Protocol of the Session on November 15, 2002

(Herr Dr. Heyer, SPD: Frau Fischer, so ein Quatsch!)

Es wird weggetrickst, neu gerechnet und unter dem Einfluss einzelner Interessengruppen - hierbei, meine Damen und Herren, spielen die Gewerkschaften diesmal keine besonders rühmliche Rolle -,

(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei der FDP)

einiger Gewerkschaftsleute nachgebessert. Die Nachbesserungen sind für Deutschland gefährlich. Die Umsetzung des Hartz-Konzepts 1 : 1 - so die Worte von Bundeskanzler Schröder noch zu vielen Anlässen - ist in weite Ferne gerückt.

Mit uns, liebe Kollegen, gibt es aber nur eine Paketlösung. Das Verwässern und Herauslösen einzelner Bereiche, das die Konsolidierung des Bundeshaushalts unterstützen soll - siehe Haushaltssanierungsgesetz - und der Entlastung des Arbeitsmarktes in den neuen Bundesländern entgegenwirkt, werden wir nicht unterstützen.

Es gibt ein paar Punkte, bei denen man aufzeigen kann, wie Hartz gegen die Ostspezifik auf dem Arbeitsmarkt vorgeht bzw. ihr nicht gerecht wird. Einige Punkte sind schon genannt worden, etwa die Personalserviceagenturen. Hierzu sei noch einmal gesagt: Es ist kein hilfreiches Instrument aufgrund der fehlenden Arbeitsplätze. Zudem ist es im Hinblick auf die bestehenden privaten Zeitarbeitsfirmen wettbewerbsverzerrend. Hartz setzt diesen Unternehmen staatlich subventionierte Konkurrenz vor die Nase.

Besser wäre an dieser Stelle eine Lockerung des Kündigungsschutzes zur Abarbeitung flexibler Auftragsspitzen in den Unternehmen gewesen; denn, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Unternehmen greifen nur dann zu Zeitarbeitsfirmen und werden dann sicherlich auch zu den PSA greifen, wenn sie von dem Charme der etwas

billigeren Arbeitskräfte für einen Übergang profitieren könnten.

Aus diesem Grund scheint es uns auch wichtig, über das Instrument Arbeitsrecht nachzudenken. Meine Kollegin Röder hat dazu schon einige Ausführungen gemacht. Daher kann ich mir meine Ausführungen an der Stelle ersparen.

Das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz muss fallen, und zwar nicht erst - so fordern es die Gewerkschaften - in einem Jahr oder im Jahr 2004. Vielmehr hat das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz mit Einsetzen der PSA zu fallen.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Die Ich-AGs, meine Damen und Herren, sind auch so eine Sache, zu der ich sage: Dafür hätten wir Hartz nicht gebraucht. Lassen Sie uns die Bundesregierung auffordern, das Scheinselbständigengesetz abzuschaffen - übrigens eine alte Forderung der CDU.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Es sollte jede Initiative begrüßt werden, die in die Selbständigkeit führt, und nicht nur die Initiative aus der Arbeitslosigkeit in die Selbständigkeit, was meiner Ansicht nach sowieso zu hinterfragen ist.

Minijobs machen nur dann Sinn, wenn den begrenzten Minijobs nur für Haushaltsdienstleistungen generelle geringfügige Beschäftigungen zwischen 400 und 800 € mit gestaffelten Zuschüssen zu den Sozialversicherungsbeiträgen entgegengestellt werden. Die Eingrenzung bringt mehr Bürokratie und vergibt weitere Chancen.

Eine wichtige Sache ist für mich noch das JobfloaterProgramm, heute „Kapital für Arbeit“ genannt. Nach dem Motto „Nimmst du mir einen Arbeitslosen ab, gewähre ich dir ein Darlehen“, könnte man auf den ersten Blick meinen, das sei eine beschäftigungsorientierte Investitionsförderung. Aber schon beim zweiten Hinschauen erkennt man, dass es als äußerst fragwürdiges Instrument zur Entwicklung des Arbeitsmarktes in den neuen Bundesländern zu bewerten ist.

Zum einen haben wir keine Aufträge und keine Arbeit - das haben wir schon oft gesagt -, um selbst bei solchen Anreizen Arbeitsplätze zu schaffen.

Aber noch viel wichtiger ist, dass nach harten Diskussionen mit der KfW - ich meine, diese Diskussionen sind berechtigt und kritisch - das Hausbankprinzip mit allen Prüfmechanismen wieder eingeführt wurde. Das heißt, das Unternehmen wird, bevor es ein Darlehen bekommen kann, einem sogenannten Ranking unterzogen. Jeder weiß, was das ist. Ich muss das nicht erläutern.

Das heißt also, nur Unternehmen, die sowieso gut am Markt stehen, die sowieso einstellen und Arbeitsplätze schaffen, werden diese Förderung erhalten. Das ist für mich ein klassisches Beispiel eines Mitnahmeeffektes.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Zustim- mung bei der PDS)

Lassen Sie mich ein letztes Problem aufgreifen, das sich zwingend aus der Debatte zum Hartz-Konzept ergibt.

Ich sehe gerade, meine Redezeit ist zu Ende, aber wir haben ja noch einen Tagesordnungspunkt. Darf ich noch drei Sätze sagen, Herr Präsident?

Sie dürfen.

Abschließend vielleicht noch einmal zu dem Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Er hält die Maßnahmen für unzureichend und falsch. Er charakterisiert die Wachstumsschwäche in Deutschland als hausgemacht und sagt eine weiter steigende Arbeitslosigkeit voraus.

Vor diesem Hintergrund gibt es von uns keinen Blankoscheck mit der Zustimmung zu den vorliegenden modifizierten, verwässerten Vorschlägen von Hartz. Wir diskutieren weiter konstruktiv mit und signalisieren dann unsere Zustimmung, wenn die Hartz-Vorschläge der Ankurbelung der Wirtschaft und der Schaffung von neuen Arbeitsplätzen dienen. Anderenfalls muss ich mich den Gewerkschaften anschließen und sagen: Die Akte Hartz wird geschlossen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Frau Fischer, möchten Sie eine Frage des Abgeordneten Polte beantworten? - Bitte, Herr Polte.

Frau Fischer, Sie sprachen von den Schicksalszahlen. Wir erinnern uns alle daran, dass die Frage der Arbeitslosigkeit in der deutschen Geschichte schon einmal eine Schicksalsfrage war: die Massenarbeitslosigkeit, die Weltwirtschaftskrise Anfang der 30er-Jahre. In der Bundesrepublik gibt es seit Beginn der 90er-Jahre ein zunehmendes Wachsen der Arbeitslosigkeit bis zum Maximalwert am Ende der Zeit von Kohl 1998 mit rund 4,4 Millionen Arbeitslosen.

Es gab und es gibt für mich bisher keine ernsthaften Anstrengungen, mit dieser Schicksalsfrage wirklich grundsätzlich fertig zu werden. Das ist ein Thema während des Wahlkampfes und hinterher ruht der See wieder still. Das geht nicht so weiter.

(Unruhe bei der CDU und bei der FDP)

Nun kommt jemand und macht etwas Unkonventionelles.

(Anhaltende Unruhe bei der CDU und bei der FDP)

- Es tut mir Leid, jetzt sage ich das. Der Herr Präsident kann mir ja das Wort entziehen.

Wenn es eine Zwischenbemerkung ist, entziehe ich das Wort nicht.

Jawohl. - Ich möchte nur wissen, ob Sie es nicht auch so sehen, Frau Fischer, dass wir hier unkonventionelle Wege gehen müssen. Wenn ein solches Papier vorliegt, sollten sich die Deutschen nicht darin übertreffen, dieses Papier zu zerreden, sondern sie sollten überlegen, wie man es qualifizieren kann, wie man es umsetzen kann

und was unser Beitrag sein könnte, damit wir mit dieser Schicksalsfrage endlich fertig werden.

(Beifall bei der SPD)

Denn wenn wir mehr Arbeit haben, haben wir auch nicht die Finanzprobleme, dann hat sie weder der Bund, noch hat sie das Land. Aber was habe ich denn feststellen müssen?

(Zurufe von der CDU: Frage!)

Der Bundesfinanzminister senkt die Steuern, aber was stellen wir fest? Wir haben mehr Arbeitslose. Offenbar ist das also auch kein Patentrezept.

(Zuruf von Herrn Gürth, CDU)

Also, ich denke, wir sind gut beraten - ich hoffe, dass Sie mir diesbezüglich zustimmen, Frau Fischer -, uns wirklich Punkt für Punkt vorzunehmen und zu fragen: Was könnte unser Beitrag sein, dass die Annahme der Herausforderung bundesweit gelingt? Denn wenn sie bundesweit gelingt, gelingt sie auch in Sachsen-Anhalt.

(Beifall bei der SPD - Herr Gürth, CDU: Das ist ein neuer Debattenbeitrag!)

Wenn auch meine Kollegen die Fragestellung offensichtlich nicht verstanden haben, ich weiß, worauf Sie hinauswollen. Vielleicht darf ich darauf reagieren.

Mir fällt es schwer, diesen Vergleich mit dem Dritten Reich zu ziehen.

(Zuruf von Herrn Dr. Polte, SPD)

Ich würde dazu sagen, man hat versucht, Arbeit zu schaffen. Man ließ Autobahnen bauen usw. Das heißt, man versuchte schon, Leute in Arbeit zu bringen. Hinsichtlich der Folgen haben Sie natürlich auch Recht. Der liebe Gott mag uns vor solchen Folgen schützen.

Aber wenn Sie sagen, dass wir konstruktiv miteinander arbeiten müssen, kann ich Ihnen zum einen nur antworten: Dann muss man uns auch lassen. Auch wir sind in diesem Falle Gesprächspartner und nicht nur die Gewerkschaften. Ich habe versucht, Ihnen einige Kernpunkte, einige Ansatzpunkte zu nennen, an die wir herangehen würden, von denen wir meinen, dass es an diesen Stellen möglich wäre, schneller, besser, günstiger Arbeitsplätze zu schaffen.

Sehen Sie, die Eingrenzung bei Minijobs zum Beispiel muss nicht sein. Das ist eine Eingrenzung, die uns Arbeitsplätze kostet. Wenn wir diesbezüglich eine Erweiterung schaffen, so wie wir uns das vorstellen, packen wir mehr. So gibt es viele Ansatzpunkte, die aus meiner Fraktion kommen und die zu diskutieren wären, denke ich.

Aber ich frage Sie: Haben wir noch eine Chance? Zeitgleich wird das erste Gesetz verabschiedet. Das zweite Gesetz bedarf der Zustimmung des Bundesrates, soviel ich weiß, sodass eventuell noch die Möglichkeit besteht, Einfluss zu nehmen. Da vertraue ich letztlich unserer Landesregierung, dass sie das im Sinne des Landes auch tut. Soweit ich weiß, gibt es noch ein drittes Gesetz. Aber wenn unsere Einflussmöglichkeiten so bleiben wie bisher oder schlechter werden, bin ich - das muss ich sagen - ein bisschen mut- und ratlos.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)