Meine sehr verehrten Damen und Herren! Hiermit eröffne ich die 72. Sitzung des Landtages von Sachsen-Anhalt der dritten Wahlperiode. Dazu möchte ich Sie, verehrte Anwesende, auf das Herzlichste begrüßen.
Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor wir in die Tagesordnung der letzten turnusmäßigen Sitzungsperiode des Landtages von SachsenAnhalt der dritten Wahlperiode eintreten, möchte ich mich mit einigen persönlichen Worten an Sie wenden.
Die Wahlen zum Landtag der vierten Wahlperiode sind anberaumt. Die Frist unseres Mandats läuft ab. Das Ringen um das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger hat längst begonnen, und auch wir im Hause werden uns heute und morgen bemühen müssen, in dem unabdingbaren Wahlkampf nicht die Erledigung unserer letzten Aufgaben in dieser Wahlperiode zu vernachlässigen.
Viele unter uns werden sich sicherlich fragen, was an dieser Situation neu und besonders ist. Viele von Ihnen, verehrte Kolleginnen und Kollegen, werden darauf hinweisen, dass das Jahr 1994 und das Jahr 1998 nicht anders gewesen seien. Ich denke, dass der Übergang von der dritten zur vierten Wahlperiode einen Generationswechsel mit sich bringen wird, den dieses Parlament noch nicht gesehen hat. Was er bringen wird, kann man heute nicht prognostizieren; ob dieser neue Landtag leistungsfähiger sein wird als der noch bestehende ebenso wenig. Doch darauf kommt es im Augenblick gar nicht an.
Wichtig ist mir, darauf hinzuweisen, dass insgesamt 40 unserer Kolleginnen und Kollegen dem Landtag der vierten Wahlperiode nicht mehr angehören werden. Unter ihnen werden 14 Abgeordnete sein, die dem Landtag in allen drei Wahlperioden angehörten und sich teilweise bereits in der am 18. März 1990 gewählten Volkskammer erste parlamentarische Sporen verdienten. Ja, es tritt eine ganze Abgeordnetengeneration ab. Es ist die Generation der in den Wendetagen bereits im sechsten Lebensjahrzehnt Stehenden, die sich auf das Abenteuer Politik einließen, mitunter ohne zu wissen, welcher Art das Abenteuer sein würde. Es ist auch die Generation derjenigen, die zumeist ohne jedwede Erfahrung im politischen Geschäft neu anfingen und Verantwortung übernahmen, indem sie sich auf das Erlernen dieses einzigartigen Geschäftes einließen.
Heute sind viele Abgeordnete dieser ersten Stunde über Fraktions- und Parteigrenzen hinweg anerkannte Fachleute, Persönlichkeiten mit ganz besonderer Reputation und Ausstrahlung, Orientierungspunkte im Hause und in der Gesellschaft. Ich möchte stellvertretend nennen: Herrn Dr. Klaus Keitel, Präsident des Landtages der ersten beiden Wahlperioden; Frau Roswitha Stolfa, die heute leider nicht anwesend sein kann, weil sie erkrankt ist, Vizepräsidentin des Landtages der zweiten und dritten Wahlperiode; Herrn Dr. Christoph Berger, Mitglied des Landtages vom ersten Tage an, Ministerpräsident des Landes und langjähriger Vorsitzender der Fraktion der CDU;
Frau Anette Leppinger, ebenfalls drei Wahlperioden im Hause und anerkannte und sicherlich bekannte streitbare Innenpolitikerin;
Herrn Dr. Wolfgang Süß, unter den Kollegen mit drei Wahlperioden der Alterspräsident, geschätztes Mitglied im Wirtschaftsausschuss; Herrn Klaus-Jürgen Jeziorsky, ebenfalls zwölf Jahre im Haus und von Beginn an Vorsitzender des „mächtigen“ Innenausschusses; Herrn Dr. Uwe Nehler, seit drei Wahlperioden im Haus und als Sozialpolitiker geschätzt. Kollege Nehler ist leider schwer erkrankt. Wir wünschen ihm von dieser Stelle aus alles erdenklich Gute.
Noch viele könnten, ja müssten genannt werden. Dies ist an dieser Stelle nicht möglich. Wir werden in den nächsten Tagen die Chance haben, miteinander Bilanz zu ziehen.
Ich denke abseits der tagespolitischen Auseinandersetzungen für Sie alle sprechen zu können, wenn ich sage, dass die Jahre im Hause eine ausgefüllte und auch eine erfüllte Zeit waren. Vieles von dem, weshalb wir in die Politik gegangen sind, ist erreicht worden, auch wenn wir hinsichtlich der Bilanz im Einzelnen mitunter unterschiedlicher Meinung sein werden und wohl auch sein müssen. Manches ist auch auf der Strecke geblieben. Aber es ist mit dem Handeln der Menschen wohl immer so, dass es am Ende doch nur Stückwerk, ein Baustein ist.
Das Werk des Landtages der dritten Wahlperiode Stück für Stück zu betrachten würde meines Erachtens jetzt zu weit führen. Die Zahlen und Fakten, die unsere Verwaltung dazu erfasst hat, sind aussagekräftig, dürften aber sicherlich je nach Standpunkt unterschiedlich beurteilt werden. Wir sollten das zu gegebener Zeit in aller Ruhe in dem Bericht über die abgelaufene Wahlperiode nachlesen und den Mitstreiterinnen und Mitstreitern in der Verwaltung und selbstverständlich auch denen in den Fraktionsgeschäftsstellen zumindest im Stillen für die treuen Dienste danken.
Parlamentarische Demokratie bedeutet die gemeinschaftliche Anstrengung aller. All jenen im Hause, die am Gelingen dieses großen Projektes im Interesse der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes mitgewirkt haben, danke ich. Sie haben sich um das Wohl des Landes verdient gemacht.
Und was kommt? - Die eigentliche Übergangsgeneration, die Mittdreißiger des revolutionären Augenblicks von 1989, werden in stärkerem Maße Verantwortung für unser Gemeinwesen übernehmen müssen, als das bislang der Fall war.
Ich kann Ihnen nur zurufen: Erhalten Sie sich bei allem Pragmatismus, der möglich und nötig ist, den Blick für das eigentlich Wichtige. Bleiben Sie fantasievoll und offen. Sehen Sie Politik auch als ein reizvolles Abenteuer, in dem der politische Gegner nicht Feind, sondern vielmehr streitbarer Widerpart im Ringen um den besseren Weg ist. Erhalten Sie sich Ihre Visionen; denn ohne sie wird es nicht gehen. - Recht herzlichen Dank.
Ich komme nunmehr zu Entschuldigungen von Mitgliedern der Landesregierung. Frau Ministerin Budde hat sich für ihr Fernbleiben am heutigen Donnerstagvormittag entschuldigt. Sie eröffnet eine Tagung des Fraunhofer-Instituts zum Thema „Anlagenbau der Zukunft“.
Zur Tagesordnung. Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Tagesordnung der 39. Sitzungsperiode des Landtages liegt Ihnen vor. Die Fraktionen haben sich im Ältestenrat darauf verständigt, Tagesordnungspunkt 12 Abschlussbericht der Enquetekommission „Zukunftsfähiges Sachsen-Anhalt“ - und Tagesordnungspunkt 13 Jahresbericht des Landesrechnungshofes Sachsen-Anhalt zur Haushalts- und Wirtschaftsführung im Haushaltsjahr 2000 - als erste Beratungsgegenstände am morgigen Freitag zu behandeln.
Die parlamentarischen Geschäftsführer haben sich entgegen der Ihnen vorliegenden Tagesordnung darauf verständigt, dass Tagesordnungspunkt 10 - Verbesserung der Hilfen für Demenzkranke in Sachsen-Anhalt - und Tagesordnungspunkt 11 - Durchsetzung des sozialhilferechtlichen Anspruches einer in Art und Umfang angemessenen Eingliederungshilfe für Behinderte - nach Tagesordnungspunkt 6 behandelt werden.
Gibt es weitere Bemerkungen zur Tagesordnung? - Das ist nicht der Fall; dann können wir so verfahren.
Noch eine Bemerkung zum zeitlichen Ablauf der 39. Sitzungsperiode. Die Fraktionen haben sich im Ältestenrat darauf verständigt, die heutige Sitzung wegen des um 20 Uhr im Gebäude des Landtages stattfindenden parlamentarischen Abends gegen 19.30 Uhr zu beenden. Die morgige Sitzung beginnt wie üblich um 9 Uhr.
In der Aktuellen Debatte beträgt die Redezeit zehn Minuten je Fraktion. Die Landesregierung hat ebenfalls eine Redezeit von zehn Minuten. Für die Debatte wird folgende Reihenfolge vorgeschlagen: PDS, DVU, FDVP, SPD, CDU. Zunächst hat der Antragsteller, die Fraktion der SPD, das Wort. Ich bitte Frau Dr. Sitte, das Wort zu ergreifen. Bitte schön.
Danke, Herr Präsident. - Meine Damen und Herren! Trotz Wahlkampf: Ich bleibe in dieser Phase erst recht bei der PDS und nicht bei der SPD.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit mehr als 4,3 Millionen arbeitslosen Frauen und Männern bundesweit sind wir wieder am tragischen Ausgangspunkt eines Regierungswechsels angekommen, der versprach, auch einen Politikwechsel in die Gänge zu bringen. Das muss unmissverständlich an den Anfang gesetzt werden. Darin liegt das eigentliche Problem.
Keine medienträchtigen Angriffe gegen die Arbeitsverwaltung als solche, keine noch so kreative Bereinigung von Arbeitslosenstatistiken, keiner der makabren Angriffe auf die gesetzlichen Ansprüche auf Arbeitslosengeld für ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, keine der dreisten Faulenzerdebatten und auch nicht die Drohung, jungen arbeitslosen Sozialhilfeempfängerinnen und -empfängern gänzlich die Ansprüche zu streichen, werden auch nur einen neuen Arbeitsplatz schaffen,
geschweige denn das Problem des enormen Beschäftigungsdefizits in Deutschland in ernst zu nehmendem Maße bewältigen. Das alles ist lediglich der Kampf gegen Arbeitslose, nicht aber der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit in diesem Lande.
Der derzeit inszenierte Generalangriff auf die Strukturen und Instrumentarien der Arbeitsverwaltung rückt eher einen Nebenschauplatz in den Mittelpunkt, als dass er der Lösung des Problems der Massenarbeitslosigkeit auch nur ein Stück näher käme.
Unstrittig ist, Verwaltungen und andere institutionelle Strukturen sind immer und zu jeder Jahreszeit reformbedürftig, so auch die Arbeitsverwaltung. Die Landesarbeitsämter in der vorhandenen Dimension sind das Ergebnis jahrzehntelangen Verwaltungsauf-, -aus- und -umbaus. In der Tat ist eine Mittelinstanz solchen Ausmaßes stark reduktionsbedürftig. Allerdings ist es nicht zuletzt die Politik, die mit ihren ausgedehnten, unstillbaren und hier und da sicherlich nachvollziehbaren Wünschen nach Evaluationen, Statistiken und Berichten der Verwaltungsexpansion in nicht zu verachtendem Maße immer wieder Vorschub leistet.
Ministerin Frau Dr. Kuppe wurde am vergangenen Dienstag in der „Mitteldeutschen Zeitung“ mit dem Satz zitiert: „Das Landesarbeitsamt als Staat im Staate sei durchaus verzichtbar.“ - Ob es ein Originalzitat war oder nicht, sei dahingestellt. Aber in jedem Falle passt ein solcher Vorschlag wohl eher in die Kategorie des mittlerweile üblichen, weil medienwirksamen Aktionismus.
Die Arbeit der Landesarbeitsämter muss zweifellos auf ihre eigentliche Funktion zurückgeführt werden, nämlich die Initiierung und Koordination landesweiter oder überregionaler Projekte. Sie jedoch mir nichts, dir nichts einfach abzuschaffen, hieße am Ende, das Kind mit dem Bade auszuschütten. Wer soll denn dann künftig der arbeitsmarktpolitische Partner seitens der Arbeitsverwaltung auf Landesebene sein? Die Arbeitsverwaltung und ihre Institutionen müssen als Ganzes modernisiert werden. Kahlschläge machen ein gewachsenes System nicht zwangsläufig funktionaler.
Wo also nun ansetzen, um die Arbeitsförderung effektiver zu machen? - Kern einer wirksamen, wenn auch nur längerfristig realisierbaren Reformierung sollte aus unserer Sicht die Dezentralisierung der Mittel und der Entscheidungskompetenzen sein.
Hierbei hat die Arbeitsverwaltung im Rahmen des Konzeptes „Arbeitsamt 2000“ durch die Regionalisierung ihrer Mittel und Kompetenzen sehr wohl in akzeptabler Form dem Zentralismus Lebewohl gesagt. Das wiederum stößt in den Regionen - wir wissen es alle - keineswegs immer auf Gegenliebe, zieht doch die eine oder andere regionale Schwerpunktsetzung auch die eine oder andere Absage von Maßnahmen nach sich.
Die Erhaltung des Status quo kann jedoch nicht eine a priori gewollte politische Zielvorgabe sein, weder im Hinblick auf die Strukturen der Arbeitsverwaltung noch hinsichtlich der gewachsenen Trägerstruktur und der zu fördernden Maßnahmen. Letztlich sind die Länder ebenso Akteure der Arbeitsmarktpolitik, freilich mit ungleich geringeren finanziellen Möglichkeiten und Gestaltungsspielräumen und gebunden an die gemeinsame Geschäftsgrundlage aller Akteure, das Sozialgesetzbuch III. Ihre Politik ist also mindestens ebenso reformbedürftig.
Seit Beginn des Jahres 2001 hat das Land SachsenAnhalt im Rahmen einer Pilotphase die Mittel des Europäischen Sozialfonds für die Qualifizierung und Beschäftigung von Sozialhilfeempfängerinnen und -empfängern kommunalisiert. Die Adressaten sind nun nicht mehr die einzelnen Maßnahmenträger, sondern die Landkreise selbst. Als örtliche Träger der Sozialhilfe werden sie somit in die Lage versetzt, regionalen Besonderheiten in eigener Verantwortung Rechnung zu tragen und die Mittel flexibler, sachgerechter und planmäßiger zu verwenden; das heißt am Ende auch, die Projekte effektiver zu evaluieren.
Dies kann aber aus unserer Sicht keineswegs das Ende der Fahnenstange sein. Die Zukunft der Arbeitsförderung insgesamt - das betrifft auch die Mittel und Kompetenzen der Landespolitik - liegt in einer dezentralen, eventuell sogar kommunalen Entscheidungs- und Verteilungskompetenz.
Meine Damen und Herren! Ich mache darauf aufmerksam, dass der Geräuschpegel zu hoch ist. Wir verstehen hier vorn kaum noch ein Wort.