Ich will dazu sagen, dass das über vier Jahre her ist. Klammerbemerkung: Die aufmerksame Beobachterin bzw. Leserin wundert sich über solche hornalten Zahlen. Trotzdem ist es vier Jahre her. Der Anteil der Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger ist gestiegen. Der Anteil der Arbeitslosenhilfeempfängerinnen und -empfänger ist gestiegen. Wir können sehr wohl davon ausgehen - wir haben das Jahr 2003 -, dass wir demnächst die 20%-Marke erreicht haben werden.
Da reicht es eben nicht, seitens der Landesregierung den Bericht der Öffentlichkeit zuzustellen. Vielmehr ist nun die Politik gefragt: Wie wollen wir mit dieser Armut umgehen, wie wollen wir sie bekämpfen und wie wollen wir mit den Folgen von Armut in verschiedenen Dimensionen umgehen?
Damit sind wir bei der zweiten Seite der gesellschaftlichen Medaille, meine Damen und Herren. Die andere Seite der gesellschaftlichen Medaille gehört nämlich in Deutschland zu den am besten gehüteten Geheimnissen. Selbst gutwillige Sozialwissenschaftlerinnen und Sozialwissenschaftler müssen nahezu Detektivarbeit leisten, um hierzu Aussagen treffen zu können, wobei ich dem Empirica-Institut keine bösen Absichten unterstellen möchte. Es gibt nämlich hierzulande keine einzige systematische, geschweige denn erschöpfende Datensammlung in kontinuierlicher Form zu großen Vermögen und Einkommen.
Nimmt man bezüglich des Reichtums das Nettohaushaltseinkommen in Sachsen-Anhalt und bundesweit zum Maß, dann ist reich, wer das Doppelte des Nettohaushaltseinkommens erhält. Demnach liegt die Reichtumsquote in den neuen Ländern bei fast 9 %, 8,9 % genau.
Wenn man sich die gesamte Breite der Äquivalenzeinkommen auf einer Linie vorstellt und diese durch fünf teilt, dann hätte man in etwa die fünf in Deutschland vorkommenden sozialen Lebenslagen: auf der einen Seite die Unterklasse, das ärmste Fünftel, und auf der ande
ren Seite die Oberklasse, das so genannte reichste Fünftel. Um einmal beides in Relation zu setzen: Das ärmste Fünftel verfügt über 9 % des Gesamteinkommens West bzw. 11 % des Gesamteinkommens Ost und das oberste Fünftel verfügt über 38 % im Westen und 34 % im Osten. So viel zur Relation von Armut und Reichtum.
Das Vermögen ist in Deutschland noch weniger gleichmäßig verteilt. Nach der Geldvermögensrechnung der Deutschen Bank verfügen die privaten Haushalte über ein Nettogeldvermögen von 4,3 Billionen DM. Ich habe heute früh meinen Nachbarn gefragt, weil ich es mit Zahlen nicht so habe. Es sind zwölf Nullen, meine Damen und Herren, 4,3 Billionen. Auf die vorhin angesprochenen Fünftel übersetzt heißt das: Das Fünftel mit dem größten Vermögen verfügte Anfang der 90er-Jahre über fünfmal und Ende der 90er-Jahre über sechsmal so viel Vermögen wie das mittlere Fünftel - nicht des unteren Fünftels, das hat nämlich gar kein Vermögen.
Meine Damen und Herren! Alljährlich erhitzen sich die Gemüter, wenn es um Tarifauseinandersetzungen geht. Interessant für die Auseinandersetzung mit der Armuts- und Reichtumsforschung und -struktur ist es hingegen, wenn man sich ansieht, was außerhalb des Tarifgeschehens passiert.
§ 87 Abs. 1 des Aktiengesetzes schreibt vor - ich zitiere -, dass die Gesamtbezüge in einem angemessenen Verhältnis zu den Aufgaben der Vorstandsmitglieder und zur Lage der Gesellschaft stehen müssten, meine Damen und Herren. Das Jahresgehalt des Aufsichtsratsvorsitzenden der Deutschen Bank beträgt 12,6 Millionen €. Das ist in etwa das Jahresgehalt von 400 Bankangestellten, die mit 30 000 € Jahreseinkommen angemessen entlohnt werden.
Eine frühere Faustregel war, dass Vorstandsmitglieder mit etwa dem Zwanzigfachen des Facharbeiterlohns angemessen vergütet seien. Heute bewegt sich dieses Einkommen jenseits des Dreihundertfachen. Von persönlichem Risiko zu sprechen ist auch schwierig; denn die Abfindungen in Form der goldenen Handschläge, wie etwa bei Mannesmann-Chef Klaus Esser von 60 Millionen DM oder Chrysler-Chef Robert Eaton von 97 Millionen Dollar, lassen das persönliche Risiko gegen null gehen.
Die Höhe der durchschnittlichen Vergütung der Vorstände deutscher Großunternehmen zwischen 1995 und 2000 hat sich fast verdreifacht und die Höhe der Grundvergütung fast verdoppelt. Die Vergütung der tariflich entlohnten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist um etwa 10 % gestiegen.
Über Armut gibt es mittlerweile ausgedehnte quantitative und qualitative Forschungen, meine Damen und Herren, über Reichtum schweigt man sich gern aus. Dieser wird lediglich in Boulevardblättern oder RTL-Shows bewundert. Einen Zusammenhang herzustellen wird vermieden, aber dennoch ist er da.
Zwischen Armut und Reichtum steht der Staat, meine Damen und Herren. Das Problem ist, dass sich genau dieser Staat selbst entmachtet, sich stets und ständig die eigene Handlungsfähigkeit nimmt. Das ursprüngliche
Ziel der Eichel’schen Steuerreform war die Ankurbelung der Wirtschaft durch die Schaffung neuer Arbeitsplätze, waren Neuinvestitionen von dem gesparten Geld, war letztlich ein höherer Zustrom an Steuergeldern getreu dem Motto: „Gewinne von heute sind die Investitionen von morgen und die Arbeitsplätze von übermorgen“.
Meine Damen und Herren! Ich greife an dieser Stelle einmal zur Polemik: Während sich die Linken auf den Weg von der sozialistischen Religion zur Realpolitik machen, nehmen manche Konservative offensichtlich den umgekehrten Weg.
Solche Glaubenssätze werden durch häufige Wiederholung nicht wahrer. Fakt ist: Globalplayer, Großunternehmen investieren nicht, meine Damen und Herren, sie legen ihr Geld an und warten ab. Ich spreche bewusst nicht von kleinen und mittleren Unternehmen, sowohl nicht in der Form Ost als auch nicht in der Form West. Der Staat hingegen muss sich immer weiter verschulden. Die Leistungsträger der Nation sind immens entlastet worden, während die Handlungsfähigkeit des Staates gegen null geht.
Der Chefkommentator des „Handelsblattes“ ist meines Wissens nicht PDS-Mitglied und auch nicht linker Sozialdemokrat. Er schreibt - ich zitiere -:
„Im internationalen Vergleich ist Deutschland eine Steueroase. Kapitalgesellschaften leisten en bloc überhaupt keinen Beitrag mehr zur Staatsfinanzierung. Die Steuerlast, über die die deutsche Wirtschaft immer noch klagt, ist eher ein Phantomschmerz. Nach Zahlen des Bundesfinanzministeriums werden die deutschen Kapitalgesellschaften im Jahr 2001“
„nur noch 14,9 Milliarden DM Körperschaftsteuer zahlen. Das sind knapp 1,7 % des steuerlichen Gesamtaufkommens.“
Meine Damen und Herren! Die einfache und grob strukturierte Art von vereinzelten Neu-FDP-Mitgliedern möchte ich mir nicht unbedingt zu Eigen machen. Deshalb möchte ich noch einmal ganz klar sagen: Es gibt weder den Typus von Unternehmer noch den Typus von Unternehmen und schon gar nicht gehören sie als Feindbilder auf die politische Dartscheibe.
Wieder etwas polemisch: Genauso, wie es d i e Arbeiterklasse, meine Damen und Herren, nicht mehr gibt, gibt es auch d i e Unternehmen nicht. Das ist Rhetorik des 19. Jahrhunderts und trotzdem fallen Politikerinnen und Politiker verschiedenster Couleur immer wieder darauf herein.
Die Väter und Mütter des Grundgesetzes haben sich sehr wohl etwas dabei gedacht, indem sie die soziale Verantwortung der Unternehmerseite grundgesetzlich verankert haben. Politik steht als Moderatorin zwischen Arm und Reich. Vor dieser Funktion drückt sie sich gern.
Ich will an dieser Stelle noch einmal betonen: Es geht nicht um die Nivellierung von Einkommensreichtum, meine Damen und Herren, aber wenn Politik Armut verhindern will, national und global, - davon gehe ich aus - dann wird sie um einen vernünftigen Ausgleich zwischen beiden Polen nicht umhinkommen.
Niemand kann den Zusammenhang zwischen Arm und Reich ernsthaft leugnen. Dazu fällt mir das Brecht’sche Bild ein:
„Armer Mann, reicher Mann standen da und sahen sich an. Und der Arme sagte bleich: Wäre ich nicht arm, wärst du nicht reich.“
Ich wiederhole noch einmal: Es geht nicht um die Nivellierung von Einkommensreichtum, aber es geht um eine angemessene Verteilung - ich könnte auch sagen: um eine gerechte Verteilung.
In diesem Sinne bitte ich um die Abstimmung über unseren Antrag, damit wir uns im Ausschuss tatsächlich über konkrete Konzepte der Landesregierung zur Bekämpfung der Armut und zum Umgang mit deren Folgen unterhalten können.
Vielen Dank, Frau Bull. - Ich darf zunächst als letzte Besuchergruppe des Tages auf der Tribüne Damen und Herren der liberalen Hochschulgruppe Magdeburg begrüßen.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Eigentlich dachte ich, dass sich nach der hervorragenden Einbringungsrede von Herrn Bischoff, der uns den Bericht eigentlich schon vorgestellt hat, jeder weitere Beitrag fast erübrigt hätte. So umfangreich und detailliert wird es uns kaum möglich sein, das im Ausschuss noch einmal darzubieten. Daran sieht man, dass hier mit Interesse gelesen wurde und dass auch ein ehrliches Interesse daran besteht, die Daten des Berichtes auszuwerten und auch für das weitere politische Handeln zu verwenden.
Zu diesem Zweck ist damals der Auftrag vergeben worden. In diesem Sinne wurde auch von uns der Auftrag weitergeführt und der Bericht in jüngster Zeit dementsprechend vorgestellt.
Es war ja so, dass dieser Bericht, der sich in unterschiedliche Teile gliedert, im Wesentlichen dazu dienen sollte, Entscheidungsfindungen zu befördern, eine Analyse im Lande durchzuführen und aufzuzeigen, wie sich die Entwicklung in Sachsen-Anhalt in den letzten Jahren vollzogen hat.
Die Ergebnisse der über 4 000 Befragungen in Verbindung mit den statistischen Auswertungen auch aus vergangenen Zeiträumen spiegeln den Status quo zu der Thematik „Armut und Reichtum in Sachsen-Anhalt“ wider. Dazu zählt, wie gesagt, dass hier fast jeder fünfte Haushalt - also 18 % - zu den Armen der Gesellschaft gehört. Dieses Ergebnis liegt knapp über dem Durchschnitt der neuen Bundesländer mit 17 %. In den alten Bundesländern gelten rund 12 % der Haushalte als arm.
Die Problematik bei aller Statistik ist auch hier, dass wir den relativen Armutsbegriff angewandt haben. Das
heißt, bei dieser Statistik werden wir zu jeder Zeit Arme finden, weil diejenigen Haushalte mit weniger als 60 % des Durchschnittseinkommens immer als arm gelten. Das heißt, wichtig ist auch, den Gesamtprozess zu begleiten und zu betrachten, inwieweit die einzelnen Einkommen auch absolut die Möglichkeit ergeben, ein vernünftiges Leben zu gestalten.
Das sollte auch unser Ziel sein: nicht Armut im Sinne der Statistik zu beseitigen, sondern allen Menschen ein lebenswertes Leben und auch die Teilhabe am jeweiligen Leben in der Gesellschaft zu ermöglichen.
Die Ursachen für die Armut - das ist bereits gesagt worden - liegen hauptsächlich in wiederkehrender Arbeitslosigkeit, Schulden durch Scheidung und in den neuen Konsumgewohnheiten.
Vererbte Armut und Armut durch Zuwanderung sind eher Ausnahmen in Sachsen-Anhalt. Die hohe Arbeitslosigkeit ist, wie bereits gesagt, das zentrale Problem des Armutsrisikos, weshalb auch hier, so glaube ich, zu den Konzepten der Landesregierung nicht gesagt werden muss, dass eine Wirtschaftspolitik die beste Politik gegen Armut ist und dass es unbedingt notwendig ist, auf diese Richtung alle Mittel zu konzentrieren. Wir können durch eine Sozialpolitik nur abpuffern, aber wir können hierdurch keinen bleibenden Beitrag zur Beseitigung der Armut leisten.
Wir haben in Sachsen-Anhalt natürlich das Problem, dass insbesondere die Langzeitarbeitslosen unterdurchschnittliche Einkommen und Vermögen haben. Das durchschnittliche Nettogeldvermögen pro Haushalt liegt hier bei 14 000 € gegenüber 35 000 € in den Altbundesländern.
In Sachsen-Anhalt fallen nur 6 % der Haushalte in die Kategorie mit einem Einkommen ab 50 000 €, bundesweit immerhin 11 %.
Auch die positiven Trends wurden von Herrn Bischoff vorhin schon dargestellt, zum Beispiel der deutliche Anstieg der Lebenserwartung in Sachsen-Anhalt. Wir haben in Sachsen-Anhalt aber auch eine Verbesserung der Wohnqualität zu verzeichnen. Hier ist die durchschnittliche Wohnfläche pro Einwohner höher als im Durchschnitt der neuen Bundesländer. Hier hat sich also einiges getan, was man nicht übersehen sollte.
Beim Wohneigentum - eine ganz interessante Entwicklung - nähert sich der Osten zunehmend dem Westen an. In der jungen Generation gibt es dieselbe Tendenz zum Bauen von Häusern und zum Erwerb von Eigentumswohnungen wie im Westen. Damit haben wir natürlich das Problem der zunehmenden Segregation; das heißt, in den Plattenbauten bleiben Bewohner mit geringerem oder ohne Einkommen, die überwiegend auf Transferleistungen angewiesen sind.
Die Problematik der zunehmenden Entmischung, die wir aufhalten sollten, kann sicherlich nur sehr schwer gelöst werden. Man hat einfach die Tendenz zum Eigenheim. Die kann man auch nicht aufhalten. Jüngste Überlegungen, zunehmend in den Altbeständen zu fördern, dienen sicherlich auch dazu, dass sich die Wohnverhältnisse und Wohnumfelder der einzelnen Einkommensgruppen nicht zu sehr voneinander unterscheiden.