Protocol of the Session on November 15, 2002

Die ausschließliche Orientierung eines Programms für die politische Bildung an der erwähnten Studie wäre aber eine unzulässige Engführung ihrer Befunde, Deutungen und entworfenen Perspektiven. Die Studie ist auch nicht unter dieser Aufgabenstellung verfasst worden, sodass sie als Analyse des Standes der politischen Bildung und demokratischen Identifikation der Schülerinnen und Schüler geeignet ist, nicht aber als unmittelbares Programm für die Stärkung der politischen Bildung an den Schulen. Dann hätte der Auftrag an die Forscherinnen und Forscher anders lauten müssen, und sie hätten ihn nicht erfüllen können, wahrscheinlich nicht einmal erfüllen wollen; denn es ist nicht die Aufgabe von Wissenschaftlern, politische Programme zu formulieren.

Zudem lässt sich nicht übersehen, dass die vorrangig auf den Rechtsextremismus ausgelegten Programme der Vergangenheit nicht sonderlich erfolgreich waren. Sonst hätten die Ergebnisse der Studie anders aussehen müssen.

(Zustimmung bei der CDU)

Diese eingeschränkte Wirkung mag unter anderem daraus resultieren, dass die Gefahren für die Demokratie oft zu einseitig lokalisiert wurden. Sie drohen eben nicht nur von einer Seite des politischen Spektrums her. Nicht umsonst gibt es zahlreiche Hinweise darauf, dass die Denkstrukturen des Rechts- und des Linksradikalismus einander durchaus ähneln.

(Zustimmung bei der CDU)

Vor diesem Hintergrund sind die Befunde der Studie wie in jedem gelungenen wissenschaftlichen Projekt natürlich auch strittig. Das gilt schon insofern, als Frageinhalte immer eine unkalkulierbare Suggestionskraft entfalten, die man nicht verhindern, aber reflektieren kann und die man zur Relativierung von Interpretationen heranziehen muss.

Es kann durchaus bezweifelt werden, dass jeder, der zum Beispiel im Hinblick auf den Zuzug von Ausländern eine kritische oder auch nur nachdenkliche Haltung einnimmt, gleich rechts orientiert ist. Im Grunde sind das oft nur Symptome von Defiziten unserer gesellschaftlichen Diskurse und Reflexionen zur Demokratie, denen mit Information, Aufklärung und praktischer Demokratieerfahrung besser begegnet werden könnte als mit einer fortwährenden Beschwörung demokratiefeindlicher oder rechtsradikaler Potenziale.

Jedenfalls sollte man vorsichtig sein, jeden, der nicht immerfort Loblieder auf die Demokratie anstimmt, gleich als rechts gerichtet oder demokratiefeindlich zu stigmatisieren. Aber um nicht missverstanden zu werden: Ich will damit das Problem keineswegs verniedlichen, zumal ich selbst vieles in diesem Zusammenhang beunruhigend finde. Ich plädiere vielmehr nur für eine reflexive Besonnenheit bei der Interpretation solcher Befunde und natürlich auch für eine gewisse kritische Distanz.

In diesem Zusammenhang möchte ich auch einmal die Frage aufwerfen, ob zum Beispiel der Rechtsextremismus wirklich ein eigenständiges Phänomen ist oder vielleicht doch eher ein in seiner Ausprägung dann allerdings oft zufälliges Symptom einer viel tieferen Wurzel. Zum Beispiel lohnt es sich, darüber nachzudenken, ob nicht Fremdenfeindlichkeit auch daher rührt, dass die jungen Menschen ihre eigenen kulturellen Wurzeln nicht mehr ordentlich vermittelt bekommen. Wer das Eigene

seiner Kultur aber nicht mehr kennt, wird alles Fremde als Bedrohung erleben.

(Zustimmung bei der CDU)

Und das ist umso bedauerlicher, als man dann die Begegnung mit dem Fremden eben nicht mehr als Ausweitung und Bereicherung des eigenen Horizonts erleben kann, was eigentlich der Zweck von multikulturellen Konzepten sein sollte.

Wer sich nun den empirischen Teil der Studie genauer anschaut, erhält ungeachtet dieser skeptischen Anmerkungen sehr interessante und keineswegs immer unerwartete Informationen. Als Vorzug der Studie ist auf jeden Fall hervorzuheben, dass sie auf eindimensionale Betrachtungen und harmonisierende Glättungen selbst verzichtet.

Das politische Interesse von Jugendlichen hängt nicht allein davon ab, ob sie sich selbst eher als rechts oder als links einstufen, sondern es scheint mir eher damit im Zusammenhang zu stehen, dass sie sich überhaupt als links oder rechts einstufen, was immerhin den Anlass für ein politisches Grundinteresse gibt. Der Studie zufolge schätzen sie sich übrigens eher links als rechts ein.

Auch das Vertrauen in die Institutionen ist unterschiedlich groß. Ich will an dieser Stelle nur erwähnen, dass nicht nur Bundeswehr, Gerichte und Polizei, sondern - man höre und staune - auch die Schule ein verhältnismäßig großes Vertrauen bei den Jugendlichen genießt. Zwei Drittel der Schüler beurteilen die Schule und damit auch die Lehrerschaft deutlich günstiger, als es jüngst Veröffentlichungen der OECD vermeldeten.

Kurzum: Es gibt eine ganze Reihe von Befunden, die sich nicht unmittelbar als Grundlage für ein Handlungskonzept eignen, aber durchaus der Diskussion und Abwägung wert sind. Unter anderem sind übrigens rund zwei Drittel der Befragten der Meinung, dass die Opposition die Regierung nicht kritisieren, sondern sie unterstützen solle - als Handlungskonzept ausgesprochen sympathisch, aber irgendwie realitätsfern.

(Frau Mittendorf, SPD: Genau so!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vom Grundsatz her kann ich mich aber mit dem Anliegen der SPDFraktion durchaus einverstanden erklären, wenn auch nicht mit der Engführung auf die Ergebnisse und Deutungen einer einzelnen wissenschaftlichen Erhebung, die wie jede ordentliche wissenschaftliche Studie selbst gar keinen Anspruch auf abschließende Gültigkeit oder Eignung als politisches Programm erhebt.

Wir sollten die Ergebnisse der Studie also selbstverständlich nutzen und mit den Resultaten der im Änderungsantrag vorgeschlagenen Evaluation des Status quo verknüpfen. Ich schlage deshalb vor, dem Änderungsantrag der Fraktionen der CDU und der FDP zuzustimmen und damit sozusagen den zweiten Schritt nicht vor dem ersten zu machen, dann allerdings auf den zweiten auch nicht zu verzichten. - Vielen Dank.

(Zustimmung bei der CDU)

Danke, Herr Minister. - Die Debatte eröffnet für die PDSFraktion Herr Gebhardt.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die PDSFraktion wird dem Antrag der SPD-Fraktion zustimmen; denn, wie Kollege Fikentscher richtig sagte, politische Bildung ist an allgemein bildenden und berufsbildenden Schulen eine sehr wichtige Aufgabe, vor allem deshalb, weil sie auf die sozialen Schlüsselkompetenzen und auf deren Entfaltung bei Schülerinnen und Schülern zielt.

Politische Bildung schult die politische Kommunikationsfähigkeit und die Streitkultur von Schülerinnen und Schülern. Sie soll lehren, andere Standpunkte zu achten, aber auch eigene Meinungen zu vertreten. Und somit fördert sie die Fähigkeit zur Konfliktlösung und Konfliktbewältigung.

Politische Bildung, meine Damen und Herren, schult und lehrt auch den Umgang mit den Funktionen unseres demokratischen Gemeinwesens. Darauf ist Kollege Fikentscher ausführlich eingegangen. Deshalb will ich das nicht weiter tun. Dennoch will auch ich betonen, dass wir schon deshalb alle ein Interessen daran haben sollten, dass politische Bildung in den Schulen und in der Gesellschaft einen hohen Stellenwert erhält.

Zugegebenermaßen kann politische Bildung nicht nur in der Schule erfolgen. Aber die Schule sollte das gesamte Umfeld, das mit Schülerinnen und Schülern kommuniziert, stets im Blickfeld haben.

An allgemein bildenden und berufsbildenden Schulen soll die politische Bildung eng verbunden werden mit humanistischer, historischer und kultureller Bildung. Sie kann daher nicht allein auf ein Fach oder allein auf eine Fächergruppe orientiert sein. Sie ist demzufolge vielmehr auch Anspruch an alle Unterrichtselemente. Das will ich nicht unerwähnt lassen: Sie ist demzufolge auch Anspruch an die Persönlichkeit der Lehrerinnen und Lehrer.

Wenn ich sage, dass die politische Bildung ein Anspruch an alle Unterrichtselemente ist, dann heißt das, dass sie Wissen und Grundlagen aus Fächern wie zum Beispiel Geschichte, Sozialkunde, Rechtskunde und nicht zuletzt in zunehmendem Maße aus dem Fach Wirtschaft verknüpfen muss. Der Sozialkundeunterricht hat demzufolge hinsichtlich der politischen Bildung an allgemein bildenden Schulen einen recht hohen Stellenwert.

Wir haben nun ein Schreiben von der Deutschen Vereinigung für politische Bildung e. V, das allen Mitgliedern des Bildungsausschusses im Landtag zur Verfügung gestellt wurde. Darin wird seitens der Vereinigung mit Blick auf die Vorstellungen von der neuen gymnasialen Oberstufe die große Sorge geäußert, dass kaum noch Platz für Sozialkundeunterricht sei.

Ich interpretiere diese Behauptung nicht weiter. Ich sage nur, dass wir solche Befürchtungen ernst nehmen und ernsthaft darüber diskutieren müssen, ebenso über die Vorschläge, die die Vereinigung hinsichtlich einer weiteren Ausgestaltung und Verbesserung des Sozialkundeunterrichts insgesamt unterbreitet hat.

Politische Bildung ist ein wichtiger Prüfstein in einem demokratischen und kommunikativen Schulklima. Deshalb, meine Damen und Herren: Eine aktive Gestaltung der Schule ist unmittelbare politische Praxis von Schülerinnen und Schülern.

Allerdings kann in einem Klima der Administration, von restriktiven Maßnahmen und konfrontativer Arbeit mit Schülerinnen und Schülern politische Bildung wenig

fruchten. Ich will an dieser Stelle nicht unerwähnt lassen, dass wir natürlich die Schule nicht als einen PrimaKlima-Klub der Beliebigkeit ohne Anforderungen und Ansprüche verstehen wollen. Aber mit den stark restriktiven Gliederungsabsichten im Schulgesetzentwurf der CDU- und der FDP-Fraktion lässt sich aus unserer Sicht ein solch positives Schulklima kaum ermöglichen.

Meine Damen und Herren! Der Antrag der SPD-Fraktion nimmt Bezug auf die Studie „Jugend und Demokratie - politische Bildung auf dem Prüfstand“. An dieser Stelle wurde bereits ausführlich darüber gesprochen. Ich will deshalb nur daran erinnern, dass sich der Landtag auf Initiative der PDS-Fraktion in der letzten Wahlperiode im September 2000 mit dem Beitrag der Bildung im Kampf gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Gewalt befasst hat und nach intensiven Beratungen und Debatten einen entsprechenden Beschluss hierzu gefasst hat.

Diesen Gegenstand des Beschlusses sehen wir nach wie vor als ein wichtiges Aufgabenfeld von politischer Bildung in der Schule an, das auf gar keinen Fall in die zweite Reihe der Aufmerksamkeit geraten darf, auch wenn heute gerade die Themen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit zumindest im öffentlichen Bewusstsein eher in den Hintergrund getreten sind. Die in dem erwähnten Landtagsbeschluss enthaltenen Aufgaben zur politischen Bildung bleiben aus unserer Sicht deshalb auch brandaktuell.

Das in dem Antrag der SPD-Fraktion geforderte Handlungskonzept zur Verbesserung der politischen Bildung an allgemein bildenden und berufsbildenden Schulen findet unsere Zustimmung. Wir stimmen deshalb dem Antrag der SPD zu, würden es allerdings auch begrüßen, wenn beide Anträge in den Bildungsausschuss überwiesen würden. Dort könnten wir uns zu dem von Ihnen, Herr Minister, geschilderten problematischen Zeitrahmen und auch über den Umfang des Handlungskonzeptes verständigen. Vielleicht könnten wir auf der Grundlage des Antrags und des Änderungsantrages eine gemeinsame Beschlussempfehlung erarbeiten. - Vielen Dank.

(Zustimmung bei der PDS)

Danke, Herr Abgeordneter Gebhardt. - Für die CDUFraktion erteile ich Herrn Schomburg das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Thema politische Bildung war bisher selten ein Thema im Landtag. Es ist schon einmal ein Verdienst des Antragstellers, diese wichtige, auch für uns beruflich wichtige Problematik thematisiert zu haben.

Ich stimme mit Herrn Dr. Fikentscher in vielen Punkten der Analyse überein. Die Bedeutung der politischen Bildung insbesondere in der Schule hat ihre Schwerpunkte in der Vermittlung von Wissen über politische Institutionen und deren Funktionsweise. Sie soll darüber hinausgehend demokratische Verfahren auch praktisch üben. Die politische Bildung soll politisches Interesse wecken und zur Konfliktbewältigung bei gesellschaftlichen Konflikten befähigen. Wenn wir ganz weit gehen und hohe Erwartungen an die politische Bildung stellen, soll sie auch Haltungen erzielen und erarbeiten.

Ich möchte allerdings - das ist auch schon thematisiert worden - vor übertriebenen Erwartungen warnen, die insbesondere an die politische Bildung im Sozialkundeunterricht der Schule gestellt werden. Es gibt eine Reihe von Einflüssen auf die Kinder und Jugendlichen. Das Elternhaus übt sicherlich den ersten, vornehmsten und prägendsten Einfluss aus, dem die Kinder und Jugendlichen unterliegen. Aber auch die Freundeskreise, die Peergroups, und die Medien werden zunehmend bedeutungsvoll. Darüber hinaus wirken die allgemeinen Erfahrungen, die die Kinder und Jugendlichen in der Gesellschaft machen.

Eine zweite Warnung: Die politische Bildung kann nicht nur Aufgabe der Sozialkundelehrer sein. Es ist übrigens ein typisch deutscher Ansatz, der mit dem Zuweisen von Fächern an die Lehrer ein gewisses Schubkastendenken auslöst: Für die Ethik sind die Ethiklehrer, für die Politik die Sozialkundelehrer und für Deutsch sind die Deutschlehrer zuständig. Man sollte zum Beispiel nicht ausschließen, dass ein Physiklehrer auch einmal auf einen schlechten Ausdruck in einer Physikarbeit hinweist.

Gleiches gilt für die politische Bildung. Wenn die Kinder am Montagmorgen nach einem Wochenende voller politisch bedeutsamer Ereignisse nicht aufnahmefähig sind, dann hat jeder Fachlehrer zunächst die Aufgabe, die Kinder auf den Unterricht und die Schule einzustellen und mit ihnen diese Themen zu bearbeiten. Deshalb kann die politische Bildung nicht nur die Aufgabe der Sozialkundelehrer sein.

Deshalb war der Auftrag der alten Landesregierung an das Zentrum für Schulforschung und Fragen der Lehrerbildung, die Studie zu erarbeiten, für uns heute hilfreich und wichtig. Das Ergebnis möchte ich als realistisches Bild bezeichnen; denn meine persönlichen Erfahrungen stimmen mit vielem, was ich in der Studie gelesen habe, überein.

Es besteht ein erhebliches Defizit im Demokratieverständnis. Es gibt wenig Vertrauen in die Institutionen. Dabei ist die Frage zu stellen, ob dieses Misstrauen gegenüber den etablierten Institutionen auf Erfahrungen oder auf Vorurteilen beruht.

Die Studie konstatiert in einem erheblichen Maße Ausländerfeindlichkeit, nämlich bei zwei Dritteln aller Jugendlichen. Sie weist insgesamt ein geringes politisches Interesse nach. - Ich messe diesem Fakt die geringste Bedeutung bei. Wenn ich mich an meine Jugend erinnere, dann weiß ich, dass mich im Alter zwischen 14 und 18 Jahren weiß Gott andere Gedanken beschäftigten als Fragen des politischen und gesellschaftlichen Lebens.

(Heiterkeit bei der CDU)

Das will ich nicht überbewerten. Aber in der Studie werden auch methodische Defizite des Sozialkundeunterrichtes aufgezeigt. Dies scheint mir auch eine Frage der Lehreraus-, -fort- und -weiterbildung zu sein.

Der Antrag fordert von der Landesregierung nun ein Handlungskonzept bis zum Juni 2003. Dies ist nach unserer Auffassung in guter Qualität nicht leistbar. Wir wollen keine Politik des Aktionismus. Deshalb unterbreiten wir Ihnen einen Änderungsvorschlag. Wir wollen mit Ihnen über einen anderen Zeitraum für die Abarbeitung dieser Aufgabe sprechen. Es geht nicht um die Frage, ob das Handlungskonzept erarbeitet werden soll, sondern lediglich um das Wann und Wie.

Im Übrigen verweise ich - ich nehme damit einen Passus aus Ihrem Antrag auf - auf ein Angebot der Landeszentrale politische Bildung, die im Jahr 2003 einige Hundert Exemplare dieser Studie kaufen wird und diese an Interessenten verteilen wird. An dieser Stelle wäre eine Information an die Schulen angebracht, dass die Studie über diese Bezugsquelle zu erhalten ist. Im Übrigen ist sie auch im Internet auf der Homepage der Universität Halle verfügbar.

Da ich es insgesamt nicht für schädlich halte, sind wir gewillt, auf den Antrag der Fraktion der PDS einzugehen, beide Anträge in den Ausschuss zu überweisen und sich dort über das Verfahren zu verständigen. - Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Zustimmung bei der CDU)