Protocol of the Session on February 6, 2003

Antrag der Fraktion der PDS - Drs. 4/488

Alternativantrag der Fraktionen der FDP und der CDU - Drs. 4/541

Änderungsantrag der Fraktionen der CDU, der FDP und der SPD zum Alternativantrag - Drs. 4/565

Ich teile mit, dass der Änderungsantrag der SPD-Fraktion in der Drs. 4/543 zurückgezogen worden ist und anstelle dessen in der Drs. 4/565 ein Änderungsantrag zum Alternativantrag der Fraktionen der CDU und der FDP vorliegt, der soeben ausgeteilt worden ist.

Die Einbringerin für die PDS-Fraktion ist die Abgeordnete Frau Dr. Klein.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eigentlich wäre es Zeit für das „Wer wird Millionär“-Spiel, aber angesichts der Tatsache, dass der parlamentarische Abend lockt, mache ich es kurz.

GATS ist keine neue Automarke und auch keine neue Fernsehserie. GATS steht für “General Agreement on Trade in Services”. Ins Deutsche übersetzt heißt das: Allgemeines Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen. Dieses Abkommen ist seit 1995 in Kraft, doch kaum einer kennt es und doch wird es unser aller Leben in absehbarer Zeit grundlegend ändern können; denn es sieht die fortschreitende Liberalisierung aller Dienstleistungen vor. - Ich sehe die leuchtenden Augen der Kollegen der FDP beim Stichwort „Liberalisierung“.

(Frau Dr. Hüskens, FDP, nickt mit dem Kopf - Zustimmung von Herrn Hauser, FDP)

Der Bereich der Dienstleistungen hat in den vergangenen Jahren an Bedeutung gewonnen. Allein 1999 wurden im Dienstleistungssektor weltweit 1,34 Billionen USDollar erwirtschaftet. Die Tendenz ist steigend.

In den großen Industriestaaten werden mit Dienstleistungen 60 bis 70 % des Bruttoinlandsproduktes erwirtschaftet; bis zu 64 % der Beschäftigten arbeiten in diesem Sektor.

Allerdings ist der Handel mit Dienstleistungen zum Leidwesen einiger noch immer auf den nationalen Bereich konzentriert. Der Handel mit Dienstleistungen macht lediglich einen Anteil von 20 % am Welthandel aus. Angesichts der rückläufigen Entwicklungen in anderen Bereichen liegt hier der Markt förmlich brach.

Jährlich werden schätzungsweise weltweit 1 Billion USDollar für die Wasserversorgung, 2 Billionen US-Dollar für die Bildung und 3,5 Billionen US-Dollar für die Gesundheitsversorgung ausgegeben. Dieser enorm hohe Betrag wird meist national oder regional verteilt. Ein großer Teil der Dienstleistungen war und ist öffentlich organisiert, wird subventioniert und ist nicht auf Profitmaximierung ausgerichtet.

Mit GATS hat sich nun die WTO vorgenommen, dies gründlich zu ändern. Ziel des Abkommens ist nicht eine

einfache Privatisierung. Dabei sind wir ja bereits. Vielmehr ist GATS - ich zitiere das amerikanische Handelsministerium - darauf ausgelegt, Regierungsmaßnahmen zu reduzieren oder zu beseitigen, die das Erbringen von Dienstleistungen über Landesgrenzen hinweg verhindern. Um also einen weltweiten Handel mit zum Teil sehr bürgernahen Dienstleistungen zu ermöglichen, sollen handelshemmende Regulierungen abgebaut werden. Das heißt, derjenige, der die Dienstleistungen am preiswertesten anbieten kann, soll unabhängig von nachhaltiger Entwicklung sowie von Umwelt- und Sozialstandards den Zuschlag erhalten.

Entsprechende nationale Regelungen - davon gibt es sowohl in der Bundesrepublik als auch in der EU eine Menge - müssten auf lange Sicht abgebaut werden, um ausländischen Anbietern, die ohne Rücksicht auf solche Standards ihre Leistungen erbringen, die gleichen Subventionen wie inländischen anbieten zu können.

GATS umfasst alle Dienstleistungen. Ausgeschlossen sind nur solche, die in Ausübung hoheitlicher Rechte erbracht werden, sowie Luftverkehrsrechte. Als Beispiele für hoheitliche Aufgaben sind die Aufgaben im Bereich des Militärs oder der Zentralbanken anzuführen.

GATS gilt nicht nur für den klassischen grenzüberschreitenden Handel, sondern ist auch auf ausländische Direktinvestitionen gerichtet. Gegenwärtig fließen mehr als 50 % der Direktinvestitionen in den Servicebereich.

Zurzeit läuft die zweite Runde der GATS-Verhandlungen. Bis 31. März 2003 müssen die EU-Staaten ihre Angebote für weitere zu liberalisierende Dienstleistungen unterbreiten. Die WTO-Staaten haben also bei diesem Abkommen die Möglichkeit, selbst zu entscheiden, welche Sektoren des Dienstleistungsbereichs geöffnet werden.

Genau an dieser Stelle wird es spannend; denn weder die Parlamente noch die Bürgerinnen und Bürger wissen, um welche Angebote und um welche Forderungen es gehen könnte. Geschweige denn, dass es eine öffentliche Diskussion dazu gibt.

Für uns kommt erschwerend hinzu, dass die EU für alle Mitgliedstaaten verhandelt. Es gibt also eine Geheimhaltungsebene mehr. Das Signal, das gestern aus Brüssel kam, war auch nicht allzu aussagekräftig. Es gibt die vage Aussage von Kommissar Lamy - ich zitiere -:

„Die EU wäre bereit, wenngleich nur zum Teil, ihren Markt für ausländische Dienstleister verstärkt zu öffnen. Dies würde für die Bereiche gelten, in denen die Union besonders wettbewerbsfähig ist oder eine hohe Nachfrage verzeichnet, zum Beispiel Banken, Finanzen, EDV, Consulting, Verkehr. Im Bereich audiovisuelle Dienstleistungen und Bildung würde die Kommission nicht weiter gehen wollen, weil es für die“

- dies betone ich -

„frankophonen Länder von Bedeutung ist.“

Es gibt eine Vielzahl von Gründen, die ein Moratorium der GATS-Verhandlungen zwingend notwendig machen.

Erstens. Die Definition hoheitlicher Bereiche, in denen Dienstleistungen angeboten werden, ist nicht klar. In der Bundesrepublik gehört die Bildung zum hoheitlichen Bereich, ist sogar Ländersache. Es existieren aber staatliche und private Träger. Damit könnte de facto GATS greifen. In einigen Ländern sind die Gefängnisse und die

Sicherheitsdienste privatisiert. Zählt hier noch die öffentliche Aufgabe oder nur noch der Profit?

Zweitens. Die Daseinsvorsorge ist für die Kommunen eine der wichtigsten Aufgaben. Wenn die Verpflichtungen aus GATS umgesetzt werden, ist zu fragen: Wie viel Gestaltungsspielraum hat die öffentliche Hand noch? Wie viel Zuschüsse sind erlaubt? Hat jeder der privaten aus- und inländischen Investoren das Recht auf Subventionen? Genau das ist der Punkt; denn hier geht es um die Subventionen. Dabei werden die öffentlichen Mittel schon immer knapper.

Drittens. Es gibt bisher noch keine Einschätzung der bisherigen Liberalisierungen. Haben diese sich bewährt? Welche Folgen haben sie für den Markt? Haben sie zu einer Verbesserung oder Verschlechterung der jeweiligen Standards geführt? Welche Auswirkungen haben sie auf die Beschäftigung? Sind Arbeitsplätze entstanden oder abgebaut worden? Sind die Preise gesunken?

Ich will gar nicht die negativen Beispiele aus Bolivien - das liegt sehr weit weg - oder Großbritannien heranziehen. Wenn ich aber meine Erfahrungen mit Bahn und Telekom nach der Privatisierung zum Maßstab nehmen würde, dann kann ich nicht einmal wohlwollend von einer Verbesserung sprechen. Es fehlen grundsätzlich verlässliche Analysen dazu, was uns Liberalisierungen in diesem bürgernahen Dienstleistungsbereich bringen.

Viertens. In der bundesdeutschen Öffentlichkeit - so in der Debatte im Deutschen Bundestag am 16. Januar dieses Jahres, wenn ich diese als solche bezeichnen darf - wurden bisher eigentlich nur Bildungsdienstleistungen und kulturelle sowie audiovisuelle Dienstleistungen thematisiert. Zur Bildung gibt es vonseiten der Bundesregierung und nun auch vonseiten der EU die relativ klare Aussage, gegenwärtig keine Angebote zu machen. Aber es gibt die Forderungen an die EU, Museen, Bibliotheken und Archive für die Liberalisierung zu öffnen.

Fünftens. Einige Forderungen - auch an die EU - beziehen sich auf die Wasserversorgung. Hierbei sind für mich Überlegungen zur Privatisierung der Ferntrinkwasserversorgung und der De-facto-Beschluss im Haushalt dieses Jahres, die Talsperren zu verkaufen, ein grundlegender Paradigmenwechsel in der öffentlichen Daseinsvorsorge. Über den Verkauf des Landesweinguts mag man noch diskutieren, aber der Verkauf des Wassers an einen transnationalen Konzern - viele gibt es davon nicht, die sich für Wasser interessieren - macht Bürgerinnen und Bürger erpressbar. Über den Hochwasserschutz will ich in diesem Zusammenhang gar nicht reden.

Sechstens. Eines der Hauptprobleme ist der fast unmögliche Ausstieg aus einmal getroffenen Liberalisierungsverpflichtungen. Damit macht sich Demokratie eigentlich selbst überflüssig; denn kaum eine Regierung hat dann noch Spielräume. In den Liberalisierungsverpflichtungen ist man auf immer gefangen.

(Unruhe)

Frau Dr. Klein, würden Sie bitte für einen Augenblick unterbrechen? - Meine Herren, ich bitte Sie sehr darum, Ihre Freude etwas weniger lautstark zum Ausdruck bringen.

Ich freue mich, dass Sie so erheitert sind. Der Abend beginnt gleich mit der heiteren Seite.

(Herr Gürth, CDU: Sie könnten es kurz machen, Frau Kollegin!)

- Aber es sind ganz ernsthafte Probleme. Dabei bin ich gerade.

(Zurufe von der FDP: Kurz machen!)

Da diese Verhandlungen und Diskussionen zu der gegenwärtigen GATS-Runde hinter verschlossenen Türen stattfinden - -

(Herr Gürth, CDU: Wir sind doch ein Landespar- lament! Der Bund über die EU und die EU sitzen am Verhandlungstisch!)

- Deswegen müssen aber die Bürgerinnen und Bürger trotzdem wissen, was da verhandelt wird.

(Herr Gürth, CDU: Ja, sollen sie doch!)

Mit GATS wird nämlich eine neue globale soziale Ordnung vorgezeichnet.

(Herr Gürth, CDU: Aber ja!)

Es ist wirklich, Herr Gürth, nur recht und billig, wenn die nationalen und die regionalen Parlamente sowie die Bürgerinnen und Bürger wissen, worüber dort verhandelt wird.

(Zustimmung bei der PDS - Herr Gürth, CDU: Ja, natürlich!)

- Das kann ich doch fordern.

(Herr Gürth, CDU: Ja, klar!)

- Prima, dann sind wir uns ja einig. Dann können Sie meinem Antrag zustimmen.

Es geht langfristig um grundsätzliche Probleme. Es geht darum, dass wir frühzeitig erfahren, was man zu liberalisieren gedenkt. Auch über die Folgen muss sehr deutlich gesprochen werden. Denn bei dem, was jetzt abläuft, werden die Rechte der nationalen und der regionalen Parlamente erheblich eingeschränkt. Über Handlungsspielräume wird geschwiegen. Damit entmachtet sich im Prinzip die Politik selbst. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der PDS)