In 14 Tagen zu einer einvernehmlichen Meinung zu kommen, ist doch in Anbetracht der Debatten, die innerhalb der PDS geführt werden, eine große Leistung, Herr Gallert.
Aber nun zum eigentlichen Thema. Die Debatte über die Haushalts- und Finanzpolitik in Deutschland ist in den vergangenen Tagen zu einem der zentralen Themen herangewachsen - wieder einmal. Man mag den Sarkasmus als einen tendenziellen Bedingungsfaktor für Politik schlechthin be- oder verurteilen, man mag der Einschätzung von Thomas Mann in den Bekenntnissen eines Unpolitischen folgen, die lautet: „Ich will nicht Politik, ich will Sachlichkeit, Ordnung und Anstand.“ Aber all das lässt uns nicht vor den Problemen ausweichen, vor denen wir in Deutschland seit Jahren stehen.
Wir wissen um die Überalterung der Bevölkerung und deren Auswirkungen auf die sozialen Sicherungssysteme. Wir wissen um die Frage der Nachhaltigkeit in der Finanzpolitik, die in erster Linie nur heißen kann, dass unser Wohlstand nicht auf Kosten der kommenden Generationen finanziert werden darf.
Da sagte 1998 der damalige Kanzlerkandidat und unser heutiger Bundeskanzler Schröder: Er sprach, wie das im Wahlkampf meistens üblich ist, sehr pointiert über die Politik der Jahre zuvor. Herr Gallert hat das auch getan. Es war die Rede davon, dass die Karenztage beim Krankengeld oder die Änderung beim Kündigungsschutz Teufelszeug seien. Herr Clement war wahrscheinlich abwesend.
Des Weiteren war die Rede davon, dass die Rentner keine Kürzungen erfahren dürften, weil diese Generation im Schweiße ihres Angesichts das Land aufgebaut habe. All dies und noch viel mehr hätte die in der Folgezeit abgewählte Kohl-Regierung zu verantworten. Hinzu käme dann noch eine Steuerreform von 1996 nach den berühmten Petersberger Beschlüssen, die - das war O-Ton
Schröder - dazu führen sollte, dass die Reichen immer reicher werden und der Rest in die Röhre schaut.
Meine Damen und Herren! Blickt man auf die Steuererhöhungen, die Rot-Grün in der Vergangenheit serienweise produziert hat - Öko-, Tabak-, Versicherungsteuer und vieles mehr -, muss man konstatieren, dass es gerade die Sozialdemokraten waren, die die Geringverdiener in diesem Lande belastet haben.
Meine Damen und Herren! All dies könnte ich noch ein gutes Stück fortsetzen. Es ist einfach unglaublich, dass die Reformen, so maßvoll und in Teilen nicht weitreichend genug wie sie im Einzelfall damals waren, mit kraftvollen Worten ins Reich der arbeitnehmerfeindlichen Verdammnis gerückt wurden, und heute die gleichen Protagonisten, vom Irrläufer Lafontaine einmal abgesehen, weiter reichende Konzepte aus dem Hut zaubern.
Allein dieser zeitliche Verlauf lässt nur einen Schluss zu: Fünf Jahre Rot-Grün in Deutschland waren fünf verlorene Jahre für den Wirtschaftsstandort Deutschland, waren fünf verlorene Jahre für die Reform der sozialen Sicherungssysteme.
Im Zuge seiner eigenen Sprunghaftigkeit muss der Bundeskanzler nun schon Hardenberg bemühen, um seine unglaublichen Pirouetten noch einigermaßen zu rechtfertigen. Nur, meine Damen und Herren, dessen wohl überlegte, konzeptionell ausgereifte und vorbereitete Reformen im Verbund mit dem Freiherrn von und zum Stein haben doch eine andere Qualität. Wenn man den Hang des Kanzlers zu einer Symbolpolitik weiter verfolgt, darf man erwarten, dass das Kabinett demnächst im Sachsenwald tagt.
Apropos Sprunghaftigkeit: Vor noch nicht einmal einem Jahr hat die Bundesregierung die zweite Stufe der Steuerreform um ein Jahr verschoben, weil sie deren Kosten in Höhe von 8 Milliarden € nicht gegenfinanzieren konnte. Ein Jahr später macht man sich um 18 Milliarden € aber überhaupt keine Gedanken mehr. Noch am 14. März dieses Jahres, meine Damen und Herren, hat der Kanzler in seiner berühmten AgendaRede das Vorziehen der dritten Stufe abgelehnt mit der Begründung, das wäre eine Sanierung auf Kosten derer, die nach uns kommen; genau das werde man nicht tun. - So viel zur Halbwertzeit von Kanzlerworten.
Erkennen Sie hierin noch eine klare konzeptionelle und durchdachte Politik der Bundesregierung? - Ich kann sie jedenfalls nicht sehen.
Meine Damen und Herren! Ich sage hier ganz klar: Eine Steuerreform, die ohne die notwendigen Bedingungen von Strukturreformen der sozialen Sicherungssysteme und des Arbeitsmarktes ohne zeitlichen Vorlauf einhergeht, wird verpuffen. Es bleibt keine Zeit für nähere Betrachtungen. Aber ohne eine Deregulierung auf dem Arbeitsmarkt, ohne Reformen im Gesundheitsbereich und bei der Altersversorgung werden wir keine volkswirtschaftliche Dynamik in Deutschland erreichen können. Das geht nur mit kraftvollen Reformen.
Es reicht eben nicht aus, eine Kommission nach der anderen zu berufen, deren Ankündigungen eines Ergebnisses als Reform schlechthin öffentlich diskutiert werden. Damit muss endlich Schluss sein. Wir brauchen kraftvolle Entscheidungen der politisch Verantwortlichen, zu deren Umsetzung die Union im föderalen Kontext grundsätzlich verhandlungsbereit ist.
Hinzu kommt ein zweiter wesentlicher Aspekt, die Lage der öffentlichen Staatsfinanzen. 18 Milliarden € soll die Steuerreform nunmehr kosten. 10 % der Einkommensteuer, so schallt es dem Bürger fröhlich entgegen, würden ihm mehr zur Verfügung stehen. Die Gegenfinanzierung fällt in eine Zeit, in der die Kommunen kaum noch eigene Handlungsspielräume haben, in der die Länder um verfassungsmäßige Haushalte kämpfen und in der Herr Eichel schon gar kein Wort mehr über blaue Briefe und reale Haushalte verliert.
Nein, meine Damen und Herren, diese orientierungslose Finanzpolitik mit der willkürlichen Kürzung einzelner Subventionen zu begründen, kann auch nicht die Lösung sein. Die Union ist zu einem Subventionsabbau grundsätzlich bereit, aber dieser muss systematisch und konzeptionell vorangetrieben werden. Pauschale Kürzungen kommen für uns nicht infrage.
Meine Damen und Herren! Auch das Thema der Kommunalfinanzen treibt uns immer wieder um. Ich möchte in diesen Tagen noch einmal daran erinnern, dass gerade die Kommunen immer noch auf die pompös angekündigte Gemeindefinanzreform warten. Wo sind denn die Ergebnisse und die Entlastungen? Stattdessen sollen neue Kosten auf die Kommunen abgewälzt werden.
Das ist unseriös. Das Vorziehen der Steuerreformstufe ist ohne eine klare Perspektive für die Kommunalfinanzen ein kommunalpolitisches Abenteuer, meine Damen und Herren.
Ich will noch einen anderen Aspekt anführen. Wer den Leuten jetzt suggeriert, sie hätten netto 10 % mehr in der Tasche, muss den Menschen klar und deutlich sagen, dass die Eigenverantwortung bei der Altersvorsorge und die Eigenverantwortung bei den Gesundheitssystemen Mehrkosten für den einzelnen Bürger bedeutet. Wer Erwartungen in der Hinsicht weckt, dass jeder im nächsten Jahr 10 % mehr in der Tasche hat, wird die Enttäuschung der Bürgerinnen und Bürger zu spüren bekommen. Das sollte die Bundesregierung bei ihren Fanfarentönen berücksichtigen.
Meine Damen und Herren! Einer Steuerreform zuzustimmen, deren Finanzierung auf Kosten des Landes Sachsen-Anhalt und seiner Kommunen geht - 240 Millionen € stehen zur Debatte -, erscheint uns im jetzigen Stadium der Diskussion nicht möglich zu sein. Hierzu müssen klare und realistische Vorschläge zur Gegenfinanzierung auf den Tisch. Das Vorziehen der dritten Stufe der Steuerreform, deren Lasten nachfolgenden Generationen aufgebürdet werden, ist ohne die notwendige Strukturreform - ich sagte es bereits - in Wahrheit nur ein weiterer, durchaus gelungener PR-Gag des Bundeskanzlers, zumal ein sehr teurer.
Dennoch verschließen wir uns nicht der Diskussion. Wir sind nicht gegen Steuersenkungen, ganz und gar nicht, wir sind auch nicht Rot-Grün - das wurde ebenfalls schon mehrmals erwähnt -, die im Jahr 1996 aus parteitaktischen Gründen eine große Steuerreform blockiert haben. - Übrigens waren die meisten Damen und Herren Sozialdemokraten damals auch dabei.
Diese Steuersenkung muss solide austariert werden. Also muss der Kanzler bekennen, was er unter den Schlagworten „Subventionsabbau“, „Privatisierungserlöse“ und „Kreditfinanzierung“ versteht. Wenn diese Rahmenbedingungen und die Gegenfinanzierung geklärt sind, sind wir gern bereit, darüber zu diskutieren. - Vielen Dank.
Herr Abgeordneter Tullner, es gibt eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Dr. Kuppe. - Bitte sehr, Frau Dr. Kuppe.
Herr Kollege Tullner, Sie sagten, dass für Sie eine Steuerreform zwingend mit einer Reform der sozialen Sicherungssysteme einhergehen muss. Darin stimme ich Ihnen zu. Sie mahnten dabei aber auch schnelle politische Entscheidungen an, die noch ausstünden.
Ist Ihnen bekannt, dass das Gesundheitssystemmodernisierungsgesetz in den Bundestag eingebracht worden ist und auf Bundesebene fraktions- und parteiübergreifend zurzeit Diskussionen über eine gemeinsame Lösung bis zur Verabschiedung dieses Gesetzes geführt werden? Ist Ihnen weiterhin bekannt, dass die zweite und dritte Lesung des Gesundheitssystemmoderierungsgesetzes auch auf Wunsch der CDU vom 8. Juli 2003 auf einen späteren Zeitpunkt verschoben worden ist, damit erst diese Gespräche geführt und die Verhandlungen zu einem guten Ende gebracht werden können?
Liebe Frau Dr. Kuppe, ich könnte es kurz machen und ja sagen, dass es mir bekannt ist. Ich möchte aber darüber hinausgehend dazu etwas sagen. Ich denke, die Frage bezieht sich nicht allein auf die Gesundheitsreform. Ich könnte durchaus die Frage stellen, warum erst so spät über diese Fragen von Ihnen diskutiert worden ist. Die Probleme sind bereits seit 1998 hinlänglich bekannt. Sie haben nach der Wahl 1998 den Bürgerinnen und Bürgern suggeriert, dass alles wie bisher weitergehen könne und man nichts ändern müsse.
Deshalb sage ich: Im Gesundheitsbereich sind wir auf einem guten Weg - endlich. Aber in den anderen Bereichen, in denen noch die ganzen Kommissionen tagen, wie die Kommission zur Gemeindefinanzreform und andere, sollten Sie darauf drängen, dass der Kanzler endlich die Entscheidung in das Parlament holt, die Entscheidung gemeinsam mit den ihn tragenden Fraktionen trifft und nicht andauernd solche honorigen Leute, wie es die Professoren sind, in die Kommission bittet und sie die Arbeit des Parlamentes machen lässt.
(Zustimmung bei der CDU - Herr Bullerjahn, SPD: Vorsicht! Sie haben auch einen! - Herr Dr. Pü- chel, SPD: Kennen Sie Dr. Seitz?)
Wenn ich Ihren Beitrag höre, muss ich Ihnen sagen, dass er so klingt, wie ich es seit Jahrzehnten in Deutschland höre. Ich sehe nicht - es geht um Ihre Zukunft -, wo einem reformerischen Ansatz zum Durchbruch verholfen werden kann.
Der Finanzminister wies darauf hin: Wir bewegen uns auf 4,5 Millionen Arbeitslose zu. Diese Zahl muss uns doch alle erschrecken und uns veranlassen, vor allen Dingen das Nach-vorn-Schauen zu praktizieren und zu sagen: Wir müssen uns auch Reformen stellen, die weh tun - auf allen Ebenen.
Was ich aber bisher hier gehört habe, ist ein Abklatsch der Diskussion, die man auch im Bundestag hört. Solche Diskussionen bringen uns an dieser Stelle nicht voran. Da es um Ihre Zukunft geht, Herr Tullner, und um die Zukunft der jungen Generation, sollten wir mit neuen Denkansätzen auch der Regierungspartei im Lande und mit deren Wirkungsmöglichkeit über den Bundesrat vielleicht in diesem Zusammenhang ein Stück Zukunft für uns alle schaffen.
Herr Dr. Polte, was Sie gerade gesagt haben, trifft, denke ich, den Nerv der Zeit und ist völlig d’accord. Ich will nur darauf hinweisen, dass die Probleme - Sie sagten es bereits - nicht erst seit heute bekannt sind. Sie sind bereits seit einem längeren Zeitraum bekannt. Dabei schließe ich die Verantwortung der CDU durchaus ein.