Die PDS-Fraktion macht mit zwei Anträgen, die eng miteinander zusammenhängen und deshalb richtigerweise auch gemeinsam behandelt werden, noch einmal auf die Situation auf dem zweiten Arbeitsmarkt aufmerksam. Die Landesregierung soll dringend aufgefordert werden, sich in die ablaufenden Prozesse aktiv einzubringen und strukturentwickelnd zu wirken.
Zweifellos sind Umstrukturierungsprozesse bei der Arbeitsmarktförderung und auch bei der Weiterbildung notwendig. Sie werden nun mit den neuen Bedingungen in der Arbeitsmarktförderung verstärkt vorangetrieben. Das führt dazu, dass ganze Strukturen zusammenzubrechen drohen. Darauf ist auch schon mehrfach, auch in diesem Haus, hingewiesen worden - ohne Erfolg.
Noch ist Zeit, in diesen Prozess einzugreifen. Die Möglichkeiten der Landesregierung sind zugegebenermaßen gering. Sie sind aber größer, als einfach nur zuzuschauen und die Prozesse ablaufen zu lassen.
Eine Möglichkeit der Einwirkung ist die Gestaltung der so genannten Stammkräfterichtlinie des Landes Sachsen-Anhalt. Über diese Richtlinie werden Projektentwickler und Anleiter in den Projekten der Arbeitsfördergesellschaften vom Land mitfinanziert. Es hängt von der Anzahl der in den Projekten beschäftigten Arbeitnehmerinnen ab, wie viele solcher Anleiter und Projektentwick
ler beschäftigt werden. Das heißt, in diesem Jahr sollen die Zahlen der Teilnehmerinnen prognostiziert werden und davon soll die Zahl der Stammkräfte abhängig gemacht werden.
Das Problem: Die Gesellschaften prognostizieren auf der Grundlage der Zahlen des Jahres 2002, die aber unter den Bedingungen dieses Jahres nicht erreicht werden. Das kann und wird dazu führen, dass die tatsächliche Höhe der Förderung der Gesellschaften durch das Land nachträglich festgestellt und überzahlte Beträge zurückgefordert werden können. Damit wären im Übrigen die Gesellschaften dann wirklich pleite.
Auf dieses Problem haben Betroffene schon im Januar dieses Jahres während einer Gesprächsrunde mit Arbeitsmarktakteuren in Zeitz aufmerksam gemacht. Der damals anwesende Staatssekretär im Ministerium für Wirtschaft und Arbeit hatte kurzfristige Lösungen zugesagt. Bis heute ist nichts passiert. Die Unsicherheit ist geblieben.
Das Problem wird durch weitere Bedingungen verschärft. Die Geschäftspolitik der Bundesanstalt für Arbeit bringt es mit sich, dass der Arbeitsaufwand für die einzelne Maßnahme steigt, unter anderem einfach deshalb, weil sie öfter beantragt werden muss. Die Finanzschwäche von Kommunen und Vereinen bringt es mit sich, dass diese zunehmend weniger in der Lage sind, Dienstleistungen von Gesellschaften bei Projektentwicklung, bei Antragstellung, bei Projektbegleitung, auch bei Betreuung von Teilnehmerinnen in den Projekten in Anspruch zu nehmen. Viele dieser Gesellschaften haben aber gerade auf diesem Gebiet hervorragende Erfahrungen entwickelt und verfügen über das notwendige Management.
Uns ist klar, dass Umstrukturierungen kommen müssen, was im Klartext auch heißt, über die Zahl von Gesellschaften zu diskutieren. Uns ist auch klar, dass Träger, die sich in der Vergangenheit ausschließlich auf Regiemaßnahmen gestützt haben, so nicht bleiben können. Aber Gesellschaften, die sich in den vergangenen Jahren immer wieder erfolgreich auf neuere Herausforderungen eingestellt, sich neue Geschäftsfelder als Dienstleister für Kommunen und Vereine erschlossen und für Kommunen und ganze Regionen unverzichtbare Projekte auf den Weg gebracht haben, verdienen eine Chance und werden vor allem gebraucht. Das Land darf diesen Umstrukturierungsprozess nicht dem Selbstlauf überlassen. Ziel muss es sein, in Sachsen-Anhalt zu zukunftsorientierten, lebensfähigen Strukturen zu kommen.
Wir fordern die Landesregierung auf, umgehend die in Rede stehende Richtlinie des Landes zu ändern und den notwendigen Umstrukturierungsprozess im Land zu begleiten oder vielleicht sogar zu moderieren. Unsere Versuche vor Ort anlässlich der jüngsten Kommunaltour der PDS-Landtagsfraktion haben gezeigt, dass überall dort, wo funktionierende Strukturen Projekte gemeinsam wollen, wo Kommunen, Vereine und Gesellschaften an einem Strang ziehen, auch die Arbeitsämter sich dem nicht entziehen - auch nicht entziehen können - und die strengen Grundsätze ihrer Geschäftspolitik verlassen und dass in der Regel auch die Unternehmen der betroffenen Regionen von diesen Strukturentwicklungen profitieren. Das kann man getrost wörtlich nehmen.
Diese Prozesse, so unser Eindruck, laufen zurzeit trotz des Wirkens der Landesregierung oder ohne sie ab. Damit werden Chancen verschenkt, im Land Strukturpolitik zu machen.
Die neue Regelung bei der Bewilligung von Strukturanpassungsmaßnahmen, also die Entstehung von Prioritätenlisten vor Ort und nicht mehr eine Entscheidung nach dem Windhundprinzip, was wir richtig finden, hat sicherlich die Entscheidungsebene der Kommunen gestärkt. Allerdings hat die Regelung den Entscheidungsprozess verlängert, weil lediglich eine weitere Ebene hinzugefügt worden ist. Abgesehen davon, dass die Verwaltungsausschüsse der Arbeitsämter auch ihre Autorität angegriffen sehen, hat sich das Land die letzte Entscheidung doch vorbehalten, was dazu führt, dass zurzeit wohl vier Personen 2 500 Anträge bearbeiten. Wie lange das dauern wird, kann man sich lebhaft vorstellen.
Ein anderes Problem sind die Vergabe-ABM. Die Zeiträume der Bewilligung von Fördermitteln seitens des Landes und die Gültigkeit der Förderzusagen der Arbeitsämter kollidieren miteinander. Das heißt in vielen Fällen, dass das Arbeitsamt die Vergabe-ABM zusagt und verlangt, einen bestimmten Zeitraum bis zur Realisierung einzuhalten. Das Land braucht aber wesentlich länger, um seine Förderzusagen daneben zu stellen, was dazu führen kann, dass die Zeit für die Ausschreibung nicht ausreicht und die ganze Maßnahme daran scheitert. Auch hierbei muss das Land und kann das Land aktiver werden.
Im März hatte die PDS hier im Landtag die Vorstellung heraufbeschworen, dass eine Einsparmöglichkeit darin bestehen könnte, bei den Maßnahmen der Arbeitsämter nur noch Arbeitslose zu berücksichtigen, die einen hohen Anspruch an das Arbeitsamt haben, also erst vor kurzem arbeitslos geworden sind. Heute stellen wir fest, dass das gängige Praxis geworden ist, mit den schon erwähnten Folgen für die Langzeitarbeitslosigkeit.
Das Ziel, die vom Land bereitgestellten Mittel für die Arbeitsmarktpolitik zu 100 % umzusetzen, ist im Grunde vor allem dadurch in Gefahr, dass weitere notwendige Kofinanziers zunehmend ausfallen. Damit bin ich beim Geld und beim zweiten Antrag.
Die Zahlen, die das Defizit der Bundesanstalt für Arbeit beschreiben, entwickeln sich bedrohlich. Inzwischen sind wir schon bei 10 Milliarden €. Allerdings wird es die Situation auf dem zweiten Arbeitsmarkt nicht im Mindesten positiv beeinflussen, dass jetzt über einen Bundeszuschuss an die Bundesanstalt für Arbeit diskutiert wird, weil der Bund zwar die Mittel bereitstellen muss, aber eben nur um das Defizit auszugleichen, das durch höhere Arbeitslosenzahlen und ein verringertes Wirtschaftswachstum entsteht, weil viel mehr Menschen Anspruch auf Leistungen haben als gehofft oder geplant.
Wenn man aber das Geld schon in die Hand nehmen muss, dann wäre es doch nur vernünftig, es rechtzeitig und für aktive Maßnahmen zur Verfügung zu stellen, damit der Arbeitsmarkt entlastet wird und Menschen eine Chance erhalten.
Ich möchte nur an einem Beispiel erläutern, welche Projekte es sind, die gerade durch die Mittelknappheit bei der Bundesanstalt, bei den Arbeitsämtern kaputtgehen.
Das Bildungswerk der Wirtschaft Sachsen-Anhalt betreibt in Dessau ein Servicebüro für Jungunternehmer, also Managementberatung, Dienstleistungen bei Lohnabrechnungen usw., ganz verschiedene Dinge - hochinteressant. Das ist ein Projekt, das bisher aufgrund des § 10 - freie Förderung - gefördert worden ist. Bisher sind dort insgesamt 152 Existenzgründungen - allein in Dessau - geglückt und es sind 200 neue Arbeitsplätze ent
standen. Die Kosten pro geschaffenen Arbeitsplatz - man sollte es kaum glauben - betragen ca. 8 500 €, also nicht etwa 1 Million €. Die Einschätzung der Sparkasse Dessau zu diesem Servicebüro ist, dass sie Kredite an von diesem betreute Unternehmen mit ruhigerem und gutem Gewissen ausgibt, weil sie weiß, dass das Risiko aufgrund der Beratung wesentlich geringer ist.
Das Projekt geht jetzt den Bach runter, weil aufgrund des § 10 keine Projekte, sondern nur mehr Einzelfälle finanziert werden dürfen. Das geht nicht etwa auf eine Gesetzesänderung zurück, sondern auf einen Mangel an Geld. Hier wird die Wirtschaft geschädigt, einfach richtig die Wirtschaft geschädigt. Dabei kann man doch nicht zuschauen.
Die Informationen, die zu dem Thema Bundeszuschuss an die Bundesanstalt für Arbeit von der Landesregierung kommen, sind höchst widersprüchlich. Der Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit wird richtigerweise für unseriös erklärt. Das Ziel der Bundesanstalt für Arbeit, ohne Bundeszuschuss auszukommen, wird widersinnigerweise trotzdem begrüßt. Die drastischen Kürzungen bei ABM wegen der geplanten Zuschussfreiheit werden überraschenderweise als die völlig falsche Weichenstellung bezeichnet. - Ja, was denn nun?
Dieses Hin und Her haben wir zum Anlass genommen, die Landesregierung noch einmal aufzufordern, sich im Landtag deutlich zu positionieren, und das bitte auch belastbar.
Die Forderung der PDS bleibt: Wir brauchen den Bundeszuschuss und wir brauchen ihn nicht nur für Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe, sondern wir brauchen ihn für aktive Arbeitsmarktpolitik, wir brauchen ihn als Chance für viele arbeitslose Menschen in Sachsen-Anhalt.
Vielen Dank, Frau Dirlich. - Zunächst hat Herr Minister Dr. Rehberger um das Wort gebeten. Bitte schön, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich weiß, dass das dem einen oder anderen nicht angenehm in den Ohren klingt, aber ich möchte dennoch etwas sagen, was eigentlich bei jeder Debatte über die Arbeitsmarktpolitik zunächst einmal gesagt werden muss, nämlich dass das, was hier mit gutem Recht diskutiert wird, im Grund genommen das Thema Feuerwehr ist und dass wir eigentlich und vor allem von Berlin erwarten müssen, dass man das Feuer löscht, die eigentliche Ursache, die dazu geführt hat, dass die Arbeitsmarktpolitik inzwischen doch eine sehr bedeutende Rolle in der Bundesrepublik spielt.
Ich sage in aller Deutlichkeit: Wenn das nicht in Berlin zu schaffen sein sollte, von der Bundesregierung, der Bundestags- und Bundesratsmehrheit, dass man die überfälligen Reformen unserer sozialen Sicherungssysteme durchführt, dass man zu Steuersenkungen kommt, dass man zu Wirtschaftswachstum kommt, dann werden wir
dieses Problem, das Frau Dirlich hier sehr ausführlich abgehandelt hat, in immer größeren Dimensionen auf dem Tisch haben - allerdings zugleich mit der Frage: Wer soll das bezahlen?
Es ist unstreitig, meine Damen und Herren, dass wir in Ostdeutschland auf Maßnahmen, auf Instrumente der aktiven Arbeitsmarktpolitik angewiesen sind.
Gern. Wenn Sie jetzt schon fragen wollen, gern. Sie wissen zwar noch nicht, was ich alles sage, aber bitte.
Vielen Dank, Herr Dr. Rehberger. - Ich möchte einmal auf Ihre Eingangssequenz abheben, und zwar auf diesen Verweis auf Berlin, dem ich auch etwas abgewinnen kann.
Aber ich frage mich schon, warum es in den letzten Jahren nicht möglich war, mit ähnlichen Überlegungen bezüglich der Frage der Handlungsmöglichkeiten der Landesregierung, die SPD-geführt war, eine ähnliche Diskussion aus der Sicht einer außerparlamentarischen FDP und einer damals in Opposition befindlichen CDU mit gleichen Argumenten entgegenzuhalten.
Damals sahen Sie es ganz anders. Die Hauptverantwortung war damals im Land zu sehen aufgrund der schlechten Wirtschaftspolitik der SPD. Heute gilt das überhaupt nicht. Deshalb die Frage an Sie: Was hat sich da geändert in den letzten Monaten?
dann wäre das ein weites Feld. Das Thema der Arbeitsmarktpolitik war in Ostdeutschland von Anfang an aktuell. Es war absolut notwendig zu intervenieren, weil die bruchartige Veränderung der Wirtschaftslandschaft und die Massenarbeitslosigkeit, die dadurch bedingt worden ist, einfach entsprechende Brücken erforderlich machten. Das ist unstreitig, Herr Bullerjahn.
Aber wenn wir jetzt anfangen würden, uns darüber zu unterhalten, was im Jahr 2000 oder 1998 oder 1996 gesagt oder nicht gesagt worden ist, würde es doch ein bisschen weit weg von dem führen, was wir jetzt hier erörtern müssen.
Ich sage noch einmal: Wir müssen uns natürlich über das unterhalten, was jetzt vom Bund, von der Bundesanstalt für Arbeit, aber letztlich von der Bundesregierung vorgegeben ist. Und das ist gravierend.
Meine Damen und Herren! Der Aufwuchs bei der Arbeitslosigkeit im Lande Sachsen-Anhalt im April 2003, verglichen mit dem Stand im April 2002, war zu 95 % durch den Wegfall von Arbeitsmarktmaßnahmen der unterschiedlichsten Art verursacht. Ich meine, dass das allein schon deutlich macht, wo die Probleme liegen. Frau Dirlich hat dies hier ausgeführt.
- Herr Püchel, Sie müssen es zur Kenntnis nehmen: Die Tatsache, dass wir jetzt im April bei unseren Arbeitslosenzahlen wieder einen erheblichen Aufwuchs hatten - verglichen mit der Situation vor einem Jahr -, ist im Wesentlichen durch die Politik der Bundesregierung und der Bundesanstalt für Arbeit herbeigeführt worden.
Ich sage es mit aller Deutlichkeit: Ich lasse mir die Arbeitslosen, die durch diese Politik zu beklagen sind, nicht kurzerhand vor die Tür kehren.
Meine Damen und Herren! Da muss man dann schon Ross und Reiter nennen und darauf hinweisen, dass die massiven Kürzungen der Bundesanstalt diese Folge bei uns haben.
Ich führe fünf wesentliche Komponenten der derzeitigen Geschäftspolitik der Bundesanstalt für Arbeit auf, die für uns hier im Land von großer Bedeutung sind:
Erstens. Man will den Anteil von Arbeitslosengeldempfängern an den Maßnahmen um 50 % steigern, um Geld zu sparen.