Protocol of the Session on November 15, 2002

Was waren also die wesentlichen Inhalte Ihrer neuen Sekundarschule? - Die zehnjährige Schulpflicht für alle, auch für die Schüler, die vom Leistungsniveau und von den Leistungsanforderungen her keinen Erfolg versprechenden Realschulabschluss erlangen konnten. Die viel gepriesene soziale Komponente, die Sie stärken wollten,

fiel dem ständigen Wechsel in A- und B-Kurse zum Opfer. Von einem kontinuierlichen Klassenverband konnte und kann, solange wir das nicht verändert haben, keine Rede sein. Die Logistik bzw. die Organisation von fachgerechter Unterrichtsversorgung vor allem in den Kursen, das Erstellen des Stundenplanes oder der Einsatz des Klassenlehrers - ich könnte noch einige Punkte mehr aufzählen - waren nur noch mit einem erheblichen Aufwand, wenn überhaupt, realisierbar.

Diesen Gegebenheiten werden wir nun ein Ende setzen. Welche Veränderungen sind von unserem Gesetzentwurf zu erwarten?

Erstens. Wir werden die zehnjährige Schulpflicht auf eine neunjährige Schulpflicht verringern, wobei die Regelschulzeit natürlich weiterhin zehn Schuljahre betragen wird.

Zweitens. Die Schülerinnen und Schüler werden wieder in konstanten Lerngruppen unterrichtet, wobei der überwiegende Teil des Fachunterrichts im Klassenverband stattfindet. Gerade diese Stabilität von Lerngruppen, meine Damen und Herren, fördert die sozialen Beziehungen, die Leistungsentwicklung und die Zielorientiertheit.

Drittens. Wir werden in dem auf den Hauptschulabschluss und auf den Realschulabschluss bezogenen Unterricht nachhaltige Kompetenzen vermitteln. Dabei sollen vor allem die Kernfächer Deutsch und Mathematik und die erste Fremdsprache sowie die Herausbildung von technisch-naturwissenschaftlichen, wirtschaftlichen und handwerklichen Kompetenzen gestärkt werden. An dieser Stelle treffen wir uns mit unserem Gesetzentwurf sogar einmal. Zu der auf den Bildungsgang bezogenen Differenzierung soll ebenfalls ein neigungsorientiertes Angebot in den Sekundarschulen beitragen.

Viertens. Den Schülern mit besonderem Förderbedarf wird die Möglichkeit eröffnet, in kleineren Lerngruppen wirklich individuell gefördert zu werden. Dies geschieht in gleicher Zusammensetzung ohne, wie in der Vergangenheit praktiziert, ständige Wanderbewegungen mit A- und B-Kursen.

Fünftens. Im 6. Schuljahrgang wird die Eignung die maßgebende Voraussetzung für den Besuch der Bildungsgänge sein.

Sechstens. Mit einem erfolgreichen Besuch des 9. Schuljahrganges wird der Hauptschulabschluss und im 10. Schuljahr wird wieder der Realschulabschluss vergeben.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Neu in unserem Gesetzentwurf ist ebenfalls - es wurde von Frau Hein bereits angesprochen -, dass im 4. und 6. Schuljahr jeweils zwei Klassenarbeiten in den Fächern Mathematik und Deutsch mit zentral gestellten Aufgaben geschrieben werden. Diese werden nicht nur Vergleichsmöglichkeiten zwischen Schülern, Lehrern, Klassen und Schulen bieten, sondern besonders dazu beitragen, dass sich die Betroffenen eines gesicherten Leistungsstandes vergewissern können. Gleichzeitig können dadurch die Schullaufbahnempfehlung nach Klasse 4 und die Feststellung der Eignung für den Bildungsgang nach Klasse 6 sowie das damit verbundene Elterngespräch nachhaltig unterstützt werden.

Abschließend möchte ich noch einmal darauf hinweisen, dass durch unser Gesetz den Schülerinnen und Schülern ein möglichst wohnortnahes Schulangebot sowie

eine ihren Leistungen und ihrer Leistungsbereitschaft entsprechende Bildung einschließlich des angestrebten Schulabschlusses ermöglicht werden sollen. Dabei, sehr geehrte Frau Hein, ist es im Sinne der Chancengerechtigkeit gerade wichtig, die Prinzipien der Kontinuität und der Durchlässigkeit zu wahren. Es ist nicht der Fall, dass wir, wie Sie kritisch angemerkt haben, diese Durchlässigkeit an dieser Stelle nicht mehr haben wollten.

Verehrte Anwesende! Lassen Sie mich noch ein paar Worte zur Gesamtschule verlieren. Wie ebenfalls im letzten Plenum schon angekündigt, haben wir in diesem Gesetzentwurf die Regelungen für die Gesamtschulen getroffen, welche den Intentionen der Gesamtschulen entsprechen. Ich erinnere nur daran, dass Sie, die Oppositionsfraktionen, uns vorgeworfen hatten, die Gesamtschulen gegenüber den Gymnasien benachteiligen zu wollen. Diese Vorwürfe dürften sich erübrigt haben, da wir nun die Möglichkeit geschaffen haben, auch an den Gesamtschulen ein Abitur nach zwölf Jahren abzulegen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Vielen Dank, Frau Feußner. - Wir treten in die Debatte über die beiden Gesetzentwürfe ein. Es spricht zunächst für die Landesregierung Herr Minister Professor Olbertz.

Sehr geehrter Herr Vorsitzender! Sehr geehrte Damen und Herren!

(Herr Dr. Püchel, SPD: Welcher Vorsitzende?)

- Entschuldigung, Herr Präsident.

Es ist hier die lateinische Form üblich.

Sie wollen mir gleich einen Fehlstart organisieren, weil Sie immer von „Fehlstart“ gesprochen haben.

(Herr Dr. Püchel, SPD: Ein Wort, 13. Schuljahr!)

Sehr geehrter Herr Landtagspräsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Die einbringenden Fraktionen haben die geplanten Änderungen bereits in vielen Details dargestellt. Ich will das nicht alles wiederholen, sondern mich auf einige grundlegende Punkte beschränken.

Die Einbeziehung auch der Sekundarschulen in das laufende Gesetzgebungsverfahren würdigt zum einen die Tatsache, dass die meisten Schülerinnen und Schüler nach der Grundschule an eine Sekundarschule wechseln. Die Initiative ist aber auch eine Antwort auf die Tatsache, dass sich die so genannte neue Sekundarschule mit der schulformübergreifenden Förderstufe in entscheidenden Punkten nicht bewährt hat und schon aufgrund der selbst geschaffenen Unübersichtlichkeit zu großen Unsicherheiten auch im Nachfeld führte. Das ist die inzwischen fraktionsübergreifende Einsicht, wenn auch die Gründe für dieses Versagen sehr unterschiedlich beurteilt werden.

Für mich hängen sie mit dem unbewältigten künstlichen Differenzierungsnotstand zusammen, der mit innerer Differenzierung schon deshalb nicht zu beheben war, weil

gerade an die Stärken der Lernschwachen nicht genügend angeknüpft werden konnte und ihnen damit hinreichende Zuwendung versagt bleiben musste. In der inneren Logik der Förderstufe war das Problem nicht zu beherrschen, dass erst retrospektiv festgestellt wurde, woraufhin überhaupt gefördert werden sollte - im Grunde ein pädagogisches Paradoxon.

Erklärtermaßen sollte der Anteil der Hauptschulabschlüsse gesenkt werden. Das Gegenteil aber zeichnet sich ab. Noch nie haben so viele Schülerinnen und Schüler die Schulen mit einem Hauptschulabschluss oder sogar ohne Abschluss verlassen müssen.

(Zustimmung bei der CDU)

Gerade unter der von mir nicht bestrittenen Heterogenität der Lern- und Leistungsvoraussetzungen dieser Altersgruppe sind nivellierende Ansätze weder für die Schnellen, die man damit verlangsamt, noch für die Langsamen, die man damit noch weiter zurückwirft, der richtige Weg.

Was ist nun neu an den vorgeschlagenen Regelungen bzw. an den Änderungen? - Nach der Grundschule besuchen alle Schülerinnen und Schüler eine zweijährige Erprobungsstufe, wobei wir uns darüber einig sind, dass wir den Begriff „Erprobung“ gern noch einmal kritisch reflektieren können. Denn es geht nicht darum, dass wir die Schülerinnen und Schüler erproben, sondern darum, dass sie Gelegenheit bekommen, sich selbst zu erproben.

(Zustimmung bei der CDU)

Ich habe dazu geraten, wenn das Missverständnisse erzeugt, sollte man über die Bezeichnung - das ist ein sehr sensibles Thema - ohne weiteres noch einmal nachdenken. In Wirklichkeit geht es um nichts anderes als um intensive Förderung der Heranwachsenden auf den Bildungsgang hin.

(Herr Schomburg, CDU: Der Begriff ist diskredi- tiert!)

- Ja, der Begriff „Förderstufe“, leider.

(Frau Feußner, CDU: Ja, er ist negativ belegt!)

Es wird also eine zweijährige Erprobungsstufe an allen Schulformen geben. Damit kann auch das Gymnasium wieder ab Klasse 5 besucht werden. Dem geht zum Abschluss der 4. Klasse eine Schullaufbahnempfehlung voraus, die sich unter anderem auf eine wichtige Bildungsstandards der Grundschule beinhaltende Klassenarbeit mit zentralen Aufgaben stützen soll.

Die auf diese Weise qualifizierte und empirisch belastbare Schullaufbahnempfehlung wird im Ergebnis eines ausführlichen Beratungsgespräches mit den Eltern ausgesprochen, das in der Entscheidung über den Bildungsgang, die selbstverständlich bei den Eltern bleibt, seinen Anlass hat. Der Elternwille wird also weiterhin respektiert, aber es besteht die Chance, ihn im Rahmen dieses Verfahrens zu fundieren und zu qualifizieren.

(Zustimmung bei der CDU)

Es geht also auch um die Verstetigung der Kommunikation zwischen Schule und Elternhaus über die Leistungstrends und über die Erfolgsentwicklung der Kinder. Dieser Faden ist leider gerade abgerissen.

Die Regelschulzeit dauert ungeachtet der rein schulrechtlich gesehen jetzt neunjährigen Schulpflicht weiter

hin zehn Jahre. Auch hier ist die Polemik, wir würden die Schulzeit generell um ein Jahr verkürzen, ganz und gar unangebracht. Denjenigen Schülerinnen und Schülern aber, die nach Jahrgang 9 aus den verschiedensten Gründen in der Schule einfach nicht mehr gut aufgehoben sind, weil sie die Anforderungen nicht erfüllen können, wird so die Chance gegeben, das System Schule gleichsam erhobenen Hauptes und mit einem Abschluss, also erfolgreich zu verlassen.

(Beifall bei der CDU)

Vor allem werden sie nicht gezwungen, wie es gegenwärtig noch der Fall ist, das 10. Schuljahr allein aus formalen Gründen der Schulpflicht irgendwo, sei es in der Schule oder in einem Berufsvorbereitungsjahr - da müssen wir ganz ehrlich sein - manchmal regelrecht abzusitzen, ehe eine ordentliche Berufsausbildung beginnen kann.

(Herr Schomburg, CDU: Zu schwänzen!)

Wenn sie dann noch ohne Abschluss die Schule verlassen, dann sind sie erst recht chancenlos.

Nach der 7. Klasse erfolgt eine abschlussbezogene Differenzierung. Auch dieser neuen Phase der Schullaufbahn geht an allen Schulformen ein weiteres intensives Elternberatungsgespräch mit einer Empfehlung voraus, die über den Lernerfolg der Erprobungsstufe Bilanz zieht, Schlussfolgerungen für das weitere Lernen beinhaltet und gegebenenfalls auch eine Korrektur der zwei Jahre zuvor getroffenen Bildungsgangentscheidung oder Bildungsgangvorentscheidung ermöglicht.

Um auch hierfür eine empirische Grundlage heranziehen zu können, wird wiederum eine Klassenarbeit mit zentraler Aufgabenstellung, hergeleitet aus den wesentlichen Bildungsstandards in den Kernfächern dieser Phase, geschrieben, auf die sich die Schülerinnen und Schüler langfristig vorbereiten sollen.

Es geht also nicht darum - ich sage das ausdrücklich -, die Schülerinnen und Schüler hier zu sortieren, sondern es soll erreicht werden, dass individuell besser an ihre Stärken angeknüpft werden kann, damit sie erfolgreich sein können. Das Hauptproblem für das Nichtgelingen von Schule ist die Permanenz des Erlebens von Misserfolg in dem System.

(Herr Schomburg, CDU: Jawohl!)

Die Differenzierung nach der 7. Klasse erfolgt je nach Standort und Schülerzahl in Gestalt von Klassen, die den Abschluss nach der 9. Klasse anstreben oder in denen die Schülerinnen und Schüler entsprechend intensiv auf dieses Ziel hin gefördert werden, oder aber in konstanten Lerngruppen für die Kernfächer, falls die Anzahl der Schülerinnen und Schüler, die diesen Weg einschlagen, für eine Klassenbildung nicht ausreicht, was bei vielen Standorten anzunehmen ist.

Dieser Weg hat zwei Voraussetzungen: Erstens. Die Jahrgänge 5 und 6 müssen an allen Schulen im Wesentlichen nach den gleichen Rahmenlehrplänen bzw. künftigen Standards und einer analogen Stundentafel gestaltet werden.

Zweitens. Es muss gelingen, die Sekundarschule in der Dignität ihres Bildungsganges zu stärken; eigentlich müsste ich sagen: erst einmal wieder zu rehabilitieren. Das heißt, sie muss entlang der Realien im ursprünglichen Sinne des Wortes als Alternative zum Gymnasium wirklich zu einem gleichwertigen Bildungsgang, nur eben