Protocol of the Session on February 22, 2002

Die Voraussetzungen dafür sind gegeben gewesen, aber man musste es nicht; man hätte es auch bleiben lassen können. Juristisch ist dagegen gar nichts zu sagen. Ob es politisch besonders klug gewesen ist, gegen die Frühwarnung oder gegen einen blauen Brief vorzugehen, ist eine andere Frage. In der Sache selbst ist es nicht zu beanstanden.

Wir haben aber ein ganz anderes Problem. Es nützt überhaupt nichts, den schwarzen Peter zwischen dem Bund, den Ländern und den Kommunen hin- und her

zuschieben. Die Wahrheit ist, dass alle Beteiligten unterschiedliche Ausgangspositionen haben.

Die Möglichkeiten, die Einnahmen und Ausgaben zu beeinflussen, sind beim Bund, bei den Ländern und bei den Gemeinden nun einmal unterschiedlich. Und die Möglichkeiten, sich innerhalb der Länder und innerhalb der Kommunen zu helfen, um dann zu anderen Ausgabe- und Einnahmeverhältnissen zu kommen, sind auch ganz verschieden. Das wissen Sie. Sie haben auch darauf hingewiesen, dass wir in Sachsen-Anhalt zum Beispiel in der Frage, was man noch einsparen könnte oder wie man sich anders verhalten könnte, sehr viel schlechter dran sind als andere Länder. Das wird auch nicht in Zweifel gezogen.

Wenn ich den Bundesfinanzminister richtig verstehe, und zwar sowohl in seinen öffentlichen Erklärungen als auch in dem, was er im kleinen Kreis sagt, so ist mein Eindruck, dass es nicht darum geht, dass SachsenAnhalt oder die ostdeutschen Länder überhaupt den Gürtel enger schnallen müssen.

Dass wir alles getan haben, was unter den gegenwärtigen Verhältnissen zu tun ist, kann überhaupt nicht bestritten werden und wird auch nicht bestritten. Die in der Tat nicht besonders geschickten Vorwürfe an die Länder sind bei näherer Betrachtung sehr differenziert. Das macht es aber - das möchte ich dazu sagen - nicht einfacher.

Wir werden das Problem mit noch so vielen Schuldvorwürfen und mit noch so vielen Erklärungen, dass der Bund oder die Länder oder die Kommunen das alles verursacht hätten, nicht lösen. Das ist eine Vergangenheitsbetrachtung, in die man noch einen weiteren Aspekt einbeziehen kann. Auf diesen will ich hinweisen.

Der Bundesfinanzminister hat in Brüssel nichts versprochen, wozu wir nicht sowieso verpflichtet gewesen wären.

(Herr Dr. Bergner, CDU: Was?)

- Ja, so ist das. Manchmal muss man überlegen, worüber man diskutiert, und erst nachsehen.

(Herr Scharf, CDU: Warum waren dann alle so überrascht?)

Wir sind nach den Stabilitätsregeln ohnehin verpflichtet gewesen, bis 2004 -

(Herr Dr. Bergner, CDU: Das ist jetzt ein Dreh, den habe ich noch nirgendwo gehört!)

- Herr Bergner, das liegt daran, dass Sie sich nicht gründlich schlau machen, bevor Sie reden.

(Herr Dr. Bergner, CDU: Ja, natürlich, freilich!)

Wir sind nach den europäischen Regelungen ohnehin verpflichtet gewesen, bis 2004 gesamtstaatlich zu annähernd ausgeglichenen Haushalten zu kommen, jedenfalls nach den Brüsseler Kriterien.

Ich füge hinzu, dass das nicht einfach die Nettoneuverschuldungszahlen sind, sondern dass es um Anteile am Sozialprodukt geht. Aber wir sind verpflichtet, das zu tun.

Wir haben, wie andere Länder auch, diese Ziele bislang nicht in dem Umfang erreicht, wie wir das vorgehabt haben. Aber dass die Verpflichtung besteht, daran besteht gar kein Zweifel.

Ich will auch Folgendes sagen: Die Zusage, einen Stabilitätspakt abzuschließen, ist nichts Neues. Wer sich dar

über wundert, der hat nicht mitbekommen, was wir im vergangenen Jahr gesetzlich vereinbart haben. Wir haben in Artikel 7 des Solidarpaktfortführungsgesetzes das Haushaltgrundsätzegesetz geändert. Darin steht nun einmal, dass wir bis 2005 einen solchen Stabilitätspakt, wie er jetzt gefordert wird, in Kraft setzen werden, und zwar mit all den Anteilen, die darin enthalten sind: mit Aufgabenverteilung, auch mit Sanktionsmechanismen. Wir wollten das allerdings erst für das Jahr 2005 machen.

Angesichts der jetzigen Situation glaube ich, dass es gut ist, das Ganze vorzuziehen, sehr schnell in Kraft zu setzen und möglichst noch in diesem Jahr Regelungen dazu zu treffen und nicht bis zum Jahr 2005 zu warten.

Das ist, glaube ich, die erste wichtige Schlussfolgerung, die man ziehen muss, auch aufgrund dessen, was bisher gelaufen ist. Wir sollten mit der Erarbeitung dieses Stabilitätspaktes sehr viel früher beginnen und noch in diesem Jahr entsprechende Vereinbarungen treffen. Deshalb wird der Bundesfinanzminister in der Sitzung des Finanzplanungsrates, um die die Finanzministerkonferenz gebeten hat, wahrscheinlich noch im März, Vorschläge dazu unterbreiten, um einen solchen Pakt sehr schnell vorzubereiten und ihn dann zu verabschieden. Dabei wird darüber geredet werden, wie das Ganze gehen kann.

Das ist überhaupt nicht einfach und das erfordert auch alle Kräfte des Föderalismus. Wir kommen damit auch an die Grenzen dessen, was man in einem föderalen System machen muss. Machen müssen wir es aber.

Ich weise darauf hin, dass das keine Angelegenheit ist, die allein unter finanzpolitischen Gesichtspunkten laufen wird. Es geht nicht nur darum, die Einnahmen zu erhöhen. Das ist nicht der entscheidende Punkt. Wir wollen die Steuerreform nicht rückgängig machen; denn sie hat trotz aller Schwierigkeiten, die wir aktuell mit ihr haben, ihren Sinn gehabt. Es geht vielmehr darum, die Ausgaben neu zu bestimmen und insbesondere - das ist ein ganz spannendes Thema - die Aufgaben, die der Staat und die verschiedenen öffentlichen Ebenen übernehmen müssen, zu diskutieren und neu zu definieren.

Das ist ein Punkt, bei dem man in manchem vielleicht Positionen einnehmen kann, die früher einmal konservative Parteien besetzt haben.

(Herr Prof. Dr. Böhmer, CDU: So ist das!)

- Früher einmal! Denn wenn sie regieren müssen, ist das völlig anders.

(Herr Prof. Dr. Böhmer, CDU: Das war aber um- gekehrt genauso!)

- Herr Böhmer, ich weise nur auf das Land Hessen hin. Ihr kommender Superstar Roland Koch, der wahrscheinlich der nächste Kanzlerkandidat sein wird,

(Zurufe von Herrn Becker, CDU, und von Herrn Prof. Dr. Böhmer, CDU)

hat nach seinem Regierungsantritt in Hessen als Erstes dafür gesorgt, dass dieses Land in eine Verschuldung geraten ist, die man sich früher nicht einmal hat vorstellen können. Das Land lag nämlich im Jahr 2001 an der Spitze derjenigen, die sich verschuldet haben.

(Herr Prof. Dr. Böhmer, CDU: Ich kenne auch solche SPD-Finanzminister!)

Er hat eine reine Ausgabenpolitik gemacht.

Ich habe gar nichts dagegen einzuwenden, Herr Böhmer, ich will nur eines deutlich machen: Das, was früher einmal konservative Politik gewesen ist, nämlich staatliche Interventionen und staatlichen Dirigismus zurückzunehmen, machen Schwarze nicht, wenn sie selbst regieren. Machen wir uns darin doch nichts vor.

Umgekehrt gilt das Ganze erst recht; das muss ich auch sagen, und zwar nicht nur für meine eigene Partei, sondern, lieber Herr Trepte, noch viel mehr für Ihre Partei. Die Ansprüche und die Vorstellungen, was der Staat leisten muss, was er auch vorhalten muss und wie viel Geld er dafür braucht, sind in der PDS noch höher als in meiner Partei oder in anderen Parteien. Das heißt, wenn wir zu einem anderen Staatsmodell kommen wollen, zu einer anderen Verteilung der öffentlichen Aufgaben und dessen, was jeder für sich selbst leisten muss, dann sind die Kröten, die Sie schlucken müssen, vielleicht noch größer als die, die ich und meine Parteifreunde schlucken müssen. Diesbezüglich sollten wir uns nichts vormachen.

Wir haben keine Chance, einer solchen Diskussion zu entgehen. Das müssen wir uns auch klar machen. Nicht einmal mehr die skandinavischen Staaten haben an ihrem früheren Sozialstaatsmodell festgehalten. Sie sind schrittweise zurückgegangen und haben eine Neuverteilung und eine Neudefinition dessen vorgenommen, was die öffentliche Hand leisten muss und was jeder selbst tun muss.

Das werden auch wir tun müssen, ob wir wollen oder nicht. Wir sind durch Europa dazu gezwungen; denn in der Europäischen Union, im Europäischen Rat herrscht insgesamt eine Grundstimmung, die sehr viel mehr von Wettbewerb und von manchem, was ich nicht für besonders klug halte, bestimmt ist als bei uns in Deutschland. Der rheinische Kapitalismus, wie wir ihn in der Bundesrepublik West bis 1989 hatten, ist dabei nicht konsensfähig. Ein darüber hinausgehendes Modell ist erst recht nicht konsensfähig. Das heißt, wir werden durch Brüssel gezwungen werden, über kurz oder lang unsere Aufgaben neu zu definieren und staatliche Leistungen und damit die Ansprüche an das, was der Staat leisten muss, zurückzunehmen.

Damit ist aber auch die Grundlage dafür gelegt, wie man überhaupt zu neuen Ausgabe- und Einnahmeerwartungen für den Staat kommen kann. Das ist die eigentliche Aufgabe, die wir zu erfüllen haben, über die kurzfristige Diskussion hinaus, wie ein Stabilitätspakt aussehen soll. Das ist eine Aufgabe, die uns sehr beschäftigen wird.

Dabei - das sage ich abschließend noch einmal - hilft es nicht, darauf zu verweisen, dass sich der Bundesfinanzminister in bestimmten Situationen ungeschickt verhalten habe. Es geht um Strukturfragen. - Danke sehr.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung von Minister- präsident Herrn Dr. Höppner und von Minister Herrn Dr. Püchel)

Danke sehr. - Meine Damen und Herren! Die Fraktion der DVU hat auf einen Redebeitrag verzichtet, sodass ich jetzt Herrn Professor Dr. Böhmer bitte, für die CDUFraktion das Wort zu ergreifen.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin jetzt etwas in die Versuchung geraten, Sie

zu bitten, dass wir, bevor wir über einen blauen Brief sprechen, vielleicht über eine gelbe Karte nachdenken.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren! Wir sitzen in diesem Raum, weil wir nicht einer Meinung sind und weil wir uns darüber streiten sollen, welcher Weg der beste ist. Dazu sollten wir unsere Argumente austauschen. In diesem Zusammenhang erwarte ich überhaupt nicht, dass der Finanzminister, wenn er eine andere Meinung hat, diese seine eigene Meinung nicht vertritt. Er sollte genau das sagen, was er für richtig hält. Aber, sehr verehrter Herr Finanzminister, die Art, in der Sie das tun, - das bitte ich Sie zur Kenntnis zu nehmen - ist aus der Sicht eines Parlamentariers nicht immer leicht zu ertragen.

(Beifall bei der CDU und bei der PDS - Herr Gürth, CDU: Das steht ihm auch gar nicht zu!)

Dieser oberlehrerhafte Gestus, jemanden wegzubürsten, kommt wirklich nicht gut an. Ich bin der Meinung, das haben wir alle, die wir uns in diesem Plenum abrackern und nach der besten Lösung für die Probleme in Sachsen-Anhalt suchen, nicht verdient.

(Beifall bei der CDU und bei der PDS)

Wir beraten über ein Bundesproblem. Die Bundesrepublik Deutschland hätte einen blauen Brief verdient und wollte ihn nicht. Das kann man alles verstehen. Das war auch früher mit blauen Briefen immer so. Nach Zeitungsberichten - das kann ich nur zitieren - hat es der Bundeskanzler - Deutschland ist ja auch der größte Nettoeinzahler der EU - ganz klar und offen mit den Worten gesagt: Die Kuh, die man melken will, soll man nicht bestrafen, sondern lieber streicheln.

Das sind begreiflicherweise Probleme, die ein französischer Minister anders sieht als der Finanzminister Österreichs oder gar der Finanzminister Portugals, dem es ähnlich geht. Das alles sind politische Tagesprobleme, bei denen ich mich nicht allzu sehr aufhalten kann.

Der Umstand, dass sich die Bundesrepublik jetzt mit einem Versprechen, das sie einhalten muss, in einer bestimmten Weise festgelegt hat, wird uns zwingen, Probleme zu lösen, die wir in Deutschland schon seit Jahren vor uns herschieben. So hat manches auch sein Gutes.