Protocol of the Session on June 29, 2001

Deswegen schlage ich vor, dem Änderungsantrag der SPD zu folgen, gleichzeitig jedoch auch die im Antrag der PDS-Fraktion aufscheinenden Fragen zum Diskussionsgegenstand zu machen. Ich glaube, das kann eine sehr wichtige Diskussion für die Weiterentwicklung von Schule werden. - Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Zustimmung bei der SPD, von Frau Dr. Paschke, PDS, und von Frau Dr. Weiher, PDS)

Danke sehr. - Wir treten in die Debatte ein. Die DVUFraktion verzichtet auf einen Beitrag. Ich rufe deshalb Frau Helmecke für die FDVP-Fraktion auf, Ihren Redebeitrag hier zu leisten. Bitte, Frau Helmecke.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch wenn meine Kinder seit langer Zeit dem Kindergarten entwachsen sind, erinnern sie sich gern an diese Zeit. Es war die Zeit eines fröhlichen Spielens, Lernens und Tätigkeitseins für die Gemeinschaft. Tischdienst, Blumenpflege und andere gemeinsame Verrichtungen unter Verantwortung eines Kindes in der Gruppe waren begehrt, ergaben oft lobende Mitteilungen im „Muttiheft“ und lösten erneutes Lob der beruflich gestressten Eltern aus. - Ich hoffe, dass Herr Pfeiffer daraus keine neuen Irrlehren nach seiner „Töpfchentheorie“ über die Ursachen der Gewalt im Osten ableitet und den Tischdienst als Fronarbeit einordnet.

Ich gestehe aber auch, dass mit zunehmendem Alter die Freude, die Begeisterung, der Drang nach Gemeinschaftsarbeit, nach sinnvollen Diensten erheblich abnahm und in der Pubertät bis zur trotzigen Verweigerung umschlug. Oft war das aber von außen verursacht, weil das Prinzip der Freiwilligkeit verlassen wurde und anstelle von Einsicht und Gemeinsinn Zwang dominierte.

Meine Damen und Herren! Umso krasser zeigen sich gegenwärtig die Einstellung zu einem Ehrenamt und die Wahrnehmung solcher Arbeit, beginnend in der Schule und sich fortsetzend bei Jugendlichen und Erwachsenen. In einer Gesellschaft, die die Ehrlichen zu den Dummen zählt und den Abzockern Tür und Tor öffnet, in einer Gesellschaft, in der sich alles rechnen muss, fällt es schwer, den Schülern zu vermitteln, dass sich ehrenamtliche Arbeit lohnt und auszahlt, allerdings nicht im Sinne materieller Anerkennung, sondern dadurch, dass der freiwillige, uneigennützige Einsatz für das Gemeinwesen, für die Gruppe, für andere Menschen auch entsprechende moralische Würdigung und Anerkennung erfährt.

Bundespräsident Rau fragte sich unlängst, warum wir eine junge Generation haben, die bereit ist, sich zu engagieren, die aber nicht bereit ist, sich zu organisieren. - Weil die junge Generation wachen Auges sieht, wie abgezockt, wie gelogen wird und wie Politik und Politiker unglaubwürdig wurden.

Übrigens beschrieb der „Spiegel“, dass das ehrenamtliche Kuratorium der Stiftung zur Zwangsarbeiterentschädigung für jedes Vorstandsmitglied, darunter den gräflichen Otto Lambsdorff, eine jährliche Anerkennung von rund 250 000 DM erhält. So ist das mit dem Ehrenamt in der Politik.

Oft wird die Null-Bock-Stimmung von Kindern und Jugendlichen verstärkt, wenn die Eltern und Großeltern von den einstigen oft sinnlosen Subbotniks in ihren Betrieben berichteten. Wie oft haben die Eltern tatsächlich freiwillig im Interesse ihrer Kinder zu Pinsel und Tapete gegriffen, den Kindergarten und die Schule renoviert, damit die Kinder in wohl tuender Umgebung spielen und lernen konnten. Wie deprimierend war es, dann erleben zu müssen, wie diese Einrichtungen abgewickelt und geschlossen wurden. Der Bedarf an freiwilliger Gemeinschaftsarbeit und an Ehrenämtern war für lange Zeit gedeckt, die Menschen waren und sind ganz einfach „bedient“.

Diese Erkenntnis vermittelt auch die Untersuchung von Thomas Gensicke über „Freiwilliges Engagement in den neuen und alten Bundesländern“. Es verwundert deshalb auch nicht, dass freiwilliges Engagement in den neuen Bundesländern geringer ist. Das ist nicht allein auf eine schwächer entwickelte Organisations- und Vereinsstruktur zurückzuführen. Die erwähnte Untersuchung betont die Erwartung, dass die freiwillige Tätigkeit und das Ehrenamt die Lebensfreude und Lebensqualität steigern, ja einfach Spaß bereiten sollen. Aber dem erwarteten Spaß gehen oft die Mühen, die Anstrengungen voraus, die gescheut werden.

Wenn Ulrich Beck ein ehrenamtliches Tätigsein der Bürger als „Seele der Demokratie“ kennzeichnet, dann gibt es bei den Bürgern dieses Landes eine Vielzahl von Seelenverletzungen, wenn man bedenkt, wie hier in Sachsen-Anhalt die unterschiedlichsten Bürgerinitiativen abgebürstet und abgeschmettert werden. Beispielhaft nenne ich folgende Stichworte: Schulschließungen, 13. Schuljahr, Schule mit festen Öffnungszeiten. Die antragstellende Fraktion der PDS mischte beim Abschmettern der Volksinitiativen fleißig mit. Nun wollen Sie Ihr zweifellos zwielichtiges Verhalten wieder ausbügeln.

Meine Damen und Herren! Unter diesen Voraussetzungen fällt es den Eltern schwer, den Kindern zu vermitteln, dass ehrenamtliche und freiwillige Arbeit in diesem Lande Anerkennung findet und anstrebenswert sei. Solange der Rotstift rigoros mühsam aufgebaute, wirkungsvolle Projekte streicht, aber sinnlose Phantomprojekte um Pastor Tschiche fördert, wird es berechtigte Vorbehalte und Ablehnung gegenüber Freiwilligenarbeit und Ehrenamt bei Schülern geben. - Ich bedanke mich.

(Beifall bei der FDVP - Frau Weiß, CDU: Richtig!)

Danke sehr. - Meine Damen und Herren! Auf der Zuschauertribüne hat wieder ein Wechsel stattgefunden. Wir begrüßen ganz herzlich Damen und Herren der Konrad-Adenauer-Stiftung Wendgräben.

(Beifall im ganzen Hause)

Die Debatte wird mit dem Beitrag der Abgeordneten Frau Kauerauf, die für die SPD-Fraktion spricht, fortgesetzt. Bitte, Frau Kauerauf.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zum Thema Ehrenamt und Schule ist von meinen Vorrednern eine ganze Reihe von Dingen gesagt worden. Ich möchte mich auf ein Thema beschränken, weil ich denke, dass man es auch aus einer ganz anderen Sicht sehen muss, nämlich speziell aus der Sicht der Schule, aus der Sicht der Schüler, die innerhalb der Schule Ehrenämter bekleiden.

Ich möchte mich auf eine Konferenz des Landesschülerrates beziehen, die im Mai stattgefunden hat und an der auch Abgeordnete teilgenommen haben. Dort wurden die Probleme gerade in diesem Bereich dargestellt. Damit müssen wir uns einmal ganz intensiv beschäftigen.

(Zustimmung von Herrn Steckel, SPD)

Der Landesschülerrat tagte in diesem Jahr in Halle. Es ging um die Anerkennung ehrenamtlicher Funktionen und um die Problemfelder bei der Ausübung dieser ehrenamtlichen Funktionen. Man beschäftigte sich

insbesondere mit der Gremienzusammensetzung an den Schulen und mit den entsprechenden Mitwirkungsmöglichkeiten ehrenamtlicher Schülervertreterinnen und Schülervertreter in den Gesamtkonferenzen. In diesem Zusammenhang möchte ich einmal Hindernisse des ehrenamtlichen Engagements an einem Beispiel belegen:

Engagiert berichteten Schülervertreterinnen über ihre Erfahrungen mit praktizierter, aber mehr noch mit nicht praktizierter Demokratie an den Schulen. Sarkastisch äußerte sich die Vorsitzende des Landesschülerrates zu diesem Bereich - ich zitiere -:

„In der Gesamtkonferenz, in der die Lehrer 50 % der Stimmen haben und Eltern und Schülerinnen die andere Hälfte untereinander aufteilen müssen und in der noch hinzukommt, dass der Direktor bei einer Pattsituation immer die richtungweisende Stimme abzugeben hat, meint man den Jugendlichen beibringen zu können, wie ein demokratisches Staatssystem funktioniert.“

Ich zitiere weiter:

„Ist es in einer Gesamtkonferenz, in welcher von vornherein Bevorteilte und Benachteiligte geschaffen werden, wirklich möglich, Schülerinnen und Schüler zu motivieren, sich zu engagieren und an Demokratie teilzuhaben, wenn sie sehen und spüren, dass sie in dieser nur einen untergeordneten Part spielen und im eigentlichen Sinne nur legitimiert sind, damit die Erwachsenen sich wieder für ein ruhiges Gewissen vor Augen führen können, sie hätten die Schülerinnen und Schüler doch zu Wort kommen lassen, sodass sie ernsthafte Veränderungen hätten erwirken können?“

Sie fragte weiter, ob es taktisch klug ist, Demokratie derart in falschen Grundzügen zu lehren. - Das war hart.

Ein anderer Sprecher fügte hinzu, dass man sich die Teilnahme von Eltern- und Schülervertretern an Gesamtkonferenzen wegen der Stimmenverhältnisse ganz sparen könnte, da die Mehrheitsverhältnisse zugunsten der immer bestimmenden Lehrerschaft sowieso gesichert seien.

Meine Damen und Herren! Es könnte schon nachdenklich machen, was von den Teilnehmern der Konferenz in Sachen praktizierter Demokratie an der Schule geäußert wurde. Die von den Schülerinnen und Schülern geforderte Drittelparität - theoretisch per Schulgesetz legitimiert - ist gegenwärtig nur möglich, wenn die Gesamtkonferenz mehrheitlich einen Antrag stellt.

Mitunter konnte man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass gerade vonseiten derjenigen, die die junge Generation in die Grundzüge des demokratischen Miteinanders einführen sollen, wenig bis nichts getan wird, um die so genannte Politikmüdigkeit bei den jungen Menschen nicht erst aufkommen zu lassen.

Leider, so stellte sich bei einem erneuten Gespräch mit Schülervertreterinnen und Schülervertretern heraus, gibt es auch in den Landkreisen unterschiedliche Voraussetzungen für die Arbeit der Kreisschülerräte. Obwohl das Schulgesetz unseres Landes klare Aussagen zur Finanzierung macht, haben die Schüler oft große Probleme, ihre Rechte durchzusetzen. Das trifft oft auch im Zusammenhang mit der Anerkennung ihres Ehrenamtes als Schülersprecher, als Vereinsmitglied oder als Vereinsvorsitzender zu.

In diesem Zusammenhang sollte nach unserem Dafürhalten ernsthaft darüber nachgedacht werden, den Schülerinnen und Schülern verlässliche Grundlagen zum Erleben praktizierter Demokratie an die Hand zu geben. Das sollte vielleicht in geeigneten Definitionen im Schulgesetz geschehen. Die Schulleitungen sollten in geeigneter Form verpflichtet werden, den Schülervertretungen den Umgang mit ihren gesetzlich verbrieften Rechten nahe zu bringen.

Das Kultusministerium hat mit der Herausgabe des Handbuchs für Schülervertretungen einen wichtigen Beitrag zur Information der Schülervertreter geleistet. Wenn aber - wie mir Schülersprecherinnen und Schülersprecher berichteten - an einer Schule nur zwei Exemplare zur Verfügung stehen - eines für den Schulleiter und eines für die Bibliothek -, dann kann das sicher für die Schülerinnen und Schüler nicht zufrieden stellend sein.

Die in dem Antrag formulierten umfangreichen Forderungen der PDS zur schriftlichen Berichterstattung sind jedoch aus unserer Sicht bis zum Ende des Jahres nicht leistbar. Es wurde von Frau Dr. Weiher bereits gesagt, dass wir das so empfinden. Wir möchten auch eine Berichterstattung, aber im Sinne unseres Änderungsantrages. Wir halten den Wert ehrenamtlicher Arbeit für die Gesellschaft und die Entwicklung der Einzelpersönlichkeit für unbestritten und befürworten eine Beschäftigung mit der Problematik in den Ausschüssen für Bildung und Wissenschaft sowie für Gleichstellung, Kinder, Jugend und Sport. Aus diesem Grunde bitten wir um die Zustimmung zu unserem Änderungsantrag. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Danke schön. War das der Antrag auf eine Überweisung in die Ausschüsse?

Nein, wir bitten um Zustimmung zu dem Änderungsantrag und natürlich um die Behandlung des Themas in den Ausschüssen.

Für die CDU-Fraktion spricht die Abgeordnete Frau Ludewig. Bitte sehr.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der uns vorliegende Antrag der PDS-Fraktion lässt unterschiedliche Fragen zu, was sie mit diesem Antrag anstrebt und was nicht. Wir sind uns 100-prozentig einig, dass Schule das ehrenamtliche Engagement von Schülern stärkern und fördern soll und dass es darüber hinaus viele Situationen gibt, in denen auch im Unterricht durch Lehrer oder durch geladene Gäste auf Möglichkeiten ehrenamtlicher Tätigkeiten hingewiesen werden sollte.

Selbstverständlich sollte man bei der Behandlung von Themen im Unterricht Schülern mit einem einschlägigen ehrenamtlichen Engagement die Gelegenheit geben, über ihre Tätigkeit zu sprechen, sie womöglich anzuwenden oder sie - wie Sie es in Ihrem Antrag ausdrücken - „für den pädagogischen Prozess produktiv“ zu machen. So weit, so gut.

Wie aber steht es mit der Forderung nach dem Bericht der Landesregierung darüber - ich zitiere aus dem Antrag -, in welchem Umfang derzeit Schüler und Schülerinnen in den einzelnen Schulformen und Schuljahrgängen innerhalb und außerhalb der Schule ehrenamtlich auf verschiedenen Gebieten tätig sind? Woher soll die Landesregierung die dafür nötigen Informationen erhalten?

Innerhalb der Schule wird das ehrenamtliche Engagement in mehr oder weniger bekanntem Maße gewürdigt und hervorgehoben. Mir ist aber nicht bekannt, dass Vereine oder gemeinnützige Organisationen über Statistiken verfügen, aus denen hervorgeht, welcher ehrenamtliche Mitarbeiter Schüler welcher Schulform ist.

Die CDU-Fraktion setzt sich vehement und in aller Deutlichkeit für eine Unterstützung und Förderung des Ehrenamtes in einer demokratischen Form ein. Warum sage ich „in einer demokratischen Form“? - Ganz einfach: Der vorliegende Antrag der PDS hat bedauerlicherweise mit dem Grundwert eines demokratisch gelebten Alltags nur wenig zu tun und ist letztlich nicht mehr als ein Rückfall in ihre eigene dunkle Vergangenheit.

(Unruhe bei der PDS - Zurufe von Frau Krause, PDS, und von Herrn Gallert, PDS)

In beiden Punkten ihres Antrages fordert die PDS einen Bericht und eine Diskussion zum Stand und zur Förderung des ehrenamtlichen Engagements vor allem im außerschulischen Bereich, das heißt auch zum Privatleben der Schüler und Schülerinnen unseres Landes.

Meine Damen und Herren! An Äußerungen der PDSParteiführung zum Mauerbau als Instrument der Friedenssicherung und zu einer beabsichtigten Verstaatlichung oder - wie Sie es nennen - Vergesellschaftung von Unternehmen ist man in den letzen Wochen schon gewöhnt. Dieser Antrag mit seinen Forderungen nach einer Berichterstattung über außerschulische ehrenamtliche Aktivitäten von Schülern und Schülerinnen fügt sich nahtlos in das Verständnis der PDS ein, das nach einer anderen, gottlob vergangenen Staatsform ruft.

Meine Damen und Herren von der PDS, ist Ihnen nach zehn Jahren noch immer nicht klar, dass das private Leben der Bürger, solange es sich im Rahmen der Gesetze des Staates bewegt, nicht unter die Obhut, die Erfassung und die Berichterstattung des Staates fällt? Es existiert ein Grundrecht, das unter dem Begriff des Persönlichkeitsrechtes jedem Demokraten bekannt sein muss. Mit Ihrer Forderung gehen Sie in die Persönlichkeitsrechte des Einzelnen hinein.

Förderung des Ehrenamtes - ja. Förderung eines ehrenamtlichen Engagements in der Schule - ja. Aber eine Verletzung des Persönlichkeitsrechtes durch Erfassung und Berichterstattung über private Aktivitäten unserer Mitbürger durch den Staat ist mit uns, der CDU, und davon gehen wir aus - mit jedem Demokraten in diesem Haus nicht zu machen. Die CDU-Fraktion lehnt den PDS-Antrag ab.

Der Änderungsantrag der SPD unterscheidet sich in dem ersten Punkt vom PDS-Antrag. Wenn wir uns darauf verständigen können, dass es sich hierbei vorwiegend um das schulische Engagement von Schülern handelt, können wir den Änderungsantrag mittragen. Danke schön.

(Beifall bei der CDU und bei der FDVP)

Frau Abgeordnete Ludewig, sind Sie bereit, eine Frage der Abgeordneten Frau Stolfa zu beantworten? - Nein, sie ist nicht bereit dazu.

(Frau Stolfa, PDS: Ich hätte so gern eine Frage gestellt! - Herr Dr. Süß, PDS: Feigling! Sie traut sich nicht! - Frau Ludewig, CDU: Das hat damit nichts zu tun! Ich kenne ja Ihre Meinung!)