Protocol of the Session on June 29, 2001

Danke sehr. - Meine Damen und Herren! Ich führte bereits aus, dass in der Aktuellen Debatte keine Beschlüsse gefasst werden. Damit ist das zweite Thema im Rahmen der Aktuellen Debatte beendet und der Tagesordnungspunkt 1 abgeschlossen.

Da der Kultusminister inzwischen eingetroffen ist, können wir wie geplant mit dem Tagesordnungspunkt 23 fortsetzen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf:

Beratung

Ehrenamt und Schule

Antrag der Fraktion der PDS - Drs. 3/4640

Änderungsantrag der Fraktion der SPD - Drs. 3/4700

Einbringerin ist für die PDS-Fraktion die Abgeordnete Frau Dr. Weiher. Es folgt eine Fünfminutendebatte. Die Vertreter der Fraktionen sprechen in folgender Reihenfolge: DVU, FDVP, SPD, CDU und PDS. Nach der Abgeordneten Frau Dr. Weiher wird der Kultusminister für die Landesregierung das Wort ergreifen. Bitte, Frau Dr. Weiher, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich gestehe, dass es nicht so einfach ist, nach einem Thema wie dem letzten in der Aktuellen Debatte wieder auf den Boden der einfachen Anträge zurückzukommen. Versuchen wir es trotzdem.

Stellen Sie sich einmal vor, Ihr Kind oder auch Ihr Enkelkind ist Mitglied eines Sportvereins, und an einem normalen Trainingstag fällt das Training aus, weil weder der Trainer noch der Übungsleiter kommt. Oder die Ferien haben wie gestern begonnen und die Kinder können nicht mehr ins Ferienlager fahren, denn es finden keine Ferienfreizeiten mehr statt. Oder noch schlimmer: Im Dorf XYZ brennt es und niemand kommt zum Löschen.

Diese Dinge sind hoffentlich weit von der Realität entfernt. Aber es wäre durchaus denkbar, dass so etwas passieren könnte; denn diesen drei Ereignissen und vielen anderen ist eines gemein: Sie basieren auf einer freiwilligen, dem Grunde nach unbezahlten Tätigkeit von Menschen aller Altersklassen, die meistens über einen längeren Zeitraum erfolgt und anderen zugute kommt.

Die Rede ist vom Ehrenamt, auch bürgerschaftliches Engagement oder Freiwilligenarbeit genannt. Es gibt viele Begriffe für diese aktive Arbeit in Vereinen, Verbänden, Selbsthilfegruppen und Projekten, und es gibt viele Menschen, die sich auf den verschiedensten Gebieten heute ehrenamtlich betätigen. Die Spanne reicht von sozialen Bereichen über Tier- und Naturschutz, Jugendverbände und Sport bis zur freiwilligen Feuerwehr oder der Schöffentätigkeit.

Im Freiwilligensurvey 1999, den das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend in Auftrag gegeben hatte, sind doch einige überraschende Ergebnisse zutage getreten. Ca. 34 % aller in Deutschland Lebenden ab dem 14. Lebensjahr, also etwa 22 Millionen Menschen, arbeiten in ihrer Freizeit ehrenamtlich. Bisher ging man nur von etwa 18 % aus. Welche Werte durch diese Arbeit geschaffen werden, die für die Gesellschaft unverzichtbar sind, will ich hier nicht näher ausführen. Dies kann in verschiedenen Veröffentlichungen nachgelesen werden.

Aber der damit durchaus verbundene finanzielle Druck sollte nicht die Debatte um die Zukunft der Freiwilligenarbeit ersetzen. Die Ehrenamtlichkeit ist ein demokra

tisches Gestaltungsrecht und gehört als ein unverzichtbarer Bestandteil zum sozialen demokratischen Netz, in dem die verschiedenen Maschen miteinander verbunden sind, aber sich nicht gegenseitig ersetzen können.

Gerade im Jahr 2001, dem Jahr des Ehrenamtes und der Freiwilligen, das im Jahr 1997 von den Vereinten Nationen ausgerufen wurde, spielen die inhaltliche Ausrichtung von Ehrenämtern, die Auswirkungen der gesellschaftlichen Veränderungen auf die freiwillige Arbeit, aber auch Fragen der Anerkennung und Förderung in der öffentlichen Diskussion eine größere Rolle.

Insbesondere der Gruppe der Kinder und Jugendlichen kommt heute eine hohe Bedeutung zu. Zwar wird diese Gruppe im Vergleich zur älteren Generation aufgrund der sinkenden Geburtenrate und der steigenden Lebenserwartung immer kleiner, aber ohne das gemeinnützige Engagement der Jugendlichen kann es passieren, dass die Gesellschaft auch bald sehr alt aussehen kann.

Wenn man aber darüber nachdenkt, Kinder und Jugendliche für ehrenamtliche Tätigkeiten zu gewinnen, muss man ganz sicher auch die Veränderungen in diesem Bereich zur Kenntnis nehmen. Das betrifft zum Beispiel die Langfristigkeit von Mitgliedschaften in Vereinen oder Verbänden oder den bloßen selbstlosen Einsatz.

Ich war am Wochenende beim Jubiläum „Zehn Jahre Landesjugendfeuerwehrverband“. Auch dort spielte die Frage des Nachwuchses eine Rolle. Nur ein Teil der über 14 000 Kinder und Jugendlichen bleibt auch im höheren Alter der freiwilligen Feuerwehr treu. Heute gibt es eindeutig Trends hin zu kürzeren, überschaubaren Zeiträumen und häufigerem Wechsel. Aber auch das Erleben von Spaß, Geselligkeit und die eigene Bestätigung sind gerade für junge Menschen wichtig geworden.

Die Bereitschaft zu einer Übernahme freiwilliger Tätigkeiten durch Jugendliche ist als sehr hoch einzuschätzen. Umso wichtiger ist es, genau diese Bereitschaft in jungen Jahren zu fördern und anzuerkennen, also entsprechende Rahmenbedingungen zu schaffen, wie zum Beispiel Räume zur Verfügung zu stellen und eigene Gestaltungsmöglichkeiten usw. zu schaffen, damit junge Leute sich auch im späteren Alter gesellschaftlich einbringen.

Junge Menschen lernen in diesen Zeiten, Verantwortung zu übernehmen. Sie erwerben solche wichtigen persönlichen und beruflichen Kompetenzen wie Teamfähigkeit, Toleranz, Kreativität, Kommunikationsfähigkeit, Eigeninitiative, um nur einige zu nennen.

Wir meinen, dass diese Kompetenzen, ihre erworbenen Erfahrungen und ihr angeeignetes Wissen und Können es wert sind, im Prozess der schulischen Bildung und Erziehung eine stärkere Rolle zu spielen als bisher, zumal die Schule selbst viele Möglichkeiten der ehrenamtlichen Betätigung bietet.

Ich denke dabei nur an Schülersprecher, Schülerlotsen, Streitschlichter, Verantwortliche für Schulbibliotheken oder auch Leiter von Arbeitsgemeinschaften, die eine sehr zeitaufwendige Arbeit betreiben.

Die Engagementbereitschaft in der Schule muss positiv unterstützt werden. Das geschieht sicher nicht mit der Einführung eines Unterrichtsfaches „Erziehung zum Ehrenamt“, sondern durch die Unterstützung der Aktivitäten von Schülern und Schülerinnen innerhalb und außerhalb der Schule, durch eine echte Beteiligung in der Schule, aber auch durch die Anerkennung und die

Schaffung von Freiräumen und die Nutzung der Erfahrungen von Schülerinnen und Schülern im Unterricht.

Die Schule kann die Bereitschaft zur Übernahme von freiwilliger Arbeit steigern. Die Schule hat einen entscheidenden Anteil an der Ausprägung von Schlüsselqualifikationen wie zum Beispiel von sozialen Kompetenzen. Die Schule sollte stärker mit außerschulischen Strukturen zusammenarbeiten.

Die Schule nimmt neben der Familie in der Persönlichkeitsentwicklung der Kinder und Jugendlichen eine besondere Stellung ein. Von daher halten wir es für legitim, dass die Schule auch über eine Förderung, Anerkennung und Würdigung der ehrenamtlichen Tätigkeiten nachdenken sollte.

Wir wollen mit unserem Antrag zum einen in Erfahrung bringen, wie hoch das freiwillige Engagement von Schülerinnen und Schülern ist, welche Bereiche von ihnen besonders gewählt werden und wie bereits heute die Schule auf das Engagement reagiert.

Zum anderen wollen wir darüber diskutieren, wie die Schule genau diese Bereitschaft stärker für sich nutzen, aber auch die Motivation der Schülerinnen und Schüler zur Übernahme freiwilliger Tätigkeiten befördern kann und wie eine stärkere öffentliche Anerkennung erfolgen kann.

Zum Änderungsantrag der SPD-Fraktion: Man kann sich natürlich trefflich darüber streiten, was in welchen Zeiträumen leistbar ist und was nicht. Von daher stehen wir dem Änderungsantrag offen gegenüber. Allerdings halten wir die in unserem Antrag genannten Problemkreise für eine Diskussion schon für notwendig. Allgemeinplätze sind meistens wenig hilfreich. Ich kann trotz der Zustimmung zum Änderungsantrag ankündigen, dass wir in den Ausschüssen genau diese Fragen stellen werden. - Danke schön.

(Zustimmung bei der PDS)

Danke sehr. - Für die Landesregierung spricht der Kultusminister Herr Dr. Harms. Bitte, Herr Minister.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mehr als ein Drittel der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland ist ehrenamtlich oder bürgerschaftlich engagiert, und fast ebenso viele wären dazu bereit, sich ebenfalls zu engagieren, wenn sie - so der Freiwilligensurvey aus dem Jahr 1999 - die Möglichkeit dazu gehabt hätten.

Möglichkeiten - abstrakt betrachtet - gibt es sicher genug. Aber an vielen Stellen finden diejenigen, die sich ehrenamtlich engagieren wollen, nicht mit denjenigen zusammen, die an dieser Stelle einen Bedarf haben oder eine solche Organisation bieten, oder die Art und Weise, wie sie angesprochen werden, entspricht nicht der Bedarfslage.

Das Themenfeld Ehrenamt und Schule ist aus der Sicht des Kultusministeriums und aus meiner Sicht relativ breit angelegt. Es umfasst nicht nur das Ehrenamt im engeren Sinne, sondern - das ist schon von Frau Dr. Weiher gesagt worden - der Begriff des bürgerschaftlichen Engagements umfasst eigentlich mehr. Es geht auch um einen Erziehungsprozess. Es geht auch darum: Wie

kann eine Hinführung zu einem freiwilligen Engagement in einer offenen und demokratischen Gesellschaft unterstützt werden?

Die Schule ist hierbei ein Lern- und Erfahrungsort für freiwillige Arbeit. Diesbezüglich möchte ich zunächst einmal sagen: Es wird in der Schule über das Honorierte hinaus sehr viel geleistet. Viele Lehrerinnen und Lehrer schauen nicht auf die Uhr, wenn es um die Erfüllung außerunterrichtlicher Aufgaben geht. Nicht wegzudenken ist das freiwillige Engagement von Eltern und Elternvertretern, auch wenn wir manchmal bedauern, dass die Zahl derjenigen, die sich dazu bereit finden, nicht groß genug ist. Dabei muss man aber nicht diejenigen beschimpfen, die sich engagieren, sondern versuchen, mehr Engagement zu erreichen.

Bei Schülerinnen und Schülern geht es ebenfalls darum, die Grundlagen für ein Engagement für das Gemeinwohl zu legen.

Ich will vorab drei Punkte zu bedenken geben.

Erstens. Wir sollten die Latte nicht zu hoch hängen. Nicht jede Absicht erreicht auch die positive Wirkung. Das heißt, wir müssen aufpassen, dass das Engagement, dass die Übernahme von eigener Verantwortung auch ehrlich gemeint ist und nicht nur unter Druck geschieht; denn in einem solchen Falle würde es auf Dauer nicht tragfähig sein.

Zweitens. Wir stellen heute fest, dass Kinder und Jugendliche sich in immer stärkerem Maße kurzfristig und projekt- und anlassbezogen engagieren. Wir sollten dies nicht negativ bewerten, sondern daran anknüpfen und versuchen, darüber nachzudenken, wie wir die Verbände und Organisationen auf die teilweise Kurzlebigkeit des Engagements zunächst einmal vorbereiten können, und sehen, wie daraus auch langfristige Bindungen erwachsen können. Nicht jedes Kind, nicht jeder Jugendliche ist tatsächlich bereit, sich auf Dauer für einen Verein oder für einen Verband zu entscheiden. Wir müssen die Art und Weise, wie sich Kinder und Jugendliche engagieren, ernst nehmen.

Dritter Punkt: Wir sollten die Schule an dieser Stelle nicht überfordern. Die Schule ist ein Teil des Lebensumfeldes. Kinder, die Gleichgültigkeit gegenüber der Gesellschaft, gegenüber den Fragen des Gemeinwesens in der Familie, in der Umgebung erleben, sind auch dadurch geprägt. Die Schule kann hier nur einen Teil leisten, aber die Schule hat vielfältige Ansätze. Ich will hier nur einige kurz zitieren; wir werden das im Ausschuss vertiefen.

Die Unterstützung des freiwilligen Engagements wird beispielsweise im Unterricht in den Klassenstufen 8 bis 10 im Fach Sozialkunde unter Themenbereichen wie „Freizeit - freie Zeit für andere und mit anderen“ angesprochen. Es wird unter dem Stichwort „Freizeit sinnvoll gestalten“ in den Fächern Musik, Sozialkunde, Sport und Hauswirtschaft angesprochen. Es wird angesprochen unter dem Stichwort „Demokratie im Nahraum“ in Sozialkunde, Geografie, Deutsch, Kunsterziehung usw. Das gilt insbesondere auch für den Ethik- und Religionsunterricht bei Themenbereichen wie „Meine Hilfe wird gebraucht“ und „Wie können Kinder helfen?“.

Ich nenne dies nur stichpunktartig. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass dies jeweils nur Anlässe und Anstöße sein können. Weitere Anknüpfungspunkte sind offensichtlich.

Viel wesentlicher sind aber die außerunterrichtlichen schulischen Aktivitäten. Sie haben einige genannt: Schülervertretungen, Schülerzeitungsredakteurinnen und -redakteure, Schulklubmitglieder, Unterrichtsprojekte und Lernhilfen für Mitschülerinnen und Mitschüler, das Engagement für behinderte Schülerinnen und Schüler in der Schule sowie Partnerschaften, die hier entstehen, Junge Sanitäter, Schülerlotsen, Streitschlichter. - All dies sind Projekte, die in der Schule laufen und hinsichtlich derer wir darüber nachdenken sollten, wie wir sie besser verankern und tatsächlich zum Alltag in möglichst vielen Schulen machen können.

Darüber hinaus kommt der Kooperation mit außerunterrichtlichen und außerschulischen Initiativen eine besondere Bedeutung zu: Jugendfeuerwehren, Projekte mit Natur- und Tierschutzvereinen, Jugendorchester, Tanzgruppen, Heimatgruppen und ähnliche sind im Land vielfältig tätig und beklagen den Nachwuchsmangel. Oft brauchen die Schulen die Brücke, die es ihnen ermöglicht, auch mit diesen Vereinen und Verbänden im Land aktiv zusammenzuarbeiten.

Jedenfalls sollte von diesem Haus und auch vom Kultusministerium das deutliche Signal ausgehen, dass dies gewollt ist, dass diese Zusammenarbeit mit außerschulischen Vereinen und Verbänden eine Grundlage einer offenen Schule darstellt. Das Kultusministerium unterstützt und fördert solche Aktivitäten, weil wir glauben, dass die Vorbereitung auf ein aktives Leben in der Gesellschaft zu den Aufgaben der Schule gehört.

Nun zum Antrag selbst. Ich möchte mich an dieser Stelle der Äußerung von Herrn Minister Keller am gestrigen späten Nachmittag anschließen. Die Vielzahl der Berichte birgt die Gefahr in sich, dass wir - gerade weil sie schriftlich abgefasst werden und umfänglich sein sollen diejenigen mit dem Schreiben der Berichte binden, die wir eigentlich brauchen, um solche Aktivitäten zu fördern.

Nähme ich Ihren Antrag und die in ihm enthaltene Forderung, den Umfang des Engagements aller Schülerinnen und Schüler im Land nach Klassenstufen und Schulformen im unterrichtlichen und außerunterrichtlichen Bereich zu erheben, wirklich ernst, dann stünde eine Untersuchung vor mir, die wirklich unglaublich viel Kraft binden würde, Statistiken erforderte und auch in Bereiche eindringen würde, in die ich im außerunterrichtlichen Bereich überhaupt nicht eindringen darf.

Auch wenn die im Antrag der PDS-Fraktion genannten Fragenkomplexe diejenigen sind, die man erörtern sollte, glaube ich, dass der Änderungsantrag der SPD und die in ihm vertretene Absicht, diesen gesamten Bereich zu thematisieren, in die richtige Richtung geht. Wir müssen offen legen, welche Aktivitäten wir unternommen und welchen Erfolg wir dabei erreicht haben. Anschließend sollten wir offen darüber diskutieren - das kann auch vor Jahresende passieren -, wie wir Schritte zur Verbesserung einleiten und welche Instrumente wir dabei nutzen.

Deswegen schlage ich vor, dem Änderungsantrag der SPD zu folgen, gleichzeitig jedoch auch die im Antrag der PDS-Fraktion aufscheinenden Fragen zum Diskussionsgegenstand zu machen. Ich glaube, das kann eine sehr wichtige Diskussion für die Weiterentwicklung von Schule werden. - Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.