Protocol of the Session on October 12, 2001

(Herr Dr. Bergner, CDU: Das ist aber ein unzu- lässiger Schluss!)

- Nein, Herr Bergner. - Stimmen Sie mit mir nicht darin überein, dass durch einen vollen Personal- und Sach

kostenausgleich durch das Land für die Behindertenbeauftragten der Eindruck entstehen kann, dass Behindertenbelange nicht zum Kernbereich der kommunalen Daseinsvorsorge gehören?

(Herr Dr. Bergner, CDU: Aber Ihre Innenpolitiker haben doch auch zugestimmt im Innenaus- schuss! - Herr Gallert, PDS: Das weiß ich sehr wohl, Herr Bergner! - Herr Becker, CDU: Es geht um die Finanzierung!)

Kollegin Liebrecht, ich bitte Sie, die Frage zu beantworten.

Herr Gallert, das ist für mich nicht ganz einsichtig. Denn gerade die PDS schreibt sich immer auf die Fahnen, dass sie sich für die Kommunen einsetzt; das ist die eine Seite. Damit werden aber die Kommunen mehr belastet.

Wir haben gefordert, dass entsprechend dem Verfassungsgrundsatz des Artikels 87 die Kosten getragen werden. Ich hatte vorhin ausgeführt, aus welchem Grund das Vorschaltgesetz nicht gilt: weil es eine neue Aufgabe ist. Demzufolge entspricht das dem Verfassungsgrundsatz. Dennoch ist immer die Kommune in der Verantwortung, egal, worum es geht.

(Zuruf von Frau Bull, PDS)

- Egal, worum es geht, es ist in ihrer Verantwortung.

(Frau Bull, PDS: Aber beantworten Sie mal seine Frage! - Herr Gallert, PDS: Warum sollen sie nicht mitfinanzieren?)

Wir haben jetzt ein Landesgesetz beschlossen, und ich denke, da ist erst einmal eine Anschubfinanzierung erforderlich. Da das Gesetz in diesem Punkt erst ab dem Jahr 2004 in Kraft tritt, ergibt sich ein weiteres Problem: Was wäre, wenn die drei großen Städte, in denen bereits jetzt Behindertengleichstellungsbeauftragte vorhanden sind, sagten, sie wollten jetzt irgendwo sparen, und dann die Gleichstellungsbeauftragten für Behinderte abschaffen würden? Dazu wären die drei großen Städte dann in der Lage, weil dieses Gesetzt den Einsatz eines Behindertengleichstellungsbeauftragten erst ab 2004 vorschreibt. Und das wollen wir doch auch nicht.

(Ministerin Frau Dr. Kuppe: Wir gehen davon aus, dass die Kommunen verantwortlich handeln!)

- Davon gehe ich auch aus, dass die Kommunen verantwortlich handeln, denn die Kommunen haben in allen Bereichen eine Verantwortung zu tragen. Ob das für die Behinderten ist, ob das für die Umweltfragen ist, die Kommune ist immer gefragt und kann sich nicht aus der Verantwortung ziehen. Das wissen Sie genauso gut wie ich. Wenn das Land nicht mehr finanziert, versucht immer noch die Kommune, etwas zu ermöglichen, damit es nicht den Bach hinuntergeht.

(Herr Dr. Daehre, CDU: So ist das!)

Das ist doch letztlich entscheidend.

(Zustimmung bei der CDU)

Danke schön, Kollegin Liebrecht. - Die FDVP-Fraktion hat auf einen Redebeitrag verzichtet. Für die SPD-Fraktion spricht der Abgeordnete Herr Bischoff.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Für die Behinderten im Land Sachsen-Anhalt ist heute ein wichtiger Tag, weil ein wichtiger Schritt für eine bessere Gleichstellung getan wird. Es ist deshalb auch ein fröhlicher Tag, und ich freue mich darauf, dass unsere Fraktion heute diesem Gesetzentwurf zustimmen wird. Es wurde auch höchste Zeit.

(Zustimmung bei der SPD)

Nach zwei Jahren intensivster Diskussion mit mehreren Anhörungen ist ein wichtiges Ziel erreicht. Darüber sollten alle hier im Haus froh sein und dem Gesetzentwurf zustimmen. Denn Menschen mit Behinderungen haben es sowieso schwer genug. Ihnen eine bessere Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen ist längst überfällig.

Dass behinderte Menschen wirklich gleichberechtigt mit uns und unter uns leben können, ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Natürlich ist jeder gefordert, sich konkret dafür einzusetzen. Aber auch die Forderung - das ist tatsächlich der Paradigmenwechsel - an öffentliche Stellen, Benachteiligungen von behinderten Menschen abzubauen, ist wichtig. Denn für Behinderte ist es oft die größere Verletzung, wenn jemand, der schon aufgrund der persönlichen Handicaps seiner Behinderung benachteiligt ist, dann durch öffentliche Stellen noch einmal eine Benachteiligung erfährt. Diese Verletzung ist zu groß. Das ist auch die zentrale Grundoption dieses Gesetzentwurfs.

Die weiteren Dinge wurden genannt: Das Verbandsklagerecht, ganz wichtig; die Beweislastumkehr, dass der oder die Behinderte nicht in der Lage sein muss, den Beweis für die Benachteiligung zu führen; die Stärkung der Stellung des Behindertenbeauftragten - an dieser Stelle begrüße ich besonders Herrn Witt als den Landesbehindertenbeauftragten, der an dem Gesetzentwurf mitgearbeitet und uns Anregungen gegeben hat -; die Verankerung der Gebärdensprache - man sieht es deutlich, und ich empfinde es als eine schöne Geste, dass dies heute und hoffentlich noch viel öfter im Landtag passiert -; eine bessere Integration behinderter Kinder in den Schulen und vieles mehr sind wichtige Meilensteine für eine Gleichstellung.

Sicher, wir können die persönliche Behinderung nicht beseitigen. Dies ist das schwere Los, das behinderte Menschen tragen müssen. Meist tragen auch die Angehörigen dieses Los mit und sind oft bis an den Rand der Erschöpfung für die Behinderten fürsorgend und begleitend tätig. All denen, die sich täglich mühen, behinderten Menschen das Leben zu erleichtern - ob Familienangehörige, Verwandte oder professionelle Helferinnen und Helfer wie die Pflegedienste -, sollten wir aus diesem Hohen Haus unseren ausdrücklichen Dank sagen.

(Zustimmung bei der SPD und bei der PDS - Zu- stimmung von Herrn Preiß, DVU)

Unsere Gesellschaft ist auf diese selbstverständliche Hilfeleistung angewiesen. Ich denke aber auch an die vielen ehrenamtlichen Helfer in den Verbänden und Selbsthilfegruppen. Wir wären viel ärmer, wenn wir diese Menschen nicht unter uns hätten.

Alle Wünsche konnten wir nicht erfüllen. Frau Liebrecht, das war gerade der Kompromiss. Wenn ich manchmal von „weicher Formulierung“ gesprochen habe: Ich hätte mir härtere Formulierungen vorstellen können, aber wir hätten sie nicht finanzieren können. Das ist tatsächlich

der Einstieg. Wir konnten sie nicht erfüllen, vielleicht besser gesagt: noch nicht erfüllen.

Das gilt auch für die Frage der Barrierefreiheit in öffentlichen Gebäuden, Verkehrsmitteln, auf Straßen und Wegen, im Bereich des Tourismus und erst recht im privaten Bereich. Da können wir das Problem nicht lösen, weil wir keine Zuständigkeit haben. Aber es bedarf der Anstrengungen aller, in Zukunft auch die Dinge noch zu lösen, die einer wirklichen Gleichberechtigung und Gleichstellung im Wege stehen.

Es wird auch immer deutlicher, dass Behinderte insbesondere für die Tourismusbranche ein Wirtschaftsfaktor sind. Auch vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung erhält die Frage nach der Barrierefreiheit und nach dem ungehinderten Zugang zu touristischen Sehenswürdigkeiten, zu Hotels und Gaststätten, Kinos und Theatern eine völlig neue Dimension. Wenn die private Wirtschaft das nicht erkennt, wird ihr ein Großteil ihrer Kunden verloren gehen.

Kollege Bischoff, würden Sie eine Frage von Herrn Becker beantworten?

Das würde ich gern am Ende. - Das können wir tatsächlich auch von Amerika lernen, obwohl Amerika nicht gerade dafür steht, soziale Standards hoch zu halten. Aber dort bekommt eben kein Privater, weder ein Kino- noch ein Gaststättenbesitzer, irgendwo eine Genehmigung, diese Einrichtungen zu betreiben, wenn er sie nicht tatsächlich barrierefrei gestaltet.

Es bleibt also noch einiges für die Zukunft zu tun. Dabei sind wir auch gespannt, wie sich die Diskussion um den Entwurf zum Behindertengleichstellungsgesetz der Bundesregierung gestalten wird. Wir sind mit den Änderungen am SGB IX auch einen großen Schritt nach vorn gekommen.

Unverständlich ist mir die Haltung der CDU-Fraktion trotzdem, und ich bitte Sie, noch einmal zu überlegen, ob Sie bei Ihrem Vorhaben bleiben, sich der Stimme zu enthalten. Denn die wesentlichen Formulierungen des Berliner Gesetzes, der großen Koalition, sind in den Gesetzentwurf eingegangen. Sie waren bisher auch unstrittig.

Sie haben bei bestimmten Punkten gesagt, sie seien verfassungsrechtlich nicht geklärt. Darauf komme ich gleich noch einmal.

Mit Ihrem Ansinnen, die Verabschiedung des Gesetzes zu verschieben und das Gesetzesvorhaben des Bundes abzuwarten, hätten Sie in Kauf genommen, dass das Behindertengleichstellungsgesetz in dieser Legislaturperiode nicht mehr verabschiedet worden wäre. Nach jetzt fast zweijähriger Diskussion wäre eine weitere zeitliche Verzögerung - sie ist schon einmal eingetreten, weil wir das SGB IX abgewartet haben - für die Betroffenen nicht zu vertreten gewesen. Niemand hindert uns daran, Frau Liebrecht, das Gesetz in ein paar Jahren wieder aufzurufen, wenn es tatsächlich Änderungsbedarf gibt. Das machen wir des Öfteren.

(Zuruf von Frau Feußner, CDU)

Das gilt ebenso für die rechtlichen Bedenken hinsichtlich der Beweislastumkehr. Das war ja Ihr wesentlicher Grund. Ich frage Sie: Was macht denn ein Abgeordneter, was machen Sie, wenn Sie von Juristen unterschied

liche Auffassungen hören, zum Beispiel zu einem Paragrafen, und trotzdem entscheiden müssen? Was machen Sie dann? - Gar nichts tun und abwarten kann nicht die Lösung sein. Das wäre Stillstand. Dann muss eben erst einmal der gesunde Menschenverstand her. Wir werden dann sehen, was gerichtliche Auseinandersetzungen, wenn sie wirklich kommen sollten, tatsächlich ergeben. Vielleicht sind wir dann alle schlauer, Juristen wie Abgeordnete.

Die CDU in Berlin hatte den Mut, eine solche Regelung in der großen Koalition zu beschließen. Deshalb sollten Sie hier nicht den Verhinderer spielen, sondern im Interesse der Betroffenen zustimmen.

Jetzt noch einmal etwas zu den Rechtsaußenfraktionen: Während der gesamten Beratung war von Ihnen nichts zu hören und am Ende auch nichts zu sehen. Wahrscheinlich waren Sie unterwegs, um Ihre Infoblättchen zu verteilen, in denen Sie mitteilen, was Sie im Landtag für gute Dinge tun.

(Frau Lindemann, SPD, lacht)

Abgesehen davon, dass vieles, eigentlich alles purer Populismus ist, was Sie versprechen: Faulheit wird nirgends belohnt. Wer fröhlich Diäten einsteckt, der sollte wenigstens etwas tun oder zumindest anwesend sein.

(Beifall bei der SPD und bei der PDS - Zustim- mung von Ministerin Frau Dr. Kuppe)

Falls Sie es noch nicht wissen, Frau Brandt - sie ist gar nicht mehr da, daran merkt man erst recht, wie groß das Interesse ist; das sollten auch die Anwesenden auf den Besucherrängen wissen -: Die fachliche Arbeit des Landtages wird in den Ausschüssen gemacht. Wenn Sie dort gar nicht mitarbeiten, keinen Antrag einbringen, keine Diskussion führen und nicht einmal anwesend sind, dann merkt man, wie weit es mit Ihnen her ist.

Kleine Anfragen zu stellen, die man aus Zeitungsnotizen zusammenstellt, ist keine ernst zu nehmende parlamentarische Arbeit. Damit wird höchstens kostbare Zeit gebunden, die wir für die Menschen im Land dringender brauchen. Ihre Schaufensterreden im Plenum - mögen Sie, Frau Wiechman, noch so laut sein und noch so schreien -

(Beifall bei der SPD und bei der PDS)

täuschen nicht darüber hinweg, dass von beiden Fraktionen aber auch gar nichts an sachlicher und fachlicher Arbeit geleistet wird. Deshalb sparen Sie sich Ihre Betroffenheitsreden. Damit beleidigen Sie die behinderten Menschen.

(Beifall bei der PDS - Frau Wiechmann, FDVP: Ich habe doch gar nichts bemerkt, Herr Bischoff!)

Im Grunde sollten Sie Ihre Diäten an das Wahlvolk vollständig zurückgeben wegen Arbeitsausfalls.

(Herr Weich, FDVP: Aufhören!)

Wir Sozialdemokraten freuen uns jedenfalls sehr über dieses Gesetz und wünschen allen, die jetzt mit der Umsetzung betraut sind, dass sie dies mit Herz und Verstand tun mögen. Allen, die uns Abgeordneten mit Rat und Tat zur Seite standen, sei zum Schluss gedankt, und zwar Vertretern der Verbände, der entsprechenden Ministerien und der Landtagsverwaltung sowie auch den Fraktionsmitarbeitern. - Ich danke Ihnen.