Protocol of the Session on June 13, 2003

Sicher, in Zeiten knapper Kassen, des anhaltenden Geburtenrückgangs und der Abwanderung junger Familien wird sich das Bild der Kinder- und Jugendarbeit verändern müssen. Es wird die Frage geklärt werden müssen, wie mit immer weniger Mitteln - sprich: auch mit immer weniger Personal - verantwortliche und qualitativ wertvolle Jugendpolitik betrieben werden kann. Die Schwerpunkte sowohl in der Gesamtstruktur als auch in den Inhalten werden sich verschieben. Aber wie wird das aussehen? Welche Möglichkeiten können Kindern und Jugendlichen noch geboten werden? Wir können sie außerhalb ihrer Familien in Gemeinschaft und Gesellschaft eingebunden werden? - Fragen über Fragen. Die Reihe ließe sich unendlich fortführen.

Ich bin sicherlich nicht die einzige Abgeordnete, die mit all diesen Fragen ständig konfrontiert wird. Den anderen jugendpolitischen Sprecherinnen und Sprechern wird es ähnlich ergehen. Doch was antworten Sie zum Beispiel, Herr Kurze, den Fragestellerinnen und Fragestellern? - Ich habe in den letzten Protokollen noch einmal nachgelesen; wir sind ja nun die Neuen im Landtag. Nach einem Jahr Regierungszeit wird Ihre Argumentation, dass die alte Landesregierung an den knappen Kassen schuld sei, nicht mehr lange vorhalten; Sie werden sich etwas anderes einfallen lassen müssen.

Aber nun ernsthafter. Die Antwort kann nicht sein: Jugendliche ohne Abschluss, Jugendkriminalität, in Kauf genommene Jugendarmut usw.

Es geistern zurzeit nur prozentuale Streichungszahlen durch das Land. Beim letzten Stammtisch des Landeskinder- und Jugendrings wurden Kürzungen von 16 % im Kinder- und Jugendbereich anvisiert. In der Diskussion über Jugendpolitik schwingt ausschließlich die Frage der Finanzer: Wo kann man wie viel kürzen? Um die Inhalte einer verantwortungsvollen und damit nachhaltigen - sprich: zukunftsfähigen - Jugendpolitik scheint man sich auf Landesebene nicht zu sorgen.

Stattdessen wird überlegt, welchen Verband, welche Initiative man wie am besten unauffällig los werden kann. Sie, von der Landesregierung - es sind leider auch nicht sehr viele da -, treffen Ihre Entscheidungen im Kinder- und Jugendbereich ausschließlich - ich betone: ausschließlich - nach dem Geldbeutel; denn wenn dem nicht so wäre, wüssten die jungen Menschen in diesem Land, welche Gestaltungsräume und -möglichkeiten sie in Zukunft in Sachsen-Anhalt hätten.

(Zuruf von Herrn Gürth, CDU)

Dem ist aber nicht so. Sie erleben nur, dass sinnvolle und außerordentlich erfolgreiche Projekte, wie zum Beispiel die Schulsozialarbeit, einfach gestrichen werden. Wird das Feststellenprogramm folgen?

(Herr Gürth, CDU: Warum denn wohl? Könnte das damit zusammenhängen, dass nicht genügend Geld für alles da ist, was man sich wünscht?)

- Darauf komme ich noch zu sprechen. - Öffnen Sie endlich die Augen! Es geht nicht mehr darum, ob Jugendarbeit mit einem BMW oder nur mit einem Golf gefahren wird, die Frage ist, ob sie überhaupt noch fährt.

(Herr Gürth, CDU: Das Fahrrad kann auch viel bewirken! Es ist umweltfreundlich!)

Ihr Alternativantrag bestätigt meine Vermutung, dass Sie, meine Damen und Herren von der CDU und der FDP, zukünftige Jugendpolitik ohne Inhalte und vor allem ohne Visionen diskutieren; denn Sie wollen im Rahmen der Haushaltsberatungen - sprich: mit der Finanzkeule als Totschlagargument - Ihre so genannten Konzepte und Schwerpunktsetzungen festlegen.

(Herr Gürth, CDU: Das ist ein harter Fakt!)

Sagen Sie doch den Kindern und Jugendlichen und den in und mit der Jugendarbeit Beschäftigten ehrlich, und zwar vor den Haushaltsberatungen, wie die Jugendpolitik in diesem Land zukünftig aussehen wird.

(Herr Gürth, CDU: Abhängig von der Haushalts- lage!)

Hören Sie mit dem unsinnigen Papierkram auf, mit dem Erfordernis von Leistungsbeschreibungen, mit zahllosen Anträgen, die man bis zum 15. September von den Trägern verlangt, wenn Sie jetzt schon, eine Streichliste im Hinterkopf, deren Kaputtgehen beschlossen haben. Denn bereits bis zu uns, bis zur Oppositionsfraktion, ist es mittlerweile vorgedrungen, dass im Sozialministerium auch ohne Konzeption eine Prioritätenliste für die Streichung von Verbänden, Vereinen und Projekten erarbeitet werden soll, man könnte auch sagen, eine so genannte Giftliste.

Über einen zweiten Punkt aus Ihrem Alternativantrag habe ich mich sehr erschrocken. Begriffe wie „Elfter Kinder- und Jugendbericht“, „Empfehlungen des Landesjugendhilfeausschusses“ tauchen darin gar nicht mehr auf. Was sich im Kinder- und Jugendhilfebereich an Gremien gebildet hat, was an Empfehlungen, an Leitlinien, an Leitsätzen erarbeitet worden ist, das scheint nicht zu Ihrer Konzeption zu gehören. Was noch auffällt: Die Streichungen sollen anscheinend ohne Anhörung der Verbände durchgeführt werden.

(Herr Gürth, CDU: Welche?)

Sie, meine Damen und Herren von der CDU und der FDP, werden für die Folgekosten Ihrer kurzsichtigen Politik, der eine nachhaltige Strategie und Perspektive fehlt, verantwortlich sein. Hoffen wir für dieses Land, dass es andere sein werden, die diese Fehlentscheidungen korrigieren werden.

Gerade aus diesem Grunde haben wir den Antrag vor der Sommerpause gestellt. Wir wollten vorher darüber diskutieren, welche Schwerpunkte und Prioritäten sich die Landesregierung setzt und dies nicht erst während der Haushaltsberatungen machen müssen. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Zustimmung bei der SPD und bei der PDS)

Vielen Dank, Frau Grimm-Benne, für die kurze Einbringung. - Meine Damen und Herren! Wir treten nun in eine Fünfminutendebatte ein. Zunächst hat jedoch für die Landesregierung Minister Herr Kley um das Wort gebeten. Bitte sehr, Herr Minister.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte mich zunächst bei der FDP-Fraktion bedanken, die durch ihre hohe Präsenz zeigt, dass es noch einige Abgeordnete in diesem Landtag gibt, die an dem Thema mehr Interesse haben, als nur einen Antrag zu

stellen und an der Regierung herumzunörgeln, sondern die wirklich dazu bereit sind, über das Thema zu diskutieren, und zwar unabhängig von der Tageszeit.

(Zustimmung von Herrn Scholze, FDP - Frau Bull, PDS: Wir werden Sie daran erinnern, Herr Minis- ter!)

Es ist so, dass man von diesem Antrag erwarten könnte, dass hier einerseits die Konzepte und die Ergebnisse des Landesjugendhilfeausschusses diskutiert werden sollen und man sich andererseits vor Beginn der Haushaltsberatungen einen Überblick über die Planungen verschaffen möchte.

Allerdings - das ist eben in der Rede von Frau GrimmBenne angesprochen worden - haben wir im Land Sachsen-Anhalt eine Haushaltssituation, wie sie dramatischer zu keiner Zeit war, sowohl auf Sachsen-Anhalt als auch auf ganz Deutschland bezogen. Es ist eine Frage von seriöser Politik, dass wir uns hier nicht mit Wolkenkuckucksheimen beschäftigen und mit Überlegungen, wie alles sein könnte, ohne dieses auch seriös finanzieren zu können.

Deshalb wird es notwendig sein, dass im Rahmen der Haushaltsberatungen auch die Konzepte beraten und weiter verändert werden. Wir wissen heute noch nicht, ob es uns gelingt, mehr umzusetzen, als gegenwärtig in den Schwarzmalereien dargestellt wird.

Deshalb unterstütze ich nachdrücklich den Antrag der Regierungsfraktionen, der besagt, dass diese Diskussion im Rahmen der Haushaltsberatungen stattfinden soll, weil wir dort die Chance haben, auch aufgrund der Beratung Schwerpunkte zu setzen und die Finanzierung im Landeshaushalt festzulegen.

Es kann auch nur darum gehen, nicht eingeschränkt Bericht zu erstatten, wie es in dem vorliegenden Antrag vorgesehen ist, sondern insgesamt eine Diskussion über die zukünftige Jugendpolitik zu führen und hierbei über die gesamten Schwerpunkte in diesem Bereich zu debattieren. Ich denke, dass wir dann im Rahmen der Haushaltsberatungen auf der Grundlage verlässlicher Zahlen über das gesamte Spektrum der Kinder- und Jugendpolitik eine Gewinn bringende Diskussion werden führen können.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte es noch einmal betonen: Es hilft uns nicht weiter, Wunschlisten aufzustellen, Konzepte zu erstellen und Ideen zu äußern, die wir im Nachhinein nicht finanzieren können. Wir würden damit zum einen falsche Eindrücke hervorrufen. Zum anderen müsste man denen, die so etwas fordern, eine unseriöse Politik vorwerfen.

Wir befinden uns hier nicht in einer Versprechungsphase, wir befinden uns in einer sehr schwierigen Situation. Ich verspreche Ihnen, im Rahmen der Haushaltsberatungen dafür zu sorgen, dass die Kinder- und Jugendpolitik nicht als Streichinsel empfunden wird, sondern als wahrhaft gestalterische Kraft, die sich nicht vorrangig in Finanzen ausdrückt, sondern vor allem in Ideen und Überlegungen und insbesondere auch in dem Konzept zur Stärkung der Hilfe durch Selbsthilfe.

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU)

Herr Minister, sind Sie bereit, eine Frage der Abgeordneten Frau Fischer zu beantworten? - Bitte sehr, Frau Fischer.

Herr Minister, ich habe es mehrmals erlebt, dass es gerade während der Haushaltsverhandlungen schwierig ist, breiter über ein Problem zu reden. Wäre es nicht sinnvoll, gerade über das Thema der Kinder- und Jugendpolitik mit den Verbänden und mit der staatlichen Jugendhilfe der Landkreise vorher zu reden und Konzepte zu entwickeln, um gerade unter dem Gesichtspunkt des Haushalts eine stärkere Vernetzung und vielleicht eine effektivere Gestaltung zu erreichen? Dies erst zu tun, wenn der Haushaltsplanentwurf mit den Zahlen vorliegt, halte ich nicht für sinnvoll. Man sollte vielmehr vorher in den einzelnen Landkreisen mit den freien Trägern und der Jugendhilfe Beratungen durchführen, um effektive Prozesse dort zu entwickeln.

Selbstverständlich, Frau Abgeordnete, sind wir immer unterwegs und beraten mit den jeweiligen Trägern und den kommunalen Spitzenverbänden über neue Konzepte und Ideen. Es ist nicht so, dass diese Überlegungen in bestimmten Etappen nur parallel zu den Haushaltsberatungen laufen würden.

Es ging aber in Ihrem Antrag darum, im Ausschuss vor den Haushaltsberatungen über die Schwerpunkte Bericht zu erstatten. Dazu sind wir der Meinung, wir können sehr wohl vorher Ideen sammeln und Konzepte entwickeln. Danach können wir überlegen, was sich davon wie umsetzen lässt; denn die Umsetzung dieser vielen Ideen ist der zweite Schritt.

Das kann aber nur mit den zur Verfügung stehenden Mitteln erreicht werden, es sei denn, wir einigen uns darauf, dass die Jugendhilfe unabhängig von staatlichen Zuwendungen passiert. Dann können wir jederzeit über alles reden. Aber leider ist es derzeit noch so, dass die Alimentierung durch das Land ein wesentlicher Punkt für das Funktionieren ist.

Vielen Dank, Herr Minister. - Meine Damen und Herren! Als erste Rednerin in der Debatte rufe ich die Frau Abgeordnete Seifert für die FDP-Fraktion auf. Bitte sehr, Frau Seifert.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Diskussion über die Konzepte zur zukünftigen Gestaltung der Kinder- und Jugendpolitik in Sachsen-Anhalt sehen wir, die FDP-Fraktion, als genauso wichtig an wie die antragstellende Fraktion.

Bereits im Juli 2002 hat der Minister ausgeführt, wie die zukünftige Arbeit im Bereich der Kinder- und Jugendhilfepolitik in Sachsen-Anhalt umgestaltet wird, damit die zur Verfügung stehenden Mittel effektiv eingesetzt werden können.

Qualitätssicherungskriterien und die Vertragsförderung waren die wesentlichen Ziele, die auch der Landesjugendhilfeausschuss umgesetzt wissen wollte. An der Entwicklung des Modellprojektes zur Erarbeitung von Qualitätsentwicklungsprozessen auf dem Gebiet der Kinder- und Jugendarbeit hat auch der Landesjugendhilfeausschuss einen wesentlichen Anteil.

Eine Forderung des Landesjugendhilfeausschusses und auch ein Bestandteil der von ihm erarbeiteten Leitlinien

ist es, das gesamte Spektrum der Kinder- und Jugendhilfepolitik in die Diskussion einzubeziehen. Das ist auch unsere Intention - der Minister hat es noch einmal betont - und ein wesentlicher Unterschied zu dem vorliegenden Antrag der SPD-Fraktion.

Das gesamte Leistungsprofil Sachsen-Anhalts auf dem Gebiet der Kinder- und Jugendarbeit, wie auch vom Landesjugendhilfeausschuss gefordert, muss neu bewertet werden. Das wird auch zu einer neuen qualitätsorientierten Förderung auf diesem Gebiet, beispielsweise über Zielvereinbarungen, führen. Auch dies hat der Landesjugendhilfeausschuss angemahnt. So kann der Mitteleinsatz optimiert und eine größere Transparenz bei der Verwendung der Mittel erreicht werden.

Sehr geehrte Damen und Herren! Wir werden nicht umhinkommen, ressortübergreifend alle Möglichkeiten zu prüfen, um Rahmenbedingungen zu schaffen, die es ermöglichen, die vorgegebenen Zielsetzungen des Kinder- und Jugendhilfegesetzes zu realisieren. In der letzten Plenarsitzung habe ich bereits darauf hingewiesen, dass es zu prüfen gilt, ob es freie Lehrerkapazitäten gibt, die gegebenenfalls für die Projekte der Schulsozialarbeit genutzt werden können.

Aber als problematisch sehen wir, die FDP-Fraktion, die Diskussion über die Gestaltung der Kinder- und Jugendpolitik Sachsen-Anhalts vor dem Hintergrund der schwierigen Haushaltslage des Landes an. Es wird ein Spagat werden zwischen dem, was wir uns wünschen, und dem, was zu realisieren sein wird. Glauben Sie mir, auch uns wäre eine Diskussion ohne finanzielle Zwänge lieber.

Aber um realistisch und verlässlich aufgrund der vorliegenden Haushaltszahlen diskutieren zu können, fordern wir die Landesregierung auf, im Rahmen der Beratungen über den Haushaltsplan 2004 einen entsprechenden Bericht zu geben. Diesem Bericht können und werden Erfolg bringende Diskussionen in den Ausschüssen folgen. Davon gehe ich aus und bitte Sie deshalb, dem Alternativantrag der Fraktionen der CDU und der FDP zuzustimmen.

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU)

Vielen Dank, Frau Seifert. - Als nächster Rednerin erteile ich für die PDS-Fraktion der Abgeordneten Frau von Angern das Wort. Bitte sehr, Frau von Angern.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Eine kurze Rückschau: Herr Kurze hat uns in der Landtagssitzung am 15. Mai dieses Jahres mitgeteilt, dass die Landesregierung beabsichtigt, die Programme Jugendpauschale, Feststellenprogramm und Schulsozialarbeit unter dem Titel Jugendpauschale zu einem Gesamttitel zusammenzuführen.

Er hat des Weiteren dazu ausgeführt, dass die im Haushaltsjahr 2003 eingestellten Mittel auch im Jahr 2004 auf gleichem Niveau gehalten werden. - Laut der Interpretation von Herrn Kley ist das natürlich ein unseriöses Versprechen. Wir werden Sie allerdings in den Haushaltsberatungen beim Wort nehmen und eine Beibehaltung des Finanzniveaus von Ihnen fordern.