ausführlich dargelegt wurden. Nur noch eines: Der Kernpunkt der Kritik ist, dass über ein neues Registrierungs- und Zulassungssystem ab einer Tonne Jahresproduktion alle Stoffe, egal ob es alte oder neue Stoffe sind, dieses System durchlaufen müssen. Gerade kleine und mittlere Unternehmen können diesen Aufwand und die Kosten, die damit verbunden sind, nicht schultern; das heißt, wenn dieses System greift, werden viele Stoffe vom Markt verschwinden, Neuentwicklungen werden verhindert bzw. wandern ins Ausland ab.
Diese Entwicklung, meine Damen und Herren, Forschung und Entwicklung abwandern zu sehen, dürfen wir in Deutschland nicht weiter zulassen.
Betroffen - das ist das Eigenartige - sind neben der Chemie auch alle Branchen, die ihrerseits chemische Stoffe verwenden, die Möbelindustrie, die Textilindustrie, der Maschinen- und der Fahrzeugbau, die Kunststoff- und die Papierindustrie usw. Die Liste lässt sich beliebig fortsetzen. Die müssen als Verwender der Chemikalien dann aktiv werden.
Der VCI schätzt ein, dass dann, wenn das neue System greift, jeder fünfte Arbeitsplatz in der Chemie wegfallen wird. Ich glaube, das sind schon dramatische Hiobsbotschaften.
Der derzeitige Entwurf der vorliegenden neuen Chemikalienpolitik wird die sachsen-anhaltische Chemie und die deutsche Chemie im internationalen Maßstab negativ beeinflussen. Diese ist in der jetzigen Fassung strikt abzulehnen. Um Einfluss zu nehmen und Änderungen herbeizuführen, sind die entsprechenden Aktivitäten aus der Industrie und aus der Politik eingeleitet worden. Die eingeleiteten Aktivitäten müssen einfach positiv ausgehen.
Ebenso wie die neue Chemikalienpolitik birgt auch der EU-Emissionsrechtehandel einige Gefahren. Über dieses Thema haben wir am 26. März 2003 im Plenum debattiert und diskutiert. Wir haben am 23. April 2003 eine Anhörung durchgeführt. Verehrte Frau Kollegin Budde, wir haben im Wirtschaftsausschuss auch ein Verfahren hinsichtlich des weiteren Umgangs festgelegt.
Hinsichtlich dieses Themas haben sich Gott sei Dank auf EU-Ebene mittlerweile vernünftigere Vorstellungen durchgesetzt. Das Hauptinteresse besteht darin, dass der Bund nun seine Hausaufgaben macht und dass die Vorschläge, die maßgeblich auch aus Sachsen-Anhalt gekommen sind, im Sinne des Landes Sachsen-Anhalt und der ostdeutschen Bundesländer umgesetzt werden.
Die Knackpunkte sind eine kostenlose Zuteilung der Emissionsberechtigungen, eine Berücksichtigung der Vorleistungen und keine Benachteiligung von Neuinvestitionen. Wir sehen der weiteren Entwicklung bei der Gestaltung der nationalen Umsetzung gespannt entgegen. Das hat für die Chemie eine enorme Bedeutung.
Wenn es um zusätzliche Kostenbelastungen bei der Chemie geht, dann sind natürlich auch die Aufwendungen für die Energie zu nennen. Auch darüber wurde ausführlich berichtet. Es geht um ein nationales Thema. Durch Ökosteuer und EEG haben die deutschen Che
Schließlich ergeben sich für die Chemie natürlich auch noch wesentliche Belastungen aus den hohen Lohnnebenkosten und dem unflexiblen Arbeitsmarkt. Das darf man auch nicht vergessen. Diesbezüglich ist dringlich Abhilfe zu schaffen. Die ersten Signale und Maßnahmen der Bundesregierung sind sehr zu begrüßen. Wir fordern diese auf, auf diesem Weg wirklich konsequent und mutig voranzugehen.
- Ja, das ist so. - Abschließend kann man nur noch einmal betonen, dass mit allem Engagement dafür eingetreten werden muss, dass sich die Rahmenbedingungen und die Wettbewerbsfähigkeit für die Chemie nicht weiter verschlechtern. Dies würde negativ für unser gesamtes Land zu Buche schlagen. - Ich danke Ihnen.
Vielen Dank, Herr Dr. Schrader. - Als letztem Redner erteile ich für die PDS-Fraktion dem Abgeordneten Herrn Dr. Thiel das Wort. Bitte sehr, Herr Dr. Thiel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Schrader, wir beide als Naturwissenschaftler neigen immer dazu, etwas sehr grundsätzlich zu definieren, gerade wenn es um unsere Wissenschaft geht. Dieser Gefahr will ich natürlich nicht erliegen und im Prinzip das, was in den bisherigen Debattenreden zur erfolgreichen Entwicklung der chemischen Industrie gesagt worden ist, nur unterstützen; denn auch wir betrachten den erzielten Stand als eine gute Voraussetzung für den wirtschaftlichen Aufschwung, den wir so dringend benötigen.
Dabei sehen wir auch in der Revitalisierung der ChemieAltstandorte in Form von Chemie- und Industrieparks oder Value-Parks beste Voraussetzungen für die weitere Ansiedlung von Unternehmen und die Ausgestaltung von Stoffkreisläufen mit hoher Wertschöpfung bei einem minimalen Transportaufwand. Die auf eine Ergänzung der Wertschöpfungskette gerichteten Ansiedlungsbemühungen von Dow Chemical an den Standorten Buna, Leuna und Böhlen sowie die auf die Verstärkung der Verbundwirtschaft orientierten Ansiedlungsstrategien in Leuna und Bitterfeld machen deutlich, dass das von den Unternehmen genauso betrachtet wird.
Deswegen ist es durchaus richtig, im Landtag die Bereiche Chemikalienpolitik, Emissionsrechtehandel und energieintensive Chemieanlagen zu thematisieren. Wir haben uns im Landtag und in den Ausschüssen mehrfach mit diesen Themen beschäftigt, nicht nur in dieser Legislaturperiode, sondern auch in den vorangegangenen. Es war dabei doch bezeichnend, dass es zwischen allen Parteien im Wesentlichen übereinstimmende Auffassungen zu diesen Themen gegeben hat. Deswegen sind wir auch nach wie vor der Auffassung, dass neue Regelungen, egal auf welcher Ebene, die Entwicklung der chemischen Industrie in Sachsen-Anhalt nicht behindern dürfen.
Deswegen erachten wir es als erforderlich, dass die Registrierung von Chemikalien in Europa auf eine einheit
liche und transparente Basis gestellt wird. Der vorgelegte Entwurf der EU zur Chemikalienpolitik muss nach unserer Auffassung noch prinzipieller zwischen allen Beteiligten diskutiert werden. Der 1 200 Seiten starke Verordnungsentwurf verfehlt nach einer ersten Einschätzung das Ziel, das Chemikalienrecht umfassend, effizient und integriert neu zu gestalten, vor allem auch deshalb, weil eine ganze Reihe von Regelungen übernommen worden ist, die schon in der Vergangenheit versagt haben.
Es wurde bereits gesagt, dass die Vorschriften die Unternehmen durch Bürokratie und Kosten belasten. Es gibt Einschätzungen von EU-Kommissaren, nach denen von etwa 7 Milliarden € Belastung für die Chemie auszugehen ist. Bei den übrigen Industriezweigen sind es immerhin 28 Milliarden € an zusätzlichen Kosten. Herr Dr. Schrader hat bereits darauf verwiesen, dass gerade die Vermarktung von innovativen Spezialchemikalien, die nur in geringen Produktionsmengen hergestellt werden, wegen einer höheren Kostenbelastung erheblich gefährdet wird.
Das bedeutet zweierlei: Die Vielfalt des Chemikalienangebotes wird deutlich reduziert werden. Es wird weniger Produkte geben, und auch die Weiterverarbeiter in der gesamten Produktionskette werden davon betroffen sein, das heißt nicht nur die chemische Industrie, sondern auch andere Branchen, mit denen wir es zu tun haben.
Nach unserer Auffassung sind die vorgesehenen Regelungen nicht ausreichend auf ihre Wirkungen und ihre Praktikabilität hin geprüft worden. Deshalb unterstützen wir die Forderung des Europäischen Parlaments, wonach Behörden und Unternehmen gemeinsam in Pilotprojekten Regelungen entwickeln sollen, die den Zielen einer europäischen Chemikalienpolitik dienen, ohne die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen unnötig zu behindern.
Gleichzeitig betonen wir, dass die Chemie als Produzent und Verarbeiter eine hohe Verantwortung für die gefahrlose Verwendung ihrer Produkte hat. Das betrifft sowohl die Forschungsaktivitäten als auch den Einsatz in den jeweiligen Wertschöpfungsketten. Dem Widerspruch zwischen einseitiger Gewinnorientierung und ökologischer Nachhaltigkeit gilt es durch ein vernünftiges Regelwerk entgegenzuwirken.
Aber die chemische Industrie in Sachsen-Anhalt lebt nicht im luftleeren Raum. Auch andere Branchen müssen mit dem Emissionsrechtehandel und den energieintensiven Bereich belastenden Dingen wie der Ökosteuer und Ähnlichem zurechtkommen. Wir sollten vielleicht die morgige Debatte zum Thema der Windenergieanlangen nutzen, um noch einmal auf die an dieser Stelle eingeleitete Diskussion zum Thema Subventionierung von erneuerbaren Energien etwas detaillierter einzugehen.
Hinsichtlich des Emissionsrechtehandels sollten die nach unserer Ansicht berechtigten Hinweise der Chemieunternehmen berücksichtigt werden. Das heißt, es gilt insbesondere bei der Festlegung des Basisjahres für den Emissionsrechtehandel und der Grundausstattung mit Zertifikaten die letzten zwölf Jahre nach dem Jahr 1990 mit zu berücksichtigen.