Protocol of the Session on May 15, 2003

Erstens. Man will den Anteil von Arbeitslosengeldempfängern an den Maßnahmen um 50 % steigern, um Geld zu sparen.

Zweitens. Bei der beruflichen Weiterbildung wird nur noch gefördert, wenn die Maßnahme eine Verbleibensquote von 70 % verspricht, wenn also damit zu rechnen ist, dass 70 % der Teilnehmer an einer solchen Maßnahme im Anschluss daran im ersten Arbeitsmarkt unterkommen. So etwas kann man zwar in Regionen mit relativ niedriger Arbeitslosigkeit erreichen, aber hier bei uns in Ostdeutschland bedeutet dies, dass die meisten derartigen Qualifizierungsmaßnahmen gar nicht mehr durchgeführt werden können. Das halte ich allerdings für eine falsche Weichenstellung.

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU)

Drittens. ABM werden nicht mehr mit 100 % der Lohnkosten gefördert, sondern mit einem niedrigeren Satz. Das bedeutet, dass viele Maßnahmen deswegen unterbleiben, weil die kommunalen Gebietskörperschaften in ganz Ostdeutschland zur Kofinanzierung nicht in der Lage sind.

Viertens. Für ABM und SAM wurde die Maßnahmedauer auf in der Regel sechs Monate verkürzt, was verwaltungstechnisch zu großen Problemen führt und in vielen Fällen ineffizient ist.

Fünftens. Die Wartezeit von drei Jahren in der öffentlich geförderten Beschäftigung wird zukünftig zu Engpässen bei der Zuweisung von Teilnehmern führen. Auch das ist natürlich ein Versuch, die Zahl derjenigen, die solche Maßnahmen in Anspruch nehmen können, deutlich zu reduzieren.

Im Ergebnis dieser Politik der Bundesanstalt für Arbeit werden die Mittel im Eingliederungstitel, die SachsenAnhalt zustehen, überhaupt nicht mehr abfließen. Dahinter steht die Überlegung, die ich natürlich nachvollziehen kann, die aber für unsere Arbeitsmarktpolitik nicht sehr hilfreich ist, dass man auf diese Weise zu Einsparungen in der aktiven Arbeitsmarktpolitik kommt, um die zu erwartenden zusätzlichen Belastungen beim Arbeitslosengeld zu kompensieren.

Das ist eine fatale Entwicklung und hat natürlich etwas damit zu tun, dass nach heutigem Stand im Ergebnis dieser wirklich fatalen Politik der Bundesregierung die Zuschüsse an die Bundesanstalt für Arbeit, die gar nicht vorgesehen waren, im Jahr 2003 mindestens 10 Milliarden € betragen werden. Diese Mittel sind weder im Bundeshaushalt noch sonst irgendwo veranschlagt.

Natürlich kann ich nachvollziehen, dass jetzt versucht wird, gerade bei Qualifizierungsmaßnahmen auf Teufel komm raus zu sparen, aber dieser Weg ist nicht hilfreich. Deswegen habe ich gemeinsam mit den Arbeitgebern und Gewerkschaften den Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit gebeten, an diesem Punkt Kurskorrekturen vorzunehmen.

Die ostdeutschen Arbeitsminister haben sich ebenfalls an ihn gewandt und unter anderem von ihm gefordert, dass die drastische Reduzierung im ABM-Bereich unterbleiben sollte. Wir haben aufgezeigt, dass die in Bezug auf Qualifizierungsmaßnahmen geforderte Verbleibsquote von 70 % auf 50 % zurückgenommen werden soll - das wäre eine realistische und vernünftige Zahl - und dass die Konzentration der Mittel für ABM auf Personen, die kaum Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt haben, also auf Langzeitarbeitslose und Arbeitslosenhilfeempfänger, erfolgen sollte.

Der Bundesarbeitsminister hat darauf bisher nicht reagiert, aber alles, was wir aus Berlin hören, spricht dafür, dass er offenbar nicht bereit oder nicht in der Lage ist, auf diese Forderungen einzugehen.

(Herr Dr. Püchel, SPD: Abwarten!)

Ich kann nur hoffen - ich habe das mit großem Interesse den Medien entnommen -, dass auch die SPD aus Sachsen-Anhalt auf dem Sonderparteitag am 1. Juni den Antrag stellen wird, dass man diese Dinge korrigiert. Meine Damen und Herren von der SPD, Sie haben in diesem Punkt die volle Unterstützung des Wirtschafts- und Arbeitsministers.

(Herr Dr. Püchel, SPD: Ich bewundere Ihren Sinneswandel! - Beifall bei der SPD)

- Erschrecken Sie doch nicht, wenn ich das hier feststelle. Das ist doch eine ganz freundliche und nette Aussage von mir. Da wir uns auch öfter einmal streiten und Sie dabei in Ihren Bildern und Umschreibungen der Person des Wirtschaftsministers ein bisschen in die Tasten oder sonst wohin greifen, meine ich, dass man das bei einer solchen Gelegenheit durchaus - -

(Zuruf)

- Ja, gut, es gibt auch Angriffe unterhalb des Nabels.

(Heiterkeit bei der FDP und bei der CDU)

Wie auch immer, meine Damen und Herren, ich bin der Meinung, dass man hier immerhin festhalten sollte - im Protokoll steht es jetzt sogar mehrfach -, dass Sie meine Unterstützung haben. Ich hoffe wirklich, dass es gelingt, die Dinge wieder in einem vernünftigen Maße auszutarie

ren, wobei ich ganz klar sage: Ich verkenne nicht die sehr kritische Situation bezüglich der Bundesfinanzen. Ich sehe ein, dass man dort auch sparen muss. Aber in der Weise, wie gespart wird, glaube ich doch, dass man über das Ziel hinausschießt und Effekte schafft, die in dieser Weise von niemandem gewollt sein können.

Ich kann nur noch einmal darauf verweisen: Der Aufwuchs der Zahl der Arbeitslosen in Sachsen-Anhalt ist im Wesentlichen eine Folge dieser Arbeitsmarktpolitik der Bundesregierung.

Mit meiner folgenden Äußerung wende ich mich auch an Frau Dirlich: Dort, wo wir über die Interventionen beim zuständigen Minister in Berlin hinaus Möglichkeiten dazu haben, sind wir gern zu Gesprächen bereit. Im Bereich der Stammkräfterichtlinie haben wir Korrekturen vorgenommen, die nicht zuletzt vom Rechnungshof gefordert worden sind, der die rückwirkende Zugrundelegung der Beschäftigungsverhältnisse in ABM und SAM für haushalts- und zuwendungsrechtlich problematisch erklärt hat. Dem ist inzwischen Rechnung getragen worden.

Wenn es handfeste Vorschläge gibt, die im Sinne einer Nutzung der verbliebenen Möglichkeiten auf dem zweiten Arbeitsmarkt umsetzbar sind, wird die Landesregierung diese auch aufgreifen, weil wir der Überzeugung sind, dass wir in dieser kritischen Zeit, da wir bundesweit die höchste Arbeitslosigkeit in der Geschichte der Bundesrepublik feststellen müssen, eben auch auf dieses Instrumentarium nicht verzichten können. - Danke schön.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Hier Minister, möchten Sie noch eine Frage von Herrn Bullerjahn beantworten?

Gern.

Herr Rehberger, ohne es jetzt auszuweiten: Würden Sie mir Recht geben, dass dies eine 180-Grad-Wendung im Vergleich zu dem ist, was die Liberalen vor der Wahl landauf, landab bei Verbandsversammlungen des Handwerks und bei Veranstaltungen der IHK unter tosendem Applaus in der Öffentlichkeit immer wieder kundgetan haben?

Letztendlich haben Sie das auch ganz klar und konträr gegenüber der CDU geäußert; das will ich hier einmal ganz klar sagen. Das steht auch eindeutig im Widerspruch zu dem, was Herr Westerwelle immer wieder und bis zum heutigen Tag im Fernsehen aus der Sicht der FDP sagt.

Es kann ja gute Gründe geben, zum Beispiel, dass Sie nun doch gemerkt haben, dass wir die höchste Arbeitslosigkeit haben; aber es wäre schon redlich und ehrlich, wenn Sie einmal zugäben, Ihre grundsätzliche Position ziemlich abgeräumt zu haben.

Herr Bullerjahn, dazu merke ich zwei Punkte an.

Erstens. Ich teile die Position der Bundesregierung, dass im Bereich der Bundesanstalt für Arbeit kürzer getreten

werden muss. Ich teile nicht die Position der Bundesregierung, jetzt insbesondere im Bereich der Qualifizierung in der Form, wie ich es eben geschildert habe, ganz drastische Einschnitte durchzuführen.

Zweitens. Solche Maßnahmen braucht man dann, wenn sich der Arbeitsmarkt so fatal entwickelt, wie das im Moment bundesweit geschieht. Dazu kann ich nur sagen: Natürlich ist es für uns eine nicht verzichtbare Brücke, aber das Entscheidende ist, dass wir auf der Bundesebene endlich das machen, Herr Bullerjahn, was die SPD seit Jahren machen müsste und bis zum heutigen Tage nicht gemacht hat. Nur dann kommen wir aus der Misere heraus.

(Beifall bei der FDP - Zustimmung bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Minister Rehberger. - Nun hat Frau Marion Fischer für die CDU-Fraktion das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Massenarbeitslosigkeit, stagnierende Wirtschaft, Firmenpleiten, Kleinmut und Bedenkenträgerei bei der Durchsetzung von Reformen und die Unklarheit über den Kurs der Bundesregierung kennzeichnen die derzeitige wirtschaftspolitische Situation in ganz Deutschland.

Ich danke Ihnen, Herr Dr. Rehberger, dass Sie diesen Zusammenhang zwischen Bundes- und Landespolitik speziell im Bereich Arbeitsmark klar hervorgehoben haben; denn bei Ihnen, liebe Frau Dirlich, ist dies ein bisschen zu kurz gekommen.

Die „Agenda 2010“ hat derzeit den Status eines Leitantrages der SPD für ihren Sonderparteitag. Mehr ist es im Moment nicht. Worauf wir dringend warten, ist, dass die darin enthaltenen Vorschläge, die in vielen Bereichen durch die CDU mitgetragen werden können, die aber bei weitem nicht ausreichen, um dieses Land wirtschaftlich voranzubringen, nun endlich in Gesetzentwürfe gepackt und auf den parlamentarischen Weg gebracht werden.

Solange aber dem Kanzler und den ihn beratenden und treibenden Kräften nicht klar ist, dass Wirtschaftswachstum und Arbeits- und Beschäftigungspolitik als Gesamtansatz diskutiert werden müssen, spreche ich ihm ab, die Bundesrepublik Deutschland kreativ aus der wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischen Schieflage führen zu können.

(Zustimmung von Herrn Schomburg, CDU)

Aus bereits geführten Diskussionen hier im Plenum wissen wir, dass der Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit auf der Grundlage nicht eingetroffener Wirtschaftsdaten aufgestellt worden ist, wohl wissend, dass die Arbeitslosenzahlen steigen und dass das Wirtschaftswachstum fast wöchentlich nach unten korrigiert worden ist.

Der Ausgleich des Defizits - im Moment schwankt es zwischen 8 und 10 Milliarden € im laufenden Jahr - darf nicht, wie bereits in Ansätzen festzustellen ist, zulasten der Kommunen bzw. der Arbeitslosen gehen. Eine gute Bewirtschaftung der Bundesanstalt für Arbeit durch einen Griff in die Kasse des Bundeshaushalts löst das Arbeitsmarktproblem in den Bundesländern noch lange nicht. - Frau Dirlich, das haben auch Sie sehr deutlich hervorgehoben.

Nachdem Gerster nun die Vorstellung, seinen Haushalt zuschussfrei zu gestalten, offiziell begraben und damit eingestanden hat, dass die Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik des Bundes gescheitert ist, wird der Finanzminister Geld nachschieben müssen. Das können wir als Landesparlament nicht verhindern, auch wenn wir es wollten.

Für die Koalitionsfraktionen ist nach wie vor Folgendes überlegenswerter: Wenn der Bund zusätzliche Mittel zur Verfügung stellen würde, dann sollten diese direkt für Investitionen den kommunalen Gebietskörperschaften zugeleitet werden. Darüber hinaus muss der ostdeutsche Arbeitsmarkt differenziert betrachtet - das ist sehr wohl wahr - und gefördert werden und die Freigabe der bisher bewilligten Gelder für die neuen Bundesländer - folglich auch für Sachsen-Anhalt - garantiert werden.

Die derzeitige Geschäftspolitik oder Sparpolitik der Bundesanstalt für Arbeit wird diesem Anspruch nicht gerecht. Vielmehr wird versucht, sich zulasten der Arbeitslosen und der Kommunen zu sanieren.

Auch die Wirtschafts- und Arbeitsminister der neuen Länder einschließlich Berlins haben nun in einem gemeinsam Brief an den Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit Clement die neue Geschäftspolitik der Bundesanstalt für Arbeit thematisiert und kritisiert. Unter nochmaligem Verweis auf die Spezifik des Arbeitsmarktes in den neuen Bundesländern mit einer Besorgnis erregenden Zunahme der Zahl der Langzeitarbeitslosen mit - bei steigender Tendenz - fehlenden offenen Stellen und einem sinkenden Wirtschaftswachstum - siehe auch die Zahlen von heute - werden Forderungen aufgemacht, wie sie auch Herr Dr. Rehberger bereits genannt hat: keine drastische Reduzierung der Zahl der ABM, eine Absenkung der Verbleibsquote von 70 auf 50 %, keine vorrangige Zuweisung von Arbeitslosengeldempfängern und -empfängerinnen mit möglichst langer Restanspruchsdauer und Konzentration auf bestimmte Zielgruppen des Arbeitsmarktes.

Konsens ist, dass die geplanten Einschnitte in die aktive Arbeitsmarktpolitik unseres Landes so nicht tragbar sind. Für die Gestaltung des Übergangsprozesses gerade in strukturschwachen Regionen muss darüber nachgedacht werden, Mittel zusätzlich, aber auch effizienter einzusetzen.

Nun bleibt abzuwarten, wie die Bundesregierung auf die Forderungen der Wirtschafts- und Arbeitsminister der neuen Länder reagiert. Inwieweit das Ministerium für Wirtschaft und Arbeit unseres Landes nun neue Akzente bzw. veränderte Rahmenbedingungen für die Arbeitsmarktpolitik unseres Landes für nötig hält, wird von der Umsetzung des Reformvorhabens der Bundesregierung unter besonderer Berücksichtigung der Existenz von zwei total unterschiedlichen Arbeitsmärkten abhängig sein.

Aus diesem Grunde, liebe Kolleginnen und Kollegen der PDS, sind beide Anträge, deren Inhalt, deren sachliche Aussagen nicht grundsätzlich abzulehnen und falsch sind, abzulehnen, weil sie zum jetzigen Zeitpunkt zu spät kommen und daher für uns überflüssig sind.

(Zuruf von Herrn Dr. Köck, PDS)

Ich bedanke mich recht herzlich.