Protocol of the Session on February 7, 2003

Es ist an dieser Stelle gelungen, zwischen der Koalition und Teilen der Opposition einen Kompromiss zu finden; denn allen Beteiligten ging es nicht darum, Stärke zu zeigen, sondern darum, eine Lösung in der Schere zwischen den vorhandenen Finanzen und dem guten Willen aller, etwas für unsere Kinder zu tun, zu finden.

Auch ich möchte allen Beteiligten dafür danken, dass es zu diesem Kompromiss gekommen ist. Dass es ein echter Kompromiss ist, merken Sie vielleicht daran, dass niemand damit völlig zufrieden ist. Jeder hat an irgendeiner Stelle gewisse Probleme, zuzustimmen. Genau das zeichnet gute Kompromisse im Allgemeinen aus, dass nicht der eine den anderen über den Tisch gezogen hat, sondern dass man sich im Sinne der Sache einig war, etwas erreichen zu wollen.

Nachdem wir gestern das Schulgesetz behandelt haben, heute Vormittag über die Hochschulen diskutiert haben, haben wir an dieser Stelle sozusagen die Wurzeln erreicht, die erste Phase frühkindlicher Bildung und Entwicklung, nämlich zu Hause in der Familie oder, wenn dies nicht möglich ist, in einer staatlich gestützten Betreuungsstelle.

Im Dezember vergangenen Jahres hatte die Landesregierung den Entwurf eines Gesetzes zur Förderung und Betreuung von Kindern in Tageseinrichtungen und Tagespflege in den Landtag eingebracht und darin die Vorstellungen der Landesregierung für eine zukunftsfähige Tagesbetreuung gerade vor dem Hintergrund der dramatischen Haushaltslage im Land und in den Kommunen dargestellt.

Dieser Gesetzentwurf gibt gleichzeitig - das möchte ich an dieser Stelle betonen - Impulse für die Qualifizierung der Bildungsarbeit in den Tageseinrichtungen. Hier erfolgt eine Rückbesinnung auf den fröbelschen Gedanken des Kindergartens - weg von der reinen Betreuung, weg von der bisherigen Hauptzweckbestimmung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, die auch höchstrichterlich bestätigt wurde, hin zu einer Erweiterung und Rückführung der Bestimmung des Kindergartens zu einer Bildungseinrichtung. Der Kindergarten soll die Möglichkeit bieten, den Kindern schon an dieser Stelle das eine oder andere zu vermitteln, statt lediglich eine Gelegenheit zu bieten, sie aufzubewahren.

In der Plenarsitzung am 13. Dezember 2002 habe ich die Beweggründe für die nach der Auffassung der Landesregierung notwendigen Veränderungen bezüglich des Rechtsanspruchs auf einen Krippenplatz verdeutlicht. Es war damals im Sinne der Landesregierung, hier noch einmal klarzustellen, dass die Erwartungen von Staat und Gesellschaft sowie das Recht des Kindes, von den Eltern betreut zu werden, auch von uns durchaus respektiert werden und wir nur dann, wenn dieses nicht möglich ist, die Betreuung in der Krippe als notwendig ansehen.

Dieser familienpolitische Ansatz ist in den Beratungen der Ausschüsse und in der Expertenanhörung des Landtages von der Opposition mit dem Hinweis kritisiert worden, dass mit der Einschränkung des Rechtsanspruchs der Kinder erwerbsloser Eltern gerade solche Kinder bestraft würden, die bereits zu den benachteiligten zu zählen seien.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch wenn ich der Argumentation einer benachteiligenden Betreuung durch die Eltern nach wie vor nicht so recht folgen kann, so meine ich doch, dass mit der Empfehlung des federführenden Ausschusses ein tragfähiger Kompromiss gefunden werden konnte. Es ist, wie bereits gesagt, ein Kompromiss zwischen der Position der Landesregierung, notwendige Einschnitte in der Tagesbetreuung dort vorzunehmen, wo ein mit öffentlichen Mitteln zu deckender Betreuungsbedarf wegen der besonderen Situation in der Familie nicht besteht, und dem Votum der Opposition für einen uneingeschränkten und umfänglichen Zugang aller Kinder zu den Angeboten der Tagesbetreuung, unabhängig von der familiären Bedarfssituation.

Mit der nunmehr vorgesehenen Gewährung eines Rechtsanspruchs auf eine fünfstündige Betreuung auch für die Kinder nicht erwerbstätiger Eltern behalten diese den voraussetzungslosen Zugang zur Tagesbetreuung, wobei jedoch der Umfang des Betreuungsangebotes entsprechend der gegebenen familiären Betreuungsmöglichkeit zeitlich eingeschränkt ist.

Allerdings kann eine solche Umgestaltung des Anspruchs auf einen Krippenplatz mit Blick auf die finanziellen Mehrbelastungen der Einrichtungsträger und Kommunen nur dann möglich sein, wenn sie einhergeht mit einer Leistungsbeschränkung für eine andere Gruppe, nämlich die Kindergartenkinder. Für diese sah der Regierungsentwurf voraussetzungslos eine ganztägige Betreuung vor. Nach dem nun gefundenen Kompromiss wird dagegen eine Ganztagsbetreuung künftig nur von den Kindern erwerbstätiger Eltern beansprucht werden können, während im Übrigen auch hier eine Beschränkung auf eine tägliche fünfstündige Betreuung bzw. auf eine Betreuung im Umfang von 25 Wochenstunden gegeben sein wird.

Ich verhehle nicht, dass mir dieser Einschnitt gerade mit Blick auf die Bemühungen der Landesregierung um eine Qualifizierung der Bildungsarbeit in den Tageseinrichtungen und mit Blick auf die mit zunehmendem Alter der Kinder wachsende Bedeutung des sozialen Lernens in der Gruppe Gleichaltriger besonders schmerzhaft erscheint. Ich halte den gefundenen Kompromiss jedoch deshalb für vertretbar, weil er unabhängig von der familiären Situation die garantierte Mindestbetreuungszeit für alle Kinder im Alter vom vollendeten dritten Lebensjahr an die Möglichkeit offen hält, an den besonders wichtigen Maßnahmen und Projekten der Einrichtung mit bildungsbezogenem Schwerpunkt teilzunehmen.

Ungeachtet der mit einer Beschränkung gerade des Kindergartenangebots verbundenen Bedenken bewerte ich den gefundenen Kompromiss positiv. Ich begrüße ihn, weil er die familienpolitischen Grundlinien des Regierungsentwurfs zur Übernahme der Betreuungs- und Erziehungsverantwortung durch die Eltern beibehält. Ich begrüße auch ausdrücklich, dass die Bedeutung der Tagesbetreuung für die Gestaltung der Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft die Fraktion der SPD zu einer verantwortungsvollen und konstruktiven Wahrnehmung ihrer Oppositionsrolle bewogen hat. Gerade in Zeiten, in denen Antworten auf dringende und schwierige Probleme zu finden sind, erscheint mir dies als ein bedeutendes Signal auch und besonders für die Generation junger Menschen, denen häufig nachgesagt wird, sie seien einer von Parteiinteressen geprägten Politik gegenüber skeptisch eingestellt.

Ich kann allerdings hier auch bestätigen, dass die gegenwärtige Diskussion, dass es demnächst zwei Klas

sen von Kindern im Kindergarten gibt, so neu nicht ist. Denn diese zwei Klassen gab es schon immer. Wir erinnern uns: Die einen Kinder mussten nach dem Essen ins Bett gehen, während die anderen noch spielen durften und mittags abgeholt worden sind. Ich glaube, die Benachteiligung als „Mittagskind“ wird eine sein, die jeder zu tragen vermag.

(Zustimmung bei der FDP - Zuruf von der PDS)

Als positiven Nebeneffekt der von dem federführenden Ausschuss erarbeiteten Alternative betrachte ich ferner, dass die nach dem Ergebnis der Expertenanhörung in der Sache allerdings nicht begründete Befürchtung vieler Bürgerinnen und Bürger damit weitgehend gegenstandslos wird, sie könnten mit der Neuregelung des Rechtsanspruchs auf einen Krippenplatz jetzt vom Zugang zum Arbeitsmarkt ausgeschlossen werden. Mit der fortdauernden Bereitstellung eines wenn auch zeitlich begrenzten Betreuungsplatzes werden sie die Gewissheit verbinden, bei Wiederaufnahme der Erwerbstätigkeit eine umgehende Anpassung des Betreuungsangebots an den veränderten Bedarf erwirken zu können.

Auch Probleme der Kinder, die mit einem möglicherweise wiederholten Wechsel der Betreuungsform verbunden sein könnten, werden nicht mehr von Bedeutung sein.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die vorliegende Beschlussempfehlung des federführenden Ausschusses für Gleichstellung, Familie, Kinder, Jugend und Sport bestätigt den Regierungsentwurf auch in weiteren wesentlichen Grundlinien. So hat sich der Ausschuss der Einschätzung der Landesregierung angeschlossen, für Kinder im Alter bis zur Vollendung des 3. Lebensjahres könne die Tagesbetreuung in Tagespflege eine interessengerechte Alternative zur Betreuung in einer Einrichtung darstellen, welche zudem den leistungsverpflichteten Gemeinden und Verwaltungsgemeinschaften Möglichkeiten einer gesteigerten Flexibilität bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben bietet.

(Frau Theil, PDS: Die Gemeinde hat die Aufgabe noch!)

- Auch die Verwaltungsgemeinschaften, sehr geehrte Frau Theil.

(Frau Theil, PDS: Nicht die Verwaltungsgemein- schaften!)

Soweit der Ausschuss die weitere Ausgestaltung der gesetzlichen Regelungen für die Tagespflege für erforderlich erachtet hat, bestehen hiergegen keine Bedenken.

Die vorliegende Beschlussempfehlung folgt den Vorstellungen der Landesregierung ferner in der Einschätzung, dass eine weitestgehende Kommunalisierung der Aufgabe der Tagesbetreuung für die anspruchsberechtigten Kinder und deren Eltern eine erhöhte Transparenz und Erleichterung bei der Rechtsdurchsetzung schafft und dem hohen gemeindlichen Engagement in diesem Aufgabenfeld Rechnung trägt.

Auch die im Regierungsentwurf vorgesehene wesentliche Vereinfachung des Verfahrens der Auszahlung der Landeszuwendungen ist durch den Ausschuss bestätigt worden. Dies ist zu begrüßen. Denn die engmaschige Zuweisung und Überprüfung der Verwendung des Landesanteils an der Finanzierung der Tagesbetreuung, wie sie bisher praktiziert wurde, entspricht nicht dem erklärten Ziel der Landesregierung, die kommunale Eigenver

antwortung zu stärken und die öffentliche Verwaltung von nicht zwingend notwendigem Aufwand freizustellen.

Dass mit der unverändert vorgesehenen Verwaltungsvereinfachung Kapazitäten für die Erledigung anderer Aufgaben freigestellt werden, werte ich als einen weiteren notwendigen Beitrag zur Konsolidierung öffentlicher Haushalte.

Im Wesentlichen unverändert geblieben sind zudem die Maßgaben des Gesetzes für die personelle Mindestausstattung der Tageseinrichtungen. Dieses betrifft auch die umstrittene Frage des zugelassenen Einsatzes von Hilfskräften. Die im Rahmen der Expertenanhörung und von der Opposition vorgetragenen Bedenken können gerade im Bereich der Förderung und Betreuung der ganz jungen Kinder mit einem pauschalen Hinweis auf den Bildungsauftrag der Tageseinrichtungen nicht hinreichend begründet werden. Ohne damit infrage stellen zu wollen, dass Bildungsförderung eine Notwendigkeit bereits im frühen Kindesalter ist, meine ich nach wie vor, dass dem verschiedenartigen Bedarf dieser Altersgruppe auch mit dem Einsatz unterschiedlich qualifizierten Personals Rechnung getragen werden kann, solange grundlegende Entscheidungen zur pädagogischen Gestaltung des Einrichtungsalltags in der Verantwortung des pädagogisch ausgebildeten Fachpersonals verbleiben.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Beschäftigung von Erzieherinnen im Kindergarten ist ein Nebeneffekt des Gesetzes zur Förderung von Kindern, nicht dessen Hauptaufgabe.

Änderungen hat der Entwurf dagegen erfahren in Bezug auf die ebenfalls strittigen Regelungen zur Einrichtungsleitung. Er folgt nunmehr den Vorstellungen der Landesregierung nicht mehr, dass das Fehlen einer gesetzlichen Ausgestaltung die Notwendigkeit diesbezüglicher organisatorischer Entscheidungen des Einrichtungsträgers nicht infrage stellt, sondern allein der Vielschichtigkeit der Lösungsmöglichkeiten vor Ort Rechnung trägt.

Insoweit ist diese Fragestellung nach meiner Einschätzung über den eigentlichen Regelungsgegenstand hinaus durchaus von grundlegender Bedeutung. Unverändert bin ich der Auffassung, dass die Zielsetzung des Gesetzgebers nur sein kann, richtungsweisende Grundentscheidungen zu treffen und unabdingbar Notwendiges zu regeln, im Übrigen aber ausreichenden Gestaltungsspielraum für die ausführenden Stellen zu lassen.

An dieser Stelle muss ich nach wie vor auch ein gewisses Unverständnis gegenüber den Kinderparlamenten im Krippenbereich äußern. Ungeachtet dieser vorrangig grundsätzlichen Erwägung kann auch diese Änderung mit Blick auf das positiv einzuschätzende Gesamtergebnis des Kompromisses mitgetragen werden.

Im Ergebnis meine ich daher, dass das Gesetz in der vorliegenden Fassung den aktuellen inhaltlichen und finanzpolitischen Handlungserfordernissen in einer angemessenen und zukunftsfähigen Weise Rechnung trägt, welche die Tagesbetreuung in Sachsen-Anhalt auf einem weiterhin im bundesdeutschen Vergleich herausragenden Niveau gewährleistet.

Lassen Sie mich gerade mit Blick auf das von der „Initiative für ein kinder- und jugendfreundliches SachsenAnhalt“ angestrebte Volksbegehren an dieser Stelle abschließend wiederholen, was ich bereits in der Sitzung 13. Dezember 2002 ausgeführt habe: Verantwortungs

bewusste Entscheidungen im Interesse der Kinder hier in Sachsen-Anhalt zu treffen bedeutet auch, die finanzielle Leistungsfähigkeit öffentlicher Haushalte realistisch einzuschätzen und bei der Gestaltung von öffentlichen Leistungen angemessen zu berücksichtigen, um so gesellschaftliche Handlungsfähigkeit auch für künftige Generationen zu erhalten. - Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Minister Kley. - Wir treten jetzt in die Debatte der Fraktionen ein. Für die SPD-Fraktion erteile ich Herrn Bischoff das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die vorliegende Beschlussempfehlung ist ein Kompromiss. Ein Kompromiss, der uns nicht leicht gefallen ist, wofür wir sehr viel Kritik ernten, auch vonseiten der Gewerkschaft;

(Herr Dr. Eckert, PDS: Zu Recht!)

denn das neue Kinderbetreuungsgesetz bringt gegenüber dem jetzt geltenden Gesetz erhebliche Einschnitte und Verschlechterungen. Insofern stellt der gefundene Kompromiss keine Maximallösung dar; er spart auch Erzieherinnenstellen ein. Dies muss fairerweise am Anfang gesagt werden.

Die Kritik an diesem Kompromiss ist insofern berechtigt, als er insgesamt den jetzigen Status verändert und den Rechtsanspruch ebenfalls einschränkt. Die Kritik ist aber dort zurückzuweisen, wo behauptet wird, der Kompromiss verschlechtere die Situation der Kinderbetreuung gegenüber dem Regierungsentwurf.

In der Abwägung, die Krippenbetreuung in Einrichtungen langsam sterben zu lassen bzw. auf Dauer zu opfern oder den Kindergarten in seiner Vollversorgung zu sichern, haben wir Sozialdemokraten uns für eine Regelung entschieden, die allen Kindern einen grundsätzlichen Rechtsanspruch auf mindestens fünf Stunden Betreuung täglich garantiert.

(Beifall bei der SPD)

In dem Fall, dass beide Eltern berufstätig oder in Ausbildung bzw. Qualifizierung sind, stehen die Einrichtungen den Kindern wieder mindestens zehn Stunden täglich offen.

Das heißt:

Erstens. Alle Kinder können soziale Kompetenz und emotionale Erfahrung erwerben, da sie mindestens fünf Stunden täglich oder mehr mit Gleichaltrigen in Einrichtungen verbringen können.

Zweitens. Familie und Beruf sind vereinbar, weil Kinder berufstätiger Eltern zehn Stunden betreut und gefördert werden können.

Drittens. Es stimmt, wir muten denjenigen Eltern mehr Erziehungs- und Betreuungsaufwand zu, bei denen ein Partner aus welchen Gründen auch immer nicht berufstätig ist.

Viertens. Damit haben alle Kinder von Geburt an die gleichen Chancen auf Bildung und Förderung.

Im Unterschied zum Regierungsentwurf ist jetzt geregelt, dass Tagesmütter an erster Stelle ausgebildete Erzieherinnen sein sollen, dass die Integration behinderter

Kinder Vorrang hat, dass die Kinderrechte wieder verankert sind und notwendige Leitungsstunden bereitgestellt werden sollen.

Ausgehend von den Erfahrungen, dass die wesentlichen Bildungsangebote in den Vormittagsstunden stattfinden - natürlich ist der ganze Tag Bildung; das fängt zu Hause beim Frühstück an und endet beim Abendessen und InsBett-Gehen -, halten wir eine fünfstündige Betreuungszeit für alle Kinder für notwendig. Inwieweit Eltern zusätzlich noch Angebote am Nachmittag, also nach fünf Stunden, wahrnehmen, das wird in der Praxis und vor Ort viel besser geregelt werden können. Hierbei können übrigens auch Elterninitiativen eine wichtige Ergänzung sein.