Protocol of the Session on March 14, 2003

(Herr Kosmehl, FDP: Das ist ein gemeinsamer Antrag!)

- Sie bringt den gemeinsamen Antrag der Fraktionen von CDU und FDP ein.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Innerhalb nur weniger Jahre hat sich die architektonische Statik Europas grundlegend verändert. Wir haben in den letzten Wochen und Monaten die Startschüsse für die Osterweiterung erlebt und auch die politische Union nimmt Gestalt an. Die Währungsunion ist Wirklichkeit. Aufbauend auf der Grundrechtecharta wird der Verfassungskonvent einen Verfassungsvertrag erarbeiten.

Die Osterweiterung nimmt Gestalt an. Aber wir müssen uns auch über die Finanzierung dieser Osterweiterung unterhalten. Eines ist klar: Sie ist nicht zum Nulltarif zu bekommen. Gleichwohl muss betont werden, dass insbesondere die Bundesrepublik am stärksten an den Vorteilen der Erweiterung partizipieren wird.

Diesbezüglich möchte ich auf das eingehen, was Frau Budde eben gesagt hat. Nettozahlerland kann nicht das

Problem sein; denn die Bundesrepublik hat nur 22 % der Kosten zu tragen. Das ist der allgemeine Anteil Deutschlands an der Finanzierung des EU-Haushalts. Da Deutschland aber elf Millionen und damit 50 % der Betroffenen stellt, bekommen wir für 50 % Zuschüsse. Daher kann das nicht das Problem sein.

Uns liegen zwei Anträge vor. Ich denke, dass nicht nur alle Mitglieder des Landtags, sondern auch alle von diesem Land in europapolitische Gremien Entsandte aufgefordert sind, in der Öffentlichkeit weitaus stärker als bisher zu betonen, dass die Diskussion um die Ausgestaltung der Strukturpolitik aus mehreren Gründen zwingend notwendig ist. Das hat nicht ausschließlich mit der EU-Erweiterung zu tun.

(Unruhe)

- Da ich überaus interessante Dinge erzähle, wäre es nett, wenn der Lärmpegel etwas gesenkt werden könnte.

(Zustimmung von Herrn Schomburg, CDU)

Zum einen ist die neue Gestaltung notwendig, da der laufende Förderzeitraum im Jahr 2006 endet und die Gemeinschaft regelmäßig die Effizienz ihrer Kohäsionspolitik überprüft. Das, meine Damen und Herren, ist gut so; denn es muss geprüft werden, welche Förderprogramme weiterhin aufgelegt werden sollen, welche sich bewährt haben und welche nicht.

Es wäre allerdings aus der Sicht der CDU-Fraktion fatal, wenn man die Solidarität mit den neuen Mitgliedern der EU und die Solidarität mit den heutigen Mitgliedern der EU gegeneinander ausspielen würde. Die Erweiterung kann jedoch nicht auf Kosten der problematischsten Regionen - dazu gehören leider noch die neuen Bundesländer - durchgeführt werden.

(Zustimmung von Herrn Dr. Sobetzko, CDU, und von Herrn Schomburg, CDU)

Sehr geehrte Damen und Herren! Auch in diesem Punkt muss die Erweiterung als Chance verstanden werden, und zwar als Chance dafür, dass sich die Regionalpolitik noch stärker auf die ärmsten Regionen konzentrieren kann. Das ist auch die Aufgabe; denn im Gemeinschaftsrecht der EU bzw. in Artikel 158 des Vertrages heißt es, dass die Gemeinschaft eine Politik zur Stärkung ihres wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts verfolgt und entwickelt, um eine harmonische Entwicklung der Gemeinschaft als Ganzes zu fördern.

Das sind die Gebiete oder die Regionen, die als Ziel-1Gebiete benannt werden. In den vergangenen Jahren hat sich bereits gezeigt, dass die Zugehörigkeit zu den Ziel-1-Gebieten eine wertvolle Hilfe auch für unsere Region ist, zum Beispiel bei der Steigerung der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit und bei der Schaffung und Sicherung von Arbeitsplätzen bis hin zur Unterstützung arbeitsloser Jugendlicher und der Integration von Behinderten in den Arbeitsprozess.

Nun, meine Damen und Herren, tun wir doch mal Butter bei die Fische, wie der Volksmund sagt: In der Förderperiode von 2000 bis 2006 wird unser Bundesland insgesamt 3,5 Milliarden € bekommen. Allein in den Haushaltsplan 2003 sind 595 Millionen € eingestellt worden. Dies alles muss vor dem Hintergrund der Tatsache betrachtet werden, dass nur gut 42 % der Ausgaben unseres Landes durch eigene Steuereinnahmen gedeckt werden.

Aufgrund der statistischen Erhebung der Europäischen Union ist schon jetzt deutlich geworden, dass am Ende

der laufenden Förderperiode die Entwicklungsrückstände noch nicht überwunden sein werden. Der Abstand der neuen Bundesländer zum europäischen Durchschnitt ist seit 1997 nicht geringer, sondern größer geworden.

Aus der Sicht der CDU-Fraktion muss die Ziel-1-Förderung in reformierter Form fortgesetzt werden. Ein problematischer Aspekt dabei ist allerdings, dass aufgrund der Erweiterung in einem Europa der 25 der EU-Durchschnitt des Bruttoinlandsproduktes - das wurde eben bereits erwähnt - sinkt.

Herr Püchel, ich möchte Sie beim Wort nehmen. Herr Püchel, ich habe Ihnen gestern sehr genau zugehört. Sie haben gesagt, dass wir vor unserer eigenen Tür fegen und das in Angriff nehmen sollen, was wir ändern können. Hier ist etwas, was wir ändern können. Es ist nicht sicher, dass der Verlust der Höchstförderung für uns auf jeden Fall beschlossene Sache ist. Auch die Europäische Kommission spricht sich für eine faire und gerechte Anschlussregelung aus.

Aus diesem Grunde möchte ich den ersten Absatz des SPD-Antrags problematisieren, in dem etwas zu apodiktisch dargestellt wird, dass wir diese Höchstförderung verlieren werden. Deshalb müssen die Koalitionsfraktionen die Landesregierung in dem Bestreben unterstützen, diesen Ziel-1-Status weiterhin zu erhalten bzw. die Neutralisierung dieses Effektes zu fordern.

Aus den aktuellen Angaben der Europäischen Kommission im zweiten Zwischenbericht über den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt der EU wird schon deutlich, dass Deutschland mit insgesamt mehr als elf Millionen Einwohnern in den betroffenen Fördergebieten über die Hälfte der Kürzungen zu tragen hätte. Ich habe selbstverständlich auch unserem Ministerpräsidenten sehr genau zugehört, der das gestern bereits erwähnt hat.

Aus der Sicht der Fraktion der CDU kann daher an den Kriterien für die Bestimmung der Fördergebiete nur dann grundsätzlich festgehalten werden, wenn es für den so genannten statistischen Effekt eine gerechtere Lösung gibt. Eine Übergangsregelung irgendeiner Art, wie zum Beispiel das so genannte Phasing-out, kommt für uns nicht infrage, weil uns dazu noch immer die Anschlussmöglichkeiten fehlen.

Abschließend möchte ich Ihre Aufmerksamkeit auf eine Problematik lenken, die mehrfach übersehen wird. Es nützt uns überhaupt nichts, wenn wir Mittel der EU zur Verfügung gestellt bekommen, die Ausgabe dieser Mittel aber an zu strenge beihilferechtliche Vorschriften gebunden ist und daher scheitern würde. Hierbei sei ausdrücklich der Artikel 87 erwähnt; ich sage sehr deutlich Artikel 87, weil in dem Antrag der Fraktionen der CDU und der FDP eine überflüssige „9“ dazugekommen ist.

In Artikel 87 Abs. 3 Buchst. a des EG-Vertrages heißt es, dass die beihilferechtlichen Möglichkeiten zur Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung von Gebieten, - ich zitiere - „in denen die Lebenshaltung außergewöhnlich niedrig ist oder eine erhebliche Unterbeschäftigung herrscht“, erweitert werden. Das brauchen wir weiterhin, um die gleiche Beihilfeintensität erhalten zu können.

Weiterhin favorisieren wir zwei Gebietskategorien. Die eine umfasst die Länder, die in einem Europa der 25 wirtschaftlich tatsächlich zum Ziel-1-Gebiet gehören werden, und diejenigen, die rein aus rechnerischen Gründen, wie es Frau Budde schon sagte, dort herausfallen. Diese

sollen weiterhin eine Art Ziel-1-Status erhalten. Und natürlich gibt es die Länder oder Regionen, die in der glücklichen Lage sind, aufgrund ihrer positiven Entwicklung tatsächlich das Bruttoinlandsprodukt gesteigert zu haben, sodass diese eine entsprechende Phasing-outRegelung bekommen.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zum Schluss meiner Rede noch kurz auf den SPD-Antrag eingehen. Der Forderung nach einer Verwaltungsvereinfachung stimmen wir natürlich zu, obwohl dazu gesagt werden muss, dass bei der Beantwortung der Frage, inwieweit Vertragsmodelle dazu beitragen, gesehen werden muss, was drin steht.

Die Gemeinschaftsinitiativen und der Europäische Sozialfonds sind keine Ergänzungen, wie es im SPD-Antrag steht, zu den Strukturfonds. Der ESF ist einer der drei Strukturfonds. Die Gemeinschaftsinitiativen werden aus den drei Strukturfonds finanziert. Die Förderung als Ziel-1-Gebiet ist in den drei Strukturfonds untergebracht, zu 57 % im EFRE, zu 21 % im ESF und zu 22 % im EAGFL.

Ich denke, daran wird deutlich, dass eine umfassende Beratung im Europaausschuss dringend notwendig ist. Deswegen bitten auch wir um eine Überweisung der beiden Anträge in den Ausschuss. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Danke, Frau Wybrands, für die Einbringung. - Bevor die Redner der Fraktionen das Wort erhalten, hat die Landesregierung um das Wort gebeten. Herr Staatsminister Robra, ich erteile Ihnen das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich begrüße es zunächst, dass wir Anträge im Landtag vorliegen haben, die uns in die Lage versetzen, die außerordentlich wichtige Frage der EU-Strukturfondsförderung für den Zeitraum 2006 bis 2013 und möglicherweise darüber hinaus zu erörtern.

Ich unterstreiche ausdrücklich, damit es diesbezüglich gar nicht erst Missverständnisse gibt, dass die Landesregierung die EU-Erweiterung völlig ungeachtet der Binnenprobleme, die das für uns aufwirft, ganz uneingeschränkt begrüßt und, wie das bereits bei anderer Gelegenheit verdeutlicht wurde, der Ansicht ist, dass viele Chancen und Möglichkeiten gerade für unser Land darin liegen.

Es wäre aber ausgesprochen misslich, wenn nach der vollzogenen Erweiterung der Eindruck entstünde, als wäre dieser vernünftige und sinnvolle Prozess im Wesentlichen von den Ärmsten der Armen, den jetzigen Ziel-1-Gebieten, finanziert worden.

Beide Anträge geben hinreichend Anlass zur Erörterung all der Fragen, die uns jetzt auch überörtlich außerordentlich beschäftigen. Wir haben eine geschlossene Position aller ostdeutschen Länder formulieren können, die darauf hinausläuft, den Ziel-1-Status auch über das Jahr 2006 hinaus aufrechtzuerhalten.

Wir kämpfen auch dem Bund gegenüber, zuletzt vor wenigen Tagen in Gesprächen mit den Staatssekretären Braune aus dem Stolpe-Ministerium und Koch-Weser aus dem Bundesfinanzministerium, dafür, dass sie nicht

nur für unser Anliegen Verständnis haben, sondern dass sie auch verstehen und begreifen, welche Dramatik mit dem statistischen Effekt für die neuen Länder verbunden sein kann.

Es tut mir dann schon weh - ich sage das offen -, wenn ich immer wieder so andeutungsweise höre: Wir sollten uns doch keine Gedanken machen; wir blieben angesichts der schwierigen konjunkturellen Lage ohnehin unter dem Grenzwert von 75 % des BIP. - Einmal abgesehen davon, dass ein solcher Defätismus, fast schon Zynismus uns in der gegenwärtigen Situation, in der wir aufholen und unverändert die wirtschaftlichen Chancen im Land nutzen wollen, wenig weiterhilft, kann sich dabei jeder schnell verrechnen.

Wir haben in Sachsen, aber auch bei uns - jeder weiß das; das ist gestern auch erörtert worden - ein Stück weit Flutsonderkonjunktur. Wir sind bei einer Erweiterung dermaßen im Grenzbereich des bisherigen 75%Kriteriums, dass wir ganz unversehens doch darüber liegen könnten. Wenn wir erst dann, wenn das feststellbar ist, mit der Diskussion auf der europäischen Ebene oder auf der Bundesebene anfingen, dann hätten wir unsere Aufgaben nicht ordentlich gelöst und würden uns im Nachhinein mit Recht Versäumnisse vorwerfen lassen müssen.

Deswegen gehen wir gegenwärtig in all unseren Dispositionen davon aus, dass sich der statistische Effekt auswirken wird und dass wir nach den Status-quo-Bedingungen aus der Ziel-1-Förderung herausfielen. Deswegen ist es mit Recht und, wie ich mit Freude feststellen kann, mit einer wohl doch im Kern großen Übereinstimmung mit dem Landtag unser Bemühen, den statistischen Effekt zu neutralisieren mit dem Ziel, auch in Zukunft wie ein Ziel-1-Gebiet behandelt zu werden.

Wir haben gerade jetzt - vorgestern war eine Europaministerkonferenz in Berlin - feststellen dürfen, dass inzwischen auch die Ziel-2-Gebiete aufwachen. Das wird für uns eine nicht unwesentliche Herausforderung sein, im Verteilungskampf auch zwischen Ziel-2-Gebiet alt, Ziel-1-Gebiet alt und den Regionen, die vom statistischen Effekt betroffen sind, einen angemessenen Interessenausgleich zu finden. Wir arbeiten weiterhin daran und hoffen, die bei der Kommission durchaus vorhandene Bereitschaft - auch das will ich unterstreichen -, auf unsere Belange konstruktiv einzugehen, so nutzen zu können, dass es am Ende keinen Konflikt mit den bisherigen Ziel-2-Gebieten mehr geben wird.

Was ganz wichtig ist in der weiteren Auseinandersetzung - aber das werden wir im Ausschuss noch vertiefen können -, ist, bei jeder Formulierung, die wir verwenden, sehr darauf zu achten, dass es nicht als ein Einstieg in ein Phasing-out, in ein Auslaufen schon in der nächsten Strukturfondsperiode missverstanden werden kann. Einmal abgesehen davon, dass das nach den Spielregeln der EU zu einer deutlichen Absenkung des zur Verfügung stehenden Volumens führte, hätte das die dann schon vorprogrammierte Folge, dass wir nach dem Jahr 2013 in keiner Weise mehr von den EU-Mitteln profitierten. Es wäre auch deshalb mehr als leichtfertig, schon heute die Chance zu verspielen, die wir bei der Beibehaltung des Ziel-1-Status über das Jahr 2006 hinaus noch für uns gewahrt wissen könnten.

In diesem Sinne freue ich mich auf die Beratungen im Ausschuss und danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU)

Danke, Herr Staatsminister. - Für die PDS-Fraktion erteile ich der Abgeordneten Frau Dr. Klein das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir unterstützen das grundsätzliche Anliegen beider Anträge. Über die Gestaltung der Strukturpolitik nach den Jahren 2004 und 2006 muss sehr schnell und gemeinsam mit den betroffenen Ländern und Regionen nachgedacht werden.

Eine Reform der EU-Strukturpolitik ist seit langem überfällig. Die letzte große Reform im Zuge der Agenda 2000 hat an der Hauptzielrichtung nichts geändert, Regionen mit einem Entwicklungsrückstand bei ihrer Entwicklung und strukturellen Anpassung zu fördern.

Doch mit der bevorstehenden Erweiterung werden die Grenzen sichtbar. In diesem Fall geht es konkret um die Definition des Entwicklungsrückstands. Als Regionen mit einem Entwicklungsrückstand werden Gebiete angesehen, in denen das regionale Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt weniger als 75 % des durchschnittlichen europäischen Bruttoinlandsprodukts beträgt. Der Aufschrei ist dementsprechend groß.

Michel Barnier, der für die europäische Strukturpolitik zuständige EU-Kommissar, hat in der vergangenen Woche in Berlin an der Sitzung des Bundeskabinetts teilgenommen. Die Ergebnisse halten sich allerdings nach den Veröffentlichungen in Grenzen. Es wird leider deutlich, dass nach wie vor weder die EU noch die Regierungen der Mitgliedstaaten auf die neuen Herausforderungen, die durch die EU-Osterweiterung auf uns zukommen, vorbereitet sind.

Auf uns scheinen auf jeden Fall schlechte Zeiten zuzukommen. Erstmals steht eine Erweiterung der EU bevor, die ohne jegliche zusätzliche Bereitstellung von Haushaltsmitteln vor sich gehen soll.