Protocol of the Session on July 3, 2003

Herr Dr. Polte, was Sie gerade gesagt haben, trifft, denke ich, den Nerv der Zeit und ist völlig d’accord. Ich will nur darauf hinweisen, dass die Probleme - Sie sagten es bereits - nicht erst seit heute bekannt sind. Sie sind bereits seit einem längeren Zeitraum bekannt. Dabei schließe ich die Verantwortung der CDU durchaus ein.

Deswegen sind die Lösungsansätze, die wir heute hoffentlich gemeinsam finden werden, in wesentlichen Teilen diejenigen, die Gerhard Schröder im Jahr 1998, als er die Regierung übernommen hat, abgeschafft hat, und zwar mit der ideologisch-pompösen Ankündigung, dass die arbeitnehmerfeindliche, gesundheitsfeindliche und rentenfeindliche Politik nun endlich aufhören würde.

Was ich ihm vorwerfe - wenn ich das hier darf -, ist, dass er in Verkennung der Probleme, die mit Sicherheit bekannt waren, so getan hat, als ob diese Probleme nicht vorhanden gewesen wären. Wir müssen die Realitäten einfach zur Kenntnis nehmen und daraufhin nach Lösungsansätzen suchen. Wenn wir das gemeinsam erreichen, wäre das eine feine Sache. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Tullner. - Für die SPD-Fraktion erteile ich dem Fraktionsvorsitzenden Herrn Dr. Püchel das Wort. Bitte sehr, Herr Dr. Püchel.

Sehr verehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Tullner, wir haben jetzt einiges von Ihnen gehört. Was mich vor allen Dingen stutzig gemacht hat, war Ihre Ablehnung von Pauschalkürzungen. Ich habe gestern und heute in der Zeitung gelesen, dass der Finanzminister vorhat, pauschal 10 % zu kürzen.

(Herr Scharf, CDU: Ach was!)

- Dann habe ich es wohl falsch gelesen?

(Herr Scharf, CDU: Dann haben Sie Quatsch ge- lesen!)

- Gut, dann hat er wenigstens die Unterstützung Ihrer Fraktion, sonst hätte er gleich einpacken und die Kürzung zurückziehen können.

Dann haben Sie gesagt - Frau Dr. Kuppe hat dazu bereits eine Frage gestellt -, dass Sie eine Steuerreform allein ablehnen. Ihnen dürfte aber nicht entgangen sein, dass es eine Agenda 2010 gibt, dass es das HartzKonzept gibt und dass eine Gesundheitsreform geplant ist. Die Steuerreform ist eingebettet in viele Reformvorhaben und ist nicht losgelöst.

Die Blockadefrage wird immer wieder diskutiert. Die Blockadefrage bei der Steuergesetzgebung kann man nicht leugnen, sie hat es gegeben. Warum reden Sie aber nicht über die aktuelle Blockade bei der Zuwanderung?

Ich war vor anderthalb Jahren in einer kleiner Runde mit Otto Schily und einigen anderen Innenpolitikern zusammen und wir haben den Entwurf des Zuwanderungsgesetzes erstellt. Weil wir eine Mehrheit wollten, haben wir uns sehr nah an die Vorschläge der Müller-Kommission zum Zuwanderungsgesetz angelehnt. Im Grunde genommen hätte die CDU gar nicht mehr nein sagen können, weil es kaum noch Unterschiede gab. Sie hat den Entwurf blockiert und ihn einfach abgelehnt.

Das ist für mich aktive Blockade. Vergessen Sie das nicht. Holen Sie nicht alte Kamellen heraus und bleiben Sie bei Ihrer aktuellen Politik.

(Zustimmung bei der SPD - Herr Gürth, CDU: Das ist doch falsch!)

- Das ist nicht falsch. Ich war dabei, Sie waren nicht dabei.

Wenn Sie Zitate bringen, dann habe auch ich eine ganze Menge an Zitaten von Herrn Stoiber zur Steuerentlastung usw. dabei. Diese Zitate müssten Sie einmal lesen, dann würden Sie vielleicht etwas ruhiger sein.

Meine Damen und Herren! Die PDS-Fraktion hat mit der Aktuellen Debatte ein Thema angestoßen, das von großer Bedeutung für die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland und von großer Bedeutung für die wirtschaftliche Entwicklung in Sachsen-Anhalt ist. Das Thema Steuersenkung hat drei Aspekte: einen wirtschaftspolitischen, einen finanzpolitischen und einen psychologischen Aspekt.

Der wirtschaftspolitische Aspekt ist schnell genannt. Es geht um die Entlastung von Bürgerinnen und Bürgern sowie von Unternehmen und damit um die Erhöhung

des Konsums sowie eine Verbesserung der Gewinnsituation unserer Firmen, die sich wiederum positiv auf die Investitionsneigung auswirken dürfte.

Der psychologische Aspekt schließt eng an den wirtschaftspolitischen Aspekt an. Eine vorgezogene Steuerentlastung soll für Optimismus, für eine bessere Grundstimmung sorgen und damit neue Wachstumskräfte freisetzen.

Ich glaube, bei der Beurteilung des wirtschaftspolitischen und des psychologischen Aspektes sind sich alle weitgehend einig. Das gilt für die Politik ebenso wie für die Wirtschaft und für die Bürgerinnen und Bürger. Allesamt hätten sie spürbar mehr im Portmonee, wenn die Pläne so umgesetzt werden würden.

Die Binnennachfrage wird gestärkt, und der Anreiz, legal zu arbeiten, wird verbessert. Im Durchschnitt zahlen die Bürger 10 % weniger an Steuern, die Bezieher geringerer Löhne und Gehälter werden prozentual noch weit mehr entlastet.

Meine Damen und Herren! Die Wirtschaft auch unseres Landes hat sich klar positioniert. Arbeitgeberpräsident Fänger hat sich ohne Wenn und Aber für die Pläne der Bundesregierung ausgesprochen, und er hat an die Landesregierung appelliert, die Steuersenkung im Bundesrat nicht zu blockieren.

(Herr Gürth, CDU: Das ist sein gutes Recht!)

- Ja. Sie hören doch sonst auf ihn; hören Sie mal hierbei auf ihn.

Weitaus weniger eindeutig sind die Stellungnahmen aus dem konservativen politischen Lager. Die Pirouetten der letzten Zeit - von Ihrer Seite gibt es viel mehr - sind beeindruckend: Noch im Wahlprogramm der Union wurden umfassende Steuersenkungen gefordert. Das geplante Vorziehen der Steuerreform durch die Bundesregierung müsste die CDU eigentlich in einen wahren Begeisterungstaumel versetzen.

(Zuruf von Herrn Gürth, CDU)

Denn das wollte sie die ganze Zeit; damit hat sie Wahlkampf gemacht. Der seinerzeitige Kanzlerkandidat Stoiber - er scheint wohl vergessen zu sein -

(Herr Gürth, CDU: Nein, nein!)

wollte ursprünglich die dritte Stufe der Steuerreform auf den 1. Januar 2003 vorziehen und sprach sich sogar gegen das flutbedingte Verschieben der zweiten Stufe der Steuerreform auf das Jahr 2004 aus. Es klang fast so ähnlich auch bei Herrn Paqué an. Hätte Herr Stoiber sich durchsetzen können, wäre die zweite Steuerreformstufe bereits in Kraft.

Kein Wort zur Kompensation habe ich zu der Zeit übrigens von Professor Böhmer gehört. Ich kann mich übrigens nicht erinnern, dass unsere Landes-CDU dem widersprochen hätte. Dagegen habe ich noch gut die Lobeshymne unseres Ministerpräsidenten auf seinen Kanzlerkandidaten im Hinterkopf. Es gab keine Kritik an seinen Plänen zur Steuerreform.

Auch nach der Bundestagswahl erneuerten CDU und CSU übrigens ihre Forderungen nach Steuersenkungen. Hierzu gibt es, wie gesagt, wunderbare Zitate, die ich Ihnen gern einmal gebe. „Unter 40 %“ lautete damals unter anderem die Devise der CDU. Wir reden heute von einem Spitzensteuersatz von 42 %.

Als die Pläne der Bundesregierung präsentiert wurden, war ein vielstimmiger Chor aus dem schwarz-gelben Lager zu hören. Guido Westerwelle stellte sich voll hinter die Pläne der Bundesregierung und kündigte gleichzeitig die Unterstützung durch die Landesregierungen an, an denen die FDP beteiligt ist. Das konnte er auch, denn der sachsen-anhaltische Landesverband hat das Bundestagswahlprogramm mitgetragen und der Finanzexperte Paqué hat im Bundestagswahlkampf Herrn Westerwelle bei seinen mutigen „35-35-35“ unterstützt. Dies ist zu keiner Zeit kritisiert worden; es wurde allerdings auch nie gesagt, wie man dies umsetzen kann.

(Zustimmung bei der SPD)

Herr Paqué hat eben versucht, ein bisschen an der Klippe vorbeizusegeln. Es ist schon interessant gewesen. Gut dass Herr Gallert eine Nachfrage gestellt hat. Wie weit will denn die Landesregierung in den Verhandlungen im Bundesrat jetzt noch auf die Bundesregierung zugehen? Was heißt komplett oder nicht? - Herr Paqué hat versucht, dies zu umgehen. Er hat sich dazu ja geäußert. Erst sprach er von „Null“ und „komplett“. Jetzt sagt er „annähern“. - Ich denke schon, dass Signale kommen. Man soll nicht den Mund zu voll nehmen, wenn man vielleicht in drei, vier Wochen einlenkt und es doch mitträgt.

(Zustimmung bei der SPD)

Einige CDU-Ministerpräsidenten, meine Damen und Herren, die Herren Althaus und Teufel, signalisierten eher eine vorsichtige Unterstützung. Andere CDU-Granden, wie der Herr Merz, sprachen hingegen von „unausgewogenen Plänen“. Herr Stoiber lehnte am Sonntag - das habe ich im Fernsehen gesehen - ein Vorziehen eindeutig ab. Vorgestern kam dann die Kehrtwende. Es ist bekannt: Bei einer Pirouette dreht man sich mehrmals - das war die erste Kehrtwende.

In einem Brief an den Bundeskanzler zeigen Herr Stoiber und Frau Merkel Gesprächsbereitschaft und bestehen nicht mehr auf der vollen Gegenfinanzierung. Frau Merkel nimmt höhere Schulden in Kauf und hat nun sogar - wenn ich es richtig im Radio gehört habe - eine Sondersitzung des Bundestages vorgeschlagen, um die Steuerreform vorziehen zu können.

Das, meine Damen und Herren, ist aber nicht die Position, jedenfalls nicht die bisherige Position unseres Ministerpräsidenten. Er hat schon im Vorfeld das Vorziehen der Steuerreform öffentlich abgelehnt. Dafür wurde er schon in einer frühen Phase der Diskussion in der „Bild“-Zeitung als „Steuersenkungsverhinderer“ abgebügelt. An seiner Position hat sich bisher eigentlich nichts geändert. Keine Zustimmung zur Steuerentlastung ohne Kompensation im Landeshaushalt, so lautet seine Devise.

Ich muss fairerweise sagen, dass es für einen Ministerpräsidenten, der in schwierigen Haushaltsberatungen steht, eine immerhin nachvollziehbare Haltung ist. Es gibt auch SPD-Ministerpräsidenten, die ähnliche Probleme haben.

Damit komme ich zum finanzpolitischen Aspekt einer Steuersenkung. Die PDS hat es klar formuliert: Das Vorziehen der dritten Stufe der Steuerreform darf nicht auf Kosten der Länder und Gemeinden gehen. - In dieser Absolutheit halte ich das für falsch. Für ebenso falsch halte ich die Position unserer Landesregierung.

Meine Damen und Herren! Schauen wir einmal auf die Zahlen. Für das Jahr 2003, also für das laufende Haushaltsjahr, erwartet Sachsen-Anhalt Steuereinnahmen in Höhe 4,345 Milliarden €. In dieser Zahl ist die aktuelle Steuerschätzung vom Mai bereits berücksichtigt. Für das folgende Jahr können wir laut Steuerschätzung vom Mai mit Steuereinnahmen in Höhe von 4,462 Milliarden € rechnen, also mit knapp 120 Millionen € mehr als im laufenden Jahr.

Folgt man den Verlautbarungen der Landesregierung, stehen dem Land nach der Steuerschätzung vom Mai angeblich 470 Millionen € weniger zur Verfügung. Schamhaft wird dabei verschwiegen - auch Frau Dr. Weiher ist der Berechnung der Landesregierung auf den Leim gegangen -, dass diese 470 Millionen € auf die halbseidene mittelfristige Finanzplanung bezogen worden sind und nicht auf die realen Gegebenheiten. Real haben wir einen Zuwachs im Jahr 2004 nach dem Jahr 2003.

Hätte der Finanzminister in die mittelfristige Finanzplanung 1 Milliarde € mehr hineingeschrieben, hätten Sie jetzt geklagt, dass wir 1,47 Milliarden € Steuerausfall haben. - Das stimmt doch alles nicht. Real ist der Zuwachs im Jahr 2004 nach dem Jahr 2003.

(Zustimmung bei der SPD - Herr Scharf, CDU: Das ist doch falsch, die Argumentation! Das hat doch eine Grundlage, das ist doch nicht aus der Luft gegriffen!)

- Sie sehen doch, was es für eine Grundlage hat. Es hat doch nichts gebracht, es stimmt doch nicht.

Meine Damen und Herren! Das Vorziehen der dritten Stufe der Steuerreform würde Mindereinnahmen in Höhe von rund 220 Millionen € bringen. Das ist jedenfalls die Zahl, die vorhin genannt wurde. Von diesen 220 Millionen € Mindereinnahmen werden 20 Millionen € direkt an die Kommunen weitergereicht. Es bleiben also 200 Millionen € beim Land.

Im Vergleich zum Jahr 2003 bleibt also ein Minus von rund 80 Millionen € im Landeshaushalt. Das ist natürlich eine Hypothek, aber noch kein Desaster.

Herr Böhmer ist leider nicht da. Herr Paqué, an Sie gerichtet: Es ist durchaus denkbar, dass Sie diese Mindereinnahmen bereits im Laufe des Jahres 2004 aufgrund positiver konjunktureller Wirkungen wieder erwirtschaften.

(Herr Tullner, CDU: Prinzip Hoffnung! - Herr Scharf, CDU: Das merke ich mir für die Haus- haltsberatung!)