Protocol of the Session on November 15, 2002

Als Erster erteile ich Frau Abgeordneter Dirlich als Einbringerin das Wort. Bitte sehr, Frau Dirlich.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Jahr 2001 war das Jahr des Ehrenamtes, ein Jahr, in dem in vielen Sonntagsreden das Ehrenamt und das Engagement vieler ehrenamtlicher Helferinnen und Helfer in vielen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens immer wieder gerühmt wurde. Ohne das Ehrenamt - das meine ich ganz ernst - wäre diese Gesellschaft nicht die, die sie ist.

Schaut man sich aber die Bedingungen an, unter denen Ehrenamtliche tatsächlich arbeiten, wird man feststellen, dass die Reden eben das sind, was sie sind, nämlich Sonntagsreden. Das beginnt bei solchen Problemen wie dem Versicherungsschutz oder einer geringen Aufwandsentschädigung für Ehrenamtliche - Probleme, für die bisher noch keine Lösungen gefunden worden sind.

Aber selbst da, wo Aufwandsentschädigungen gezahlt werden, fühlen sich Ehrenamtliche nicht belohnt, sondern zusätzlich belastet. Nur ein Teil der Aufwandsentschädigung bleibt steuerfrei. Da die Aufwandsentschädigungen zu einem großen Teil zum Einkommen gezählt werden, gibt es - trotz oftmals Riesenarbeit - beispielsweise keine Möglichkeit, diesbezüglich Ansprüche an die gesetzliche Rentenversicherung zu erwerben.

Das alles ist besonders für ehrenamtliche Bürgermeisterinnen und Bürgermeister belastend und aus ihrer Sicht ungerecht; denn sie haben eine Arbeitsbelastung, die weit über das Maß einer sonst üblichen ehrenamtlichen Tätigkeit hinausgeht. Angesichts dieser Mehrbelastungen sind die Aufwandsentschädigungen ohnehin gering. Aber sie werden durch Steuern belastet.

Das alles ist aber noch gar nichts im Vergleich zu dem, was einer ehrenamtlichen Bürgermeisterin passiert, wenn sie arbeitslos wird oder ist. Ein Artikel in der „Volksstimme“ vom 7. November 2002 hat das deutlich gemacht. Noch deutlicher werden die „Kommunalnachrichten Sachsen-Anhalt“ in ihrer Ausgabe vom September. Das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung hat - so schreiben sie - im Mai eine Verordnung erlassen, in der die Begriffe „Ehrenamtliche Tätigkeit“ und „Berufliche Eingliederung“ definiert werden. Als Kriterium für Ehrenamtlichkeit wurde die unentgeltliche Ausübung des Ehrenamtes bestimmt. Unentgeltlich ist es demnach nur, wenn der Auslagenersatz oder die Aufwandsentschädigung 154 € im Monat nicht übersteigt.

Wenn die Städte die geltenden Bestimmungen anwenden, dann können seit Januar 2002 folgende Personen nicht als arbeitslos angesehen werden: alle ehrenamtlich tätigen Bürgermeister und Bürgermeisterinnen in Sachsen-Anhalt, die Feuerwehrabschnittsleiter der Freiwilligen Feuerwehren, ehrenamtlich tätige Kreisbrandmeister, Kreisjägermeister, Mitglieder der Gemeinderäte in

Städten ab 25 000 Einwohnern - also alle Kreisstädte -, Mitglieder der Kreistage in Landkreisen mit über 75 000 Einwohnern. Die Rechtsfolge ist: Die Betroffenen erhalten bei Arbeitslosigkeit keine Leistungen der Arbeitsverwaltung mehr.

Deshalb hat sich der Städte- und Gemeindebund Sachsen-Anhalt mit der dringenden Bitte an den Deutschen Städte- und Gemeindebund gewandt, sich beim Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung dafür stark zu machen, dass diese Verordnung wieder aufgehoben wird.

Dieses Anliegen nimmt der Antrag der PDS auf. Darin wird die Landesregierung aufgefordert, gegen diese Verordnung über die ehrenamtliche Tätigkeit von Arbeitslosen von Mai 2002 aktiv zu werden. Das halten wir für umso dringender, als aus unserer Sicht mit dieser Verordnung die positive Veränderung, die mit der Regelung im Job-Aqtiv-Gesetz und mit der Aufnahme des § 118 a in das SGB III eingetreten ist, wonach eine ehrenamtliche Betätigung Arbeitslosigkeit nicht ausschließt, wenn dadurch die berufliche Eingliederung der Arbeitslosen nicht behindert wird, konterkariert wird, wenn man nicht sagen will oder kann, dass das Gesetz mit der Verordnung regelrecht ausgehebelt wird.

Nun kann man immer noch behaupten, dass von dieser Möglichkeit, ehrenamtlichen Bürgermeisterinnen und anderen Betroffenen das Arbeitslosengeld oder die Arbeitslosenhilfe zu streichen, noch nicht exzessiv Gebrauch gemacht worden ist. Es mehren sich aber die Anzeichen dafür, dass die Arbeitsämter in Zukunft davon Gebrauch machen werden. Vor dem Hintergrund immer knapper werdender finanzieller Mittel und des Drucks, die Arbeitsmarktstatistik besser aussehen lassen zu müssen, sind diese Sorgen ausgesprochen berechtigt.

Seit genau 16 Uhr ist mir persönlich der erste Fall bekannt, in dem heute ein ehrenamtlicher Bürgermeister den Bescheid schwarz und weiß bekommen hat, dass er nicht mehr einen Anspruch auf Arbeitslosenhilfe hat,

(Oh! bei der CDU - Herr Gürth, CDU: Wer?)

dass er in Zukunft von der Aufwandsentschädigung als ehrenamtlicher Bürgermeister in Höhe von 470 € plus der Entschädigung als Kreistagsmitglied in Höhe von 120 € leben wird. Heute hat er diesen Bescheid bekommen.

Ein solches Vorgehen ist im Grunde genommen für alle Beteiligten, aber vor allem für die Gesellschaft völlig inakzeptabel und verringert die Bereitschaft zur Wahrnehmung kommunaler Ehrenämter in unerträglicher Weise. - Das ist übrigens die Einschätzung des Städte- und Gemeindebundes, die ich hiermit aufgenommen habe.

Die Gefahr, arbeitslos zu werden, schwebt nach wie vor über vielen Menschen. Die Gefahr, dann nicht einmal mehr Arbeitslosengeld zu erhalten, kommt für die oben genannten Betroffenen hinzu.

Ich will wenige Worte zum Änderungsantrag der SPD sagen. Auch ich möchte gern wissen, was Sie unter Ihrem ersten Punkt an Wissen einfordern. Ich weiß nicht, wer die Fragen beantworten kann. Die „Kommunalnachrichten“ nennen die betroffenen Personen. Aber wie viele tatsächlich von der Regelung betroffen sein könnten, weiß ich sicherlich nicht.

Die SPD sagt in ihrer Begründung richtigerweise: Uns stehen Kommunalwahlen bevor. Es war schon bisher

nicht ganz unkompliziert, Kandidatinnen und Kandidaten für die Ehrenämter zu finden. Das wird sich in Zukunft nicht verbessern.

Das heißt, wir haben keine Zeit. Die Landesregierung sollte mit unserer Hilfe sofort tätig werden können. Ich bitte Sie deshalb ganz herzlich und im Ernst um die Zustimmung zu unserem Antrag. - Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS)

Herzlichen Dank, Frau Dirlich. - Wir treten jetzt in eine Fünfminutendebatte ein. Für die SPD-Fraktion erteile ich - -

(Minister Herr Kley: Landesregierung!)

- Die Landesregierung möchte ebenfalls sprechen. Bitte sehr, Herr Minister Kley.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Kollege Wirtschaftsminister bat mich, in dieser Rede auch seine Interessen zu vertreten, da hier verschiedene Ressorts zusammen betroffen sind.

Es ist natürlich ein großes Anliegen auch dieser Landesregierung, das ehrenamtliche Engagement in jedem Bereich zu stützen. Wesentliche Bereiche unseres Lebens bauen auf das ehrenamtliche Engagement. Das gilt aus meinen Ressort insbesondere für den Sportbereich, der ohne Ehrenamt nicht leben könnte, für sämtliche Sozialbereiche und natürlich auch für den kommunalen Bereich, der vorhin angesprochen wurde. Aber dieser ist es, glaube ich, nicht zuvorderst, der bei der Frage des Ehrenamtes zu beachten ist; denn weite Bereiche unseres gesellschaftlichen Leben funktionieren nicht, ohne dass Menschen bereit sind, ohne Entgelt Tätigkeiten für diese Gesellschaft zu versehen.

Vielfach wird dabei eine Aufwandsentschädigung gewährt, die sich häufig auf den tatsächlichen Aufwand bezieht. Sehr viele Sportvereine handhaben dies so, wobei der Aufwand meist nicht dementsprechend vergütet wird. Aber vielfach ist es mittlerweile üblich, die Aufwandsentschädigung pauschal zu gewähren.

An dieser Stelle scheint es ein Problem zu geben; denn man ist in der Bundesregierung offensichtlich der Meinung, dass diese pauschale Aufwandsentschädigung nicht dazu dient, einen Mehraufwand direkt zu vergüten, sondern dass vielmehr hierbei ein Bezug zu einer zeitlichen Leistung besteht.

Man muss differenzieren, an welcher Stelle eine ehrenamtliche Tätigkeit noch mit einer Entschädigung bedacht wird und an welcher Stelle der gleitende Übergang zu einem Arbeitsentgelt zu sehen ist. Diese Problematik ist sehr wohl zu betrachten und ist in der Vergangenheit, glaube ich, so gesehen worden, dass das Ehrenamt mit seiner Entschädigung keine Erwerbsarbeit im Sinne des § 7 SBG IV darstellt.

Mit dem Job-Aqtiv-Gesetz ist die Möglichkeit gegeben worden, die Vergütung im ehrenamtlichen Sportbereich in Höhe von 154 € pro Monat steuerfrei zu gestalten, nachdem man lange darüber debattiert hatte, sämtliche Aufwandentschädigungen der Steuerpflicht zu unterwerfen. Ich finde das gut so. Es ist günstig, dass in diesen Bereichen nach § 118 a die Möglichkeit gegeben wurde,

die entsprechenden Leistungszeiten über 15 Stunden hinaus als ehrenamtliche Tätigkeit anzuerkennen.

Umso unverständlicher ist es jetzt, dass mit dieser Verordnung nachträglich die Arbeitsämter aufgefordert wurden, nicht mehr wie auch bisher üblich im Einzelfall zu überprüfen, ob eine ehrenamtliche Tätigkeit vorliegt, sondern sozusagen starr eine Grenze zu setzen. Wie wir soeben erfahren haben, wurde dies bereits vollzogen.

Das heißt, hier ist eine unsinnige Entscheidung gefällt worden; hier wurde nicht mehr das Ehrenamt anerkannt, sondern hier wurde, aus Gründen der statistischen Kosmetik oder aus welchen Gründen auch immer, aus einer ehrenamtlichen Tätigkeit plötzlich eine hauptamtliche Tätigkeit, obwohl weder der Gesetzgeber noch die Regelung in Bezug auf die Aufwandsentschädigung dies auch nur andeutungsweise so vorsehen.

(Beifall bei der FDP und bei der PDS - Zustim- mung bei der CDU und bei der SPD)

Ich glaube, wir müssen an dieser Stelle aufpassen, dass hierbei nicht, nur um die Arbeitslosenzahl unter vier Millionen zu drücken, all jene bestraft werden, die bisher wirklich in ihrer Freizeit ehrenamtlich tätig waren

(Beifall bei der FDP und bei der PDS - Zustim- mung bei der CDU und bei der SPD)

und die auch - das muss man bei unseren vielen ehrenamtlichen Kommunalpolitikern so sehen - natürlich noch immer ein Interesse haben, eine andere Arbeit aufzunehmen. Es hat doch niemand in unseren Bundesländern seinen Job an den Nagel gehängt, um sich mit ehrenamtlicher Tätigkeit über Wasser zu halten, sondern es gibt einfach zu wenige Arbeitsplätze, weil es gerade die Politik dieser Bundesregierung nicht ermöglicht, zusätzliche Jobs zu schaffen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Oh! bei der SPD - Zuruf von der SPD: Diese Landes- regierung auch!)

So, glaube ich, ist es weiterhin notwendig, hierbei eine Balance zu halten und all jenen, die sich ehrenamtlich engagieren, die dadurch auch besondere Kompetenzen erworben haben, die Möglichkeit zu geben, weiterhin einen Beruf auszuüben, einer Arbeit nachzugehen und die Leistungen zu erhalten, die ihnen zustehen, nachdem sie vorher in die Arbeitslosenversicherung ordentlich eingezahlt haben.

(Beifall bei allen Fraktionen - Herr Dr. Daehre, CDU: Jawohl!)

Besten Dank, Herr Minister Kley. - Für die SPD-Fraktion erteile ich nun dem Abgeordneten Herrn Bullerjahn das Wort. Bitte sehr, Herr Bullerjahn.

(Herr Dr. Daehre, CDU: Hättet ihr mal die Bun- destagswahl auch verloren! - Herr Gürth, CDU: Das wäre besser gewesen!)

Herr Daehre, ich glaube, das wäre unser kleinstes Problem dabei gewesen.

(Herr Dr. Daehre, CDU, lacht)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will von vornherein sagen: Ich bin nur stellvertretend für Frau Budde hier vorn.

(Herr Dr. Daehre, CDU, lacht)

Ich bitte deshalb auf Rückfragen und Zwischenfragen zu verzichten.

(Heiterkeit)

Ich bitte Sie nicht aus Feigheit darum. Die SPD hat eine Veranstaltung, zu der etliche von uns hingegangen sind. Ich bin trotzdem gebeten worden - das sind nur zwei Minuten -, das kurz vorzutragen.

Der Antrag der PDS greift die Kritik des Städte- und Gemeindebundes in Bezug auf eine Bundesverordnung auf. Diese Verordnung definiert das in § 118 a SGB III aufgenommene Ehrenamt und bestimmt, dass auf den Leistungsanspruch eine Aufwandsentschädigung in Höhe von 154 € und mehr angerechnet wird. Die Diskussion um diese Verordnung muss daher auch den genannten Paragrafen berücksichtigen.

Vor der Neuregelung zum Jahreswechsel 2001/2002 wurde auf gesetzlicher Basis vermutet, dass bei einer ehrenamtlichen Betätigung von mehr als 15 Stunden pro Woche die Verfügbarkeit für den Arbeitsmarkt nicht gegeben war. Das Gesetz unterstellte damit, dass das ehrenamtliche Engagement die berufliche Wiedereingliederung - das ist der Zweck des Arbeitsförderungsgesetzes SGB III - nicht gewährleisten würde, und schloss jeden Anspruch auf Leistungen des Arbeitsamtes aus. Für das Ehrenamt war diese Regelung fatal.